9. KAPITEL

Carly wartete ungeduldig darauf, dass Peter die Tür öffnete. Sie war eine halbe Stunde später als geplant losgekommen. Nachdem sie Karen ins Bett gebracht hatte, war sie noch für einen Moment zu ihren Tanten gegangen. Die beiden hatten so viel zu erzählen, sie mochte sie nicht herzlos unterbrechen und verschwinden. Da Peter wusste, dass sie kommen würde, hatte sie in ihrer Eile nicht mehr angerufen und war einfach durch den Wald zu seinem Haus gelaufen.

Ganz außer Atem klingelte sie an der Tür. Endlich schwang die Tür auf und Peter stand im dunklen Türrahmen.

Er trug eine lässige, aber gut sitzende Jogginghose und hatte ein Handtuch um seinen nackten Oberkörper geschlungen. Sie streckte ihre Arme nach ihm aus und ließ die Hände über seinen Brustkorb gleiten. Und wäre er der Teufel in Person, seine männliche Ausstrahlung war so verführerisch, sie wäre ihm in die Hölle gefolgt …

Doch er rührte sich nicht und gab die Tür nicht frei, sondern musterte Carly hochmütig.

Sie atmete tief durch und hob den Kopf. „Wenn ich dich störe, gehe ich wieder. Sag’s nur.“

Er rührte sich noch immer nicht. „Du bist spät dran.“

Sein schroffer Ton empörte sie. Sie richtete sich kerzengerade auf. „Bin ich nicht. Ich habe nicht Punkt zehn Uhr gesagt.“ Sie versuchte, in seinem Gesicht zu lesen. „Aber wenn du schlechter Laune bist, gehe ich besser wieder.“

„Nein, warte.“ Er fasste sie am Arm, bevor sie sich abwenden konnte. „Ich bin ein verdammter Idiot.“ Seine Stimme war plötzlich weich. „Es ist nur … Ich habe auf dich gewartet. Und als du nicht angerufen hast und es immer später wurde, habe ich befürchtet, du würdest gar nicht mehr kommen.“

Sie entspannte sich und versuchte, ihr Gleichgewicht wiederzufinden. „Hier bin ich. Lässt du mich endlich herein, oder soll ich erst die Tannen vor deinem Haus weihnachtlich schmücken?“

„Ich mache mir nichts aus dieser Weihnachtsduselei.“ Er trat beiseite und lächelte tatsächlich verlegen. „Ich dachte, du wüsstest, meine Tür ist immer für dich offen.“

Mit aller Würde, die sie aufbringen konnte, schritt sie über die Schwelle. „So? Ich habe die freundliche Einladung vermisst.“ Sie ging ihm voraus in Richtung Küche und wartete, bis er ihr folgte. „Warum lehnst du die Weihnachtszeit so sehr ab?“

„Es ist eine lausige Zeit. Als ich die Kinder hatte, war es natürlich anders.“ Seine Stimme klang beherrscht. „Jeder tut so, als sei er glücklich und zufrieden und habe eine Familie, auf die er stolz ist. An Weihnachten gibt es plötzlich keine Alkoholiker mehr, keine Drogenabhängigen, keine brutalen Ehemänner oder Kinderschänder. Jeder verleugnet die Kriege in der Welt und baut sich stattdessen seine eigene kleine Illusionswelt auf. Die Wahrheit aber ist, dass sehr viele Menschen arm dran sind und dass die Weihnachtszeit ihnen das besonders deutlich macht.“

Carly zog die Stirn kraus. Sie war ungehalten und traurig über das, was er sagte. „Die Weihnachtszeit kann durchaus erfreulich, ja geradezu von magischem Zauber sein, besonders wenn du Freunde hast, die diese Gefühle mit dir teilen und die es gut mit dir meinen.“

Peters abschätzender Blick sagte ihr, dass er sie für reichlich naiv hielt. „Ich verrate dir kein Geheimnis, wenn ich dich daran erinnere, dass die Selbstmordrate in dieser Zeit besonders hoch ist. Spöttisch fügte er hinzu: „Allein dieses eine Beispiel sagt wohl schon alles über die diese angeblich wunderbare Zeit. Purer kommerzieller Bluff, das Ganze.“

Sie begann, den Grund für seine unglückliche Stimmung zu ahnen. „Deine Kinder kommen Weihnachten nicht zu dir, nicht wahr?“, fragte sie behutsam.

„Du sagst es.“ Er atmete angespannt. „Und da sie nicht hier sind, und ich sie nun auch nicht einmal besuchen kann, lohnt es nicht, all diesen Schmuckkrempel herauszuholen und das Haus zu dekorieren.“

„Du solltest daran denken, dass deine Kinder spüren, wie du über Weihnachten denkst. Sie brauchen gerade in diesen Tagen Wärme und Geborgenheit Sie brauchen das Wissen, dass es den Menschen, die sie lieben, gut geht.“

Peter wandte sich mit einem Schulterzucken ab. „Mein Wohlbefinden scheint ihnen gleichgültig zu sein.“

Er schaltete das Licht an, und sie konnte sein Gesicht deutlich sehen. Und sie erschrak. Er wirkte erschöpft und zutiefst getroffen.

