19. Kapitel

Gabby blieb noch lange unten, nachdem Andrew sich ins Bett verabschiedet hatte. Während des Abendessens war die Stimmung nicht wärmer geworden, auch wenn sie darauf geachtet hatten, in Anwesenheit der Kinder freundlich miteinander umzugehen. Jetzt schrieb Gabby ihre Einkaufsliste für den nächsten Morgen. Den Abend nicht mit ihrem Ehemann zu verbringen, hatte ihr etwas Extrazeit geschenkt, um anstehende Dinge zu erledigen. Sobald sie sicher war, dass er schlief, würde sie nach oben gehen.

Die Einkaufsliste legte sie gemeinsam mit ein paar Stofftaschen neben ihre Handtasche. Es waren nur noch drei Wochen, bis die Schule wieder beginnen würde – und ihr neuer Job. Sie musste mit ihrer Zeit haushalten. Es stand noch ein Shoppingtrip an und …

Sie hörte ein Geräusch und drehte sich um. Makayla stand am Fuß der Treppe. Sie trug ihren Pyjama und hatte die Haare zu einem Zopf geflochten. Irgendwie sah sie unglaublich jung und klein aus.

»Hey«, sagte Gabby. »Alles in Ordnung?«

Das Mädchen zuckte mit den Schultern. »Ich konnte nicht schlafen.«

Gabby zeigte auf die Hocker an der Kücheninsel. »Willst du eine heiße Schokolade?«

»Danke.«

Während Gabby Milch und Kakao herausholte, setzte Makayla sich.

»Wie war das Wochenende mit deiner Mom?«, wollte Gabby wissen. Makayla war zum Essen zwar zu Hause gewesen, hatte aber nicht viel gesagt.

Sie zuckte mit einer schmalen Schulter. »Sie ist wütend auf mich.«

»Wegen des Babys?«

Ein Nicken.

»Sie wird sich daran gewöhnen. Das braucht nur etwas Zeit.« Nicht, dass Candace die liebevollste Mutter gewesen wäre, aber Gabby musste einfach glauben, dass sie ihr Kind liebte.

»Auf dich ist sie auch wütend«, gab Makayla kleinlaut zu.

Gabby lachte. »Natürlich ist sie das. Ich bin sicher, sie hat gesagt, das wäre alles meine Schuld. Wenn ich einen besseren Job gemacht hätte, wäre das alles nicht passiert.«

Makayla riss die blauen Augen auf. »Woher weißt du das?«

»Ich habe geraten.«

Candace war nie ihr größter Fan gewesen. Alles, was in Makaylas Leben schieflief, war Gabbys Schuld. Nur: Wenn Candace sich solche Sorgen um ihr Kind machte, warum sah sie Makayla dann immer seltener?

»Sie will, dass ich das Baby zur Adoption freigebe.«

Gabby fuhr fort, die Milch im Topf zu rühren. »Aha«, murmelte sie und unterdrückte den Drang, vor Freude zu tanzen. War es möglich, dass sie und die Königin der Zicken sich nach acht Jahren endlich mal in etwas einig waren?

»Ich habe ihr gesagt, dass ich das nicht mache. Boyd und ich wollen unser Kind gemeinsam großziehen. Wir sind verliebt.«

Gabby unterdrückte ein Seufzen. »Ich werde mich jetzt mal weit aus dem Fenster lehnen und sagen, dass sie das nicht gut aufgenommen hat.«

»Stimmt. Das hat sie nicht. Sie hat mich angebrüllt und gesagt, ich wäre dumm und unverantwortlich. Sie hat gesagt …«

Das Schweigen erstreckte sich über mehrere Sekunden. Gabby drehte sich um und sah, dass Makayla sich die Tränen abwischte.

Gabby schaltete den Herd aus und setzte sich neben das Mädchen. Auch wenn sie immer höflich miteinander umgingen, waren sie doch keine Freundinnen. Daher war sie nicht sicher, was sie tun oder sagen sollte. Also legte sie einfach eine Hand auf Makaylas Schultern.

