18. Kapitel

Nicole war so bereit, wie sie sein konnte. Das Haus war geputzt, der Grill vorbereitet, das Essen im Kühlschrank. Sie hatte sich für Steaks entschieden, weil die leicht zuzubereiten waren. Dazu gab es ihren Grüne-Bohnen-Salat mit Estragon, den ihre Gäste immer mochten. Sie hatte ihre Freundin Shannon nach einer Empfehlung für einen guten, nicht zu teuren Rotwein gefragt, und für den Fall, dass Jairus lieber Bier trank, hatte sie auch noch ein Sixpack besorgt. Außerdem war sie am Vorabend lange aufgeblieben, um Brownies zu backen.

Vielleicht hatten ihrer Freundinnen recht: Vielleicht hatte sie sich wirklich für das Scheitern ihrer Ehe bestraft. Oder sie war einfach emotional verkrüppelt und hatte deshalb bisher keine Dates gehabt. Aber ganz ehrlich: Mit diesen Makeln zu leben, war viel einfacher, als die Nervosität auszuhalten – das schmerzhafte Ziehen in ihrem Magen und dieses ständige Vibrieren ihrer Nerven.

Wie machten Leute das nur? Sich vor einer Verabredung nicht den Kopf zu zerbrechen und ganz ruhig zu wirken? Täuschten die das alle vor, oder war sie ein Freak?

Auf diese Fragen wirst du keine Antworten bekommen, ermahnte sie sich, bevor sie in Tylers Zimmer ging. Ihre eigenen Probleme waren eins, aber sie musste auch dafür sorgen, dass es ihrem Sohn gut ging.

Sie fand ihn im Schneidersitz auf seinem Bett, die Brad-der-Drache-Bücher um sich herum verteilt. Er schaute auf und lächelte.

»Ich bin so aufgeregt!«

»Ich auch«, gestand sie und setzte sich neben ihn. »Jairus ist wirklich nett.«

»Hm, hm.«

»Du weißt, dass er mit seiner Lesetour schwer beschäftigt ist.«

Er war ein paar Wochen lang unterwegs gewesen und erst kürzlich nach L. A. zurückgekehrt. Das wusste Nicole, weil er sie ein paarmal aus unterschiedlichen Städten angerufen hatte. Die Unterhaltungen waren ziemlich kurz und locker gewesen, aber trotzdem. Er hatte sie angerufen. Das musste doch etwas bedeuten.

Das Problem war, dass sie nicht wusste, was es bedeuten konnte – oder was sie wollte, dass es bedeutete. Doch darüber konnte sie schwerlich mit ihrem Sohn sprechen.

»Jairus ist ein Freund«, sagte sie vorsichtig. »Einfach ein Freund, so wie Adam oder Rob.«

»Ich weiß.« Tylers Blick war unverwandt auf ihr Gesicht gerichtet.

Sie wollte mehr sagen, wie »Wir gehen nicht miteinander aus«, nur würde ihn das nicht erst überhaupt auf diese Möglichkeit aufmerksam machen? Manchmal war es wirklich schwer, Mutter zu sein.

»Ich freue mich, dass er herkommt«, sagte Tyler. »Vielleicht kann er uns von seinem nächsten Brad-der-Drache-Buch erzählen.«

»Das wäre super.«

Sie gab ihm einen Kuss auf den Scheitel und überließ ihn seinen Büchern, dann ging sie ins Wohnzimmer, wo sie die nächsten zehn Minuten auf und ab tigerte und versuchte, sich einzureden, dass es ihr egal war, wie der Nachmittag verlaufen würde. Sie war nicht wirklich an Jairus interessiert. Er war nur ein Mann, der Bücher schrieb, die ihr Sohn mochte. Mehr nicht. Aber diese Lüge klang selbst in ihren Ohren unglaubwürdig.