Sie wollte ihm helfen, mit der Enttäuschung fertig zu werden. Doch sie wusste nicht, wie sie das anfangen sollte.

„Peter?“

Er drehte sich um und kam zu ihr und blieb vor ihr stehen. Sekundenlang fürchtete Carly, dass er nicht näher kommen würde. Doch er nahm sie in seine Arme, so vorsichtig und sanft, als wäre sie ein zerbrechliches Stück Porzellan. Er legte seinen Kopf auf ihre Schulter und seufzte tief.

Sie fühlte die Anspannung in seinen Muskeln und begann, sanft seinen Rücken, seine Schultern und Arme zu streicheln. „Es kommt alles in Ordnung“, murmelte sie an seinem Ohr. „Deine Kinder lieben dich.“ Sie streichelte ihn und redete beruhigend auf ihn ein wie auf ein kleines Kind.

Nach einer Weile spürte sie, wie seine Anspannung nachließ.

„Ich hatte befürchtet, nach alledem kommst du auch nicht“, sagte er mit einem Seufzer und hob den Kopf.

Es war eine Ausrede. In Wahrheit hatte ihm die Ankündigung, dass er die Kinder nicht sehen könne, so zugesetzt. Doch darüber wollte er nicht wieder sprechen.

„Ist es wirklich das, was dich so belastet?“

„Nein.“ Er löste sich von ihr, rieb seinen Nacken und machte ein paar ziellose Schritte. „Es war außerdem eine anstrengende Woche.“

Sie musste sich zusammennehmen, ihn nicht weiter zu bedrängen. Sie wollte wissen, warum er seine Kinder nun doch nicht sehen konnte, aber er musste von sich aus darauf zu sprechen kommen. „Gibt es etwas, was ich tun kann?“

„Ja.“ Er spuckte das Wort förmlich aus.

Sie wartete, dass er fortfuhr. Doch als er schwieg, musste sie wieder fragen. „Und was kann ich tun?“

„Bleib hier, und liebe mich.“

Das brauchte er ihr nicht erst zu sagen. Sie sehnte sich nach ihm und wäre am liebsten quer durch das Zimmer zu ihm geeilt. Doch sie verharrte. „Jetzt. Einfach so?“

Sein Blick hielt sie fest. „Wann du willst. Jetzt, später. Hauptsache, ich kann dich in meinen Armen halten.“

„Soll das ein Test sein?“

„Wieso?“

„Du stehst drei Meter von mir entfernt und sprichst von Sex. Willst du prüfen, wie ich darauf reagiere?“

„Nein. Ich will dir nur nicht nahekommen – falls du nicht willst. Wenn ich dich einmal anfasse, lasse ich dich nicht wieder los.“

Sie frage sich nicht, ob er sie speziell oder nur einfach Sex wollte. Es war eine unwirkliche Situation, und sie wollte sie nicht mit plötzlichen Zweifeln belasten. Wichtig war, sie waren beieinander und sie wollten einander. Nur das zählte. „Ich kann darin nichts Falsches entdecken“, sagte sie.

Er kam langsam auf sie zu, und sie hielt den Atem an. Er bewegte sich wie ein geschmeidiges Raubtier, und sie war die Beute. Doch als er sie an sich zog, ahnte sie, dass er ihre Zuneigung und Liebe mehr als alles andere brauchte.

Sie küssten sich heiß und begehrlich. Das Spiel seiner Zunge war eine quälend-süße Tortur und weckte in Carly einen unbändigen Drang nach Erfüllung. Es war, als versinke sie in einen Wirbel wunderbar erregender Gefühle, und sie klammerte sich Halt suchend an Peter.

„Komm“, flüsterte er rau. Er zog sie ins Wohnzimmer zu einer weichen Couch und streifte ihr den Pullover über den Kopf. Während er schmetterlingszarte Küsse auf ihren Hals hauchte, umfasste er ihre Brüste und ließ seine Finger um die fast schmerzhaft erregten Knospen kreisen. Dann rutschte er ein wenig tiefer und liebkoste ihre Brüste so wild mit Lippen und Zunge, dass Carly in Flammen zu stehen glaubte. Sie erbebte, wollte endlich eins mit ihm werden.

Mit geschickten Handgriffen half er ihr, sich aus der Jeans zu winden, und streifte eilig seine Jogginghose ab. „Sag’s mir“, forderte er und beugte sich über sie, „sag mir, dass du mich brauchst.“

Sie streckte ihm ihre geöffneten Arme entgegen. „Ich brauche dich. Jetzt“, flüsterte sie.“

Wieder küsste er sie, noch betörender, noch mitreißender als vorhin, und dann kam er ganz zu ihr – hart, heiß, erregt. Sie genoss es, ihn zu umschließen, und passte sich willig seinen schnellen, fordernden Bewegungen an, die ihre Lust in schwindelerregende Höhen trieben, bis sie gemeinsam einen ekstatischen Höhepunkt erlebten.

Sie liebte Peter so sehr. Ihr rannen plötzlich Tränen über die Wangen.

