6. KAPITEL

Als Carly die Augen öffnete, brauchte sie einen Augenblick, bis ihr wieder einfiel, wo sie war. Sie lag in Peters Armen in seinem Bett, seine Hand umfasste ihre Brust.

Wie, um Himmels willen, war sie in diese Situation geraten?

Sie zwang sich, ehrlich zu sein. Sie war nicht verführt worden, sondern hatte sich mit klarem Kopf in ein Liebesabenteuer mit Peter gestürzt. Sie hätte weglaufen sollen, von Anfang an, so schnell sie konnte. Stattdessen hatte sie ihn gleich bei ihrer ersten Begegnung mehr oder weniger direkt dazu aufgefordert, sie zu küssen.

Sie blickte hinüber zur Uhr auf dem Nachttisch. Drei Stunden war sie jetzt bei Peter. Es wurde höchste Zeit, nach Hause zu gehen.

Vorsichtig löste sie sich aus seiner Umarmung und sammelte ihre Kleidungsstücke auf. Sie machte sich nicht die Mühe, in den Bodystocking zu steigen, und streifte nur ihr Kleid über. Ihr Cape lag unten in der Halle, und wenn sie durch das Wäldchen lief, waren es nur wenige Minuten bis nach Hause.

Peter seufzte im Schlaf, und Carly verharrte in ihrer Bewegung. Leise trat sie ans Fenster und spähte hinaus. Die Limousine stand noch immer in der Seiteneinfahrt. Jack, der Fahrer, las eine Zeitung.

Auf Zehenspitzen schlich sie aus dem Schlafzimmer und eilte die Treppe hinunter. Mit einer äußeren Gelassenheit, die sie wahrlich nicht empfand, ging sie zur Limousine und stieg ein.

„Können Sie mich bitte nach Hause fahren?“

Jack legte die Zeitung auf den Beifahrersitz. „Sofort, Ma’am.“

Im Wagen war es warm, und nach nicht einmal fünf Minuten hielten sie schon vor der Villa ihrer Tanten. In einer Wahnsinnsnacht wie dieser sind die Errungenschaften der Zivilisation – und des Reichtums – einfach unbezahlbar, dachte Carly.

Sie seufzte erleichtert, als sie unbehelligt nach oben gehen konnte, denn sie hatte keine Lust, ihren Tanten vom Fest zu berichten.

Kaum hatte sie im Wohnzimmer das Licht eingeschaltet, klingelte das Telefon.

„Hallo“, flüsterte sie.

„Du hast nicht einmal Auf Wiedersehen gesagt“, sagte Peter vorwurfsvoll.

Als sie seine dunkle Stimme hörte, durchströmte es sie heiß. Wie lieb von ihm, sie anzurufen! „Du hast geschlafen.“

„Ich wollte dich die ganze Nacht bei mir behalten.“ Peter klang wie ein enttäuschter kleiner Junge.

„Ich habe eine Tochter, die gewohnt ist, morgens von ihrer Mutter geweckt zu werden.“

„Sie soll also nicht merken, dass du erst ganz spät nach Hause gekommen bist?“

„Genau.“

„Heuchlerin.“

„Aber gewiss doch“, bestätigte sie prompt.

Er schwieg einen Moment. „Ich hatte gehofft, du würdest bleiben – wenigstens bis zum Morgengrauen oder zum Frühstück.“

„Ich konnte nicht. Das musst du doch verstehen.“ Ihre Finger schlossen sich fester um den Telefonhörer. „Übrigens, ich habe deinem Fahrer gesagt, dass er nach Hause fahren könne.“

„Das war rücksichtsvoll von dir. Doch er hätte auch bis zum Morgen gewartet. Er wird nach Stunden bezahlt, und jede Stunde mehr bessert sein Einkommen auf.“ Bevor sie dazu einen Kommentar abgeben konnte, fuhr Peter fort: „Wann sehe ich dich wieder?“ Wieder klang er wie ein kleiner Junge.