Pünktlich auf die Minute stand Jairus vor ihrer Tür. Nicole hörte das Klopfen und fand Jairus auf ihrer vorderen Veranda. In der einen Hand hielt er einen Blumenstrauß, in der anderen einen kleinen blauen Koffer aus Kunststoff.

Nicole hatte gesagt, dass es ein legerer Nachmittag werden würde, und er hatte sie beim Wort genommen. Seine leicht abgewetzte Jeans schmiegte sich an die schmale Hüfte und die langen Beine, und sein Polohemd betonte seine breiten Schultern. Das war eine ziemlich nette Kombination.

»Hi«, sagte er lächelnd. »Danke für die Einladung.«

»Danke fürs Kommen.«

Er reichte ihr den Strauß – ein großes Bukett aus verschiedenen Blumen – und gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Der hier«, er hielt den Koffer hoch, »ist für Tyler.«

»Sollte ich nervös sein, was den Inhalt betrifft?«

»Nein, überhaupt nicht.«

Tyler kam aus seinem Zimmer gestürmt.

»Jairus! Du bist hier!« Er warf sich ihm entgegen und schlang die Arme um Jairus’ Taille. »Ich habe schon den ganzen Tag gewartet.«

Nicole unterdrückte ein Seufzen. So viel dazu, ihren Sohn zu überzeugen, dass dieser Besuch nichts Besonderes war. Jairus war sein Held – oder zumindest der Autor seines Lieblingshelden, was für ihn vermutlich das Gleiche war.

»Ich habe auch gewartet«, sagte Jairus und erwiderte die Umarmung. »Ich habe dir etwas mitgebracht.«

Tyler trat zurück und lächelte schüchtern. »Was denn?«

»Komm, ich zeig’s dir.« Jairus zeigte auf den Küchentisch. »Darf ich?«

Unsicher, was sie zu erwarten hatte, nickte Nicole. Jairus half Tyler auf seinen Stuhl, dann zog er sich einen weiteren Stuhl heran und setzte sich. Nachdem er den Koffer auf den Tisch gelegt hatte, öffnete er ihn.

Im Deckel befanden sich Stifte, Malkreiden und Textmarker in allen Farben des Regenbogens. Die andere Seite war mit Blöcken gefüllt. Jairus nahm einen heraus und legte ihn vor Tyler.

»Würdest du gerne lernen, Brad zu zeichnen?«

Tyler starrte ihn mit großen Augen an, den Mund ungläubig geöffnet. »Wirklich?«

»Wirklich. Es ist nicht schwer. Du fängst mit einer leichten Grundform an.«

Jairus nahm zwei schwarze Stifte heraus und reichte Tyler einen. Erst da fiel Nicole auf, dass sie dicker waren als normale Stifte – und damit perfekt für Tylers kleine Hand.

Jairus nahm sich auch einen Block und zeigte dem Jungen, wie man die Grundform des Drachen zeichnete. »Ich fange gerne mit vier Kreisen an«, erklärte er. »Einer wird sein Kopf, die anderen drei sein Körper. So.«

Er zeigte es, und Tyler malte ähnliche Kreise auf seinem Block.

»Super. Seinen Schwanz malen wir später dazu. Fangen wir mit dem Kopf an. Die Ohren und Augen fügt man so an.«

Fünfzehn Minuten später hatte Tyler einen ziemlich guten Brad der Drache gezeichnet. Er sprang auf und rannte zu Nicole. »Mommy, Mommy, guck mal! Hast du gesehen, was ich gemalt habe?«

»Das ist fantastisch. Können wir das an den Kühlschrank hängen?«

An dem hingen schon weitere Zeichnungen. Normalerweise gab es immer eine kleine Diskussion, was wohin gehängt und was abgenommen werden sollte, um Platz zu schaffen. Doch dieses Mal raste Tyler zum Kühlschrank und fing an, alle seine Zeichnungen abzunehmen. Dann hängte er sein Brad-Bild direkt in die Mitte und drehte sich zu Jairus um.

