3. Kapitel

»Mommy, können Boomer und Jasmine heiraten?«, fragte Kennedy am Freitagnachmittag aus ihrem Kindersitz im Auto.

»Nein, das können sie nicht.«

»Weil sie sich nicht mögen?«, hakte Kenzie nach.

»Sie mögen einander schon«, erwiderte Gabby und reihte sich in die Schlange der Autos ein, die darauf warteten, die Teenager aus dem Sommercamp für Zwölf- bis Fünfzehnjährige abzuholen. Natürlich lag es auf der anderen Seite des Parks und hatte die gleiche Anfangszeit wie die Ferienbetreuung der Zwillinge. Manchmal fragte sie sich, was die zuständigen Leute in den Behörden sich dachten, wenn sie die Zeitpläne erstellten. Ganz zu schweigen davon, wann welche Straßen vorübergehend morgens oder abends zu Einbahnstraßen wurden. Sie wollte so gerne glauben, dass sie taten, was für einen guten Verkehrsfluss am besten war. Dass niemand heimlich das Chaos beobachtete, das jeden Tag entstand, und sich ins Fäustchen lachte, während Mütter mit Kindern in verschiedenen Altersklassen versuchten, an zwei Orten gleichzeitig zu sein.

»Sie können nicht heiraten, weil Boomer ein Hund ist und Jasmine eine Katze. Außerdem gibt es keine Tierhochzeiten.«

»Aber was ist, wenn sie sich lieben?«, fragte Kenzie verträumt. Mit fünf Jahren war »einander lieben« das Ende beinahe jedes Märchens. Das und »glücklich bis ans Lebensende«, was praktisch das Gleiche war.

Kurz überlegte Gabby, dass sie, wenn sie eine bessere Mutter wäre, ihren Töchtern realistischere Geschichten vorlesen würde. Geschichten, in denen Frauen Firmen leiteten, ein Unternehmen gründeten oder Ärztinnen wurden, anstatt eine Prinzessin zu sein, die einen Mann fand, weil sie wunderschön und geistlos war.

Aber das ist ein Problem für einen anderen Tag, sagte sie sich und stöhnte, als sie einen Blick auf die Uhr im Armaturenbrett warf.

Sie war fünf Minuten zu spät, weil die Zwillinge sich beim Abholen wieder einmal geweigert hatten, sich anzuschnallen. Diese blöden Kindersitze. Sie wurden von Tag zu Tag zu einem größeren Problem.

Im Schneckentempo bewegte sie sich vorwärts und erinnerte sich daran, dass sie nur noch die nächsten Stunden überstehen musste, bevor sie sich entspannen konnte. Sie würde den Kindern ihr Abendessen machen und dann nach oben gehen, um ein langes Bad zu nehmen, während Andrew …

»Scheibenkleister!«

Das kam einem Schimpfwort so nah, wie sie es sich dieser Tage erlaubte. Denn in ihrer nahen Zukunft wartete kein Schaumbad auf sie. Sie hatte ganz vergessen, dass sie und Andrew am Abend auf eine Spendengala gingen. Irgendetwas, das mit seiner Arbeit zu tun hatte. Oder war es etwas Politisches? Sie konnte sich nicht erinnern. Doppelter Scheibenkleister. War ihre schwarze Hose schon aus der Reinigung zurück?

Der Wagen hinter ihr hupte. Gabby merkte, dass sie eine kostbare Lücke zwischen ihrem und dem Auto vor sich hatte entstehen lassen, und fuhr wieder an. Dabei überlegte sie, was sie anziehen sollte, während sie gleichzeitig zuhörte, wie Kenzie und Kennedy darüber diskutierten, was Jasmine wohl anziehen würde, wenn sie und Boomer heiraten könnten. Das Brautkleid bereitete ihnen dabei weniger Probleme als der Brautstrauß. Wie würde eine Katze den auf dem Weg zum Altar wohl tragen?

Gabby schaute zu den wenigen Jugendlichen, die noch am Rand des Parks standen, und erblickte Makayla. Ihre Stieftochter war groß und hatte unendlich lange Beine. Die blonden Haare fielen ihr beinahe bis zur Taille über den Rücken. Sie trug ein lockeres Oberteil ohne Ärmel und Shorts. Sie war hübsch und noch ein wenig schlaksig, aber in ein paar Jahren würde sie eine Schönheit sein, die jede Frau auf der Welt neidisch machte. Genau wie ihre umwerfende Mutter.

Wenn sie mit einer von ihnen zusammen war, fühlte sich Gabby immer klein und etwas zu rund um die Hüften, wofür Makayla natürlich nichts konnte.

Sie fuhr an den Bordstein und sah zu, wie das Mädchen näher kam. Ihr Magen zog sich zusammen, als sie versuchte, die Stimmung abzuschätzen. Es war der Freitag eines Besuchswochenendes, was bedeutete, dass es so oder so ausgehen konnte.

»Hi«, sagte Gabby fröhlich, als Makayla die Beifahrertür öffnete.

»Hi.« Makayla setzte sich und schnallte sich an, bevor sie sich zu den Zwillingen umdrehte. »Hey, ihr Zwerge.«

»Makayla!« Beide Mädchen begrüßten sie fröhlich.

»Wir finden, Boomer und Jasmine sollten heiraten«, verkündete Kennedy. »In einem weißen Kleid.«

»Hm. Ich glaube nicht, dass Boomer in einem weißen Kleid gut aussehen würde, oder?«

Die Zwillinge lachten. Gabby lächelte, als sie sich ihren Basset in weißen Tüll gehüllt vorstellte.