Sie presste ihrer Fingerspitzen gegen ihre Stirn. Die Entwicklung ihrer Beziehung zu Peter bereitete ihr im wahrsten Sinne des Wortes Kopfschmerzen. „Ich kann im Augenblick nicht klar denken, Peter. Lass uns in den nächsten Tagen telefonieren, bitte.“

„Weise mich nicht ab, Carly. Selbst wenn du es wolltest, du kannst nicht so tun, als wäre nichts geschehen. Wir haben uns geliebt, oder genauer, wir waren im Bett miteinander, und nun bist du erschüttert über dich und willst davonlaufen.“

Insgeheim musste sie ihm zustimmen. Doch das brauchte er nicht zu wissen. „Oh, wirklich? Wieso glaubst du, mich so gut zu kennen, Dr. Freud?“

„Ich kenne dich noch nicht gut, Carly. Doch ich denke, aus deinen bisherigen Reaktionen kann ich diese Schlussfolgerung ziehen“, antwortete er. „Doch wenn ich ehrlich bin … über meine Gefühle kann ich im Moment wenig sagen.“

„Und da willst du über meine Gefühle Bescheid wissen? „Carly war betroffen. Sie wusste, sie flüsterte, und doch hatte sie das Gefühl, sie hätte geschrien.

„Irgendwie ist es verquer, das gebe ich zu.“ Er seufzte. „Es ist immer leichter, andere Menschen zu analysieren als sich selbst.“

„Sieh mal an. Und warum kannst du deine Gefühle nicht analysieren?“

„Du hast sie durcheinandergebracht“, gestand er.

„Wieso das? Du wolltest eine Art geschäftsmäßige Beziehung“, erinnerte sie ihn.

„Dazu ist es zu spät. Das weißt du auch. Es scheint, wir sind in Phase zwei unserer Beziehung getreten, ob wir es wollten oder nicht.“

„Und was bedeutet Phase zwei?“

„Mehr als eine geschäftsmäßige Beziehung.“

„Und wohin führt uns Phase zwei?“, fragte sie zuckersüß. „Doch ganz bestimmt nicht dahin, dass du auch meine Tochter als Teil von mir akzeptierst?“

„Du weißt, warum … Aber es führen viele Wege nach Rom.“

„Wirklich? Nenn mir ein Beispiel“, forderte sie ihn auf.

„Wir können ein Paar ohne Trauschein sein. Ein sehr glückliches Paar …“ Sein Angebot war verführerisch wie Honig für einen hungrigen Bären. „Wenn es dir und deinen Tanten angenehmer ist, würde ich dir in der Nachbarschaft ein Haus mieten und eine Haushälterin anstellen, die sich auch um deine Tochter kümmert.“

Sein Vorschlag verletzte sie zutiefst. Doch sie wusste, er wollte sie nicht kränken oder gar demütigen. Im Gegenteil. Er wollte ihr nur seine Bereitschaft zeigen, ihr entgegenzukommen.

Trotzdem musste sie ihm sagen, wie degradierend sie sein Angebot fand. „Damit ich jederzeit abrufbereit für dich bin – wie eine Mätresse oder eine Art Lieblingsfrau in einem Harem.“

„Das sind altmodische Worte und Einstellungen“, entgegnete er vorsichtig. Offenbar ahnte er, dass er sich in eine Falle manövriert hatte.

„Aber es trifft den Punkt.“ Sie versuchte, ihren Humor wiederzufinden. „Sagt dir die Formulierung ‚eine ausgehaltene Frau‘ mehr zu?“

„Du bist ungerecht“, erwiderte er ruhig. „Nur weil es mir finanziell gut geht, kommst du mir mit solchen Spitzfindigkeiten. Das siehst du nicht richtig.“

„Wirklich? Wie soll ich es denn dann verstehen, Peter?“

„Du bist verärgert, weil ich so direkt und ehrlich war.“

Sie umklammerte den Hörer so fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. „Ja, weil du mir verdammt wehgetan hast. Du behauptest, mich ein wenig zu kennen – und dann machst du mir einen solchen Vorschlag!“

„Carly, bitte … ich …“

„Nein, nicht“, unterbrach sie ihn. „Ich habe schreckliche Kopfschmerzen. Im Moment habe ich keine Kraft mehr für solche Diskussionen.“

„Carly, wir müssen darüber sprechen. Wir müssen uns doch verstehen!“

Sie massierte ihre pochenden Schläfen und wünschte, sie könnte schlafen, anstatt mit dem Mann zu streiten, in dessen Bett sie noch vor einer halben Stunde gelegen hatte. „Peter, du hast mir in jeder Form deutlich zu verstehen gegeben, dass du keine Bindung willst. Diese Regel hast du dir auferlegt. Und du glaubst nun, dass ich mit deinen Spielregeln einverstanden bin. Aber nein, so ist es nicht.“

