Nicole widerstand dem Drang, erneut zu fragen: »Wie geht es dir?« Schließlich hatte Hayley bereits erklärt, dass es ihr besser ging. Also, dachte Nicole, sollte sie ihrer Freundin auch glauben.
Sie saßen in Nicoles Garten und genossen den warmen Nachmittag. Tyler war auf einer Geburtstagsfeier, Rob half einem Freund mit einem Auto, und Jairus war immer noch auf Lesereise. Aber auch sonst hätte Nicole nicht erwartet, den Tag mit ihm zu verbringen.
Sie hörten täglich voneinander. Meistens per Textnachricht, aber ab und zu telefonierten sie auch. Jairus hatte ihr ein paar Fotos von seinen wartenden Fans geschickt und ein sehr lustiges Video aus seinem leeren Hotelzimmer mit dem Titel »Keine Nutten weit und breit«.
Sie gab es nur ungern zu, aber sie vermisste ihn irgendwie.
»Bist du am Donnerstag hingegangen?«, fragte Hayley.
Nicole zog eine Augenbraue fragend in die Höhe. »Zu Supper’s in the Bag? Ja. Ich bin auf die Mahlzeiten angewiesen. Shannon war auch dabei. Morgan ist im Moment überhaupt nicht glücklich.«
Um Hayleys Mundwinkel zuckte es. »Ach, wie schade.«
Nicole lachte. »Du fehlst ihr. Ich glaube nicht, dass sie wusste, wie viel Arbeit du ihr abnimmst. Kommst du wirklich nicht zurück?«
»Ich habe letzte Woche meine Kündigung abgeschickt. Es kam keine Antwort. Aber auch davor habe ich länger nichts von ihr gehört. Kurz nachdem ich aus dem Krankenhaus wieder zu Hause war, hatten wir einen Streit.«
»Lass mich raten: Sie hat gesagt, das mit deiner OP wäre egoistisch und du solltest sofort wieder mit der Arbeit anfangen.«
»Du hast uns belauscht.«
»Ich bin nur gut im Raten.«
Nicole musterte ihre Freundin, sah den rosigen Schimmer auf ihren Wangen und das gesunde Funkeln in ihren Augen. Auch wenn sie sich immer noch von der Notoperation erholte, sah Hayley so gut aus wie seit Monaten nicht mehr. Vielleicht sogar seit Jahren. Nicole vermutete, das lag daran, dass sie sich mehr ausruhte, keine Hormone mehr nahm und nicht mehr blutete. Das Ergebnis mochte Hayley vielleicht nicht gefallen, aber die Frage nach einem eigenen Kind war wenigstens endgültig beantwortet worden.
»Wie läuft es bei der Arbeit?«, wollte Nicole wissen.
Hayley verdrehte die Augen. »Gar nicht. Meine Auszeit ist verlängert worden.«
»Nimm das in dem fürsorglichen Sinne, in dem es gemeint ist.«
»Das versuche ich ja, aber alle behandeln mich, als wäre ich eine zarte Blume.«
»Das bist du doch irgendwie auch.«
»Gar nicht. Wie läuft’s im Studio?«
»Super. Ich habe viele Schülerinnen und konnte noch zwei zusätzliche Kurse anbieten.« Nicole dachte an den Umschlag, der in ihrer Kommodenschublade lag. »Letzte Woche habe ich Eric getroffen.«
»Du meinst, er ist tatsächlich aufgetaucht, um Tyler zu sehen? Das nenne ich mal eine Überraschung.«
»Ich auch. Er war mit Tyler mittagessen. Tyler meinte, es wäre nicht sonderlich lustig gewesen. Die beiden kennen einander kaum noch. Das ist wirklich traurig.« Sie verzog leicht den Mund. »Er, äh, hat mir zwei Eintrittskarten für die Premiere seines Films geschenkt.«
Hayley riss die Augen auf. »Wirklich? Okay, geht das nur mir so, oder ist das seltsam?«
»Ich fand es auch seltsam. Er meinte, ich wäre ihm während des Schreibens eine so große Stütze gewesen.«
Hayley schnaubte. »Du meinst, du hast euren Lebensunterhalt verdient, während er getippt hat und surfen war.«
»Sieh einer an, wer kann denn da so schnippisch sein?«
»Oh, ich bin gemeiner, als ich aussehe. Nicht oft, aber ab und zu. Willst du hingehen?«
»Ich weiß es nicht. Es ist mir peinlich, das zu sagen, aber ich weiß immer noch nicht, worum es in dem Film geht. Ich habe im Internet ein paar Sachen darüber gelesen, aber das Drehbuch habe ich nie zu Gesicht bekommen. Eric hat immer gesagt, es wäre noch nicht fertig. Dann haben wir uns scheiden lassen, und mir kam es immer komisch vor, danach zu fragen. Also habe ich keine Insiderkenntnisse. Anscheinend geht es um einen normalen Typen, der die Welt rettet. Ein Thriller mit Herz und Humor.«
»Triffst du dich noch mit Jairus?«
Nicole veränderte ihre Sitzposition. »Er ist auf Lesereise.«
»Aber ihr seid noch zusammen.«
»Wir sind nicht zusammen. Wir sind, äh …«
Hayley wartete geduldig.
