11. Kapitel

Das Pescadores war ein beliebtes Fischrestaurant in Mischief Bay. Nicole wusste, dass es irgendeine komplizierte Geschichte zwischen diesem Lokal und der The Original Seafood Company am Ende der Straße gab. Die Leute nahmen oft an, dass es im Großraum Los Angeles aufgrund der Größe namen- und gesichtslos zuging, aber da irrten sie sich. Es gab überall kleinstädtische Enklaven, und Mischief Bay war eine davon. Fehden brachen aus, Leute schlugen sich auf die eine oder andere Seite, Dinge wurden gesagt, Kaufentscheidungen getroffen. Dann ging die Zeit weiter, und niemand konnte sich mehr daran erinnern, warum er ein bestimmtes Restaurant oder Café nicht mehr besuchte, aber die Regeln blieben trotzdem bestehen.

Das war alles unglaublich interessant – und vollkommen irrelevant, dachte Nicole, als sie aus dem Auto stieg und sich noch kurz am Türgriff festhielt. Die Nerven. Sie zitterten, bebten, verursachten ihr Übelkeit. Sie war nie jemand gewesen, der sich betäubte, außer vielleicht mal mit einem Glas Wein, aber heute schien ein guter Tag zu sein, um damit anzufangen. Kannte sie irgendjemanden, der Valium oder Xanax verschrieben bekam? Sie wollte keine ganze Tablette. Eine halbe würde reichen. Nur, um die Kanten ein wenig abzuschmirgeln.

Es war Samstagabend. Der traditionelle Abend für Verabredungen. Das wusste sie. Schließlich war sie früher auch ausgegangen. Aber das war acht Jahre und eine ganze Ehe her. Jetzt war sie eine geschiedene, alleinerziehende Mutter, die nicht kapierte, was zum Teufel sie sich dabei gedacht hatte, Jairus’ Einladung zum Essen anzunehmen.

Sie kam sich dumm vor. Fehl am Platz. Und sie war verwirrt. Alles war falsch. Ihr Kleid, ihre Frisur. Dass sie überhaupt hier war. Vor zwei Tagen war ihr bewusst geworden, dass sie nichts zum Anziehen hatte. Sie hatte sich ein Kleid von Shannon geliehen – ein hübsches Kleid mit Blumenmuster und geradem Ausschnitt, das bis zur Taille eng anlag und dann weich nach unten fiel.

Der Name auf dem Etikett hatte Nicole nichts gesagt, aber sie war sich ziemlich sicher, dass es sich um ein Designerkleid handelte, das mehr als ein paar durchschnittliche Monatsmieten gekostet hatte. Doch Shannon war großzügig gewesen und hatte den Preis nicht erwähnt. Und sie hatte auch nicht darauf gedrängt zu erfahren, was genau Nicole mit ihrem leicht gelogenen »Ich habe da so eine Kundensache« meinte. Was klang, als wäre sie auf eine Hauseinweihung oder Spendenfeier eingeladen, aber nicht zu einer Verabredung.

Das ist alles seine Schuld, sagte sie sich. Wenn dieser dumme Mann sie nicht eingeladen hätte, wäre sie jetzt mit Tyler zu Hause und würde einen Film gucken und Popcorn essen. Sie würde sich wohlfühlen, wäre zufrieden. Und hätte nicht furchtbare Angst, sich gleich übergeben zu müssen.

»Hi.«

Sie sprang zur Seite – ein ernsthafter Fehler in acht Zentimeter hohen Absätzen – und drehte sich um. Jairus kam auf sie zu. Ihr erster Gedanke war, dass er in dem dunkelblauen Hemd und der schwarzen Hose wirklich gut aussah. Seine Haare waren immer noch zu lang, aber er hatte sich rasiert. Und er lächelte. Ein sexy Lächeln, das besagte, dass er sich freute, sie zu sehen. Was ihren Magen nur noch mehr in Aufruhr versetzte.