„Heißt das, dass wir uns nicht wiedersehen? Willst du mich am Montag nicht begleiten?“

Sie lachte trocken. „Du machst wohl Witze?“

„Keineswegs. Sieh mal, Carly, was heute Abend geschehen ist, war nicht geplant. Gut, ich wollte von Anfang an mit dir schlafen, wie du weißt. Aber ich hatte für heute Abend keine Verführung geplant. Ich bin kein solches Ungeheuer, wie du denkst, Carly. Und wenn du Verantwortung oder Schuld verteilen willst …“ – er hatte hart und akzentuiert gesprochen und senkte jetzt die Stimme – „… dann übernehme ich nur die eine Hälfte. Die andere trägst du.“

Carly lehnte sich zurück. „Da hast du recht, das will ich nicht bestreiten. Du hast deine Regeln klargemacht – und ich habe mitgespielt.“

„Dann lass es uns noch einmal miteinander versuchen. Wir müssen uns noch einmal treffen und sehen, ob wir wenigstens unsere Freundschaft erhalten können.“

Seine letzten Worte rührten sie. „Einmal noch“, stimmte sie zu. „Wenn wir es dann nicht in den Griff bekommen, lassen wir es, ohne einander böse zu sein.“

„Gut. Ich rufe dich im Lauf des Tages an und bespreche alles Weitere mit dir.“

„Gute Nacht, Peter“, sagte Carly leise und legte auf.

Mit geschlossenen Augen lehnte sie sich wieder zurück und versuchte, ihre wirren Gedanken zu ordnen. Sie hatte sich in einen Mann verliebt, der seine Gefühle unter Kontrolle behalten wollte. Es war selbstverständlich nicht nur sein gutes Aussehen, das sie anzog. Schließlich war er nicht der einzige attraktive Mann, den sie kannte. Es war auch nicht sein außergewöhnlicher Humor und sein Charme, der sie zum Nachgeben verleitet hatte. Und sein Geld und seine gesellschaftliche Position waren zwar interessant, aber in gewisser Weise auch irritierend. Nein, was sie viel mehr faszinierte, waren seinen Stärken und Schwächen und die Erfahrungen, die ihn geformt hatten.

Seufzend stand Carly auf und ging ins Badezimmer. Sie zog ihr Kleid aus, schminkte sich ab und schlüpfte in ein weites Baumwoll-T-Shirt.

Karen lag zusammengerollt auf der einen Seite des breiten Bettes und rekelte sich wohlig, als sie im Schlaf spürte, dass ihre Mutter sich zu ihr legte.

Doch einschlafen konnte Carly nicht, dafür war zu viel geschehen in den letzten Stunden. Sosehr sie sich auch bemühte, sie konnte die Erinnerung an die Liebesstunden mit Peter nicht verdrängen. Sie konnte nicht so tun, als hätte es diesen atemberaubenden Rausch und dieses Glück nicht gegeben.

Sie konnte es nicht länger leugnen. Sie liebte diesen schwierigen Mann von ganzem Herzen.

Carlys Tage waren voll ausgefüllt in diesem November. Zur regulären Unterrichtsvorbereitung kam noch die Ausarbeitung der Testbögen für die in der Mitte des Semesters stattfindenden Klausuren. Außerdem unterstützte sie ihre Tanten in ihrem Engagement für Hilfsbedürftige.

Wenn irgend möglich, machte sie regelmäßig am späten Abend einen langen Spaziergang. Sie liebte den Weg am Wäldchen entlang und weiter aus dem Wohnbezirk hinaus in die unberührte Natur. Noch hatte es nicht geschneit, und sie genoss das Knistern des trockenen Laubes unter ihren Laufschuhen, während sie ihren Gedanken nachhing.

Karen war ebenso aktiv wie ihre Mutter. Sie hatte ihre Geigenstunden, ging zu ihren Pfadfindern und plante immer neue Aktivitäten mit ihren Freunden. Wenn möglich, aßen Carly und Karen gemeinsam mit den Tanten zu Abend. Danach zogen sie sich in den oberen Teil des Hauses zurück. Sie unterhielten sich über die großen und kleinen Tagesereignisse, dann lernte Karen, wie üblich ausgestreckt auf dem Fußboden, noch in ihren Büchern oder durfte fernsehen, während Carly an ihrem Schreibtisch saß.