»Ja, wir treffen uns noch«, gab Nicole leise zu. »Und wir schreiben uns jeden Tag.«
»Dann nimm ihn mit. Ich habe Fotos von ihm gesehen. Jairus sieht gut aus. Und so ein Event ist für dich ja nicht gerade Alltag. Also geh mit einem attraktiven Mann an deiner Seite hin und deklariere die Erfahrung als Sieg. Du wirst als nette Ex dastehen und kannst gleichzeitig deine Neugierde befriedigen. Wie heißt der Film?«
»Disaster Road.«
»Das passt. Du musst das unbedingt machen. Das wird für dich ein Abschluss sein.«
So wie Hayley das ausdrückte, ergab es Sinn. »Ich bin ein wenig nervös«, gab Nicole zu. »Ich habe keine Ahnung, was mich bei so einer Veranstaltung erwartet.«
»Frag Shannon. Ich bin mir sicher, sie war schon mal auf einer Premiere. Oder sie kennt jemanden, der es war. Jairus weiß vielleicht auch, wie so etwas abläuft. Immerhin ist er Promi.«
Aber seine Fans sind Kinder unter zehn, dachte Nicole. Lustig, dass Eric und Jairus beide Autoren waren, aber dennoch so unterschiedlich zu sein schienen. Eric war distanziert, beinahe unnahbar. Ihn interessierte nur die Hollywood-Maschinerie und wie er in den innersten Kreis gelangen konnte. Jairus hingegen schien wirklich etwas an seinen Lesern zu liegen.
»Gut, ich frage ihn«, sagte sie. »Vielleicht ist er an dem Tag aber noch unterwegs.«
»Ich schätze, dann wird er versuchen zurückzukommen. Du magst ihn also?«
»Er ist nett.«
»Und?«
»Er ist super mit Tyler. Lustig und geduldig. Ich bin überrascht, dass er keine eigenen Kinder hat. Er wäre ein toller Dad.« Sie dachte daran, wie er sich um seine Schwester gekümmert hatte, während seine Ehe zerbrach. Vermutlich war das einer der Gründe für die Trennung gewesen. Oder vielleicht sogar der Grund.
Doch danach würde sie ihn niemals fragen. Jede Ehe hatte ihre Geheimnisse. Das wusste sie, weil sie noch genügend davon aus ihrer Zeit mit Eric hütete.