»Hi«, brachte sie heraus und ermahnte sich dann, den Griff der Autotür loszulassen. Irgendwann würde Jairus erwarten, dass sie mit ihm in das Restaurant ging, und es wäre seltsam, wenn sie dabei ihr Auto hinter sich herzog, oder?

Jairus neigte den Kopf. »Geht es Ihnen gut?«

»Ja, sehr gut.« An diesem Punkt hätte sie aufhören sollen. Doch traurigerweise sprach sie weiter. »Ich bin nervös, was das hier angeht. Diese Verabredung. Dass es nicht gut läuft. Oder dass Sie genervt sind, weil wir uns hier treffen, anstatt dass Sie mich zu Hause abholen. Ich meine, ich kenne Sie nicht wirklich, also warum sollte ich Ihnen vertrauen? Außerdem ist da noch Tyler. Er liebt B den D, und Sie sind … nun, Sie wissen, wer Sie sind. Ich will nicht, dass er sich irgendetwas einbildet. Ich weiß zwar nicht, was das wäre, aber irgendetwas wäre es bestimmt.«

Stopp, befahl sie sich. Wenn sie nicht freiwillig aufhörte, wäre sie gezwungen, sich den Mund zuzuhalten. Was bedeutete, dass sie jetzt wirklich den Türgriff loslassen sollte.

Sie tat beides: Sie ließ den Griff los und schloss den Mund. Sie brachte sogar ein kleines Lächeln zustande, von dem sie hoffte, dass es weniger furchterregend aussah, als es sich anfühlte.

»B der D?«, fragte Jairus.

»Das ist die Kurzform von …«

»Oh, ich weiß, wofür das steht.« Das sexy Lächeln kehrte zurück. »Das ist irgendwie süß. B der D. Als wäre es sein Gangstername.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob ein pummeliger roter Drache einen Gangsternamen braucht.«

Das Lächeln schwand. »Pummelig?«

»Irgendwie schon.«

»Er hat nur stabile Knochen. Und er ist ein Drache. Die sind absichtlich nicht dünn. Brad ist ein gut aussehender Drache.«

Seine Verteidigung eines fiktiven Charakters beruhigte Nicoles Nerven ein wenig. »Sorry. Ich wollte nicht respektlos sein.«

»Er ist nicht dick.«

»Das habe ich verstanden. Er hat nur stabile Knochen.«

»Und ist ein Drache.«

»Auf jeden Fall. Ein sehr fitter, attraktiver Drache.«

Jairus musterte sie. »Sie machen sich über mich lustig.«

»Ein wenig. Aber das ist in Ordnung.«

»Von Ihrem Standpunkt aus vielleicht. Bereit hineinzugehen?«

Das war sie. Das Atmen fiel ihr leichter, und ihr Magen hatte sich beruhigt. Sie gingen auf die Eingangstür zu.

»Sie sehen gut aus«, sagte er, als er ihr die Tür aufhielt. »Sehr gut sogar.«

»Vielen Dank. Sie, äh, auch.«

Das Pescadores war im maritimen Stil eingerichtet, aber sie hatten es nicht übertrieben. Es gab ein paar Anker und Meeresbilder an der Wand, und zwischen den Sitznischen aus Holz waren Tampen gespannt, aber ansonsten war es ein schlichtes, elegantes Restaurant. Die Tischdecken waren weiß, das Porzellan edel und die Kellner diskret und erfahren.

Nicole und Jairus wurden zu einem Tisch am Fenster geführt, von dem aus man den Hafen überblicken konnte. Sobald sie saßen, kehrte die Nervosität zurück und mit ihr der Wunsch zu fliehen. Selbst der Gedanke, dass B der D stabile Knochen hatte, schien nicht zu helfen.

»Geht es Ihnen gut?«, fragte Jairus.