„Tue ich dir weh?“

Sie öffnete ihre Augen und lächelte ihn an. „Nein.“ Es war eine Lüge. Die Angst, dass er ihre Liebe vielleicht nie erwidern würde, war wie ein drohender Schatten, der selbst in den glücklichsten Momenten nie von ihr wich.

Mit den Fingerspitzen wischte er die salzigen Tropfen von ihren Wangen. „Warum dann die Tränen?“

Sie konnte ihm nicht die Wahrheit sagen. „Ich weiß es auch nicht genau. Vielleicht ein unendliches Glücksgefühl.“

Eine tiefe Traurigkeit verdüsterte für einen Moment seine Augen. Er wollte sich abwenden, und nur Carlys schnelle Umarmung hinderte ihn daran. „Bleib noch bei mir, bitte.“

Er zog sie streichelnd, aber kopfschüttelnd wieder an sich.

Sie liebten sich noch einmal, dieses Mal ganz sanft und langsam. Sie entdeckten, wie wundervoll es war, sich gegenseitig ohne Hast zu verwöhnen und immer wieder neue Nuancen des Liebesspiels zu erfinden.

Wohlig erschöpft genossen sie dann das Abebben der Leidenschaft. Nachdem sie eine Weile still nebeneinander geruht hatten, wandte Carly den Kopf und küsste zart Peters Schläfen.

Er setzte sich auf und blickte sie an, seine Augen wirkten dunkel und warnend. „Nicht, Carly. Ich habe dich gewarnt.“

Sie verstand ihn nicht und sah ihn fragend an.

„Du darfst dich nicht in mich verlieben, Carly. Es wird dir nur Kummer bereiten.“

Ärgerlich erkannte sie, wie leicht er sie durchschaute. Das durfte nicht sein. Sie durfte sich keine Blöße geben. Sie musste, wenn sie diese Affäre überstehen wollte, ihr Gesicht wahren. Sie gab ihm einen kleinen Klaps auf die Schulter, damit er sie aufstehen ließ. „Ich mag sentimental, sein Peter. Aber ich bin nicht verrückt.“

Peter stand ebenfalls auf und half ihr, ihre achtlos verstreuten Sachen aufzusammeln. Er reichte ihr die Jeans. „Ich wollte dich nur daran erinnern“, sagte er, irritiert über ihren eiligen Aufbruch.

„Wieso glaubst du, dass ich mich ernsthaft in dich verlieben könnte? Wahre Liebe ist doch nicht die Basis unserer Beziehung.“

Er murmelte etwas, was sie nicht verstand. Sie wollte es auch gar nicht hören. Sie blickte auf ihre Uhr.

„Ich muss mich beeilen und versuchen, noch ein paar Stunden zu schlafen. Ich habe morgen einen ausgefüllten Tag“, erklärte sie betont locker. „Wir telefonieren wieder, ja?“

Er nickte und blickte sie wachsam und abwägend an. „Die Benefizveranstaltung im Kennedy-Center ist am Samstag nach Thanksgiving. Du denkst daran, ja?“

„Ich denke daran“. Sie blickte sich kurz um, ob nach Sachen von ihr liegen geblieben waren. „Bis bald dann.“

„Du willst wirklich schon gehen?“

„Ich war lange genug hier“, sagte sie und wünschte, sie wäre endlich allein und könnte ihren Tränen freien Lauf lassen.

„Morgen ist Sonntag“, erinnerte er sie.

„Ich habe zu tun. Und ich habe Karen versprochen, mit ihr Geige zu üben. Sie nimmt nächste Woche an einem Wettbewerb teil und hofft darauf, in den nächsten Sommerferien an einem kostenlosen Lehrgang teilnehmen zu dürfen.“

„Carly“, sagte Peter bittend. Doch sie wollte nichts hören.

„Wenn du Thanksgiving nichts Besseres vorhast, kannst du dich uns anschließen. Meine Tanten und ich helfen bei einem Wohltätigkeitsessen im Obdachlosenasyl in der 12. Straße.“

„Carly“, sagte Peter wieder.

„Bis später dann.“ Sie ließ sich durch nichts aufhalten. Ohne sich noch einmal umzudrehen, eilte sie durch die Küche und zum Seitenausgang hinaus in die Nacht.

Zu Hause angekommen, ging sie zu ihrer Tochter ins Zimmer und lauschte einen Moment auf ihren ruhigen Atem. Dann ging sie in ihr Wohnarbeitszimmer und blickte aus dem Fenster zum dunklen Wald.

Jetzt brauchte sie ihre Tränen nicht länger zurückhalten. Wie dumm von ihr, sich in einen Mann wie Peter zu verlieben, in einen Mann, der von Liebe nichts wissen wollte. Aber sie konnte nun einmal nicht anders.

Carlys Thanksgiving-Tag begann früh und anders als in der Mehrzahl der amerikanischen Haushalte. Sie fuhr eine noch schläfrige Karen zu Ken, der sich schon auf ihren Besuch freute. Mit im Auto saßen ihre Tanten, kaum wiederzuerkennen in Jeans und karierten Flanellhemden. Nachdem sie Karen in Kens Obhut gegeben hatten, fuhr sie mit ihnen zum Obdachlosenasyl, wo reichlich Arbeit auf sie wartete.