»Können wir das noch mal machen?«

»Sicher. Während du übst, zeige ich dir noch einmal alles. Ich werde Brad in verschiedenen Schritten zeichnen, damit du es nicht vergisst.«

Nicole spürte, wie die sorgfältig errichtete Mauer um ihr Herz zu Staub zerfiel. Wie sollte sie einem Mann widerstehen, der so gut zu ihrem Sohn war? Der so geduldig und liebevoll zu Kindern war?

Sie setzten sich wieder an den Tisch. Tyler zog konzentriert die Augenbrauen zusammen, während er versuchte, die Kreise genau richtig zu malen.

»Hast du so gelernt, Brad zu zeichnen?«, fragte er, den Blick fest auf sein Blatt gerichtet.

»Ganz genau. Ich habe mir in der Bücherei ein Buch ausgeliehen, wie man Comicfiguren malt, und dann ganz viel geübt. Ich wollte für meine Schwester zeichnen.«

Tyler hob den Kopf. »Du hast eine Schwester?«

»Ich hatte eine. Sie ist … von uns gegangen.«

Tyler nickte wissend. »Wie mein Dad.«

Nicole, die am Tresen gestanden hatte, machte einen Schritt auf Tyler zu, hielt sich dann aber zurück. Jairus hatte gemeint, dass seine Schwester gestorben war, während Tyler gemeint hatte … Sie hielt inne. Sie wusste nicht mehr, was Tyler über seinen Vater dachte, denn Eric war nie da.

Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für diese Unterhaltung, dachte sie. Aber sie würde sie später mit ihrem Sohn führen. Wenn sie wieder allein waren. Denn natürlich wollte sie nicht, dass Tyler seinen Vater vermisste, aber noch schlimmer wäre es, wenn er gar keine Beziehung mehr zu ihm hätte. Am Anfang war Eric ein guter Vater gewesen, aber seitdem er entschieden hatte, sein dummes Drehbuch zu schreiben, hatte sich alles verändert.

Jairus und Tyler zeichneten noch eine gute halbe Stunde zusammen. Nicole zog sich derweil ins Wohnzimmer zurück, um zu lesen und den beiden ein wenig Raum zu lassen.

»Ich gehe jetzt mal zu deiner Mom«, sagte Jairus schließlich sanft. »Aber ich bin gleich nebenan, falls du irgendwelche Fragen hast.«

»Okay.«

Jairus kam ins Wohnzimmer. »Ich hoffe, das war in Ordnung«, sagte er leise.

»Machst du Witze? In seiner Welt ist das der beste Tag aller Zeiten.«

Jairus ließ ein träges, sexy Lächeln aufblitzen. Ein Lächeln, das seltsame Sachen mit ihr anstellte. Mit einem Mal erinnerte sie sich daran, wie lange es her war, dass ein Mann sie in den Armen gehalten hatte. Wirklich festgehalten. Sie und Eric waren im letzten Jahr ihrer Ehe nicht mehr miteinander intim gewesen. Was bedeutete, sie war praktisch wieder Jungfrau.

Sex steht nicht auf dem Programm, ermahnte sie sich. Zumindest erst einmal nicht. Sie hatte ein Kind. Ganz zu schweigen von ihren immer noch verwirrten und verwirrenden Gefühlen. Außerdem hatte Jairus es nicht angeboten.

Was er vielleicht tun wird, flüsterte eine Stimme in ihrem Kopf. Und wenn er es täte, könnte eine Frau vielleicht, ganz vielleicht, Ja sagen.

Zwei Stunden später zeichnete Tyler immer noch. Er hatte sich zu den dicken Filzstiften hochgearbeitet und das beste Rot herausgefunden, um seinen geliebten Drachen auszumalen. Jairus stand am Grill und bereitete die Steaks zu. Dazu trank er ein Bier, während Nicole sich ein Glas Wein eingeschenkt hatte.