»Mehr oder weniger. Ich, äh, hatte nicht viele Dates. Seit der Scheidung, meine ich.« Sie stellte ihre kleine Handtasche neben sich auf die Bank und beugte sich vor. »Ich weiß einfach nicht, ob ich vorsichtig bin oder mich verschließe. Meine Freundinnen würden für Letzteres stimmen.«

»Dafür, dass Sie sich verschließen?«

»Total.«

»Ich wusste, es musste einen Grund geben, warum Sie die Chance, mit mir auszugehen, nicht gleich ergriffen haben. Jetzt kenne ich ihn.«

Sie lachte. »So toll sind Sie nun auch wieder nicht.«

»Doch, bin ich. Wirklich. Da können Sie jeden fragen.«

Seine Augen funkelten amüsiert, und Nicole entspannte sich ein bisschen. Ihr Kellner kam und zählte ihnen die Angebote des Tages auf, dann nahm er ihre Getränkebestellung entgegen. Da Nicole später noch Auto fahren musste, bestellte sie sich ein Glas Chardonnay, denn daran konnte sie mehrere Stunden lang nippen.

»Sie sind geschieden?«, fragte Jairus, als der Kellner wieder gegangen war.

»Ja. Eric …« Eric was? Hatte sie verlassen? Das klang zu dramatisch, auch wenn es der Wahrheit entsprach. »Er wollte Drehbuchautor sein. Also hat er seinen Job hingeschmissen, um ein Drehbuch zu schreiben. Das Problem war, dass wir nicht vorher darüber gesprochen haben. Er hat einfach gekündigt und mir erst zwei Tage später davon erzählt. Das hat mir Angst gemacht.«

Jairus beugte sich vor. »Natürlich hat es das. Was zum Teufel … Sie waren ein Team. Wenn man verheiratet ist, spricht man über solche Sachen.«

»Laut Eric hat er nichts gesagt, weil er wusste, dass ich seinen Traum nicht unterstützen würde.«

»Hatte er damit recht?«

»Das kann ich unmöglich wissen. Ehrlich, ich könnte für beide Seiten argumentieren. Also habe ich ihn unterstützt, während er geschrieben hat und gesurft ist.«

Jairus stöhnte. »Nein. Sagen Sie mir nicht, dass er die schreibende Zunft in Verruf gebracht hat.«

»Doch. Irgendwie schon. Aber wie sich herausgestellt hat, ist er talentiert. Er hat sein Drehbuch für sehr viel Geld verkauft. Ein paar Monate danach ist er ausgezogen.« Sie zuckte mit den Schultern. »Das hat mich total überrumpelt, und irgendwie auch nicht, falls das Sinn ergibt.«

»Tut es.«

»Wir hatten uns auseinandergelebt. Er wollte andere Dinge vom Leben als ich. Das ist okay für mich. Die Menschen verändern sich. Es ist nur … Er hat einen Sohn, den er nie sieht. Eric zahlt immer pünktlich den Kindesunterhalt, aber er taucht nicht auf. Alle zwei Wochen soll er die Sonntage mit Tyler verbringen, aber den Großteil der Zeit sagt er kurzfristig ab. Das ist grausam.«

»Es tut mir leid.«

»Mir auch. Das Schlimmste ist, dass Tyler gar nicht mehr über ihn spricht. Es ist, als würde er ihm gar nicht fehlen. Na ja, vermutlich kann man nicht vermissen, woran man sich nicht erinnert. Ich hoffe immer, dass Eric eines Tages aufwacht und erkennt, was ihm entgeht. Aber was ist, wenn er das nicht tut?«

Sie holte Luft und merkte erst dann, wie viel sie geredet hatte. Und über was.