»Doch nicht Boomer«, sagte Kenzie. »Sondern Jasmine.«

»Oh, das ist natürlich etwas anderes.«

Der Knoten in Gabbys Magen löste sich auf. Es würde diese Woche kein Geschrei oder Türenknallen geben. Kein schmollendes Schweigen. Makayla würde sich fertig machen, um ihre Mutter zu besuchen, und dann wäre sie für achtundvierzig Stunden weg. Die Chancen standen gut, dass es am Sonntagabend schlimm wurde – wie üblich –, aber bis dahin war noch Zeit.

Die Höhen und Tiefen, die mit einer Fünfzehnjährigen einhergingen, wurden durch Makaylas Beziehung mit ihrer Mutter noch verstärkt, denn diese Beziehung war, freundlich ausgedrückt, sehr wechselhaft. Manchmal wollte Candace die beste Mutter aller Zeiten sein, und manchmal betrachtete sie ihre Tochter als unwillkommene Störung. Traurigerweise macht es ihr nichts aus, diese Stimmungsschwankungen Makayla mitzuteilen.

Gabby versuchte, sich immer wieder klarzumachen, dass es bei den unweigerlich folgenden Anfällen von Wut und Depression nicht um sie ging. Makayla musste jemandem die Schuld geben, und Gabby war ein sicheres Ziel. Wenn es zu hart wurde, gab es zum Glück immer noch Schokolade und das Wissen, dass Makayla – ganz egal, was sonst los war – ihre Halbschwestern liebte.

Gabby fädelte sich in den freitäglichen Nachmittagsverkehr ein. Für die drei Blocks am Pacific Coast Highway benötigte sie beinahe eine Viertelstunde, aber sobald sie es in ihr Viertel geschafft hatten, ließ der Verkehr merklich nach.

Sie war keine fünf Straßenzüge von hier entfernt aufgewachsen. Ihre Geschwister und sie waren auf die gleiche Grundschule gegangen, auf die Kenzie und Kennedy gehen würden. Sie wusste, wo die Kinder gerne abhingen, wie lange es genau dauerte, zu Fuß nach Hause zu gehen, und wie man am schnellsten von zu Hause zum Strand kam.

Manchmal fragte sie sich, wie es gewesen wäre, von einem anderen Ort hierhergezogen zu sein. Mischief Bay als Erwachsene entdeckt zu haben. Für sie gab es hier nur absolute Vertrautheit.

Sie bog in ihre Einfahrt ein. Makayla stieg aus und öffnete dann die hintere Tür, um den Zwillingen herauszuhelfen. Gabby ging zur Haustür und schloss auf. Dabei hörte sie bereits Boomer, der bellend und kratzend darum bettelte, hinausgelassen zu werden. Das Einzige, was ihn davon abhielt, durch die Tür zu brechen, war eine Metallplatte, die Andrew angeschraubt hatte.

Sobald sie die Tür öffnete, schoss der Hund an ihr vorbei, um seine Mädchen zu begrüßen. Denn obwohl Boomer alle seine Menschen liebte, waren Makayla und die Zwillinge sein Rudel. Er folgte ihnen überallhin, bemühte sich, alle so gut es ging in Schach zu halten, und wenn sie gegen seine Regeln verstießen, verpetzte er sie.

Jetzt lief er in Kreisen um die drei Kinder herum und bellte seine Freude darüber, sie wiederzusehen, laut heraus. Er benahm sich, als wäre er wochenlang allein gewesen und nicht nur ein paar Stunden. Gabby dachte daran, ihn darauf hinzuweisen, dass sie beinahe den ganzen Nachmittag über zu Hause gewesen war, fürchtete aber, dass die Information Boomer nicht sonderlich beeindrucken würde.

Makayla und die Zwillinge streichelten ihn kurz, bevor sie auch ins Haus gingen. Sobald sie sich in Bewegung setzten, drängelte Boomer sich an ihnen vorbei und schoss durch die offen stehende Tür. Gabby achtete darauf, dass Jasmine nicht nach draußen in die Freiheit flüchtete, trat dann in den Flur und schloss die Tür hinter sich.

Es war beinahe vier Uhr. Nach ihren Berechnungen blieben ihr weniger als zwei Stunden, um die Zwillinge für den Abend fertig zu machen, das Essen vorzubereiten, die Tiere zu füttern und sich von einer trutschigen Hausfrau in die glamouröse, charmante Ehefrau des erfolgreichen Andrew Schaefer zu verwandeln. Das würde nicht leicht werden.

Sie ging direkt in die Küche und ließ ihre Handtasche auf den eingebauten Schreibtisch fallen, der ihre Auffangstation für alles war, was sonst keinen Platz hatte. Dann warf sie einen Blick auf den Kalender an der Wand, in dem die Aktivitäten der Familienmitglieder in unterschiedlichen Farben eingetragen waren. Makaylas Mom würde sie um sechs Uhr abholen. Andrew und Gabby mussten um Viertel nach sechs das Haus verlassen, und Cecelia, ihre Babysitterin, würde um Viertel vor sechs eintreffen.