»Ich könnte ein Wandgemälde machen«, sagte er, während er die brutzelnden Steaks beobachtete. »In seinem Kinderzimmer.«

Nicole schaute zum Haus. »Ehrlich? Ein Brad-der-Drache-Wandgemälde?«

Er lachte. »Da ich ihn besser kenne als zum Beispiel die Peanuts, würde ich sagen, ja. Es wäre Brad. Wenn dir die Idee nicht gefällt, kannst du das ruhig sagen.«

»Machst du Witze? Tyler würde es lieben.«

»Aber ich würde die Wand bemalen. Einige Leute könnten damit ein Problem haben.«

»Damit kann ich leben. Wenn er für Brad zu alt ist, können wir es immer noch überstreichen.«

Jairus presste eine Hand auf sein Herz. »Der kalte, praktische Zug einer Ungläubigen.«

Sie grinste. »Du willst nicht, dass deine Kinder zu alt für Brad werden?«

»Niemals.«

»Du könntest die Serie in der Highschool fortsetzen.«

»Darüber habe ich schon nachgedacht, aber Brad, der mit Mädchen ausgeht? Das wäre selbst für mich zu seltsam.« Sein Humor schwand. »Du hast mir gefehlt, während ich unterwegs war.«

Diese unerwarteten Worte ließen Nicole erröten. »Äh, ich bin mir sicher, du hattest viel zu viel um die Ohren, um auch nur an mich zu denken.«

Er musterte es. »Okay, was von beiden ist es: Du glaubst mir nicht? Oder glaubst du mir, aber es ist dir unangenehm?«

»Beides.«

»Weil?«

Sie nippte an ihrem Wein. »Eric ist nicht tot.«

»Wie bitte?«

»Eric. Tylers Dad. Du hast erwähnt, dass deine Schwester von euch gegangen ist, und Tyler sagte, das wäre wie bei seinem Dad. Aber Eric ist nicht tot, er besucht seinen Sohn nur nicht. Das ist echt frustrierend. Ich weiß einfach nicht, was mit ihm nicht stimmt. Es ist nicht so, dass er mit einer Horde Frauen durch die Welt zieht. Ich bin mir nicht mal sicher, ob er überhaupt ausgeht. Aber er ist ständig mit seinem Hollywoodzeugs beschäftigt. Meetings. Schreiben. Was auch immer. Es ist, als würde Tyler ihm nichts mehr bedeuten.«

»Vielleicht hat er sich in Hollywood verliebt«, mutmaßte Jairus und wendete die Steaks. »Das passiert. Diese Welt kann sehr einnehmend sein.«

»Warst du je verlockt?«

»Nein. Ich erschaffe eine Zeichentrickfigur für Kinder. Das ist nicht gerade Material für einen Blockbuster. Einige meiner Bücher wurden optioniert, aber es hat nie ernsthafte Ansätze gegeben, einen Film daraus zu machen. Was in Ordnung ist. Das ist eh nicht meine Sache. Ich mag meine Arbeit, aber ich genieße es mehr, Zeit mit meinen Fans zu verbringen. Die Kinder sind super.«

Sie dachte an die besondere Veranstaltung vor der Autogrammstunde, auf die sie und Tyler eingeladen gewesen waren. »Du tust viel für benachteiligte Kinder.«

Er zuckte mit den Schultern. »Das ist keine so große Sache. Ich fühle mich in Gegenwart von Kindern, die anders sind, nicht unwohl. Sie können sich ja nicht zwingen, so zu sein wie alle anderen. Also müssen wir uns anpassen.«

Der Ausdruck »müssen« berührte sie am meisten. Jairus musste es nicht. Er hätte seine Bücher schreiben, zu Autogrammstunden gehen und dann sein Geld ausgeben können, ohne sich zu engagieren. Doch er hatte sich entschieden, dass seine Arbeit mehr bedeuten sollte.

»Kommen wir darauf zurück, dass du mir gefehlt hast«, sagte er.