Makayla hob den Kopf. Tränen füllten ihre Augen. »Sie hat gesagt, Boyd würde mich fallen lassen. Dass ich mir etwas vormachte, wenn ich glaubte, er würde länger als den ersten Monat nach der Geburt bei mir bleiben. Dass wir nicht verliebt sind. Dass er nur versucht hat zu kriegen, was er wollte.«

Ob das nun der Wahrheit entsprach oder nicht, es gab keinen Grund, so barsch zu sein, dachte Gabby und zog Makayla an sich. Das Mädchen ließ sich gegen sie sinken und weinte.

»Boyd ist noch mit dir zusammen«, sagte Gabby. »Er geht im Moment nirgendwohin, oder?«

»Nein. Aber seine Mom hasst mich.«

»Ich schätze, Lisa hasst die meisten Menschen. Auf ihre Meinung von dir kannst du nicht zählen, wenn du dich geliebt fühlen willst, fürchte ich.«

Makayla lachte erstickt, dann schniefte sie und hob den Kopf. »Glaubst du, Boyd hat mich nur benutzt?«

»Nein.« Das glaubte sie wirklich nicht. »Sieh dir doch nur an, wie er zu dir steht. Er hat sich seiner Mom gegenüber behauptet. Das war bestimmt nicht leicht für ihn.«

»Du hast recht. Er ist ein guter Kerl.«

Gabby glaubte zwar nicht, dass er lange »gut« bleiben würde, aber es hatte keinen Sinn, das jetzt anzusprechen. Wenn sie sich irrte, würden sie noch lange mit Boyd und dem Baby zu tun haben. Und wenn sie recht hatte … nun, dann wäre später dafür noch genügend Zeit.

Das einzig Interessante war, dass Makayla keinerlei Interesse daran hatte, ihr Baby zur Adoption freizugeben. Womit Gabby die Gelackmeierte war. Sie wollte sich nicht um das Baby kümmern, und Andrew konnte sich keine andere Lösung vorstellen.

»Danke«, sagte Makayla. »Ich fühle mich schon besser. Ich hatte mir Sorgen gemacht.«

»Das würde ich erst tun, wenn wirklich etwas passiert. Manchmal ist es besser für eine Beziehung, wenn man den anderen zuerst etwas vermasseln lässt, bevor man wütend auf ihn wird. Sich vorher über etwas aufzuregen, was noch nicht passiert ist, hilft nicht wirklich.«

Makayla lächelte. »Du hast immer die besten Ratschläge, Gabby. Danke.« Das Lächeln schwand. »Das mit dem Baby tut mir leid. Ich habe das nicht gewollt.«

»Ich weiß.«

Das war die erwachsene Reaktion. Doch in Wahrheit wollte sie sagen: Du? Du bist nicht diejenige, die feststeckt, Kindchen. Sobald du das Baby ausgetragen hast, wird dein Leben wieder normal werden.

Doch stattdessen tätschelte sie Makaylas Hand. »Willst du es noch mal mit dem Schlafen versuchen? Du hast morgen einen großen Tag im Camp vor dir.«

»Ja. Ich fühle mich schon viel besser.« Makayla umarmte sie kurz und ging dann nach oben.

Gabby schüttete die Milch in den Abfluss und wusch den Topf aus, bevor sie langsam ins Schlafzimmer ging. Andrew schlief bereits, genau wie Boomer. Die Mischung aus leichtem Schnarchen und steten Atemzügen weckten in ihr den Wunsch, sie und Andrew würden nicht streiten. Dass sie das Team sein könnten, von dem er immer sprach. Nur, was er von ihr verlangte, war unmöglich.

Das ist kein gutes Thema zum Einschlafen, sagte sie sich, während sie ins Bett krabbelte. Sie würde diese Gedanken loslassen müssen, wenn sie überhaupt ein Auge zu tun wollte. Denn der nächsten Morgen kam schon bald.

Und wie bald, dachte sie sechs Stunden später, als der Wecker klingelte. Sie war sich ziemlich sicher, nicht mehr als drei Stunden geschlafen zu haben. Der Tag würde hart werden.