»Ich wünschte, ich könnte über Eric das Gleiche sagen.« Sie hob abwehrend eine Hand. »Ich weiß, ich weiß. Das ist nichts Neues. Aber trotzdem kriege ich sein Verhalten gegenüber Tyler nicht mit dem zusammen, was ich für meinen Sohn empfinde. Er ist mein Ein und Alles.« Sie seufzte. »Das ist wie mit dem Haus. Es fühlt sich an, als hätte er nie darin gewohnt. Er ist eingezogen, und als es an der Zeit war zu gehen, ist er wieder ausgezogen. Ohne dass sich etwas verändert hätte. Er hat überhaupt keine Spuren hinterlassen. Liegt das an ihm oder an mir?«
»An euch beiden.« Hayley zuckte mit den Schultern. »Ich denke, Eric ist einer dieser Menschen, die einfach keine tiefen Verbindungen eingehen. Das ist nicht schlecht – es ist einfach so.«
»Das hat Gabby auch gesagt.« Sie dachte daran, wie Eric sich nach dem Verkauf seines Drehbuchs verhalten hatte. »Er ist nicht wegen Sex auf den Erfolg aus. Damals war er ständig von ziemlich jungen, hübschen Frauen umgeben, und ich glaube, es hat ihn wirklich nicht interessiert.«
»Wir beide können uns nicht vorstellen, nicht mit vollem Herzen in einer Beziehung zu sein. Egal, ob in der Familie oder mit Freunden. Sosehr mich Morgan auch nervt, ich werde sie trotzdem in ein paar Tagen anrufen, weil sie meine Schwester ist. Wir sind keine Einzelgänger, aber Eric, glaube ich, schon. Er ist sich selbst genug. Er braucht keine enge Beziehung zu Tyler, weiß noch nicht mal, was er verpasst. Das ist, als würden wir versuchen, uns vorzustellen, auf Planet Zenon zu leben.«
»Planet Zenon? Ist das was aus Star Wars?«
Hayley lachte. »Du weißt ganz genau, dass es das nicht ist. Du bist ein genauso großer Star Wars-Fan wie ich. Ich meine nur, vielleicht liegt es nicht an dir, sondern an ihm.«
»Das ist nett. Dann muss ich also keinerlei Verantwortung übernehmen?«
»Du weißt, dass du das musst. Du hast in eurer Ehe genügend Sachen falsch gemacht.«
»Oh, danke.«
»Sorry, aber es stimmt. Wir vermasseln es alle. Das gehört zum Menschsein dazu. Der Unterschied ist, du guckst dir an, was passiert ist, und suchst nach einer Antwort. Eric hingegen ist einfach weitergezogen, hat das nächste Kapitel seines Lebens begonnen, ohne einen Blick zurückzuwerfen.«
»Du bist sehr weise geworden, Obi Wan.«
»Wenn das nur wahr wäre.« Hayley nippte an ihrer Limonade. »Ich hatte viel Zeit nachzudenken. Das war nicht lustig, aber gut für mich. Also, mich mit dem Gedanken zu beschäftigen, dass ich niemals ein eigenes Baby haben werde.«
»Wie sehr tut es weh?«
»Sehr. Aber weniger als früher. Jetzt muss ich nur herausfinden, was als Nächstes kommt. Rob und ich müssen ein paar Risse in unserer Ehe kitten.« Sie seufzte. »Man kann nicht das durchmachen, was wir durchgemacht haben, ohne ein paar Narben zurückzubehalten.«
Nicole konnte sich nicht einmal ansatzweise vorstellen, was für einen Stress die ganzen Fruchtbarkeitsbehandlungen auf die Ehe ihrer Freundin ausgeübt hatten. »Rob ist ein guter Mann. Und er betet dich an.«
»Ich weiß. Ich habe sehr viel Glück.« Hayley lächelte. »Vielleicht hast du das auch. Und wenn das eintritt, will ich alle Einzelheiten wissen. Sex mit einem neuen Mann ist für mich so fremd. Ich werde das durch dich miterleben müssen.«
Nicole lachte. »Mach mich betrunken und ich erzähle dir alles.«
»Abgemacht.«
»Hey, Mom!«, rief Gabby, als sie die Küche im Haus ihrer Eltern betrat. In einer Stunde würde sie die ganze Familie auf der Labor-Day-Party ihrer Freundin Pam treffen, aber sie war hier, um etwas zu besprechen, was sich nicht wirklich als Partythema eignete.
So lange wie möglich hatte sie das Gespräch vor sich hergeschoben. Makayla konnte ihre Schwangerschaft immer noch unter weit geschnittenen Oberteilen verstecken, aber irgendwann würde die Wahrheit ans Licht kommen. Und je länger sie damit wartete, es ihrer Mutter zu erzählen, desto schlimmer würde es werden.
Gabby vermutete, dass sie so lange gezögert hatte, weil es sich nicht real anfühlte, solange sie es ihrer Mutter nicht erzählte. Wie lächerlich, dachte sie nun. Die Wahrheit war – sie hatte sich wie ein Vogel Strauß verhalten und den Kopf in den Sand gesteckt … und damit der Welt ihren Hintern präsentiert. Bei dem Bild musste sie lachen.
Positiv war, dass sie es trotz aller Schwierigkeiten in ihrem Leben geschafft hatte, regelmäßig zu Nicole ins Studio zu gehen und ihre Diät einigermaßen einzuhalten. Zehn Pfund hatte sie schon verloren. Ein Sieg, an dem sie sich mit beiden Händen festklammern würde. So wäre es auch schwerer, nach den Keksen zu greifen.