Carlys erste Tätigkeit bestand darin, einen Zentner Kartoffeln zu schälen. Ihre zweite Aufgabe war, die gekochten Kartoffeln zu einem Brei zu stampfen.

„Ich habe gedacht, die öffentlichen Küchen verwenden Instantpulver für ihren Kartoffelbrei“, stöhnte sie nach ihrem dritten Topf.

Sie blickte auf die große Wanduhr im Saal. Seit sechs Uhr waren sie und ihre Tanten hier. Jetzt war es halb elf. Von halb zwölf bis nachmittags um vier sollten die Essen ausgegeben werden.

Je länger und härter Carly arbeitete, desto dankbarer wurde sie, dass sie einen Arbeitsplatz hatte und eine Familie und Freunde, die in der Not helfen konnten. Die Menschen, die hier auf das Essen warteten, besaßen oft nicht einmal das Notwendigste zum Überleben.

Ein Tag wie dieser rückte so manche oberflächliche Nörgelei über das Leben wieder ins rechte Licht.

Carly erledigte die ihr aufgetragenen Arbeiten ruhig und gleichmäßig. Ihre Gedanken sprangen hierhin und dahin – und immer wieder zu Peter. Sie wusste, er war heute zu einem aufwendigen Dinner eingeladen, er hatte sie gebeten ihn zu begleiten. Doch sie wollte ihr Versprechen, mit den Tanten hier auszuhelfen, nicht brechen. War Peter allein gegangen oder hatte er eine andere Frau eingeladen? Eine seiner vielen Bekannten oder eine spezielle Freundin?

Verdammter Peter Cade!

Am kommenden Sonnabend wollten sie ins Kennedy-Center gehen. Sie hatte bereits ein Kleid für diesen Anlass ausgesucht. Ein schlicht geschnittenes, knöchellanges Kleid aus elfenbeinfarbener Seide. Obwohl oder gerade weil es eine Schulter freiließ, sah es edel und klassisch aus. So hoffte sie jedenfalls.

Diese Verabredung würde so etwas wie ein Abschied sein. Sie hatte beschlossen, sich danach nicht mehr mit Peter zu verabreden. Es ging über ihre Kräfte.

Mochte er sich auch ihr gegenüber öffnen und seine Verbitterung vergessen, er würde Karen nie die Liebe entgegenbringen, die das Kind brauchte. Deshalb war es besser, die Beziehung zu ihm abzubrechen.

Der hauptsächliche Grund aber war, dass sie Peter mehr liebte als er sie. Eine solche Beziehung konnte einfach nicht gut gehen …

Am Nachmittag, als sie sich gerade wieder einmal ihren Entschluss bestätigte, kam Peter zur Tür herein. Er trug edle Designerjeans und ein ebenso edles Hemd und kam schnurstracks auf sie zu.

„Ein frohes Thanksgiving-Fest, Carly.“

„Was machst du denn hier?“

„Ich habe dich gesucht und wollte helfen. Ich habe meinen Gastgebern schon vor Tagen gesagt, dass ich nur kurz vorbeikomme. Und als ich aufbrach, haben sich einige Bekannte von mir angeschlossen. Sie stehen vorne im Eingang und haben schon gehört, dass sie hier in der Küche am dringendsten gebraucht werden.“

Carly blickte sich um. Vor und neben ihr türmten sich Berge von schmutzigen Töpfen, Pfannen und Geschirr. Es war die undankbarste Aufgabe, die ihr im Moment einfiel. Sie nickte den erschöpften Mitarbeiterinnen an den Spülbecken zu und strahlte Peter an: „Wie wär’s mit Abwaschen, Peter. Hier in der Küche könnt ihr uns mit frischen Kräften wirklich entlasten.“

Wenn sie gehofft hatte, Peter damit zu schocken, hatte sie sich geirrt. „Genau das, worauf ich gewartet habe, Lady.“ Er winkte seinen Freunden zu und binnen weniger Minuten machten sie sich eifrig an die Arbeit, als hätten sie nie etwas anderes getan.

Carly konnte ihre Verwunderung kaum verbergen. Kaum hatte sie sich dazu durchgerungen, die Affäre mit Peter zu beenden, zeigte er sich von einer neuen, überraschenden Seite – die ihn durchaus nicht unsympathischer machte. Wie sollte das alles nur enden?

Am ersten Samstag im Dezember, dem Tag der Gala im Kennedy-Center, war Carly gerade mit dem Ankleiden fertig, als die Limousine in die Einfahrt zum Haus ihrer Tanten rollte. Die Tanten zupften noch einmal an ihr herum, damit die zum Kleid passende cremefarbene Pelzstola, die Cora extra für sie aus ihrem Schrank geholt hatte, ja nur im richtigen Schwung über die Schultern fiel. Als sie zum Wagen hinausging, eilten sie mit Karen zum Fenster und beobachteten, wie sie einstieg.

Peter war im Büro aufgehalten worden. Er wollte sich in seinem darüber liegenden Apartment umziehen und hatte Carly gebeten, sich dort mit ihm zu treffen.