»Oh nein.« Sie presste die Fingerspitzen an die Nasenwurzel und ließ die Hände dann in den Schoß fallen. »Also, wenn Sie vorher noch nicht davon überzeugt waren, dass ich nicht oft ausgehe, sollten Sie es jetzt sein.«

»Ist schon gut.«

»Und ein wenig Furcht einflößend. Sie sollten sich nach dem nächstgelegenen Fluchtweg umschauen.«

»Der ist hinter mir. Und mir geht es gut.«

Der Kellner brachte ihre Getränke. Jairus bat um ein wenig Zeit, bevor sie die Essensbestellung aufgeben würden.

Als sie wieder allein waren, hob er sein Glas. »Auf nette Verabredungen.«

»Es könnte gefährlich sein, darauf zu trinken«, erwiderte sie.

»Ich bin gewillt, das Risiko einzugehen, wenn Sie es auch sind.«

Er ist wirklich nett, dachte sie. Das fand sie erstaunlich. »Was ist mit Ihnen?«, fragte sie. »Erzählen Sie mir etwas Verfängliches oder wenigstens etwas Persönliches, damit zwischen uns Gleichstand herrscht.«

Er hatte einen Wodka Tonic bestellt und schob das Glas jetzt auf der Tischdecke hin und her. »Ich bin auch geschieden.«

»Das tut mir leid.«

»So was passiert.« Er schaute sie kurz an, dann wandte er den Blick ab. »Ich hatte eine ältere Schwester, Alice. Sie hatte das Downsyndrom. Sie hat Bilderbücher geliebt, und wir haben sie immer gemeinsam gelesen. Als ich ungefähr acht war, hat es geregnet, und meine Mom konnte nicht mit uns in die Bücherei gehen, um mehr Bücher zu holen. Also habe ich angefangen zu zeichnen. Aus diesen Skizzen wurde irgendwann Brad.«

Er lächelte. »Alice hat Brad geliebt. Sie hat sich eigene Geschichten ausgedacht. Wir hatten so viel Spaß zusammen. Ich habe geschrieben und gezeichnet, und sie hat die Bilder bunt ausgemalt. Sie war es, die darauf bestand, dass Brad rot ist.«

Nicole sagte sich, dass es unhöflich war, einen anderen Menschen anzustarren, selbst wenn man mit ihm auf einem Date war. Aber nichts von dem, was er ihr erzählte, passte zu dem, was sie über ihn gedacht hatte. Deshalb konnte sie nicht anders, als ihn anzustarren. Der ganze Mann war nicht so, wie sie ihn sich vorgestellt hatte. Und auch nicht so, wie er in dem Online-Artikel dargestellt worden war.

»Ich wusste immer, wenn meine Eltern nicht mehr da wären, wäre ich für Alice verantwortlich. Und das wollte ich auch sein. Als ich also älter war und anfing, mit Mädchen auszugehen, hatte ich Alice immer im Hinterkopf.«

»Oh nein«, hauchte sie.

»Ja. Sie haben richtig geraten. Auf dem College wurde das mit Brad ernst. Ich habe mich nach einem Verleger umgeschaut und hatte Glück. Er hat sich verkauft. Und zwar richtig gut. Dann habe ich Mindy kennengelernt, die süß und sexy war und behauptete, Alice zu lieben.«

»Aber das tat sie nicht.«

»Nein. Meine Eltern sind auf einer Reise ums Leben gekommen, und Alice ist bei uns eingezogen. Innerhalb weniger Monate fing Mindy an, davon zu reden, dass Alice unter ihresgleichen viel glücklicher wäre.« Um seinen Mund zuckte es. »Das waren ihre genauen Worte. Ihresgleichen. Als wäre sie kein Mensch. An dem Tag endete unsere Ehe. Zumindest für mich. Wir haben noch ein wenig gekämpft, aber am Ende sah ich mich vor die Wahl gestellt: entweder sie oder meine Schwester.«

Nicole spürte die unterschiedlichsten Gefühle in sich aufsteigen. Einerseits war sie zutiefst beeindruckt, andererseits war sie unglaublich traurig. Eric konnte sich nicht mal lange genug zusammenreißen, um einen Nachmittag mit seinem Sohn zu verbringen. Und Jairus hatte, ohne zu zögern, die Verantwortung für seine Schwester übernommen.

