Peter Cade lag in seinem Bett und starrte aus dem Fenster hinaus in das Mondlicht.
Er sehnte sich nach Carly. Noch immer glaubte er ihren Duft zu spüren und ihren schlanken, biegsamen Körper, der sich verführerisch an ihn schmiegte. Er fluchte leise. Er begehrte eine Frau, die nicht die Richtige für ihn war. Ein weiterer Witz, den das Leben für ihn bereithielt.
In seinem Alter und mit seinen Erfahrungen hätte er nicht zulassen dürfen, dass ihm eine Frau dermaßen unter die Haut ging. Vor allem nicht diese Frau. Alles, was Carly verkörperte, lehnte er ab. Und doch wollte er sie in den Armen halten, sie verführen und besitzen.
Schlimmer noch, es war mehr als Leidenschaft. Schon das Beisammensein mit ihr dämmte seine zynische Lebenseinstellung und ließ längst vergangene Sehnsüchte aufwallen. Dieses schiere Glück, mit jemandem zusammen zu sein, auf dessen Liebe und Anteilnahme man rückhaltlos vertrauen konnte. Eine Frau, Kinder … ein richtiges Zuhause …
Vorsicht! warnte ihn seine innere Stimme. Diese Träume waren mit seiner Scheidung gestorben. Es war zu schmerzlich, sie wieder aufleben zu lassen. Er wollte keinen Illusionen nachjagen und erneut verletzt werden.
Wenn er Carly doch nur überzeugen könnte. Sie passten so gut zusammen und könnten sich so wunderbar ergänzen – als Partner in einer wunderbaren Affäre. Sollte es dann eines Tages nicht mehr laufen zwischen ihnen, würden sie jeder ihrer Wege gehen. Carly sah das anders. Aber das bedeutete nicht, dass sie ihre Meinung nicht ändern konnte. Er musste die Sache nur richtig anpacken, dann würde sie schon einsehen, dass sein Vorschlag durchaus seine Vorteile hatte.
Mit diesem Gedanken schlief er ein.
Carly arbeitete konzentriert an der Korrektur der letzten Klassenarbeiten, und Karen hatte es sich auf dem Teppich bequem gemacht. Während sie über einer Rechenaufgabe brütete, klopfte sie unbewusst mit dem Bleistift gegen ihre Zähne. Hank Aaron, der Kater, hatte sich an ihre Seite geschmiegt und schnurrte gleichmäßig wie eine kleine Maschine.
Carly machte eine Pause. Tief durchatmend streckte sie sich und dehnte ihre verspannten Schultern. Und sie ertappte sich, dass sie schon wieder an Peter dachte.
Sie liebte so viele Dinge an ihm. Seinen Humor, die Art, wie die kleinen Fältchen an seinen Augen sich vertieften, wenn er sie ansah. Er war hochgewachsen, gut gebaut und sportlich, und er hatte Stil.
Was also war ihr Problem?
Die Antwort lag auf der Hand. Seine Pläne gingen nicht in die gleiche Richtung wie ihre. Er wollte keine Familie, keine Bindungen und keine tiefen Gefühle, die seinen selbst gewählten Lebensstil in Gefahr bringen konnten.
Andererseits war Peter ein außergewöhnlich interessanter Mann, und so bald würde bestimmt kein anderer auftauchen, der ihre Gefühle so sehr aufwühlte. Warum sollte sie nicht im Hier und Jetzt leben, wie es so schön hieß, und Peters Charme in vollen Zügen genießen – und abwarten, wie sich ihre Beziehung entwickeln würde?
Bevor sie es sich anders überlegen konnte, griff sie zum Telefon und wählte Peters Nummer. Nach dem vierten Klingeln meldete sich sein Anrufbeantworter. Carly war enttäuscht und zugleich auch erleichtert.
„Hallo, Peter. Hier spricht deine Nachbarin. Ich habe noch einmal über deinen Vorschlag nachgedacht, dich auf einige Feste zu begleiten. Ich denke, es wird mir Spaß machen. Wenn du noch interessiert bist, melde dich bitte.“
Sie legte eilig wieder auf. Karen blickte kurz auf, wandte sich aber gleich wieder ihren Rechenaufgaben zu.
Jetzt war es an Peter zu reagieren. Wenn er weiterhin an einem Kontakt mit ihr interessiert war, brauchte er nur ihren Anruf zu beantworten.