Ohne Andrew zu wecken, stand sie auf und ging ins Bad. Nachdem sie ihren Morgenmantel übergezogen hatte, öffnete sie die Schlafzimmertür, um in die Küche zu gehen und die Tiere zu füttern. Andrew hielt sie auf.

Kurz hoffte sie, er würde etwas Liebevolles sagen. Ihr einen Ölzweig reichen oder zumindest einen Hinweis darauf geben, dass sie auf derselben Seite standen. Stattdessen fragte er jedoch: »Macht es dir etwas aus, Makayla heute vom Camp abzuholen? Ich habe ein Meeting und schaffe es nicht rechtzeitig.«

Die Unfairness der Frage stach ihr ins Herz. Er durfte verlangen, dass sie ihr Leben aufgab, aber sie hatte Makayla ein einziges Mal als seine Tochter bezeichnet, und jetzt benahm er sich so?

»Sei nicht so ein Arsch«, gab sie bissig zurück. »Das ist nicht nötig.«

Er zog die Augenbrauen hoch, als wäre er verwirrt.

»Ach bitte. Ich habe für so was keine Zeit«, erklärte sie. »Wir leben seit acht Jahren zusammen, Andrew. Wann habe ich Makayla jemals nicht abgeholt? Wann habe ich nicht für sie gekocht, ihre Sachen gewaschen, bin mit ihr zum Arzt gegangen, zu Sportveranstaltungen, habe sie zur Schule und zu Freunden gebracht, ihr Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke gekauft? Wann habe ich mich nicht um sie gekümmert? Ich bin immer für sie da gewesen, und das weißt du.«

Sie zog den Gürtel um ihre Taille enger. »Ich habe im Gegenzug nur darum gebeten, dass sie kleine Aufgaben im Haushalt übernimmt. Dass sie auch zu unserem Familienleben beiträgt, aber du hast gesagt: Nein, sie muss hier nichts machen. Ich bin diejenige, die gesagt hat, keine Jungs im Zimmer, und du hast mir erklärt, dass ich damit falschliege. Du hast dein kleines Mädchen ja so viel besser gekannt. Während du also die ganzen Regeln aufstellen kannst, weil sie deine Tochter ist, soll ich einfach zu allem Ja und Amen sagen? Und weil ich ein einziges Mal gesagt habe, deine Tochter, also nicht meine, bin ich hier auf einmal die Böse?«

Sie atmete tief durch. »Nein. Das akzeptiere ich nicht. Du liegst in dieser Sache falsch. Und zwar auf so viele Arten, dass ich sie nicht mal zählen kann. Ich will ein Leben. Das ist weder falsch noch gemein noch böse. Es ist einfach so. Ich will einen Job. Ich möchte Entscheidungen über mein Leben treffen können. Ich will einfach nicht zu Hause bleiben und ihr Baby aufziehen. Mir ist aufgefallen, dass du von deiner Exfrau keinerlei Mithilfe erwartest. Nur von mir. Ich habe keine Ahnung, wie sich das alles entwickelt, aber weißt du was? Ich bin es leid. Du wirst das hier nicht bestimmen. Wenn wir, wie du immer behauptest, ein Team sind, dann zählen unsere Stimmen gleichberechtigt. Und ich stimme mit Nein. Ich werde es nicht tun, und ich werde nicht zulassen, dass du mich deshalb als die Böse hinstellst.«

Damit ging sie, Boomer und Jasmine dicht auf den Fersen.

Sie schaffte es bis in die Küche, bevor das Zittern anfing. Bis zu dieser Sekunde war sie noch nie mitten in einem Streit gegangen. Sie hatte Andrew immer das letzte Wort haben lassen. Sicher hatte sie soeben gegen dreißig Regeln eines fairen Streits verstoßen, und vermutlich würde ihr ein professioneller Paartherapeut sagen, dass sie das alles ganz falsch anging, aber das war ihr egal. Vollkommen egal.