»Gabby!«
Marie kam lächelnd in die Küche. Sie trug eine weiße Caprihose und ein Spitzenshirt über einem Tanktop. Ihre goldenen Ohrringe glitzerten mit den Armbändern um die Wette. Was Schmuck anging, war Marie Anhängerin der Alles-oder-nichts-Maxime.
Ihre Mutter umarmte sie, dann deutete sie auf die Hocker an der Kücheninsel. Schließlich hatte Gabby ihr gesagt, dass sie mit ihr reden müsse, und alle wichtigen Unterhaltungen fanden in der Küche statt.
»Ich habe mir Sorgen gemacht«, gab ihre Mutter zu und musterte sie. »Du hast gesagt, dass niemand krank und zwischen dir und Andrew alles in Ordnung ist. Also, worum geht’s?« Ihre Miene erhellte sich. »Ihr habt beschlossen, noch ein Kind zu kriegen.«
»Nicht wirklich.«
Gabby dachte an all das, was im Moment in ihrem Leben los war. An den fortlaufenden Streit mit Andrew, an Makayla, die so traurig und verwirrt war, an die Zwillinge, die bald in die Vorschule gehen würden. Mit einem Mal stiegen ihr Tränen in die Augen.
»Ach Mom, es ist das reinste Chaos. Mein Leben ist eine Katastrophe, und ich weiß nicht, wie ich das wieder hinbekommen soll.«
Marie nahm Gabbys Hand und drückte sie. »Erzähl mir, was los ist. Dann überlegen wir uns gemeinsam einen Plan. Wir kriegen das wieder hin. Du wirst schon sehen.«
Gabbys Beziehung mit ihrer Mutter war nicht einfach. Marie konnte sehr eigen und herrisch sein. Aber im Kern war sie warmherzig und liebevoll. Wenn Gabby gewillt war zuzugeben, dass sie keinen Ausweg wusste, würden die Vorhaltungen sofort aufhören und die Hilfe würde beginnen. Sie musste nur gewillt sein, Schwäche zu zeigen.
Also atmete sie tief durch. »Makayla ist schwanger.«
Marie blieb der Mund offen stehen. »Nein. Sie ist doch selbst noch ein Kind.«
»Fünfzehn. Glaub mir, wir waren genauso schockiert. Wir wussten nicht mal, dass sie Boyd auf diese Weise mochte.«
»Der Vater heißt Boyd? Wer nennt sein Kind so?«
»Mom, darum geht es nicht.«
Gabby erzählte, wie sie von der Schwangerschaft erfahren hatte und dass Boyd und Makayla hatten zusammenbleiben wollen. Sie gab ihre Unterhaltung mit Boyds Eltern wieder und dass er nun weg war und Makayla sich Sorgen machte, was sie auf der Schule erwarten würde.
»Sie will nicht mal über eine mögliche Freigabe zur Adoption reden«, fuhr Gabby fort. »Das macht mich wahnsinnig. Andrew ist ganz auf ihrer Seite und will, dass sie das Kind behält.«
»Natürlich ist er das.« Ihre Mutter lächelte traurig. »Süße, er ist ein Mann. Das ist sein erstes Enkelkind. Er sieht nicht nur, dass seine Gene weitergegeben werden, er hat auch keine Ahnung davon, was es bedeutet, den ganzen Tag zu Hause zu sein und sich um ein Baby zu kümmern. Ich nehme an, er erwartet, dass du das übernimmst?«
Jetzt war es an Gabby, verblüfft zu sein. »Woher weißt du das?«
»In seinem Herzen ist er sehr traditionell. Für euch war es damals eine große Sache, dass du mit den Zwillingen zu Hause bleibst. Und das war natürlich die richtige Entscheidung. Zu meiner Zeit war es auch völlig selbstverständlich, dass die Frau daheim bleibt und die Kinder aufzieht. Aber heutzutage will jede Frau eine Karriere. Nur was passiert mit den Kindern?«
Sie presste die Lippen zusammen. »Was dir nicht hilft, ich weiß. Wenn ich das recht sehe, bist du mit seinem Wunsch nicht glücklich?«
»Nein. Ich möchte wieder arbeiten. Ich weiß, das ist anders, als du es gemacht hast, Mom. Aber ich bin so was von bereit, das Haus mal wieder zu verlassen.«
»Natürlich bist du das.« Marie ließ Gabbys Hand los. »Glaubst du nicht, dass ich mich auch nach etwas anderem gesehnt habe, als Mutter zu sein? Dass ich nicht von einem Job geträumt habe, in dem ich für das respektiert werde, was ich bin, anstatt immer nur Gabbys Mutter oder die Ehefrau deines Vaters zu sein?«
Nein, dachte Gabby verwirrt. Das hatte sie wirklich nicht gewusst. »Aber du warst immer so glücklich.«
»Familie ist ein Segen. Und ich bin jeden Tag dankbar für mein Leben. Aber manchmal habe ich mich gefragt, wie es wohl anders gewesen wäre. Also Andrew möchte, dass du mit Makaylas Baby zu Hause bleibst.«
Gabby nickte. »Er hat mir versprochen, dass er und Makayla mir helfen.« Beim letzten Wort malte sie Gänsefüßchen in die Luft.