»Mommy, kann ich heute Abend meinen lila Hut zum Essen tragen?«, fragte Kenzie, während sie in die Küche gerannt kam. »Kennedy will ihren grünen anziehen, aber ich mag den lilanen lieber. Der hat nämlich Federn und Spitze.«

»Hast du meine dunkelblaue Jeans aus der Reinigung abgeholt?«, fragte Makayla, die nun ebenfalls in die Küche kam. »Die brauche ich am Wochenende. Mom will mit mir ins Kino und danach zum Essen gehen. Was bedeutet, dass wir mal wieder in irgendein schickes Lokal gehen werden.«

»Hab ich. Sie liegt in deinem Zimmer.«

Was du wissen würdest, wenn du dir die Mühe gemacht hättest nachzugucken. Aber das sagte sie nicht laut. Genauso wenig, wie sie erwähnte, dass es lächerlich war, dass eine Fünfzehnjährige ihre Jeans in die Reinigung geben durfte. Konnte die nicht mit den anderen Sachen zusammen gewaschen werden? Aber Makayla hatte behauptet, es wäre wichtig, und Andrew hatte zugestimmt.

Makayla setzte sich auf einen der Barhocker an der Kücheninsel. »Mom hat gesagt, sie geht mit mir zu ihrem Friseur und lässt mir die Haare schneiden. Vielleicht lasse ich mir einen Pony machen. Es ist noch ausreichend Zeit, ihn wieder rauswachsen zu lassen, bevor die Schule anfängt. Also, falls es mir nicht gefällt.«

Während sie sprach, streckte sie ihre langen Arme mit verschränkten Fingern über dem Tresen aus. Kenzie beobachtete sie ganz genau, und Gabby wusste, dass sie am nächsten Morgen die gleiche Pose beim Frühstück sehen würde. Denn es gab nichts, was die Zwillinge lieber taten, als ihre ältere Schwester nachzuahmen.

»Vielleicht gehen wir auch für die Schule shoppen. Sie kann mich mitnehmen, damit ich mir die ganzen Herbstlooks angucken kann, die noch nicht auf dem Markt sind. Wir haben uns schon die Lookbooks der Designer angesehen, und ich hab mir ein paar Sachen ausgesucht.«

Candace war Einkäuferin für ein exklusives Kaufhaus und hatte damit Zugriff auf viele Dinge, die für die Öffentlichkeit noch nicht erhältlich waren. Gabby sagte sich, dass es nett war, wenn Makayla sich bei ihrer Mom besonders fühlen konnte. So sollte es schließlich sein. Und meistens kaufte sie sich das ab. Beinahe zumindest.

Makayla zog dramatisch eine Schulter hoch. »Das liegt daran, dass ich ein Auge für Trends habe.«

»Das hast du.«

Makayla musterte Gabbys knielange, ausgeleierte Shorts und das übergroße T-Shirt – das blaue mit dem Fleck auf der Vorderseite und dem kleinen, aber immer größer werdenden Loch in der Nähe des Saums.

»Soll ich mal mit Daddy darüber sprechen, dass er dir ein Umstyling spendiert?«

»Danke, meine Süße, aber nein.«

Sie sagte sich, dass sie es gar nicht so schlecht getroffen hatte. Makayla war ein ziemlich gutes Kind. Sie hatte ihre Launen, aber die meisten davon waren den Hormonen oder ihrer Mutter geschuldet. Makayla liebte ihre kleinen Schwestern und hatte immer ein Auge auf sie.

Das Schwierige war das nagende Gefühl, dass Makayla nicht wie ein Mitglied der Familie behandelt wurde. Sie war mehr ein illustrer Gast, um den alle anderen kreisten. Wie bei dieser Sache mit der Reinigung. Wirklich? Für Jeans? Oder dass es Makayla nichts ausmachte, auf die Zwillinge aufzupassen, wenn Gabby Hilfe brauchte. Aber nur für eine Stunde. Niemals für einen ganzen Nachmittag oder Abend. Und selbst die wenigen Minuten, die sie aufpasste, waren lediglich ein Gefallen und nichts, auf das Gabby sich verlassen konnte. Makayla irgendwelche Anordnungen zu geben, war nicht gestattet.

Das Zweite-Frau-Syndrom, sagte Gabby sich. Ab und zu nervte es sie, dass sie sich mit Andrews Vergangenheit herumschlagen musste. Umgekehrt war das Schlimmste, was er hatte ertragen müssen, dass ein alter Schulfreund auf dem zehnjährigen Abschlusstreffen mit ihr geflirtet hatte. Und das war wohl kaum das Gleiche.

»Mommy, ich glaube, Jasmine muss sich übergeben!«, rief Kennedy von irgendwo im ersten Stock. Makayla und Kenzie rannten los. Gabby hielt lange genug inne, um sich ein paar Haushaltstücher zu schnappen. Als sie in Richtung der Treppe lief, fragte sie sich, ob es falsch war, darauf zu hoffen, dass Boomer als Erster oben ankam und sich für sie um die Sache kümmerte. Wenn es darum ging, sauber zu machen, konnte man sich immer auf den großen Kerl verlassen.

Um fünf Uhr war das Chaos im Haus ansatzweise in Ruhe übergegangen. Zumindest redete Gabby sich das ein. Das Essen stand im Ofen, Makayla war dabei, fürs Wochenende zu packen, und die Zwillinge waren in ihrem Spielzimmer und überlegten, was sie abends mit Cecelia machen wollten.

»Verkleiden«, sagte Kennedy bestimmt, den kleinen grünen Hut auf dem Kopf. »Und Lego.«

»Auf jeden Fall Lego«, stimmte Kenzie zu. Ihr Hut schien nur aus Spitze und Federn zu bestehen. Sie waren beide so bezaubernd. Stur, aber bezaubernd.