Hayley wanderte durch ihr Haus. Die Fenster und die Hintertür standen offen. Es war kurz vor sechs Uhr abends, und jede Sekunde würde der Wind auffrischen. Die kühle Luft würde vom Meer hereinwehen und die Temperatur im Inneren auf angenehme zwanzig Grad abkühlen.

Die Tage wurden immer länger – was aber nicht am Tageslicht lag. Das nahm schon wieder ab. Nein, es war die Zeit, die für Hayley immer langsamer zu vergehen schien.

Körperlich fühlte sie sich besser. Vor der Heilkraft der Natur gab es kein Entrinnen. Auch wenn Hayley wollte, dass ihr Äußeres ihr Inneres widerspiegelte – so funktionierte das leider nicht. Sie war gefangen in einem Körper, dessen Zellen sich ständig regenerierten, und in einem System, das sie ständig weitertrieb. Damit hatte sie mehr Energie, war aber auch rastloser, sodass einfach dazusitzen und vor sich hin zu starren nicht mehr reichte. Sie musste irgendetwas tun.

Sie schaute auf ihr Handy, um zu sehen, ob Nicole oder Gabby ihr eine Nachricht geschickt hatten. Ihre Freundinnen meldeten sich mehrmals am Tag bei ihr. Aber es gab keine neuen Nachrichten. Weil sie ihr eigenes Leben haben, sagte sie sich. Das würde ihr auch gelingen müssen, und zwar schnell.

Bisher war das jedoch noch nicht passiert. Am letzten Wochenende hatte Rob die Wände in ihrem Schlafzimmer grundiert, und Hayley hatte die letzten Tage damit verbracht, sie zu streichen. Allerdings schaffte sie immer nur zwanzig bis dreißig Minuten am Stück. Wenn sie müde wurde, ruhte sie sich aus. Doch sosehr sie es hasste, das zuzugeben, ihre Energie kehrte zurück, und es fühlte sich gut an, produktiv zu sein.

Nächste Woche würde sie an die Arbeit zurückkehren. Sie hatte schon früher wieder anfangen wollen, aber Steven hatte darauf bestanden, dass sie sich Zeit ließ. Trotz der Leere in ihrem Inneren, die sie jede Sekunde eines jeden Tages spürte, wusste sie, dass er von dem, was ihr passiert war, traumatisiert war. Schlimmer noch, sie hatte aus der Vagina geblutet, sodass er die Blutung nicht mal durch Druck hatte stoppen können.

Die Vorstellung, wie ihr großer, starker Chef händeringend auf die Ankunft des Krankenwagens wartete, war beinahe lustig. Doch ihr Lächeln schwand schnell, denn dieses Ereignis hatte sie als halbe Frau zurückgelassen.

Besser, als tot zu sein.

Sie wartete darauf, dass diese Wahrheit in ihr ankam. Anfangs hatte sie so empfunden. Als sie im Krankenhaus die Augen aufgeschlagen hatte, hatte sie es bis in die Knochen gespürt. Doch jetzt war sie sich nicht mehr so sicher. Denn sosehr sie da bleiben wollte, wo sie war – verloren in ihrer Trauer –, ihre Gedanken bewegten sich auf verräterische Weise vorwärts.

Sie hörte, wie Robs Schlüssel sich im Schloss drehte, und ging ihm entgegen, um ihn zu begrüßen. Lächelnd betrat er das Haus.

»Hi«, sagte er und zog seine Krawatte ab. »Wie geht es dir?«

Die Frage stellte er ihr jeden Abend, obwohl seine Besorgnis im Laufe der letzten Woche abgenommen hatte. Hayley überlegte, wie lange er sich noch gezwungen sehen würde, diese Frage zu stellen, und ob er bei dem Gedanken an ihren Körper jemals wieder entspannen konnte. Denn auch wenn er sie nicht blutend auf dem Boden hatte liegen sehen, war er derjenige, dem man gesagt hatte, dass sie es vielleicht nicht schaffen würde. Dass sie die erste Nacht abwarten mussten, um zu sehen, wie sich alles entwickelte.