„Und was, wenn er nicht anruft?“, murmelte sie gedankenverloren.
Peter war offensichtlich nicht zu Hause. Vor ihrem inneren Augen tauchte die blonde Pamela auf, und Eifersucht wallte in ihr auf. Kein gutes Zeichen …
Es war ein Fehler gewesen, ihn anzurufen!
Mitten in ihre reuevollen Gedanken klingelte das Telefon. Carly zuckte zusammen, griff aber sofort nach dem Hörer.
Es war Peter. Seine dunkle, etwas raue Stimme ließ ihr Herz schneller schlagen. „Ich habe gerade deine Nachricht erhalten. Du bist also einverstanden?“
„Tag, Peter … ja“, antworte sie verwirrt. „Das heißt, wenn du keine Bedenken …“
„Nein, habe ich nicht“, unterbrach er sie. „Ich gehe diesen Samstag zu einem Bankett in das Smithsonian-Institute. Bist du an diesem Tag frei?“
„Ich denke, es lässt sich einrichten. Ich muss nur mit den Tanten absprechen, ob eine von ihnen zu Hause bei Karen bleiben kann.“
„Notfalls heuere ich für Karen einen Babysitter an. Mach dir darüber keine Gedanken. Und noch etwas. Geh gleich morgen in die Designerabteilung von Neimann Marcus, und frag nach Shelly. Sie wird dir helfen, ein angemessenes Outfit auszusuchen.“
„Meinst du nicht, dass ich das auch alleine kann?“
„Ich denke, es ist besser, du befolgst meinen Rat. Es ist eine hochoffizielle Veranstaltung mit prominenten Gästen. Also frage nach Shelly.“ Sein Ton war strikt und befehlsgewohnt.
„In Ordnung. Ich füge mich – dieses Mal“, sagte sie mit einem Unterton, der zeigen sollte, dass er ihr keine Befehle zu erteilen hatte.
„Dann sind wir uns einig“, nickte Peter befriedigt. „Ich hole dich gegen acht Uhr ab. Bis dann.“ Ohne ein weiteres Wort legte er auf.
„Wer war das, Mummy?“, fragte Karen, die neben dem Schreibtisch stand.
Voller Liebe streckte Carly ihre Arme nach ihrer Tochter aus und zog sie auf ihren Schoß. „Das war Mr Cade, unser Nachbar, mein Liebling.“
„Er mag uns nicht sehr, glaube ich.“
Carly blickte ihre Tochter überrascht an. „Wie kommst du darauf?“
„Er hat nicht gelächelt“, erklärte Karen.
Auf diese Antwort war Carly nicht vorbereitet. „Nicht gelächelt?“
„Du weißt schon, Mom.“ Karen verzog den Mund zu einem breiten Lächeln.
„Nur weil er nicht gelächelt hat, glaubst du, er mag uns nicht?“ Carly drückte die Kleine fest an sich. „Nun, wenn das so ist, dann müssen wir ihn eben dazu bringen, zu lächeln. Wollen wir es versuchen?“
Karen kuschelte sich an Carly. „Ja.“
„Gut, Kleines.“ Sie küsste ihre Tochter auf die Stirn. „Und nun ab ins Bett. Ich komme gleich nach und erzähle dir eine Geschichte.“
Verwundert und leicht amüsiert betrachtete Carly sich in ihrem großen Schlafzimmerspiegel. Karen lag auf ihrem Bett, die geliebte Katze im Arm, und blickte staunend ihre Mutter an. Carly sah aus wie eine Märchenprinzessin, da waren sie sich einig.
Carly hatte sich ein blaues Seidenkleid ausgesucht, das ihr fantastisch stand. Der weiche Ausschnitt umspielte verführerisch den Ansatz ihrer Brüste, und die Farbe unterstrich den Pfirsichton ihrer Haut. Als sie es mit Shelly ausgewählt hatte, war ihr klar gewesen, dass es ein sehr raffiniertes Modell war, doch sie hatte nicht geahnt, dass es in seiner schlichten Eleganz gleichzeitig so aufreizend wirkte.
Was würde Peter sagen, wenn er sie so sah? Würde sie ihm gefallen? Oder würde er sie zu sirenenhaft gekleidet finden? Würde er sein Geld zurückverlangen – und sie erst gar nicht mitnehmen wollen?
Es klingelte an der Haustür.
Es war zu spät! Sie konnte nichts mehr ändern.