Gabby hatte festgestellt, dass Abende mit dem Babysitter besser liefen, wenn jeder mit den richtigen Erwartungen daranging. Für diesen Zweck stellte sie immer einen Teller mit Snacks für ihre Töchter und die Babysitterin zusammen und sorgte dafür, dass Spielzeuge, Bücher und Filme vorab ausgewählt wurden.

Die ausgewählten Spielzeuge wurden auf den kleinen Kindertisch gestellt. Daneben lagen drei Bücher, die Cecelia ihnen vor dem Einschlafen vorlesen würde, und ein paar DVDs. Jasmine, die sich vom Hochwürgen ihres Fellballs erholt hatte, kam hereingeschlendert. Sie ging zu Gabby und stieß ein sehr mädchenhaftes Miauen aus – ein Zeichen dafür, dass in ihrer Katzenwelt alles in bester Ordnung war. Boomer folgte ihr, die Nase in den Teppich gedrückt, als suche er nach heruntergefallenen Krümeln oder Ähnlichem.

Die Zwillinge zogen ihre Tiere an sich, und Gabby nutzte die Ablenkung, um das Zimmer zu verlassen. Sie musste noch duschen – denn dazu hatte sie am Morgen keine Zeit gehabt – und irgendetwas mit ihren Haaren machen.

Eine Weile hatte sie es mit Blond probiert, aber ehrlich gesagt war es mit drei Kindern zu schwer, Zeit für regelmäßige Friseurtermine zu finden. Bald würde sie außerdem wieder anfangen zu arbeiten. Wenn sie jetzt schon keine Zeit hatte, würde sie die dann erst recht nicht haben. Also hatte sie das letzte Jahr über die Farbe herauswachsen lassen, sodass ihre Haare jetzt wieder ihren natürlichen irgendwie bräunlichen, irgendwie rötlichen Ton hatten. Sie überlegte, sich zur Feier der Rückkehr ins Berufsleben Strähnen machen zu lassen, aber nur, wenn ihre Friseurin ihr versprach, dass die nicht öfter als alle sechs Monate aufgefrischt werden mussten.

Sie schaffte es zu duschen, ohne gerufen zu werden oder sich um eine Krise kümmern zu müssen. Als sie aus der Dusche trat, hatten es sich die Zwillinge, Boomer und Jasmine auf dem Fußboden im Bad gemütlich gemacht und beobachteten sie, während sie nach ihrem Handtuch griff.

Kenzie und Kennedy hatten jeweils eins von Boomers Ohren in ihren kleinen Händen. Die Hüte schief auf dem Kopf, lehnten sie an seinem langen Körper und streichelten das seidige Fell. Jasmine beobachtete alles vom Badvorleger am Waschbecken aus, als hätte sie hier die Oberaufsicht. Was vermutlich auch so war. Jasmine liebte es, die Kontrolle zu haben.

»Was ziehst du an, Mom?«, wollte Kenzie wissen. »Du wirst hübsch aussehen.«

»Danke. Ich bin mir noch nicht sicher.«

»Ein Kleid«, sagte Kennedy entschlossen. »Mit hochhackigen Schuhen.«

Die Mädchen liebten es, hochhackige Schuhe anzuziehen, wenn sie sich verkleideten.

»Und Lippenstift«, ergänzte Kenzie.

Gabby schlüpfte in ihre Unterwäsche und ging dann in den großen begehbaren Kleiderschrank, den sie sich mit Andrew teilte. Während seine Seite beinahe militärisch durchorganisiert war – alles war nach Art und dann nach Farbe sortiert –, war ihre Seite etwas chaotischer. Ein paar Klamotten lagen auf dem Boden unter den Kleiderbügeln. Sie war nicht sicher, ob das Absicht war oder ob Jasmine sie heruntergezogen hatte, und das hier war nicht der passende Moment, um der Sache auf den Grund zu gehen.

Zwei Reihen Kleiderstangen und ein eingebauter Schubladenschrank hätten ihr das Ordnen ihrer Kleidung leicht machen sollen, aber irgendwie kam sie nie dazu. Andrews Schubladen hingegen waren perfekt sortiert. Socken nach Farben geordnet, Sport-T-Shirts getrennt von den T-Shirts, die er unter seinen Hemden trug. Wie kam das? Sie räumte doch die Wäsche ein. Also war sie es auch, die seine Ordnung aufrechterhielt, während sie auf ihrer Seite gerade mal ein einigermaßen kontrolliertes Chaos zustande brachte.

Das ist jetzt alles nicht wichtig, sagte sie sich, während sie sich durch die Kleiderbügel wühlte, auf der Suche nach einem einigermaßen sauberen, einigermaßen schicken kleinen Schwarzen. Sie fand es ganz hinten, neben einem flauschigen pinkfarbenen Morgenmantel, den sie noch nie gemocht hatte.

Das Kleid hatte lange Ärmel, ein gewickeltes Oberteil und einen knielangen Rock. Sie hatte es seit einer ganzen Weile nicht mehr getragen, aber es sah sauber aus. Abgesehen von den pinkfarbenen Fusseln des Morgenmantels, die sie aber mit einem Klebestreifen schnell entfernen konnte. Die größere Frage war: Würde es noch passen?

Sie wusste, dass sie irgendwo einen Mörder-Spandexslip hatte, aber bevor sie sich dieser Demütigung ergab, wollte sie gucken, ob das Kleid überhaupt im Bereich des Möglichen lag. Sie zog den Reißverschluss auf und zog sich das Kleid über den Kopf.