»Mir geht es gut«, antwortete sie. »Ich habe die Kanten im Schlafzimmer fertig.«

Sein Lächeln schwand. »Hayley, ich hatte doch gesagt, dass ich das am Wochenende mache.«

»Ich weiß, aber ich muss irgendetwas tun. Ich kann tagsüber nicht fernsehen, und ich lese beinahe ein Buch pro Tag. Außerdem hat Dr. Pearce gesagt, dass ich wieder anfangen soll, mich zu bewegen.«

»Ich glaube nicht, dass sie damit gemeint hat, du sollst Wände streichen.«

»Ich passe auf mich auf.«

Er folgte ihr in die Küche. Hayley holte das Hühnchen, das sie morgens eingelegt hatte, aus dem Kühlschrank, dazu den Salat und eine Flasche Weißwein. Rob öffnete den Wein, während sie die Gläser aus dem Schrank nahm.

An den letzten Abenden hatten sie angefangen, vor dem Essen gemeinsam ein Glas Wein zu trinken. Hayley nahm keine Medikamente mehr – die Hormontherapie war schon seit Langem vorbei. Und mit den Tabletten, die sie nach der OP erhalten hatte, war sie ebenfalls durch. Wenn sie doch mal Schmerzen hatte, nahm sie eine frei verkäufliche Schmerztablette aus der Apotheke.

Mit ihren Gläsern gingen sie nach draußen auf die kleine Terrasse. Die Sonne stand noch am Horizont, aber die Bäume und das zweigeschossige Nachbarhaus sorgten für Schatten.

Hayley setzte sich auf den alten fleckigen Kunststoffstuhl, den sie mal im Goodwill gekauft hatte. Der Garten war nicht groß, könnte aber hübsch sein. Jetzt, wo sie kein Baby bekommen würden, hatten sie Ersparnisse. Sie konnten alles machen, was Rob zur Aufhübschung des Hauses vorgeschlagen hatte.

Während sie darüber nachdachte, wartete sie darauf, dass der Schmerz durch sie hindurchschoss, sie in Stücke schnitt und diese auf der Terrasse verstreute, damit der Wind sie davonwehen konnte. Doch das passierte nicht. Natürlich war da Schmerz – und nicht zu knapp. Verlust. Sogar Wut. Sie ging zu schnell durch die Phasen der Trauer. Denn leider hatte sie nicht die Möglichkeit gehabt, länger in der Leugnungs-Phase zu verweilen. Das passierte, wenn einem den Uterus aus dem Leib gerissen wurde. Was ein eigenes Kind anging – sie glaubte langsam, dass das womöglich immer vergebliche Liebesmüh gewesen war. Vielleicht war es nie ihre Bestimmung gewesen, Mutter zu sein.

Sie wandte sich zu ihrem Ehemann um. Rob ist so ein attraktiver Kerl, dachte sie und lächelte, als er mit der automatischen Geste, die ihr immer schon gefallen hatte, seine Brille auf der Nase hochschob. Er hatte sich eine Woche freigenommen, um bei ihr zu Hause zu bleiben, und ging erst seit wenigen Tagen wieder zur Arbeit. Alle paar Stunden rief er sie an, sorgte dafür, dass der Kühlschrank immer gut gefüllt war. Er kümmerte sich um sie.

Jetzt krempelte er die Ärmel seines Hemds hoch. Sie musterte sein Profil, die markanten Gesichtszüge.

Noch immer schliefen sie nicht im gleichen Zimmer, geschweige denn im selben Bett. In den meisten Nächten warf Hayley sich hin und her – ihr rastloser Schlaf wurde nur durch Träume von Kindern unterbrochen, die sie niemals kennenlernen würde. Aber manchmal sehnte sie sich danach, Robs tröstliche Wärme neben sich zu spüren. Seinen Arm, der sie näher zog.