»Mindy hat es nicht verstanden«, sagte sie leise.

»Nicht einmal ansatzweise. Ein paar Monate später hat Alice sich eine Lungenentzündung eingefangen und ist gestorben.«

Nicole versteifte sich. »Oh nein. Das ist ja schrecklich. Es tut mir so leid.«

»Ja, es war wirklich schrecklich. Sie hatte schon immer Probleme mit ihren Lungen gehabt, aber ich hatte gehofft, ihr wäre ein langes, glückliches Leben vergönnt. Ich war bis zum Ende bei ihr.«

»Natürlich waren Sie das.«

»Mindy ist zurückgekommen.«

»Wie bitte?« Ihre Stimme war lauter als beabsichtigt. Nicole räusperte sich. »Sorry, aber machen Sie Witze? Als würden Sie sie nach dem, was sie abgezogen hat, zurücknehmen? Sie hätten ihr doch niemals wieder vertrauen können. Alice war Ihre Schwester. Sie haben sich nicht wegen eines Versprechens um sie gekümmert, sondern weil Sie sie geliebt haben.« Sie schlug sich die Hand vor den Mund. »Oh nein. Sie haben sie nicht doch noch zurückgenommen, oder? Denn wenn Sie das getan haben …«

Er zog die Augenbrauen hoch. »Dann wären Sie jetzt ins Fettnäpfchen getreten?«

»Technisch gesehen, ja. Aber sie wären dann ein Idiot, also würde ich sagen, es ist Gleichstand.«

Er lachte. Ein lautes, glückliches Lachen, in das sie einfach einfallen musste.

»Ich habe sie nicht zurückgenommen.«

»Das freut mich.«

»Sie war ganz schön sauer.«

Nicole verdrehte die Augen. »Ach bitte. Sie war doch nur auf das Geld aus.«

Seine Augenbrauen schossen wieder nach oben.

Nicole fluchte leise. Ernsthaft? War sie wirklich so schlecht, was Dates anging? »Äh, ich meinte, Sie sind so großartig, ich bin sicher, sie war bestimmt am Boden zerstört.«

»Schon besser. Und Sie haben recht. Sie hatte es nur auf mein Geld abgesehen.«

»Und auf Sie.«

»Ja, klar.« Er nippte an seinem Drink. »Sie haben also ein paar Sachen über mich im Internet gelesen, hm? Schlimme Sachen.«

Sie bemühte sich, nicht zu erröten. »Was? Nein. So etwas würde ich niemals tun. Okay, vielleicht. Ja.«

Er grinste. »Das hatte ich mir gedacht. Mindy hat eine Freundin, die für eine Klatschseite im Internet arbeitet, überredet, den Artikel zu schreiben. Der hat sich dann viral verbreitet. Falls es Sie interessiert: Ich verbringe meine Tage nicht damit, mein Geld zu zählen – oder was auch immer da stand.«

»Gut zu wissen.« Sie schauten einander an, dann streckte Nicole die Hand über den Tisch aus. »Das mit Alice tut mir leid.«

»Mir auch.« Er legte seine Finger auf ihre. »Brad und ich vermissen sie sehr.«

Langsam zog Nicole ihre Hand zurück. »Brad und Sie? Sie sprechen mit Brad?«

»Klar. Wir sind Partner.«

»Das ist, äh … nett.«

Sein Grinsen blitzte wieder auf. »Erwischt.«

Sie stöhnte. »Ich hatte gehofft, dass Sie nur einen Scherz machen, aber Brad ist ein ziemlich einnehmender Typ, also war ich mir nicht sicher.«

Sie bestellten etwas zu essen, und während sie aßen, wandte sich die Unterhaltung informativen, aber leicht oberflächlichen Themen zu. Jairus kam aus Mischief Bay und hatte am California Institute oft the Arts studiert, einer Schule, die Walt Disney gegründet hatte. Nicole erzählte ihm von ihrem Tanzstipendium für die Arizona State University und ihren katastrophalen Versuchen, es in New York zu schaffen. Als sie einen Blick auf ihre Uhr warf, sah sie geschockt, dass bereits mehr als drei Stunden vergangen waren.