An den Armen fühlte es sich ein wenig eng an, und über ihren Brüsten bauschte sich der Stoff. Sie zog und zerrte und wand sich, bis sie es endlich über ihren Körper gezogen hatte. Noch bevor sie nach dem Reißverschluss griff, wusste sie, dass es ein Problem gab.

Das Kleid sah schrecklich aus. Es betonte ihre rundliche Mitte und die kleine Speckrolle über ihrer Taille. Außerdem klaffte es am Reißverschluss einige Zentimeter auf, und kein noch so inniges Gebet würde es schaffen, dass sie es zubekam. Nicht einmal die Mörder-Spandex würde hier helfen.

Wie viel wog sie eigentlich? Sie war bestimmt seit einem Jahr nicht mehr auf der Waage gewesen. Sicher, da waren die zusätzlichen Pfunde nach der Geburt der Zwillinge, aber das hier kam doch unerwartet. Sie hatte doch nicht noch mehr zugenommen, oder?

Noch während sie an die Kekse dachte, die sie an den meisten Tagen nach dem Frühstück aß, und an ihren geheimen Pralinen-Vorrat in ihrem Nachttisch, ermahnte sie sich, nicht vom Thema abzukommen. Andrew würde jede Minute zu Hause sein. Dann würde Cecelia eintreffen, Makayla würde noch eine Krise bekommen, bevor sie zu ihrer Mom fuhr, und bei den Zwillingen konnte man nur darauf hoffen, dass sie es zwanzig Minuten schafften, sich allein zu beschäftigen. Ihre Zeit lief langsam, aber sicher ab.

Sie zog das Kleid aus und warf es auf den Boden, dann griff sie nach ihrer schwarzen Hose, die immer passte. Sie war zwar an der Taille ein wenig außer Form geraten und müsste mal ersetzt werden, aber das war jetzt egal. Hauptsache, sie ging zu.

Nachdem sie die Hose angezogen hatte, suchte sie nach einem Oberteil, das modisch, aber auch professionell wirkte. Sie fand einen schwarzen Blazer, der immer funktionierte, nur leider hatte der einen Fleck auf der Vorderseite. Hektisch schob sie die Bügel über die Stange und versuchte, sich daran zu erinnern, was sie besaß, das nicht zu klein, zu abgetragen oder einfach nur zu hässlich war. Ihre Kehle zog sich zusammen, als die Panik einsetzte. In ihrem Kopf hörte sie das hektische Ticken der Zeit, das sich mit der grauenhaften Erkenntnis vermischte, dass sie irgendwann in der letzten Zeit fett geworden war.

Am anderen Ende der Kleiderstange erblickte sie einen roten Ärmel. Sie zog die Bluse vom Bügel und atmete erleichtert aus. Okay, die Farbe war nicht so gut, aber das lockere, seidige Oberteil würde ihr passen. Der Stoff war ein wenig durchsichtig und leider mit einem Goldfaden durchwirkt. Sie hatte keine Ahnung, was sie geritten hatte, diese Bluse zu kaufen. Aber egal. Sie war dankbar, dass sie überhaupt etwas zum Anziehen hatte.

Sie schnappte sich noch ein schlichtes schwarzes Unterhemd und eilte mit ihren Funden zurück ins Bad. Die Zwillinge lagen quer über Boomer. Jasmine war nirgendwo zu sehen, was wenig überraschend war – die Katze hatte einen hervorragenden Selbsterhaltungstrieb. Sie schien genau zu spüren, wann eine Krise nahte, und zog sich zurück, bevor diese Krise ausbrach.

Make-up, dachte Gabby hektisch, während sie ihre Lockenwickler vorheizte. Haare eindrehen, Make-up, Abendessen vorbereiten, Makayla, Cecelia, Tiere füttern, mit den Zwillingen reden und raus aus der Tür. Es ist machbar, sagte sie sich. Unwahrscheinlich. Aber machbar.

Sie legte die rote Bluse über den Rand der Badewanne. Kennedy rümpfte die Nase.

»Mommy, du hast gesagt, dass du ein Kleid anziehst.«

»Nein, das hast du gesagt. Ich mag Hosen.«

»Du bist immer noch hübsch«, bemerkte Kenzie loyal.

»Danke, Süße.«

»Daddy mag dich in Kleidern«, beharrte Kennedy stur. »Und in hohen Hacken.«

»Ich werde ja auch Schuhe mit hohen Absätzen tragen.« Na ja, so in der Art, dachte Gabby und hörte schon, wie ihre Zehen protestierend wimmerten.

»Gabby, wo sind meine weißen Hüfthosen?«, fragte Makayla von der Badezimmertür aus. »Ich habe sie heute Morgen in die Wäsche getan.«

Gabby griff nach ihrem Kamm. Nachdem sie einzelne Strähnen ihrer Haare abgeteilt hatte, drehte sie einen heißen Lockenwickler hinein. »Freitags wasche ich keine Weißwäsche. Die ist Montag und Donnerstag dran.«

»Aber du hast gewusst, dass ich sie für dieses Wochenende brauche.« Makayla sah genervt aus, und ihre Stimme wurde immer lauter. Gefahr. »Du hast sie absichtlich nicht gewaschen.«

Die Zwillinge schauten einander an. Identisch aussehende Münder formten ein perfektes O, während sie darauf warteten, was als Nächstes passieren würde.