Die Gala war das Ereignis der Saison. Carly konnte noch immer nicht fassen, dass sie zu den Auserwählten gehörte, die daran teilnehmen durften.

Als die Limousine losfuhr, drehte Carly sich noch einmal um und winkte Karen und den Tanten zu. Dann lehnte sie sich zurück, entspannte sich und lauschte der sanften Musik. Ihr Blick fiel auf die kleine Bar. Eine Flasche ihres Lieblingsweins stand mit gezogenem Korken im Kühlfach, sie musste sich nur noch ihr Glas füllen. Dieses Leben war zu schön, um wahr zu sein. Sie fühlte sich wie Cinderella, wie eine Märchenprinzessin. „Aber eine Prinzessin ohne den Märchenprinzen“, mahnte eine kleine innere Stimme. Wie recht sie hatte!

Als Carly bei Peter eintraf, war er gerade mit dem Duschen fertig und wartete auf seine Abendkleidung, die Carly ihm in einem kleinen Koffer mitgebracht hatte. Er gab seiner Sekretärin in einem der unteren Stockwerke per Sprechanlage noch einige Anweisungen und war in wenigen Minuten fertig angezogen.

„Dein Leben scheint sich wirklich nur um deine Arbeit zu drehen“, meinte Carly nachdenklich.

„Sobald ich aus der Tür bin, höre ich auf zu arbeiten.“

„Das bezweifle ich. Ich denke fast, privat würdest du nie auf diese Bälle und Bankette gehen. Für dich ist das Arbeit.“

„Stimmt. Dass ich ein solcher Partylöwe bin, hat zwei Gründe. Einer ist für dieses Jahr, einer für das nächste Jahr.“

Sie lachte herzlich. „Wie ein Workaholic“, kommentierte sie. „Castaways kann sich glücklich schätzen, dich an seiner Spitze zu haben.“

„Was ich mache, mache ich mit vollem Einsatz. Aber ernsthaft. Ich brauche Geld für einen neuen Hilfsfonds. Ich will mehr jungen Menschen eine Berufsausbildung ermöglichen. Das ist schwieriger in die Tat umzusetzen, als Stipendien für ein College lockerzumachen. Aber das muss ich ändern.“ Er runzelte die Stirn. „Viele Menschen spenden nur für Dinge, die beeindruckend klingen und mit denen sie angeben können. Sie vergessen dabei die wahren Bedürfnisse der Menschen, die sich aus ihrer Misere herausarbeiten wollen.“

„Du wirst es ihnen zeigen. Du schaffst es, auch wenn es schwer wird“, bestärkte Carly ihn. Sie wollte ihm nicht schmeicheln, sie war ehrlich überzeugt davon.

„Danke für den Zuspruch.“ Er blickte sich noch einmal prüfend im Spiegel an. „Wir können gehen.“

Ihre Limousine reihte sich in die wartende Autoschlange zur Centereinfahrt ein. Die Schaulustigen und die vielen Reporterteams wurden von roten Absperrseilen, uniformierten Wächtern und Bodyguards zurückgehalten.

Als Peter ihr aus der Limousine geholfen hatte, strahlte er in die Kameras und behielt dieses strahlende Siegerlächeln bei, bis sie die Eingangshalle erreichten. Carly hatte inzwischen gelernt, dass es Teil des von der Öffentlichkeit erwarteten Auftritts war. Und auf die öffentliche gute Meinung waren Peter und Castaways nun einmal angewiesen.

Sie wurden zu einem der Ehrentische im Zentrum geführt. Nach einigen Minuten entschuldigte Peter sich und verschwand in der Menge. Er musste seine Kontakte pflegen, das wusste sie. Doch warum machte er sich so auffallend rar? Einige Male hätte er sie als Begleiterin doch mitnehmen können.

Fast den ganzen Abend über unterhielt Carly sich mit fremden Menschen. Sie tanzte und lächelte, und hörte wohl mehr als ein Dutzend unterschiedliche Kommentare über den ach so wundervollen Weihnachtsbaum. Sie fühlte sich innerlich zerrissen. Die eine Hälfte lachte und tanzte und sprach mit den fremden Menschen, die andere Hälfte hielt unentwegt nach Peter Ausschau.

Einige Male hatte sie das Gefühl, er würde absichtlich ihre Nähe meiden. Sie konnte sich nicht erklären, warum das so war.

Sie bemerkte aber, dass sich eine bestimmte Frau immer in seiner Nähe aufhielt. Anfangs hielt Carly es für einen Zufall, dass die Blondine immer in der Gruppe um Peter war. Doch langsam dämmerte ihr, dass es Absicht war. Peter widmete ihr keine besondere Aufmerksamkeit, aber ihre beständige Aufmerksamkeit schien ihm zu gefallen und zu schmeicheln. Carly fühlte Eifersucht in sich aufsteigen, doch sie ermahnte sich, sich den Abend nicht verderben zu lassen. Sie würde schon herausfinden, wer die Blondine war – später am Abend, wenn sie allein mit Peter war, würde sie ihn nach ihr fragen.