»Ich habe Cecelia gesagt, dass ich nicht zu spät zurückkomme«, erklärte sie, während sie aufstanden.

»Ich hatte sehr viel Spaß«, verkündete Jairus auf dem Weg nach draußen. »Und ich würde Sie gerne wiedersehen.«

Sie hatten Nicoles Auto erreicht. Sie drehte sich zu Jairus um. Die Sonne war bereits untergegangen. Der Parkplatz war zwar gut beleuchtet, aber das Licht war anders als Tageslicht. Trotzdem sah er gut aus. Und was noch besser war: Es war so leicht gewesen, sich mit ihm zu unterhalten. Er war ein guter Kerl. Das war heutzutage wesentlich wichtiger als gutes Aussehen.

»Ich habe den Abend auch sehr genossen. Aber ich muss Ihnen etwas sagen.«

»Ich höre.«

Sie seufzte. »Es geht um Brad.«

»Den Drachen?«

»Ja. Er ist … äh …« Sie presste die Lippen zusammen. »Manchmal treibt er mich in den Wahnsinn. Die ganzen Merchandising-Artikel, die Geschichten. Ich weiß, er ist ein gutes Vorbild, aber er ist überall in meinem Leben. Wussten Sie, dass es immer neue Bücher von ihm gibt?

Um Jairus’ Mundwinkel zuckte es. »Ja. Ich schreibe sie.«

»Ach ja, stimmt. Nun, das bedeutet, dass Brad und ich noch weitere Jahre miteinander verbringen werden. Ich will nicht sagen, dass ich ihn hasse, aber wenn Sie von mir erwarten, dass ich ganz verrückt nach ihm bin, muss ich Sie enttäuschen. Und falls Ihr Haus ein Schrein für Brad ist, gibt es ein Problem, denn ich bin kein Groupie.«

»Sie wollen also sagen, dass Sie das hier nicht wegen meines Alter Egos mitmachen?«

»Ganz genau.«

»Gut.«

Er beugte sich vor und küsste sie. Nur eine leichte Berührung ihrer Lippen. Schlicht. Einfach. Ein kleiner Blitz schoss durch Nicole hindurch. Er begann an ihren Zehen und raste von da aus weiter nach oben. Als Jairus sich wieder aufrichtete, war sie ein klein wenig außer Atem.

»Ich rufe dich an«, versprach er.

»Okay.«

»Und du wirst rangehen.«

Sie grinste. »Werde ich.«

»Wir wiederholen das noch mal.«

»Das würde mir gefallen.«

Er wartete, bis sie in ihren Wagen eingestiegen war, dann winkte er und ging davon. Nicole fuhr vom Parkplatz und schlug die Richtung zu ihrem Haus ein. Als sie auf ihre Einfahrt einbog, summte ihr Handy. Sie schaltete den Motor aus und warf einen Blick auf ihr Telefon.

Ich rufe nicht an. Dafür ist es noch zu früh, da würde ich nur klammerig wirken. Ich sage jedoch gute Nacht. Brad wünscht auch eine gute Nacht, aber das willst du vermutlich nicht wissen.

Lachend tippte Nicole ihre Antwort ein.

Sag Brad, es tut mir leid, dass ich ihn so harsch verurteilt habe.

Er versteht das. Er ist ein sehr nachsichtiger Typ.

Gut zu wissen. Ich hatte viel Spaß.

Ich auch. Schlaf gut.