Ihre Tanten waren wie jeden Herbst und Winter vollauf. Sie unterstützten die unterschiedlichsten Gruppen, die gerade in den Wintermonaten die letzte Rettung waren für Obdachlose, Arme und Kranke. Sie sammelten Spenden und organisierten Hilfen für den Ausbau von Notunterkünften. Vor allem mobilisierten sie auch andere ältere Menschen und rissen damit so manchen aus seiner Lethargie. Hin und wieder baten sie auch Carly um Unterstützung. Zum Beispiel, als Fahrer einzuspringen für die Lieferung von warmen Mahlzeiten für bettlägerige Menschen ohne hilfreiche Verwandte oder Nachbarn. Auf einige dieser Touren hatte Carly auch Karen mitgenommen. Sie sollte wissen, dass es nicht allen Menschen so gut ging wie denen in ihrem Wohnviertel.

Ihre kleine Karen! Sie war der Mittelpunkt ihres Lebens. Jedes zweite Wochenende holten Ken und seine Frau sie am Samstagmorgen ab und behielten sie bis zum Sonntagabend bei sich zu Hause. Carly hatte sich daran gewöhnt wie an ein Ritual. Doch die Stunden ohne Karen konnte sie nie als entspannte Freizeit genießen. Das Haus war auf andere Weise leer, als wenn Karen bei ihren Freunden oder den Pfadfindern war.

Carly hätte zufrieden sein können mit ihrem Leben, wäre da nicht Peter Cade gewesen. Unzählige Male ertappte sie sich dabei, dass sie vor sich hin starrte und von ihm träumte. Nach ihrer Liebesnacht waren sie inzwischen dreimal wieder ausgegangen. Nicht nur beim ersten Mal hatte sie sich befangen und unwohl gefühlt. Immer wieder musste sie an ihre begehrlichen Umarmungen denken, an ihre zärtlichen Gesten und Worte, an das Rauschen ihres Blutes …

Mit viel Energie gelang es ihr schließlich, diese Erinnerungen ein wenig in den Hintergrund zu drängen. Dennoch wachte sie oft nachts auf und wusste, sie hatte wieder einmal von Peter geträumt.

So durfte es nicht weitergehen! Carly wiederholte diesen Satz und wirbelte bei jedem Wort energisch das Laub vor ihren Füßen auf.

In der Ferne schimmerte eine Straßenlaterne. Noch eine Biegung, dann führte der Weg auf die bewohnten Straßen des Viertels zurück.

Als Carly näher an die Straßenlaterne herankam, entdeckte sie eine dunkle Gestalt. Ein Mann mit einer Baseballkappe lehnte am Laternenpfahl. Was wollte er da? Die Bushaltestelle und die Telefonzelle waren ein ganzes Stück entfernt.

Zögernd ging sie weiter. Wie dumm, dass sie nur ihre Schlüssel und kein Gas- oder Pfefferspray mitgenommen hatte. Sie war keine ängstliche Person. Aber heutzutage waren Spaziergänge zu dieser späten Stunde in einer so einsamen Gegend nicht ungefährlich. Ihre Finger umfassten die Schlüssel, die sie notfalls als Waffe einsetzen konnte, und sie bemühte sich um einen festen Schritt, der ihre aufkeimende Angst verbergen sollte.

Da hob der Mann unter der Laterne wie zum Gruß einen Arm. „Kommen Sie ruhig näher, schöne Frau!“, rief er. „Wir haben den gleichen Weg.“

Sie atmete auf. Es war Peter. Er trug Sportsachen und darüber eine weiche gesteppte Jacke. Es war die Baseballkappe, die ihn aus der Entfernung so fremd hatte erscheinen lassen.