Es war ein gelungener Ball. Die Band war ausgezeichnet, die Sänger gehörten zu den besten der Welt, und die Tanzshows hatten internationale Klasse. Für Carly hatte alles nur einen kleinen Makel: Ihre Gedanken waren zu oft bei Peter – der nicht an ihrer Seite war.

Am Ende des Abends, als Peter ihr vorschlug aufzubrechen, war sie glücklich erschöpft. Peter bestellte ihre Limousine, die binnen weniger Minuten vor das Portal rollte.

Es war ein Genuss, in die weichen Polster der Limousine zu sinken. Peter war an ihrer Seite – und nicht weit entfernt in einem anderen Saal. Der Abend war vorüber und sie brauchte sich keine Gedanken mehr um die blonde Frau zu machen. Heute Nacht würde Peter nicht mit ihr zusammen sein.

Aber wie würde es morgen oder übermorgen sein?

„Wer war die schöne Blonde?“, platzte Carly heraus, entgegen allen ihren Vorsätzen, geschickt vorzugehen.

„Angela?“ Er wusste sofort, von wem sie sprach. „Sie ist eine gute Freundin.“ Er löste seine Krawatte und schob sie in die Tasche.

„Hast du mit ihr eine Affäre?“

Peter blickte sie verdutzt an. „Was soll diese Frage?“

Carly ärgerte sich, dass sie dieses Thema überhaupt angeschnitten hatte. Sie quälte sich selbst mit Dingen, die sie nicht beeinflussen konnte. Sie war doch sonst nicht so selbstzerstörerisch. „Damit beantwortest du meine Frage.“

„Nur insofern, dass Angela mir einmal etwas näherstand, vor langer Zeit. Ich habe mich schon eine ganze Weile nicht mehr mit ihr verabredet.“

Sie fühlte sich miserabel. Eine schwere Last schien sie niederzudrücken. Doch sie konnte nicht aufhören. „Aber du verabredest dich mit anderen Frauen.“

Er blickte auf seiner Seite hinaus aus dem Fenster auf die vorübergleitenden Lichter. „Gelegentlich, ja.“

„Wir hatten ein Abkommen.“

„Du hast gesagt, keine andere Frau in meinem Bett. Daran habe ich mich gehalten. Bis jetzt jedenfalls.“

Die letzten Worte trafen sie wie ein Schwerthieb. Ihr Herz war eine blutende Wunde. Doch sie blickte Peter weiterhin an. „Wenn ich dich heute nicht hätte begleiten können, wäre Angela mein Ersatz gewesen?“

„Nein“. Er wandte sich ihr zu und blickte sie steinern an. „Du warst ihr Ersatz.“

Diese Antwort hatte sie nicht erwartet. Sie wollte so vieles sagen, und konnte es nun nicht mehr. Sie blinzelte, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken, und blickte verkrampft auf ihrer Seite aus dem Fenster.

„Bitte, sag dem Fahrer, dass er mich direkt nach Hause fahren soll.“

„Du bleibst nicht bei mir?“

„Nein.“

„Auch nicht für einen Moment?“

„Nein.“

„Das bedeutet, dass du genug von mir hast. Soll das heißen, dass ich zur Hölle gehen soll?“

Sie hatte sich selbst das Versprechen gegeben, an diesem Abend die intime Beziehung zu ihm abzubrechen. Doch sie war nicht fähig, diesen Entschluss in Worte zu fassen. Dazu fehlte ihr die Kraft. „Nein“, sagte sie, „zur Hölle nicht.“

Peter starrte hinaus in die Dunkelheit. „Was bedeutet es dann, Carly?“ Seine Stimme klang angespannt und gestresst. „Willst du mir den Schwarzen Peter zuschieben? Soll ich derjenige sein, der es ausspricht? Nun, ich werde dir die Sache erleichtern und es sagen: Es ist aus zwischen uns.“

„Ist es das, was du willst? Du willst, dass ich dich aufgebe.“

Peter fuhr sich mit der Hand durch die Haare. „Verdammt, Carly, Ich will dich. Aber ich werde unsere Beziehung nicht vertiefen. Ich will nicht noch mehr Gefühle in unsere Beziehung investieren. Ich habe auch keine Gefühle, die tiefer gehen.“ Wie ausgelaugt lehnte er sich zurück. „Aber bitte glaube mir. Ich will dir nicht wehtun. Im Gegenteil.“

„Wie freundlich und rücksichtsvoll du bist“, sagte sie ironisch. Sie versuchte, ihren Schmerz zu verbergen. Alle ihre Hoffnungen und Träume fielen auseinander. Es war ausgesprochen worden. Ihre Beziehung war beendet.

Sie musste ihre letzte Chance nutzen, ihm die Wahrheit zu sagen. Wenn er es jetzt nicht erfuhr, dann niemals. „Ich bin beeindruckt von deiner direkten Art. Ich denke, ich sollte es ebenso machen.“ Sie atmete tief durch. „Zuallererst solltest du wissen, dass ich dich liebe. Ja, ich liebe dich aus tiefstem Herzen.“

Sie spürte, wie Peter sich abwehrend versteifte. Entschlossen fuhr sie fort:

„Ich liebe dich so sehr, dass ich hingenommen habe, dass du meine Tochter ignorierst. Ja, ich habe sogar Entschuldigungen für dich gefunden. Doch ich kann es nicht länger, Peter. Karen ist mein Kind. Sie gehört zu mir. Und ich beschütze die Menschen, die mir nahestehen.“

Er wandte sich vom Fenster ab und sah sie an. Sein Blick wirkte düster, leer. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Sie hob ihr Kinn.