Ich vermisse ihn, dachte sie traurig. Sie vermisste, was sie einander gewesen waren. Der Weg zurück schien steinig und schwer zu finden zu sein. Sie war wütend, dass er sie verlassen hatte. Er war wütend, dass sie gewillt gewesen war, ihr Leben und ihre Ehe für ein Baby aufs Spiel zu setzen. Eine Pattsituation, von der sie nicht wusste, wie sie sie auflösen sollte.

»Wie war dein Tag?«, fragte sie.

»Gut. Viel zu tun.« Er nahm sein Weinglas in die Hand und schaute sie an. »Das Übliche.«

Das Zögern war gerade lang genug, um Hayley spüren zu lassen, dass irgendetwas nicht stimmte, er es aber nicht erwähnen wollte, um sie nicht zu beunruhigen. In letzter Zeit war er sehr vorsichtig. Fragte immer nach ihrem Gesundheitszustand. Berührte sanft ihre Stirn, um zu fühlen, ob sie Fieber hatte. Hielt sie ganz vorsichtig, um ihren noch heilenden Körper nicht zu verletzen.

»Da ist doch was«, sagte sie leichthin. »Erzähl es mir.«

Er lehnte sich in dem alten Stuhl zurück. »Diese Kundin, Mrs. Turner. Sie ist schon älter. Reich. Als ich angefangen habe, mit ihr zu arbeiten, war alles gut. Aber neuerdings ruft sie ständig an und beschwert sich über ihr Auto.«

»Stimmt was nicht damit?«

»Nein, das ist es ja. Es läuft einwandfrei. Wir haben es mehrfach überprüft. Sie hört Geräusche oder behauptet, es gibt eine Verzögerung, wenn sie aufs Gaspedal tritt. Egal, was ich tue, es reicht ihr einfach nie.«

»Weißt du, woran das liegt?«

»Ihr Ehemann ist gestorben«, antwortete er. »Er war eine Weile lang krank, also hatte ich immer mit ihr zu tun.« Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß, was du sagen willst. Dass es daran liegt, dass sie nun allein ist. Aber sie wusste, dass ihr Mann sterben würde. Außerdem kennt sie mich kaum. Warum nervt sie nicht ihre Kinder?«

»Vermutlich tut sie das. Oder vielleicht kann sie es nicht. Du bist ein sicheres Ziel. Sie hat Angst, Rob.«

»Wovor? Sie ist stinkreich. Glaub mir, sie ist für den Rest ihres Lebens versorgt.«

Hayley dachte an ihre leeren Tage. Daran, wie sie manchmal im geplanten Kinderzimmer stand und auf die Tränen wartete. Nur gab es keine. Sie konnte fast überall weinen, aber nicht im Zimmer des Babys. Vielleicht war der Ort zu heilig für alberne Tränen.

»Nur weil man weiß, dass etwas passieren wird, ist es nicht leichter, damit umzugehen«, murmelte sie. »Vorher war sie eine Ehefrau, und jetzt ist sie es nicht mehr. Sie ist eine Witwe. Wenn er krank war, hatte sie vermutlich jeden Tag damit zu tun, ihn zu pflegen. Selbst wenn sie Hilfe hatten. Jetzt hat sie nichts mehr. Niemand ist mehr von ihr abhängig. Es ist schwer, sich nutzlos zu fühlen.«

Er schaute sie an. »Du bist nicht nutzlos.«

»Aber ich fühle mich so.«

»Weil du kein Baby kriegen kannst?«

Was für eine schonungslose Frage, dachte sie und war überrascht, dass er dieses Risiko einging. »Manchmal. Ich habe so viel Zeit und Geld verschwendet, und wir haben nichts vorzuweisen.«

Tränen brannten in ihren Augen, doch sie blinzelte sie weg.

Mit einer schnellen Bewegung hatte Rob sein Weinglas abgestellt und war aufgestanden. Nun kniete er vor ihr im Gras.