Sie gab Karen einen Kuss und ermahnte sie, nicht zu spät einzuschlafen. Dann stimmte sie leise summend den Triumphmarsch aus „Aida“ an und schritt erhobenen Hauptes – und innerlich zitternd – die Treppe hinunter.
Peter unterhielt sich in der Eingangshalle mit den Tanten. In seinem maßgeschneiderten Smoking sah er aus, als wäre er gerade einem Hochglanzmagazin für Herrenmode entstiegen, und das weiße Hemd unterstrich seinen dunklen Teint und die markanten Gesichtszüge.
Carlys Finger umklammerten das Geländer wie ein Schiffbrüchiger, der sich an einem Rettungsring festhält. Als Peter sie kommen hörte, wandte er den Kopf – und schien jeden Zentimeter ihrer Erscheinung in sich aufzunehmen. Sein Blick ließ sie nicht mehr los, und auf einmal wurde ihr ganz heiß.
Er kam ihr entgegen und breitete die Arme aus. „Du siehst hinreißend aus. Elegant – und doch die Verführung in Person.“
Sie errötete. „Danke für das Kompliment, Sir. Ich kann es Ihnen nur zurückgeben.“
Nora kicherte und zog ihre Schwester zur Küche. „Genieße den Abend, meine Liebe. Ich bin sicher, Peter wird gut auf dich aufpassen.“
„Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen und werde mich der Ehre würdig erweisen“, erwiderte er galant.
„Nun mach dich bei ihnen nur nicht beliebt nach der Masche ‚Mann spielt den großen Beschützer‘. Dir glauben sie doch glatt alles“, raunte Carly ihm zu.
„Das war durchaus ernst gemeint. Oder bin ich etwa nicht heute Abend dein Beschützer?“
„Wenn das so ist, dann solltest du wohl eher den schwarzen Gürtel der Karatekämpfer tragen statt eines roten Kummerbundes. Aber ich muss sagen, du siehst umwerfend aus.“
Peter lachte und hauchte einen Kuss auf ihre Lippen. Es war, als ob Hochspannungsfunken knisterten und Carlys Haut erhitzten. Zu gern hätte sie den Kuss vertieft.
„Wofür war das?“, fragte sie, als er ihr das bodenlange Cape um die Schultern legte.
„Ich habe lediglich die Chance wahrgenommen, meine verführerische Nachbarin zu küssen. Bisher hatte ich noch nicht oft Gelegenheit dazu.“
Sie lachte und versuchte, selbstsicherer zu erscheinen, als sie sich fühlte. „Das muss an meinem Kleid liegen. Mein Typ wirkt doch sonst eher abschreckend auf bestimmte Männer.“
Peter öffnete die Tür und führte sie zu einer Limousine, vor der ein Chauffeur auf sie wartete. „Warum?“
„Weil ich in gewisser Weise ein Hausmütterchen bin. Eine Frau, die sich im Grunde ihres Herzens einen Mann und Kinder wünschte.“
Sie glitt auf den Rücksitz der Limousine und ließ sich in die weichen Polster sinken. Nachdem auch Peter eingestiegen war, schloss der Fahrer die Türen und setzte sich ans Steuer. Die vorderen Sitze waren von dem hinteren Teil der Limousine durch eine gläserne Trennwand getrennt.
„Willst du damit andeuten, dass du mir am Ende des heutigen Abends einen Antrag machst?“, fragte Peter.
„Ich wollte damit sagen, dass wir beide nie mehr als Freunde sein können, weil wir unterschiedliche Dinge von unserem Leben erwarten.“ Sie ärgerte sich, dass sie so steif und geziert klang, doch sie konnte es nicht ändern.
„Oh, Lady, ich bin überzeugt, in einigen Wünschen und Erwartungen stimmen wir mehr überein, als du zugeben willst“, entgegnete er ruhig.
Da hat er recht, dachte Carly. Es war besser, schnellstens das Thema zu wechseln. „Warum fahren wir in einer Limousine mit einem Chauffeur?“
„Wenn ich alleine bin, fahre ich im Allgemeinen mit einem Taxifahrer, den ich kenne, und lasse ihn später über Funk rufen. An einem Abend wie heute, mit einer so schönen Frau, gönne ich mir aber den Luxus einer Leihlimousine.“
„Aha“, murmelte Carly und blickte aus dem Fenster.