„Was machst du denn hier, Peter?“

„Ich habe dich einige Male spätabends gehen sehen. Vom Auto aus, auf dem Heimweg. Ich habe gehofft, dich auch heute hier anzutreffen.“ Gemeinsam gingen sie weiter. „Du solltest dir nicht so einsame Wege aussuchen. Das ist gefährlich.“

„Bitte, nicht“, bat Carly und lachte. „Ich brauche keinen Vortrag.“

„Entschuldigung.“ Er blickte sie kurz an. „Diese Angewohnheit habe ich wohl noch aus der Zeit als überfürsorglicher Vater.“

„Diesen Beschützerreflex kenne ich. Nur möchte ich es nicht sein, die sich entsprechende Vorträge anhören muss.“

„Ich habe mir wirklich Sorgen um dich gemacht.“

Ein Hoffnungsfunke glomm in ihr auf – und erlosch gleich wieder. Sich um jemanden zu sorgen bedeutete nicht, dass man ihn auch liebte. „Ganz allgemein oder um spezielle Dinge?“

„Spiel nicht die Naive, Carly. Das passt nicht zu dir.“

„Ich spiele nicht, Peter. Ich will nur deine Worte nicht deuten müssen und überlegen, was dahinterstecken könnte. Wenn du mir etwas mitzuteilen hast, musst du es mir schon klar und deutlich sagen.“

Er seufzte. „Ich will niemals wieder heiraten. Ich will keine zweite Familie, keinen Ersatz für alles, was ich verloren habe.“

Seine Worte taten ihr weh, sie spürte den Schmerz fast körperlich. „Ich erinnere mich nicht, dich um etwas Derartiges gebeten zu haben.“

„Stimmt. Aber du denkst in diese Richtung. Um dir am Ende nicht wehzutun, muss ich dir wiederholen, dass meine Einstellung sich nicht geändert hat und sich nicht ändern wird.“

Sie zwang sich zu einem gleichmütigen Tonfall. „Pass auf, Peter, sonst könnte man noch auf die Idee kommen, du denkst zu viel über uns nach.“

Wieder seufzte er. „Das ist genau das, was ich dir gerade gesagt habe.“

Carly blieb stehen und sah ihn forschend an. „Worüber genau machst du dir Sorgen?“

„Um dich“, antwortete er fest und ohne zu zögern.

Sie nickte und nahm ihren Schritt wieder auf. „In Ordnung. Nun sollte ich wohl Danke schön oder etwas Ähnliches sagen?“

„Nein“, erwiderte er. „Du solltest stehen bleiben und dich von mir küssen lassen.“

„Das kann ich nicht.“

„Warum nicht?“

„Weil ich mich nicht wieder auf verbotenes Terrain begeben will“, erklärte sie. „Wir waren uns einig, dass es eine einmalige Sache bleiben soll.“

Er verstellte ihr den Weg und schob sanft ihren Kopf nach hinten. „Das stimmt nicht. Du hast das beschlossen. Ich habe es mir nur angehört.“ Er senkte die Stimme. „Ich will mich nicht länger von dir fernhalten müssen. Ich will nicht länger davon träumen, was wir hatten. Es war wunderschön, Carly, hörst du. Ich will es wieder.“

Bevor sie protestieren konnte, küsste er sie. Er umfasste ihre Taille und zog Carly an sich, drängend und fordernd. Sie fühlte seine Muskeln und reagierte wie betäubt. Begierde flackerte in ihr auf und ein köstliches Schwindelgefühl erfasste sie. Wie von selbst fuhren ihre Hände durch seine Haare, streichelten seinen Nacken …

Das war es, wovon sie geträumt hatte, dieser unerklärliche Magnetismus zwischen ihnen, der ihre Sinne weckte. Sie gehörte in seine Arme, brauchte seine Nähe.

Doch, nein, es durfte nicht sein!

Carly unterbrach den Kuss und blickte Peter an. „Nein. Wir dürfen es nicht.“

„Wir haben es aber gerade getan. Und ich will es noch einmal.“ Und wieder küsste er sie. Dieses Mal sanfter und jede Bewegung ihrer Lippen voll auskostend. Und wieder vertieften sie ihre Küsse, bebend vor Sehnsucht.

Dieses Mal war es Peter, der den Kuss beendete. Schwer atmend zog er ihren Kopf an seine Brust. „Lady, du bist wunderbar belebend.“

„Dann habe ich ja gute Arbeit geleistet“, stellte sie leichthin fest. Dieser bewusst lockere Ton half ihr, wenigstens ein bisschen Distanz zu bewahren. Wenn sie die Forsche, Selbstbewusste spielte, würde er vermutlich gar nicht merken, wie sehr sie ihn liebte.

„Komm morgen Abend zu mir“, drängte er.