„Ich habe dir gegenüber viel Verständnis gezeigt. Eben weil ich dich liebe. Ich habe einen großen Vorrat an Liebe in mir. Doch ich bin nicht allein. Jede Brüskierung meiner Tochter trifft und verletzt auch mich. Ich konnte eine Weile dagegen ankämpfen. Aber ich bin kein Masochist, Peter.“

„So also geht es mit uns beiden zu Ende. Mitten in der Vorweihnachtszeit. Ich wusste doch, warum ich diese Weihnachtszeit so hasse.“

Es war ein Kommentar, doch sie beantwortete ihn wie eine Frage. „Ja, so endet es. Ich habe mich schon oft gefragt, wie es sein würde. Eine Weile habe ich gehofft, du würdest deine unterdrückten oder verdrängten Gefühle wiederentdecken. Wenn du es getan hättest, hätten wir vielleicht eine Chance gehabt. Wir hätten ein gemeinsames Leben aufbauen können, voller Liebe und Verständnis füreinander.“

„Du sprichst von den Träumen der Narren. Die Realität bringt jede Menge Probleme, und die sind hässlich.“

Carly blickte auf ihre ineinander gekrallten Finger in ihrem Schoß. Sie waren fast so weiß wie ihr Kleid. „Wenn du das glaubst, ist es aus deiner Sicht wahr. Zeit meines Lebens habe ich mir meine eigene Realität geschaffen, Peter, und ich bin auch jetzt nicht bereit, das zu ändern. Ich arbeite beständig an einer mir persönlich bestmöglich glücklichen Welt. Vielleicht finde ich jemanden, der sie mit mir teilen will. Jemand, der bereit ist, mir ebenso viel Liebe zu geben wie ich ihm.“

„Du jagst einem Traum nach, Carly. Im Leben gibt es keine Märchen mit einem dauerhaften Happy End. Am Ende wirst du nur verletzt werden.“

Sie nickte. „Vielleicht mag es so kommen. Aber wenn ich kein Risiko eingehe, kann ich auch keinen Erfolg haben. Dein Problem ist, dass du den Fehlschlag einkalkulierst, bevor du überhaupt angefangen hast. Das könnte man als eine Art Feigheit bezeichnen. Du willst nicht lieben, weder mich noch eine andere Frau, weil du Angst hast, du könntest verletzt werden.“

„Ich kann deine Analyse nicht akzeptieren. Ich kenne eine ganze Reihe bester Psychologen, und sie haben mir noch nie so etwas gesagt. Wieso glaubst du, so klar erkennen zu können, wie die Dinge bei mir liegen?“

„Weil ich dich liebe.“

„Das habe ich schon einmal gehört.“

Sie nickte. „Da bin ich sicher. Andere mögen dich lieben, wenn du sie gestylt auf Bälle führst. Ich aber liebe dich in Sportkleidung. Andere mögen dich ob deiner Freundlichkeit und Großzügigkeit lieben. Ich liebe dich auch, wenn du ärgerlich und ungerecht bist.“

Peter schwieg, und die Stille lastete im Wagen und war geladen mit elektrischen Funken, die jederzeit eine Explosion auslösen konnten.

Die Limousine fuhr vom Freeway hinunter und bog in die kleineren Seitenstraßen ab. Sie waren nur noch wenige Straßenzüge von ihrem Wohnviertel entfernt. Peter beugte sich vor, drückte einen Knopf und sprach durch das Mikrofon mit dem Chauffeur. „Fahren Sie bitte zuerst zum Haus von Mrs Michaels, Jack.“

Der Fahrer blickte in den Rückspiegel und nickte. „Yes, Sir.“

Wieder Schweigen. Carly saß ganz still da und war überzeugt, das Richtige getan zu haben.

Der Wagen rollte in ihre Straße und zur Einfahrt des Hauses. Peter blickte angestrengt aus dem Fenster und rührte sich nicht. Nach kurzem Zögern stieg der Fahrer aus und kam zu ihrer Tür. Doch er wartete mit dem Öffnen, als ahnte er, dass noch nicht alles gesagt worden war.

Carly entschied, sie musste Peter noch einmal deutlich machen, dass er geliebt wurde.