Nicole ging zur Haustür. Auszugehen ist gar nicht so schwer, dachte sie glücklich. Zumindest nicht mehr.

Andrew schenkte zwei Gläser Brandy ein und reichte Gabby eines. Sie hatte es sich am einen Ende des großen Ledersofas in seinem Büro im Haus gemütlich gemacht. Die Kinder waren im Bett, die Bürotür geschlossen, damit sie etwas Privatsphäre hatten. Boomer lag auf der Ottomane, und Jasmine hatte sich auf der Sofalehne ausgestreckt. Andrew setzte sich und schloss die Augen.

»Was für ein Samstag«, seufzte er.

»Ich weiß.« Gabby zog tief den Duft des Brandys ein, bevor sie einen Schluck trank. Da sie eine Diät machte, verzichtete sie derzeit eigentlich auf Alkohol, aber sie fand, dass angesichts dessen, was sie gerade durchmachten, eine Ausnahme durchaus erlaubt war.

»Thomas wirkt ganz vernünftig«, murmelte sie. »Aber Lisa ist einfach schrecklich.«

»Sie hat in der Familie das Sagen, und sie wird es uns nicht leicht machen.« Andrew trank einen Schluck, lehnte sich dann zurück und kraulte Jasmine hinter den Ohren. »Boyd wird nicht bleiben.«

»Was meinst du damit?«

Er sah sie an. »Die beiden werden nicht lange zusammenbleiben.«

»Ach Quatsch. Sie sind verliebt. Er hat Makayla vor seiner Mutter verteidigt, und nach allem, was ich bisher von Lisa gesehen habe, kann das nicht leicht gewesen sein.«

Andrew zuckte mit den Schultern. »Hast du seine Augen gesehen? Er hat Makayla nicht angeschaut. Und uns auch nicht. Klar, was er gemacht hat, hat alles vermasselt, aber er ist ein sechzehnjähriger Junge, der ein Mädchen geschwängert hat. Damit ist er unter seinen Altersgenossen ein Hengst.«

Trotz allem musste Gabby lächeln. »Ich glaube nicht, dass man heute noch Hengst sagt.«

»Dann halt das, was auch immer man heute sagt. Er ist der Mann. Ich weiß, er hat die richtigen Sachen gesagt, aber er wird nicht in der Beziehung bleiben. Das wird Makayla zerstören.«

Gabby wusste, dass es schmerzhaft für Makayla sein würde, wenn das passierte. Doch in Anbetracht aller Umstände erschien es ihr als das geringste Problem, den Freund zu verlieren. Am Ende des Tages wäre da immer noch ein Baby, um das sich gekümmert werden musste.

»In ein paar Wochen wissen wir mehr. Zumindest, was Boyd angeht«, sagte Andrew. »Aber bis dahin …«

Gabby nickte. »Bis dahin gibt es tausend Dinge, um die wir uns kümmern müssen.«

»Ich werde Candace anrufen müssen, wenn sie von ihrer Reise zurück ist.«

»Vorausgesetzt, sie nimmt sich die Zeit für ein Telefonat.« Sie nippte an ihrem Brandy. »War das zu bissig?«

»Überhaupt nicht.«

»Gut, denn sie wird mir die Schuld geben.«

»Das weißt du doch gar nicht.«

»Ach wirklich?«

»Okay, sie wird dir die Schuld geben. Ich werde dafür sorgen, dass sie erfährt, dass das Ganze nicht hier stattgefunden hat.«

Gabby lehnte sich tiefer ins Sofa. »Zwei Mal. Hast du das gehört? Sie haben es zwei Mal gemacht, und Makayla ist schwanger. Die arme Hayley kann kein Baby zu Ende austragen, und dabei sehnt sie sich so sehr nach einem Kind. Das ist so unfair.«

Kurz überlegte sie vorzuschlagen, Hayley das Baby zu geben und somit mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Aber für so einen Vorschlag war es noch zu früh. Und es wäre auch unangenehm. Sobald Makayla sich entschied, das Baby aufzugeben, würden sie sich mit genügend juristischen und emotionalen Themen herumschlagen müssen. Und wenn das Kind nur eine Meile entfernt aufwüchse, würde Makayla vielleicht nie über all das hinwegkommen.