Jeden Freitag geht Makayla zu ihrer Mutter, dachte Gabby grimmig. Jeden Freitag gibt es einen Streit, eine Krise, irgendetwas.

Und es war immer ihre Schuld. Scheibenkleister, Scheibenkleister, Scheibenkleister.

Gabby sah ihre Stieftochter an. Wieder einmal ließ sie sich kurz von dem Gedanken ablenken, wie hübsch das Mädchen war und wie es als Erwachsene über diese Schönheit definiert werden würde. Oh, so verflucht zu sein, dachte sie reumütig.

»Makayla, du weißt, dass ich einen Plan für das Wäschewaschen habe. Den gibt es schon, seitdem du vor zwei Jahren bei uns eingezogen bist. Weißwäsche am Montag und Donnerstag. Wenn du besondere Wünsche hast, helfe ich dir gerne, aber du hast mir nichts von der Hose gesagt. Ich konnte nicht wissen, dass sie in der Wäsche ist.«

Tränen stiegen dem Mädchen in die Augen. »Du hättest gucken können.«

Diese unvernünftige Antwort raubte Gabby den Atem. Tief durchatmen. »Und du hättest es mir sagen können. Ich kann keine Gedanken lesen. Hast du nicht eine andere Hose, die du stattdessen mitnehmen kannst?«

»Nein. Das Wochenende ist ruiniert

»Wieso?«

Die Frage kam aus dem Schlafzimmer, und der Druck um Gabbys Brust ließ ein wenig nach. Die Zwillinge rappelten sich auf und rannten gemeinsam mit Boomer auf den Sprecher zu.

»Daddy! Daddy!«-Rufe wetteiferten mit Boomers Gebell und Makaylas Beschwerden über ihre weiße Hose.

Gabby drehte sich wieder zum Spiegel um. Die Chancen, Andrew innerhalb der nächsten zehn Minuten nahe zu kommen, gingen gegen null. Die Zwillinge und Makayla nahmen seine Aufmerksamkeit immer voll in Anspruch, sobald er nach Hause kam. Boomer brauchte auch seinen Moment mit dem Herrn des Hauses. Und sogar Jasmine würde für eine kleine Streicheleinheit vorbeikommen.

Gabby rollte ihre Haare weiter auf und schminkte sich dann schnell. Sie hatte eine Routine entwickelt, die nur fünf Minuten dauerte und für beinahe alle Situationen passend war. Da sie keine Ahnung hatte, worum es bei der Spendengala ging oder mit wem sie es da zu tun haben würden, gönnte sie sich etwas mehr Zeit für den Lidschatten und den Eyeliner.

Zehn Minuten später nahm sie die Lockenwickler heraus und kämmte ihre Haare mit den Fingern durch, dann sprühte sie sie mit Haarspray ein. Es folgten die Ohrringe, bevor sie in ihre Pumps schlüpfte und aus dem Bad eilte.

Sie ging in Makaylas Zimmer. Das Mädchen war gerade dabei, eine pinke Hose zusammenzulegen.

»Geht es dir gut?«, fragte Gabby und bemühte sich, fröhlich und nicht vorsichtig zu klingen.

Makayla nickte, ohne sie anzusehen.

»Okay. Sag Bescheid, wenn du was brauchst.«

Gabby ging weiter in die Küche, wo sie schnell nach dem Essen sah. Sie war nicht sicher, wo die Zwillinge waren, hörte aber Gelächter und Andrews tiefe Stimme von irgendwo weiter hinten im Haus.

Boomer und Jasmine kamen in die Küche. Die Katze wand sich um Gabbys Beine – ein Zeichen der Zuneigung, wie sie annahm. Oder zumindest ein Ruf nach Aufmerksamkeit.

»Ich weiß, wie spät es ist«, erklärte sie ihren Tieren. »Ihr seid als Nächste dran.«

Sie gab Boomers Fressen in seinen Napf und stellte ihn in den Vorraum, dann holte sie Jasmines Futter heraus. Feuchtfutter vermischt mit Wasser, um Jasmines Blasentrakt gesund zu halten. Gabby machte noch eine kleine Schüssel mit Trockenfutter zurecht und trug beides in die Waschküche, weil Hunde und Katzen auf keinen Fall gemeinsam fressen konnten. Zumindest nicht, wenn die Katze von ihrem Futter auch etwas abbekommen sollte.

Jasmine sprang auf den Tisch und miaute, bis Gabby ihr die Näpfe hinstellte.

Nachdem die Tiere gefüttert waren, kehrte Gabby in die Küche zurück und deckte den Tisch für drei, während sie ständig mit einem Auge auf die Uhr schaute. Sie holte den Teller mit dem rohen, geschnittenen Gemüse heraus, den sie früher am Tag vorbereitet hatte, denn auch wenn die Zwillinge kein gekochtes Gemüse anrührten, aßen sie es, wenn es roh war.

Pünktlich auf die Minute klingelte es an der Tür. Boomer kündigte den Besucher auch noch mal an, nur für den Fall, dass er der Einzige war, der die Türglocke gehört hatte. Die Zwillinge kamen angerannt und riefen Cecelias Namen. Gabby ließ das Mädchen rein und lächelte dankbar.

»Hi«, sagte sie seufzend. »Ich hoffe, du magst Lasagne.«

»Ich liebe Lasagne.«

Cecelia trug einen Rucksack über der Schulter. Gabby wusste, sobald die Zwillinge im Bett waren, würde das Mädchen lernen. Zusätzlich zu ihrem Teilzeitjob bei Supper’s in the Bag arbeitete Cecelia als Babysitterin und belegte Kurse in der Sommerschule. Ihr Pensum war wirklich beeindruckend.