„Weshalb?“

„Tu’s für mich … für uns.“ Er lächelte amüsiert. „Wir können uns einen Videofilm ansehen.“

Es kostete all ihre Kraft, ihr Nein aufrechtzuerhalten. „Tut mir leid. Keine privaten Verabredungen.“

„Wie wäre es dann mit einer Pyjamaparty?“

„Wir sollten dieses Thema fallen lassen, Peter“, antwortete sie und wunderte sich, wie sie so spröde und abweisend bleiben konnte, obwohl sie am liebsten mit Peter ins Laub gesunken wäre und ihrer Leidenschaft freien Lauf gelassen hätte. „Es wird Zeit für mich, nach Hause zu gehen.“

„Warum?“

„Du kennst die Gründe. Du willst dich nicht verlieben, und ich will Liebe und Partnerschaft. Du liebst nur deine beiden Kinder. Ich aber liebe Kinder. Ich habe bereits ein Kind, und ich will, wenn möglich, noch mehr Kinder. Du willst eine weltgewandte und in gewisser Weise auch anspruchsvolle Frau, die sich vor allem für deine Geschäfte und Interessen interessieren soll. Ich aber brauche einen Mann, der auch ein Familienleben führen will.“

„Du weist mich ab und alles, was ich für dich empfinde.“

„Das alles ist kein Ersatz für Liebe, Peter.“

„Nun gut, ich verstehe. Du bist nur zu einer Beziehung bereit, wenn alle deine Wünsche erfüllt werden. Ich bin dir entgegengekommen. Aber noch weiter kann ich nicht gehen. Ich will und ich kann es nicht.“

Ein unendlicher Kummer schnürte ihr die Kehle zu. Sie trat einen Schritt zurück. „Schon gut, Peter. Wir sehen uns.“ Sie wandte sich ab und eilte mit großen Schritten davon.

„Vergiss nicht, dass du mich verzaubert hast, Carly – oder soll ich sagen verhext?“, rief er ihr nach.

Sie ahnte, dass er stehen geblieben war und ihr nachblickte, doch sie ging eilig weiter.

„Sandra, ich will während der Weihnachtstage mit den Kindern zusammen sein. Entweder sie kommen hierher, oder ich fliege zu euch. Was ist dir lieber?“

„Peter, gerade an den Weihnachtstagen brauchen sie ihr gewohntes Familienleben“, wandte Sandra ein. „Cynthia wird auf einer Weihnachtsfeier zwei Stücke auf dem Klavier vortragen, und sie hat eine Rolle in einem Krippenspiel. Und Ian trainiert jeden Tag für ein wichtiges Baseballspiel.“

„Das sind doch nur vorgeschobene Gründe.“

„Peter, sie gehören hierher zu ihrem Freundeskreis. Du hast dich doch früher auch nicht pausenlos um die Kinder gekümmert und dich daran erinnert, dass du eine Familie hast. Wie oft kamen wir erst an zweiter Stelle – nach den Hilfsbedürftigen von Castaways.“ Sandra klang bitter. „Wieso das plötzliche Interesse an den Kindern?“

„Was ist dir lieber? Soll ich kommen oder kommen die Kinder zu mir?“ Er blieb hart und ignorierte die Wahrheit in ihren letzten Worten.

„Auch Troy sagt …“, begann sie.

„Zur Hölle mit Troy. Er ist nicht der Vater meiner Kinder. Das wusste er, als ihr euch noch während unserer Ehe hinter meinem Rücken amüsiert habt. Das wusste er, als er dich geheiratet hat.“

„Peter …“

„Ich habe Besuchsrechte, Sandra. Oder soll ich vor Gericht gehen, weil du sie mir verweigerst? Du weißt, wie viel Ärger ich dir machen kann.“

Sandra seufzte. „Gut, Peter. Du kannst Weihnachten mit den Kindern verbringen. Aber bitte hier in Kalifornien, damit sie auch ihre Freunde treffen können.“

„Danke für deine Einsicht, Sandra. Das ist eine wunderbare Geste von dir.“ Sein Dank war voller Sarkasmus, und innerlich triumphierte er. „Ich wünsche dir eine schöne Vorweihnachtszeit. Sobald ich den Flug gebucht habe, rufe ich dich an. Bitte grüß die Kinder von mir.“

Zufrieden mit sich und seiner Taktik legte Peter den Hörer auf. Er hatte sich durchgesetzt. Doch von einer Sekunde zur anderen erlosch dieses erhebende Gefühl. Eine Welle von Einsamkeit und Trauer überflutete ihn.