„Wenn du nicht bei mir bist, vermisse ich dich. Obwohl ich ahne, dass es nicht dazu kommen wird – rufe mich an, wenn du deine Einstellung geändert hast. Sie legte die Hand auf seinen Arm, „Und denk daran, was ich dir gesagt habe. Ich liebe dich. Es war deine Entscheidung, die Beziehung nicht zu vertiefen.“

Er blickte auf ihre Hand und dann in ihr Gesicht. „Kommt jetzt die tränenreiche Szene?“

„Nein. Denn ich verstehe, warum wir beide keine Chance haben. Ich bin verrückt nach einem Mann, der die Vergangenheit nicht ruhen lassen kann, der sich nicht am Hier und Jetzt freuen kann und der auch keine Zukunft aufbauen will. Das also ist das Ende unserer … unserer …“

„Beziehung? Affäre?“ Sein schneidender Ton ließ sie bis in die Zehenspitzen hinein frösteln.

„Unseres Arrangements“, verbesserte sie ihn. „Anders können wir es kaum nennen, oder?“

„Und ich bin jetzt der große böse Wolf, obwohl ich dir von vornherein gesagt habe, dass ich dir nur eine Affäre bieten kann? Oder soll ich mich schuldig fühlen, weil es dir nicht gelungen ist, meine Einstellung zu ändern?“

Carlys Schultern sackten herunter. „Keineswegs. Ich bin dir nicht böse. Es ist nicht dein Fehler, dass ich tat, was ich tat. Doch ich bitte dich noch um einen kleinen Gefallen.“

„Frag nur. Ich kann jederzeit Nein sagen.“

Sie atmete tief ein. „Ich würde es begrüßen, wenn du mich weiterhin respektvoll wie einen Freund oder Bekannten behandelst. Wenn wir uns künftig irgendwo treffen sollten, würde ich mich freuen, wenn du mich begrüßt und mich fragst, wie es mir geht.“

Er hob ungläubig die Brauen. „Willst du dich selbst quälen?“

„Nein. Aber McLean ist eine kleine Stadt. Es ist möglich, dass wir uns über den Weg laufen. Lass uns bitte so aufhören, wie wir angefangen haben– mit gegenseitigem Respekt und einer gewissen Zuneigung.“

Er war noch immer ungläubig. „Das reicht dir?“

„Ich habe dich gemocht, bevor ich anfing, dich zu lieben, Peter. Ich empfinde durchaus Freundschaft für dich.“

Er hob seine Hand und zeichnete mit den Fingerspitzen ihre vollen Lippen nach. „Oh, verdammt, Lady, du schlägst sie alle. Du bist einmalig.“

Sie lächelte. „Ich weiß. Du bist derjenige, der nicht ahnt, was er aufgibt.“

„O doch, das weiß ich.“ Seine Stimme war so voller Trauer. Es brach ihr das Herz.

Sie suchte nach dem Türgriff. „Frohe Weihnachten, Peter, und alles Gute.“

Jack öffnete ihr die Tür.

„Du bist verrückt.“ Peters Stimme war rau und ärgerlich.

„Ja.“

„Ich werde dich niemals lieben.“

„Das glaube ich inzwischen auch.“

„Wo bleibt dein Ärger, deine Wut, deine Entrüstung über mich?“, forderte er sie heraus. „Du warst vorhin eifersüchtig. Was ist davon geblieben?“

„Das war Eifersucht, aber auch viel Stolz. Du hast mich wenig respektvoll behandelt und dich mehr mit der anderen Frau beschäftigt als mit mir.“

Peter stöhnte kaum hörbar auf. „Schon dafür solltest du mich hassen.“

„Du tust mir eher leid, Peter“, antwortete sie. „Mit den hohen Mauern, die du um dich aufgetürmt hast, wirst du nie erfahren, was Liebe ist. Wenn du das nicht änderst, steuerst du eine traurige und einsame Zukunft an.“

„Da sei nur nicht so sicher, Carly. Es gibt genug Frauen, die mit dem, was ich geben kann, durchaus glücklich sind.“

Carly beugte sich zu Peter hinüber und küsste ihn sanft auf die Schläfen. „Adieu, Peter. Ich wünsche dir Besseres als das.“

„Mach’s gut, Carly.“

Sie ließ sich von dem Fahrer aus dem Wagen helfen und ging die Stufen zur Haustür hinauf. Sie hörte, wie die Wagentür zufiel und der Fahrer den Motor startete und losfuhr. Sie drehte sich nicht um. Sie war mutig gewesen, doch sie wollte nicht noch Salz in ihre Wunden reiben.

Mit einer Ruhe, die sie nicht fühlte, ging Caryl durch die Eingangshalle und löschte das Licht. Dann schritt sie die Treppen hinauf und sah zu ihrer Tochter ins Zimmer. Karen schlief friedlich.

Als Carly unter ihre Bettdecke schlüpfte, lag sie ganz still und wartete unbewusst auf Tränen. Doch nichts, keine Tränen.

Vielleicht betrog sie sich selbst. Vielleicht fürchtete sie sich davor, die Realität anzuerkennen? Wie auch immer sie es wendete, es hatte keinen Sinn. Wenn Peter sein Leben nicht mit ihr teilen wollte, gab es keinen Weg, ihn zurückzugewinnen.

Sie musste ihre Liebe in ihrem Herzen bewahren. Sie musste diese wunderbare Liebe einmauern und behüten wie einen Schatz aus der Vergangenheit. Und sie musste ihr normales Leben wieder aufnehmen. Das war die einzige Möglichkeit, es zu über­stehen.