Sie zuckte zusammen. »Ich dachte, ich hätte dich ausreichend abgelenkt, damit du vergessen hast, worüber wir geredet haben.«

»Das hätte vielleicht funktioniert, wenn das Thema weniger interessant gewesen wäre. Mit wie vielen Männern bist du seit deiner Scheidung ausgegangen?«

Das war keine glückliche Frage. »Äh, dich eingeschlossen?«

»Klar.«

Sie sah ihn an.

Er hob die Augenbrauen. »Dann bin ich also dein Erster. Okay. Ich werde vorsichtig und langsam vorgehen müssen.«

»Sehr lustig.«

»Das war kein Witz, Nicole. Eine Scheidung ist nicht leicht. Ich würde dir gerne sagen, dass meine Ex zu einhundert Prozent für das verantwortlich war, was in unserer Ehe schiefgelaufen ist. Doch das stimmt nicht. Ich hatte auch meinen Anteil. Das Gleiche gilt für dich und Eric. Er ist gegangen, aber wie viel von alldem liegt an dir?«

Er hob den Grillwender hoch. »Das ist übrigens eine rhetorische Frage, auf die ich keine Antwort erwarte.«

»Gut, denn die habe ich nicht immer. Ich weiß, dass ich mich in vielen Dingen geirrt habe.« Sie schaute zu ihrem Haus, dann wieder zu ihm. »Als er ging, hat er nur ein paar Kisten mitgenommen. Nicht, weil er mir alles andere überlassen hat. Ich hatte das Haus schon, als wir uns kennenlernten, und ich glaube, nachdem wir geheiratet haben, habe ich das Haus nie als unseres betrachtet. Das war falsch. Als er also ging, gab es kaum etwas, das ihm gehörte. Er hat keinen Abdruck hinterlassen.«

Sie erinnerte sich noch gut daran, wie es war, als er seine Sachen gepackt hatte. Sie hatte ihn gefragt, wann er kommen und den Rest holen würde. Er hatte sie nur angesehen und gesagt, dass er alles habe. Dass das Haus nie seines gewesen sei.

»Eric hat die Ehe verlassen, lange bevor sie vorbei war«, fuhr sie fort. »Ich habe ihm an vielem, was falschgelaufen ist, die Schuld gegeben, aber ich trage auch einen Teil der Verantwortung. Ich war gewillt, ihn gehen zu lassen. Ich habe nicht gekämpft. Ich würde gerne sagen, dass ich nicht geglaubt habe, es gäbe noch etwas, um das es sich zu kämpfen lohnt. Aber ich bin nicht sicher, ob das stimmt. Vielleicht war es eher mangelndes Interesse. Ich hatte ihn nie wirklich in mein Leben gelassen, also war es kein allzu großer Schock, als er mit einem Mal nicht mehr da war.«

Jairus musterte sie. »Gut«, sagte er dann zu Nicoles Überraschung.

»Was ist daran gut?«

»Du hast dich nicht mit der einfachen Erklärung zufriedengegeben. Du hast tief nach der Wahrheit gegraben. Das ist bewundernswert.«

»Ich bin hier nicht die Heldin.«

»Nein, aber auch nicht der Bösewicht.« Sein Blick hielt ihren fest. »Du hast mir gefehlt, als ich weg war«, wiederholte er.

Nicole hielt sich an ihrem Weinglas fest und sagte sich, dass das in Ordnung war. Sie konnte einen vorsichtigen Schritt in Richtung des Abgrunds wagen, der sich Dating nannte. Sie konnte mutig sein. Wenn sie fiel, nun … sie hatte schon andere schwierige Zeiten durchgestanden, da würde sie das auch durchstehen.