»Ich werde ein wenig recherchieren«, schlug sie vor. »Wenn du recht hast und Boyd Schluss macht, müssen wir vorbereitet sein. Ich nehme an, du würdest dich nicht freuen, wenn die beiden für immer zusammenbleiben und das Kind gemeinsam aufziehen?«

»Guter Gott, nein. Sie sind noch viel zu jung.«

Gabby entspannte sich ein wenig. Gut. Zumindest waren sie beide der Meinung, dass es am besten wäre, wenn Makayla das Baby zur Adoption freigab.

»Candace wird das nicht gut aufnehmen. Selbst wenn sie mir nicht die Schuld gibt, wird sie ausflippen.« Gabby dachte an all die anderen Menschen, die davon erfahren mussten. »Ich möchte noch etwas warten, bevor ich es meinen Eltern erzähle. Und den Zwillingen. Die müssen das jetzt noch nicht wissen.«

Andrew seufzte. »Ich weiß, es ist falsch und egoistisch, aber ich denke die ganze Zeit darüber nach, welche Auswirkungen das auf uns haben wird. Was die Leute sagen werden. Dass wir daran schuld sind.«

»Wir sind die Eltern. Makayla wohnt bei uns.«

»Meinst du, wir könnten uns ein Schild anfertigen lassen, auf dem steht: Geben Sie nicht uns die Schuld. Sie hat es nicht in unserem Haus getan?«

»Technisch gesehen geht das bestimmt, aber ich glaube nicht, dass es wirklich hilfreich ist.«

Außerdem wäre es für Andrew leicht, dachte Gabby. Er würde ganz normal zur Arbeit gehen, während sie diejenige war, die Makayla zu den Vorsorgeuntersuchungen begleiten würde und …

»Mist. Sie muss von einem Arzt untersucht werden.« Gabby stellte ihr Glas ab und zog das Handy aus der Jeanstasche. »Ich schicke mir kurz eine Nachricht, damit wir so schnell wie möglich einen Termin kriegen. Wir wissen ja noch nicht mal, wie weit sie ist.«

»Das hat sie nicht gesagt?«

»Nicht wirklich. Sie meint, zwei oder drei Monate. Aber ich bin nicht sicher, ob ich ihr glaube. Sie ist jung und dünn. Sie könnte schon im vierten Monat sein. Du kennst doch die ganzen Geschichten über Teenager, die ihre Schwangerschaft unter weiten T-Shirts verbergen.«

Sie schickte sich schnell per E-Mail eine Erinnerung. »Du hast recht. Alle werden über uns urteilen.« Vor allem über sie. Immerhin hatte sie die Mutterrolle inne und war damit die Verantwortliche.

Andrew stellte sein Glas auf den Couchtisch, beugte sich vor und zog seine Frau in die Arme. »Ohne dich würde ich das nicht schaffen, Gabby. Das weißt du, oder? Du bist mein Ein und Alles.«

Sie klammerte sich an ihn. »Und du meins. Wir finden schon einen Weg. Schritt für Schritt.«

»Es tut mir leid, dass ich nicht auf dich gehört habe, als du mir von dem Kuss erzählt hast. Ich kann es immer noch nicht fassen. Sie ist ein Kind.«

Auch wenn es zu spät war, um irgendetwas zu ändern, war es nett, diese Entschuldigung zu hören. Gabby kuschelte sich entspannt in Andrews Arme. Morgen war noch ausreichend Zeit, um in Panik zu verfallen. Im Moment hatten sie die ersten Anhaltspunkte eines Plans und einander. Bis morgen würde das reichen.