Ihre Mutter schnalzte mit der Zunge. »Helfen? Es ist ihr Baby. Sie sollte mehr tun als nur helfen.«
»Das habe ich auch gesagt, aber Andrew will, dass sie weiterhin ein Teenager sein kann. Sie muss zur Schule, und ich will nicht, dass das Baby eine Strafe für sie ist. Aber was ist damit, Verantwortung zu übernehmen? Was ist mit Konsequenzen?«
»Also streitet ihr beide euch.«
Gabby ließ den Kopf hängen. »Ja.«
Ihre Mutter beugte sich vor und umfasste Gabbys Oberarme. »Gabby, hör mir zu. Ich weiß, wovon ich rede. Die Kinder kommen und gehen, aber eine Ehe sollte für immer sein. Andrew kann schwierig sein, aber er ist ein guter Mann. Rede mit ihm. Wenn er es nicht versteht, versuch es noch einmal. Gib nicht auf. Du liebst ihn, das weiß ich.«
»In letzter Zeit haben wir nicht viel miteinander geredet«, gestand Gabby. Sie dachte darüber nach, wie sie ihm in den letzten Tagen aus dem Weg gegangen war. Da die Schule morgen anfing, hatte sie viel zu tun gehabt, deshalb war es leicht gewesen, auf Distanz zu gehen.
»Sprich mit ihm«, wiederholte ihre Mutter. »Findet eine Lösung. Eure Ehe ist es wert, erhalten zu werden.«
»Ich weiß.«
»Ich werde es deinem Vater erst nach der Party heute erzählen. Du kennst ihn. Er wird sonst seine Meinung öffentlich kundtun. Und das möchte keiner.«
Marie erhob sich und zog Gabby für eine Umarmung auf die Füße. »Mein kleines Mädchen. Lass mich wissen, wenn ich dir irgendwie helfen kann.«
»Das mache ich, Mom. Versprochen.«
»So will ich das hören.«
»Pam lädt mich nie zu ihren Partys ein«, jammerte Morgan. »Warum nicht?«
»Weil sie dich nicht kennt.« Hayley lächelte ihre Schwester an. »Ich arbeite für ihren Sohn und habe früher für ihren Mann gearbeitet. Du hingegen hast nichts mit ihr zu tun.«
»Aber du sagst immer, dass sie wirklich tolle Partys schmeißt.«
»Das stimmt.«
»Dann sollte ich auch hingehen dürfen.«
Morgan war vor einer Viertelstunde überraschend und ohne eine Erklärung aufgetaucht. Nur ein Klopfen an der Haustür. Rob war im Supermarkt, um den Wein einzukaufen, den sie auf die Party mitbringen wollten. Hayley hatte kurz überlegt, ihre Schwester nicht hereinzulassen, dann aber beschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen. Diese Zeiten waren vorbei.
Sie standen in der Küche. Hayley musste gegen ihre instinktive Höflichkeit ankämpfen, um ihre Schwester nicht zu bitten, sich zu setzen. Sie und Rob würden losfahren, sobald er zurück war. Das hier wäre also ein kurzer Besuch.
»Du kommst nicht zu Supper’s in the Bag zurück, oder?«, fragte Morgan.