Zum gefühlten siebenundvierzigsten Mal in den letzten zehn Minuten kehrte Gabby in die Küche zurück und erklärte, was für das Abendessen noch getan werden musste. Sie ging mit Cecelia die Spielzeuge, Bücher und Filme durch, die sie vorher ausgewählt hatten, und sagte ihr, dass sie keine Ahnung hatte, wann sie und Andrew wieder zurück wären.

»Du hast unsere Handynummern, oder?«, fragte sie.

»Die sind in meinem Handy gespeichert«, beruhigte Cecelia sie. »Mach dir keine Sorgen. Wir werden viel Spaß haben.«

»Ich weiß. Aber ich kann nicht anders.«

Sie schaute auf die Uhr. »Candace wird jede Sekunde hier sein«, sagte sie. »Ich muss noch mal nach Makayla sehen.«

Die Zwillinge, Boomer und Jasmine folgten ihr den Flur hinunter zu Makayla, die neben ihrem gepackten Koffer stand. Ihre Miene war angespannt, ihr Körper steif. Sie sah eher aus, als würde sie zum Zahnarzt gehen als übers Wochenende zu ihrer Mutter.

Für einen kurzen Moment hatte Gabby Mitleid mit ihr. Makayla hatte es nicht leicht. Nett ausgedrückt war Candace eine eher desinteressierte Mutter, und sie kam oft zu spät. Mehr als einmal hatte sie in der letzten Minute angerufen und gesagt, dass sie ihre Tochter doch nicht übers Wochenende zu sich nehmen konnte. Manchmal gab es dafür einen legitimen Grund – wie eine Geschäftsreise. Aber wesentlich öfter bot sie überhaupt keine Erklärung an.

»Ist sie schon da?«, fragte Makayla angespannt.

»Noch nicht. Ich wollte nur sichergehen, dass du alles hast, was du brauchst.«

»Alles bis auf die weiße Hose.«

Gabby wusste, dass sie sehenden Auges dieses Minenfeld betreten hatte, und versuchte, nicht darauf zu reagieren. Kenzie drängte sich an ihr vorbei und schaute zu Makayla auf.

»Musst du denn weg?«

Die Anspannung löste sich sofort auf, als Makayla in die Knie ging und ihre Arme ausstreckte. Kennedy kam ebenfalls angerannt, und die drei Mädchen umarmten einander fest.

»Ich bin zurück, ehe ihr es bemerkt«, versprach Makayla.

»Du könntest uns mitnehmen.« Kennedy stieß ihr gegen den Arm. »Wir sind auch ganz brav. Versprochen.«

»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist«, sagte Makayla sanft.

»Warum nicht?«, wollte Kenzie wissen.

»Weil ich euch zu sehr vermissen würde«, sagte Gabby. »Ich wäre total traurig ohne meine Mädchen. Es ist schon schlimm genug, dass Makayla weg ist. Was würde ich ohne meine Flöhe tun?«

Die Zwillinge rannten von ihrer Schwester zu ihr. Mit ihren dünnen Ärmchen hielten sie sie ganz fest, und Gabby spürte ihre Liebe bis ins Herz. Sie erfüllte sie und rückte ihre Welt wieder gerade.

In dem Moment schaute sie zu Makayla und sah die Sehnsucht in ihren blauen Augen. Dieses rohe Gefühl erschreckte Gabby. Bevor sie jedoch wusste, was sie sagen sollte, war es schon wieder verschwunden.

»Makayla, deine Mom ist da.«

Andrews Stimme hallte durch den Flur.

»Tante Candace!«, riefen die Zwillinge und wirbelten herum, um ins Wohnzimmer zu stürmen. Makayla folgte ihnen wesentlich langsamer.

Gabby wollte gar nicht hingehen, wusste aber, dass das unhöflich wäre. Auch wenn Candace es nicht bemerken würde. Ihre kurzen Begegnungen waren immer irgendwie ungelenk und überhöflich. Eine Unterhaltung zwischen zwei Frauen, die sicher waren, dass sie keine Gemeinsamkeiten hatten. Was ironisch war, wenn man bedachte, dass sie sich beide in den gleichen Mann verliebt hatten. Wenn das nicht intim war, was dann?

Gabby war nicht sicher, was Candace über sie dachte, aber sie wusste genau, was sie von der anderen Frau hielt. Candace war groß, dünn und wunderschön. Und was noch schlimmer war: Sie war erfolgreich. Chefeinkäuferin für Designerschuhe und Handtaschen in einem Nobelkaufhaus.

Außerdem hatte sie einen Sinn für Mode, eine Garderobe, für die man sterben könnte, und absolut keine Cellulitis, dessen war Gabby sich sicher. Obwohl Gabby kleiner war als Candace, hatte sie neben ihr immer das Gefühl, zu viel Raum einzunehmen.

Nach einem tiefen Atemzug straffte sie die Schultern und ging ins Wohnzimmer. Andrew stand mit Jasmine auf dem Arm an der Tür. Boomer hüpfte herum, dass seine Ohren und Lefzen nur so schlackerten, und versuchte, Candaces Aufmerksamkeit zu erhaschen. Die Zwillinge plapperten und tanzten herum, während Makayla ruhig neben ihrer Mutter stand. Und Candace … nun, sie war damit beschäftigt, groß und dünn und schön zu sein. Ganz zu schweigen davon, dass sie wieder einmal perfekt gekleidet war mit ihrer eng geschnittenen, cremefarbenen Hose und einem taillierten Hemd in der gleichen Farbe.