»Du mir auch.«

Er lächelte. »War das wirklich so schwer?«

»Ja, aber ich werde es überleben.«

Am späten Sonntagnachmittag saß Gabby ihrem Ehemann im Garten gegenüber und fragte sich, wieso es so sein musste. Warum konnte nicht einer von ihnen krank sein? Warum konnte es keine finanzielle Krise geben? Das wäre leichter. Dann gäbe es einen Feind von außerhalb, den sie gemeinsam bekämpfen könnten. Stattdessen klaffte nun zwischen ihnen beiden ein tiefer Graben. Das war schrecklich. Aber wie zum Teufel sollte sie Andrew ihren Standpunkt verdeutlichen?

Ein Teil von ihr glaubte, dass er mit Absicht begriffsstutzig war. Denn wenn er ihre Seite sehen würde, müsste er eingestehen, wie unfair das war, was er von ihr erwartete. Aber bevor er das zugeben würde, müsste erst die Hölle zufrieren. Zumindest müssten sie sich erst einig geworden sein, was sie bezüglich Makayla und ihrem Baby tun würden.

Der Nachmittag war warm und sonnig. Die Zwillinge spielten auf ihrer Schaukel im Schatten der Bäume am Rand des Gartens. Boomer schnüffelte sich durch die Büsche am Zaun, und Jasmine putzte sich in der Sonne und funkelte die Vögel über sich böse an. Makayla war bei ihrer Mom. Im Moment herrschte Frieden. Doch da war auch diese Kluft zwischen ihr und ihrem Ehemann, die Tausende Meilen breit zu sein schien.

»Hast du was von Lisa oder Thomas gehört?«, fragte Andrew.

Beinahe hätte Gabby gefragt, von wem, bevor sie sich an Boyds feindselige Eltern erinnerte. »Nein. Ich werde Lisa morgen anrufen. Ich schätze, das Schweigen heißt nichts Gutes, aber ich weiß es nicht. Vielleicht sind sie schon dabei, ein Zimmer für ihr zukünftiges Enkelkind einzurichten.«

»Makayla hat auch nichts über Boyd gesagt?«, hakte er nach.

»Mir gegenüber nicht.«

Gabby lehnte sich in ihrem Gartenstuhl zurück. Das Wochenende war angespannt gewesen – zumindest aus ihrer Sicht. Sie und Andrew waren höflich, aber nicht besonders freundlich zueinander. Sie hatten sich seit Tagen nicht mehr geliebt, was für sie ungewöhnlich war.

»Ich vertraue Boyd nicht«, sagte er. »Warum ist er nie hier? Wenn ihm so viel an Makayla liegt, wie er behauptet, warum bekommen wir ihn dann nie zu sehen?«

»Ich weiß. Ich würde gerne glauben, dass alles gut ist. Dass sie selig ihr gemeinsames Leben planen, aber ich habe so meine Zweifel.«

»Du klingst verbittert.«

»Nein. Ich klinge müde.« Sie seufzte. »Ich will mich nicht mit dir streiten, Andrew. Aber du machst es mir wirklich schwer.«

»Wir sind ein Team«, rief er ihr in Erinnerung.

»Da bin ich mir nicht mehr so sicher wie früher. In letzter Zeit kommt es mir vor, als wäre ich diejenige, die sich um das meiste hier kümmert, während du bei der Arbeit bist.« Sie hob eine Hand, als Andrew etwas erwidern wollte. »Damit sage ich nicht, dass du mich nicht unterstützt. Du denkst immer darüber nach, wie du ein guter Vater und Ehemann sein kannst. Du arbeitest viel, um uns zu versorgen. Das weiß ich wirklich zu schätzen. Aber wenn es um den Alltag geht, bleibt alles an mir hängen. Du verlangst zu viel.«

Sein dunkler Blick war ruhig. »Was, wenn es keine andere Wahl gibt? Jemand muss Makaylas Kind aufziehen.«

»Das sollte sie sein. Oder sie sollte es zur Adoption freigeben.«

Seine Miene verhärtete sich. »Das ist keine Option. Darüber haben wir bereits gesprochen. Sie ist noch nicht bereit, Mutter zu sein.«