„Du lebst ja noch nicht lange in dieser Region. Warst du schon einmal im Smithsonian?“
„Ich kenne das Museum. Was ist der Anlass dieses Balls?“
„Ein Scheich aus einer nordafrikanischen Dynastie will mit dem Erlös dieser Benefizgala Waisenkinder in seiner Region unterstützen.“
„Und du unterstützt ihn? Du arbeitest doch selbst für eine Organisation, die auf Spenden angewiesen ist.“
„Nun, mein Erscheinen unterstreicht seine honorigen Absichten. Und zu meinem Vorteil ist, dass ich dort Leute treffe, die ich auch für Castaways erwärmen kann.“
Das erinnerte Carly an den wahren Grund ihrer Verabredung. Peter brauchte eine Begleiterin, die keine Ansprüche an ihn stellte und sich auch alleine unterhalten konnte, während er seine Kontakte pflegte.
Die Unterhaltung wandte sich allgemeinen Dingen zu, und gleich darauf fuhren sie auch schon vor dem Smithsonian-Insitute vor. Fotografen, Kameraleute, Reporter und Sicherheitsbeamte drängten sich auf den Stufen zum Haupteingang. Blitzlichter flammten auf, als Carly aus dem Wagen stieg und sich bei Peter einhakte.
„Knips dein strahlendstes Lächeln an, und halte es fest. Wir haben es gleich geschafft“, flüsterte er ihr aufmunternd zu.
„Die meisten wissen doch gar nicht, wer wir sind, oder?“, fragte Carly atemlos.
„Sie haben keinen Schimmer“, murmelte er und schenkte einer Kamera zu seiner Linken ein letztes dynamisches Siegerlächeln.
In der Eingangshalle wurden sie von livrierten Dienern empfangen. Sie nahmen ihnen die Mäntel ab und boten ihnen auf silbernen Tabletts Getränke an. Carly fühlte sich wie geblendet von den glitzernden Lüstern und dem Gefunkel der Juwelen. Zu ihrer Erleichterung stellte sie allerdings fest, dass sie nicht der einzige Gast war, der sich beeindruckt umschaute.
„Das ist die Raumfahrtkapsel.“ Peter deutete mit seinem Glas an die Decke. „Beten wir, dass sie nicht herunterfällt. Die wichtigsten und reichsten Leute Washingtons haben sich heute Abend hier versammelt.“
In einer Gruppe, der wie selbstverständlich Platz gemacht wurde, entdeckte Carly den neuen Vizepräsidenten und seine Ehefrau. Sie blickte Peter an: „Das ist doch …?“
„Die Frau des Vizepräsidenten?“, führte er ihren Satz zu Ende. Sie würde eine außergewöhnliche First Lady abgeben.“
„Wir haben bereits eine.“
„Warte die nächsten Wahlen ab“, prophezeite er und führte sie in den Saal der prominenten Ehrengäste. „Ich sollte sie dir vorstellen, solange sie in dieser Position noch zugänglich ist.“
Und genau das tat er. Carly war aufgeregt wie ein kleines Kind. Doch Peters Gelassenheit half ihr über ihre Unsicherheit hinweg, und so schaffte sie es, einige Worte mit dem Vizepräsidenten und seiner Frau zu wechseln.
Während des Dinners unterhielt sich Peter angeregt mit den anderen Gästen an ihrem Tisch, die er zum Teil zumindest flüchtig kannte. Obwohl er sie gewarnt hatte, er könne sich nur wenig um sie kümmern, bezog er sie geschickt in die Gespräche mit ein, sodass sie sich keine Minute ausgeschlossen fühlte.
Nach dem fast zweistündigen Dinner spielte eine Band zum Tanzen auf. Peter zögerte nicht und führte Carly gleich zum ersten Tanz aufs Parkett. Obwohl sie sich mehrmals streng ermahnte, genoss sie es, in seinen Armen zu liegen, sich an ihn zu schmiegen und seinen Körper zu spüren.
„Verdammt, verdammt“, murmelte sie leise.
„Das hast du auch bei unserem allerersten Tanz neulich gesagt.“
„Ich weiß“, sagte sie – und schob dann alle Vorbehalte beiseite. Warum sollte sie sich Gedanken machen? Es war ein herrlicher Abend. Sie war dumm, wenn sie ihn nicht in vollen Zügen auskostete. Was immer er ihr noch bringen mochte …