Weiß, dachte Gabby verwundert und fragte sie, wie lange sie brauchen würde, um einen Fleck auf einem weißen Oberteil zu produzieren. Acht Sekunden? Neun? Dann war da noch Candaces Schmuck – mehrere Ketten und verschiedene Ringe. Und obwohl sie ihr Make-up vor bestimmt zwölf Stunden aufgelegt hatte, war es immer noch … perfekt.

Als Gabby das Wohnzimmer betrat, musterte Candace sie einmal von Kopf bis Fuß und lächelte dann ihr Böse-Mädchen-Lächeln.

»Gabby. Wie schön. Gehst du aus?«

»Ja.«

»Deine Haare sehen bezaubernd aus. Nun, du willst dich sicher noch umziehen, also werde ich euch nicht länger aufhalten. Makayla, Darling, bist du fertig?«

»Mommy hat sich schon umgezogen«, warf Kenzie hilfreich ein. »Sie trägt ihre Ausgehbluse.«

Candace zog die rechte Augenbraue hoch. Also so weit, wie das Botox in ihrer Stirn es zuließ. »Oh. Nun. Du siehst … sehr nett aus.«

Hitze stieg Gabby in die Wangen, aber von so einer Kleinigkeit wie einer öffentlichen Demütigung würde sie sich nicht aufhalten lassen. Sie scheuchte die Zwillinge in die Küche und half Cecelia, ihnen vor dem Abendessen die Hände zu waschen. Als sie die Haustür ins Schloss fallen hörte, atmete sie langsam aus. Die erste Krise des Abends war überstanden. Blieben nur noch vierhundertsiebenunddreißig weitere.

Sie kehrte ins Wohnzimmer zurück, wo Andrew die Katze gerade auf dem Sofa absetzte.

»Endlich«, sagte er und drehte sich zu ihr um. »Hi. Wie geht es dir?«

Er küsste sie, bevor sie antworten konnte. Der Kuss war leicht – im Gegensatz zu der begleitenden Umarmung. Andrew war gut darin – Vollkörperumarmungen, die eine Sekunde länger dauerten, als man erwartete. Wenn die Welt sich unkontrolliert drehte, war er ihr Anker.

»Ganz okay.«

Er berührte ihre Wange. »Ich weiß, was du denkst. Wie konnte ich nur so eine Zicke heiraten? Ich habe keine Entschuldigung dafür. Ich kann nur sagen, dass ich sehr froh bin, es beim zweiten Mal richtig gemacht zu haben.«

Er ist auch so gut mit Worten, dachte sie dankbar. Und generell im Leben. Andrew verstand das Leben. Er war erfolgreich – Vizepräsident der Verkaufsabteilung einer großen Luftfahrtfirma. Er reiste viel, aber nicht mehr, als er musste. Er sorgte dafür, dass er zu wichtigen Ereignissen zu Hause war, und nicht ein einziges Mal hatte er Gabby das Gefühl gegeben, dass seine Arbeit wichtiger war als ihre.

Jetzt widerstand sie dem Drang, sich an ihm festzuhalten, sich über Makayla und die weiße Hose zu beklagen, ihn zu bitten, dass er seine Ex verhaute, weil sie gemein zu ihr gewesen war. Nein, das waren ihre Probleme, und sie würde sich darum kümmern.

»Mein Tag war gut«, sagte sie. »Und deiner?«

»Auch gut. Wir haben unsere Quartalsziele erreicht, also bin ich der Star.« Er ließ ein Grinsen aufblitzen. »Bis Montag, dann beginnt alles von vorn.«

Der vertraute Witz ließ sie lächeln. Und ihn einfach nur anzusehen auch. Er war acht Jahre älter als sie, alterte aber gut. Dunkle Haare und blaue Augen. An den Schläfen war ein leichter Anflug von Grau zu erkennen, der ihn noch attraktiver machte. Er wirkte irgendwie distinguierter. Mutter Natur zog die Männer eindeutig vor.

»Ich erinnere mich nicht mehr daran, was für eine Spendengala das heute Abend ist«, flüsterte sie. »Es tut mir leid, dass ich es nicht in den Kalender eingetragen habe. Ich habe mir nur Zeit und Datum notiert.«

Er beugte sich vor, um sie erneut zu küssen. »Ich habe es dir gar nicht gesagt.« Er zog sie näher und senkte den Kopf, damit er ihr ins Ohr flüstern konnte: »Es gibt keine Spendengala, meine süße Frau. Ich habe uns ein Zimmer im Inn on the Pier reserviert. Da wartet eine eisgekühlte Flasche Champagner auf uns. Ich hatte gehofft, wir könnten uns für ein paar Stunden miteinander vergnügen und dann was beim Zimmerservice bestellen, bevor wir nach Hause zurückfahren.«

»Für diesen guten Zweck stelle ich gerne einen Scheck aus«, gab sie zurück.

Andrew warf den Kopf in den Nacken und lachte. Dann legte er einen Arm um sie.

Tränen brannten in Gabbys Augen. Freudentränen, sagte sie sich, während sie sie wegblinzelte. Die Tränen einer Frau, die in der Ehemannlotterie den Hauptgewinn gezogen hatte.