»Hayley, nicht.« Er stützte seine Hände neben ihren Oberschenkeln auf dem Stuhl ab und schaute ihr in die Augen. »Es war keine Verschwendung. Wir haben es versucht. Wir haben alles versucht, was möglich war, und es hat nicht funktioniert. Wir werden einen anderen Weg finden. Gib nicht auf.«

»Wir werden kein Baby haben, Rob. Wir werden niemals unser Kind in den Armen halten. Weißt du, was das für mich bedeutet? Wie sehr es jede Sekunde eines jeden Tags schmerzt?«

»Nein. Ich habe keine Ahnung.« Er nahm ihre Hände. »Wollte ich Kinder? Sicher. Aber das war immer nur eine Vorstellung. Du hingegen bist hier und real. Mir tut leid, was passiert ist, aber ich bin jede Sekunde eines jeden Tages dankbar, dass du lebst und wir zusammen sind.«

Er drückte ihre Finger. »Ich habe lieber dich als ein Baby, Hayley. Ich liebe dich. Ich will, dass wir das gemeinsam durchstehen.«

»Ich weiß nicht, ob wir das können. Du hast mich verlassen.«

»Ich weiß.«

Sie entzog ihm ihre Hände. »Das ist alles? Du wirst dich nicht entschuldigen?«

»Nein. Das werde ich nicht. Vielleicht war es falsch von mir, zu gehen, aber du lagst auch falsch. Du hast Entscheidungen getroffen, ohne mit mir zu sprechen. Du hast gelogen, als du erklärt hast, warum du das Haus renovieren willst.«

Sie wollte protestieren, doch er hob eine Hand. »Es geht nicht darum, dass du es getan hast, sondern warum du es getan hast. Du wusstest, was ich denke, und du hast mich in dem Glauben gelassen. Du hast mich ausgetrickst, Hayley.« Einer seiner Mundwinkel zuckte nach oben. »Ich bin von der Liebe nicht derart geblendet, dass ich deine Fehler nicht sehe.«

»Schade.«

»Wir werden es beide überleben.« Er stieß mit seinem Ellbogen gegen ihren Oberschenkel, bis sie ihn wieder ansah. »Es tut mir leid, dass ich gegangen bin. Ich hatte keine Ahnung, wie ich mit dir umgehen sollte. Ich wollte nicht, dass du stirbst, und ich hatte das Gefühl, dass du für rationale Argumente nicht mehr ansprechbar warst.«

»Das war ich auch nicht«, gestand sie flüsternd.

»Aber du hast dich nicht falsch verhalten?«

Seine Stimme war so sanft. Sie wusste, was er wollte – sie sollte zugeben, dass sie zu weit gegangen war. Hier ging es nicht um Schuldzuweisungen, sondern darum, die Verantwortung zu übernehmen. Er wollte wissen, dass er ihr in Zukunft vertrauen konnte.

»Mach dir keine Sorgen«, sagte sie geradeheraus. »Ich kann nichts Verrücktes mehr tun. Ich kann keine Kinder bekommen. Das ist vorbei.«

»Ein Baby selbst auf die Welt zu bringen, ist vorbei«, berichtigte er sie. »Kinder zu haben, ist immer noch möglich.«

»Ich will nicht adoptieren.«

»Ich weiß. Aber es gibt andere Optionen.«

Sie wünschte, das wäre wahr. Das war es nicht, aber Rob war schon immer ein Optimist gewesen. Das war eine der Eigenschaften, die sie an ihm liebte.

Er legte seinen Kopf in ihren Schoß. »Ich liebe dich, Hayley.«

Die Worte hingen in der Luft. Nicht wirklich anklagend, aber erwartungsvoll. Hayley legte eine Hand auf seinen Kopf, strich mit den Fingern über seine Wange. Sie spürte die Wärme seiner Haut und das Kratzen seiner Bartstoppeln. Irgendwo tief in ihrem Inneren bekam die Mauer um ihr Herz einen kleinen Riss. Schmerz blutete hervor und versickerte.

Es gab noch so viel, worum sie sich kümmern mussten. Schmerzen, die für fünf Leben reichen würden. Aber vielleicht soll ich den Regenbogen im Regen sehen, dachte sie, während sie die Augen schloss, und flüsterte: »Ich liebe dich auch.«