»Dann sollte sie kein Baby bekommen.«

»Aber das tut sie. Und das müssen wir akzeptieren. Es wird ein weiteres Familienmitglied geben, um das wir uns kümmern müssen, Gabby. Das Baby ist genauso unsere Verantwortung wie Makaylas.«

Sie schüttelte den Kopf. »Das akzeptiere ich nicht. Wir hatten keine Mitsprache bei ihrer Entscheidung, Sex zu haben. Das geht allein auf sie. Ich sage nicht, dass wir ihr nicht helfen. Natürlich tun wir das. Aber Andrew, überleg doch mal, was du da sagst. Alle können mit ihrem Leben weitermachen, nur ich nicht. Du willst, dass ich alles opfere.«

Sie spürte, wie sich ihr die Kehle zuzog und es in ihren Augen brannte. »Ich kann das nicht«, flüsterte sie. »Ich kann das einfach nicht. Und ich werde es auch nicht tun. Ich werde nicht mein Leben aufgeben, um die nächsten fünf Jahre zu Hause zu bleiben und mich um das Kind deiner Tochter zu kümmern.«

In der folgenden Stille spürte sie den heftigen Schlag ihres Herzens. Boomer schien die Anspannung zu spüren, denn er hob den Kopf und sah Gabby an. Um Andrews Mund zuckte es missbilligend.

»Ich verstehe.«

Und da wusste sie es. Was sie gesagt, was sie getan hatte. Sie hatte eine Grenze in den Sand gemalt. Sie hatte Makayla als seine Tochter bezeichnet. Nicht ihre, nicht beinahe ihre, sondern seine. Mit diesen Worten hatte sie ihre moralische Überlegenheit verspielt.

Andrew hingegen hatte die Zwillinge nie anders behandelt als Makayla. Er hatte diese Erweiterung ihrer Familie durch die beiden Mädchen immer als Freude betrachtet. Während Gabby sich mit einer Stieftochter und – ab und zu – Andrews Exfrau hatte herumschlagen müssen, hatte er ihr nie das Gefühl gegeben, zweite Wahl zu sein.

»Ich verstehe«, wiederholte er knapp.

Sie wollte sagen, dass er doch wissen musste, was sie gemeint hatte. Aber es hatte keinen Sinn. Sie war so wütend auf sich, doch auch auf ihn. Denn sie wusste, was kommen würde. Andrew würde sich deswegen wie ein Arsch benehmen. Das wusste sie einfach.

Er räusperte sich und warf einen Blick auf seine Uhr. »Es tut mir leid, ich muss jetzt Candace anrufen, um herauszufinden, ob ich meine Tochter abhole oder ob sie sie herbringt.«

Gabby nickte. Die leichte Betonung des Wortes meine hatte sie sich bestimmt nur eingebildet. Oder?

Er ging ins Haus. Jasmine unterbrach ihre Beobachtung der Vögel, um neben Gabby auf den Gartenstuhl zu springen. Gabby streichelte die Katze und ließ sich von dem kühlen, weichen Fell trösten. Es war wie die Szene aus Terminator. Ein Sturm war im Anmarsch.

Kenzie und Kennedy sprangen von der Schaukel und kamen zu ihr gerannt. Sie ließen sich auf den Rasen fallen und breiteten die Arme aus. Boomer trottete zu ihnen und schleckte seinen Lieblingsmädchen durchs Gesicht.

»Mommy, wann kommt Makayla nach Hause«?, fragte Kennedy.

»Bald«, sagte Andrew von der Terrassentür. »Ich hole sie jetzt ab.«

»Kann ich mitkommen?«, bat Kennedy.

»Ich auch. Ich will auch mitkommen.«

Andrew sah Gabby an. »Wenn das nicht zu viele Umstände macht. Ich nehme den SUV.«

Sie nickte stumm. Im Rest von Mischief Bay mochte es sonnig und warm sein, aber im Hause Schaefer war die Temperatur gerade bis auf den Gefrierpunkt gefallen.