»Nein. Deshalb habe ich dir meine Kündigung geschickt.«
»Aber ich brauche dich. Dieser Laden ist echt ätzend. Ich hasse ihn. Du hast die ganzen niederen Arbeiten verrichtet. Jetzt muss ich das machen. Oder jemanden dafür anstellen. Das ist nicht fair.«
Hayley erkannte, dass mit der großen Trauer auch eine große Freiheit gekommen war. Sie brauchte den Job nicht länger, also musste sie sich nicht mehr mit etwas beschäftigen, was sie nicht wollte. Das Wort Opfer schoss ihr durch den Kopf, aber sie war nie das Opfer ihrer Schwester gewesen, sondern eine willige Mitspielerin.
Es gab Nächte, in denen sie weinend aufwachte – nicht wegen der körperlichen Schmerzen, sondern wegen des Verlusts. Des tiefgehenden, bis in die Knochen reichenden Verlusts. Doch immer öfter gab es Momente, in denen sie sich kraftvoll fühlte. Weil sie nun alle Entscheidungen treffen konnte.
»Du könntest die Firma verkaufen«, schlug sie ruhig vor. »Und dir woanders einen Job suchen.«
»Warum um alles in der Welt sollte ich das tun?«
Morgans dunkle Haare fielen ihr in dicken Locken auf die Schultern. Sie war so schön wie immer, wenn man das Schmollen übersah. Diese ständige miese Laune fing langsam an, sich in kleinen Falten um ihren Mund herum einzugraben. War das nicht einfach traurig?
Hayley wusste, dass sie gemein war, aber für den Moment war das für sie in Ordnung. Sie erinnerte sich noch daran, dass ihre Mutter mal gesagt hatte, es wäre okay, ab und zu ein wenig gemein zu sein, solange man sich danach schlecht fühlte und es sich nicht zur Gewohnheit werden ließ.
»Ich vermisse Mom«, sagte Hayley. Denn ihre Mutter hätte ihr bei so vielen Dingen gute Ratschläge geben können. »Hast du noch die Erinnerungsalben, die sie für uns gemacht hat?«
»Was? Nein. Ich habe drei Kinder und einen Ehemann. Ich habe in meinem Haus kaum Platz für ein paar Socken. Und wer hat schon Zeit, sich so einen Kram anzugucken?« Mit beiden Händen plusterte sie ihre Locken auf und ließ sie wieder über die Schultern fallen. »Ich kann das nicht mehr. Es ist einfach zu viel Stress. Ich muss mal raus. Kannst du die Kinder für ein langes Wochenende nehmen?«
»Klar.«
»Einfach so?«
»Ich habe meine Nichte und meine Neffen gerne bei mir. Außerdem habe ich sie schon zu lange nicht mehr gesehen. Natürlich können sie bei Rob und mir bleiben, während du weg bist.«
»Gut.«
»Nimmst du Brent mit?«
»Guter Gott, nein. Er ist mit ein Grund, warum ich mal wegmuss. Meine Güte.«
Hayley flüchtete sich in Humor. »Du bist nicht der netteste Mensch auf der Welt, oder?«
»Ich habe keine Zeit, nett zu sein. Meine beste Angestellte hat gerade gekündigt. Ich schicke dir die Einzelheiten.«
»Ich freue mich darauf, von dir zu hören.«
Morgan starrte sie an. »Was ist nur mit dir los? Du bist anders. Ich dachte, du würdest Trübsal blasen, aber das tust du nicht. Ist es dir inzwischen egal, dass du keine Kinder bekommen kannst? War das alles nur ein Spiel?«
Hayley erkannte, dass sie an einer Weggabelung angekommen war. Sie hatte zwei Möglichkeiten: Entweder sie ließ sich in ihrer Reaktion von Schmerz leiten – oder aber von einem Gefühl der Stärke. Das war allein ihre Entscheidung. Morgan würde nie mehr oder weniger sein, als sie jetzt war. Besser würde es nicht werden. Aber Hayley konnte ihren Weg auswählen.
Sie ging zur Haustür und öffnete sie. »Ich werde mich gerne ein Wochenende lang um die Kinder kümmern, weil ich sie liebe und sie zur Familie gehören. Aber du wirst in meinem eigenen Haus nicht so mit mir reden.«
»Was soll denn das? Ich hab doch nichts Böses gewollt.« Morgan schnappte sich ihre Tasche und schnaubte. »Na gut. Es tut mir leid. Jetzt zufrieden?«
»Noch nicht, aber ich bin nah dran.«