William Holman Hunt,
Der Schatten des Todes, 1870-1873.
Öl auf Leinwand, 281 x 248 cm.
Manchester Art Gallery, Manchester.
Ein weiterer Text aus dem Anfangsteil seiner Arbeit Über Wolkenschönheit:
Wir haben gesehen wie um die Zeit, da die Erde für den Menschen bewohnbar gemacht werden sollte, gleichsam als vermittelndes Zwischenglied zwischen ihm und ihrer Dunkelheit ein Schleier ausgebreitet wurde. In diesem Bindeglied waren die Stetigkeit und die Empfindungslosigkeit der Erde in verkleinertem Maße mit der Leidenschaft und Vergänglichkeit des Menschengeschlechts vereint.
Doch auch die Himmel mussten für den Wohnsitz des Menschen auf Erden erst vorbereitet werden. Zwischen ihrem brennenden Licht, der tiefen Leere ihrer Räume und dem Menschen – gleich wie zwischen der Erde eisernem, stoffschwerem Dunkel und dem Menschen – musste ein Schleier vermittelnden Seins gebreitet werden, der den unerträglichen Glanz auf das Maß menschlicher Schwachheit mildern und dem Gang der Gestirne wenigstens den Schein menschlicher Veränderlichkeit aufprägen sollte.
Zwischen Mensch und Erde keimte das Blatt. Zwischen Mensch und Himmel kam die Wolke. Denn des Menschen Sein gleicht halb dem fallenden Blatt und halb dem fliehenden Nebel.
(Auszug aus: John Ruskin, Moderne Malerei)
Dieser große Dichter und Künstler hat durch seine ausgezeichneten Schriften in England ein weites Interessengebiet geöffnet, indem er der „besseren“ Gesellschaft einen raffinierten Geschmack für die Natur in jeder ihrer Einzelheiten und in ihrer Größe oder Einfachheit lehrte. Wenn nichts mehr wächst, Bäume wie Pflanzen, übernehmen die grauen Flechten und die weichen Moose ihren Platz beim Grabstein. Die Blüten, die Wälder, die Giftgräser haben eine Zeit lang das ihre dazu beigetragen, aber Flechten und Moose leisten ihre Dienste für immer. Die Bäume sind für den Bauhof, Blumen für die Kammer der Braut, der Mais für den Getreidespeicher und das Moos für das Grab. Thomas H. S. Escott (1844-1924) schreibt in seinem bedeutenden Buch über England:
Wir haben dank Ruskin gelernt, das Herkömmliche durch die Ergebnisse dieses ehrfurchtsvollen Studiums der Natur, das der Autor von Moderne Malerei mehr als irgendein anderer lebender Mensch gefördert hat, zu ersetzen. Er ist es, der gelehrt hat, nicht nur die Natur zu lieben, sondern auch eine Welt der subtilen und unendlichen Schönheit in ihrem einfachsten, niedrigsten Aspekt zu entdecken, in genau dem Moos, das zu unseren Füßen wächst, und das, wie er uns so exquisit daran erinnert, mit seinem weichen Teppich die letzte irdische Ruhe deckt.
Diejenigen, die Ruskins Vorlesungen in Oxford gehört haben, denken mit Freude an die exquisite Schönheit der Erdbeerpflanzen – Blatt, Blüte, Frucht und Stiel – und werden diese nie wieder ansehen können, ohne sich an seine glühenden Worte zu erinnern, mit denen er sie gelehrt hatte, wie viel so oft übersehene Perfektion in den Linien und der Farbgebung steckt. Er hat uns nicht nur auf die mystische Schönheit des – vielleicht, weil er zu nah vor ihnen war – sogar von den großen südlichen Meistern der Malerei übersehenen Olivenbaums mit seinen dunklen Blättern, zarten Blüten und dunklen Früchten und auf unzählige andere Dinge auf der Erde, in der Luft und im Wasser aufmerksam gemacht.
Alle diese von Ruskin entwickelten Ansichten sind in den zehn Kapiteln seiner Ästhetik der Vegetation enthalten, in der mit einer sehr gründlichen Kenntnis der physiologischen pflanzlichen Wissenschaft die äußeren Formen der Pflanzen besprochen werden. In dieser Arbeit wird die nach einem ständigen Kampf mit den Wechselfällen der Zeit ihre äußeren Formen annehmende Pflanze im Licht einer mit Willen und Instinkt begabten Person betrachtet. Und so wie die von außen sichtbare Produktion weit davon entfernt ist, nur von außen zu wachsen, hat die gesamte Pflanze ihren Ursprung im Modell des inneren Lebens und ihrer Natur. Würde diese Methode für das Studium der Leidenschaften der Menschen angewandt werden, verstünden wir auch besser Shakespeares und Dickens’ wunderbare Einblicke in den menschlichen Charakter, sie entfalten das, was sie in ihren eigenen Seelen gefunden hatten.
Die vier Kapitel über Wolkenschönheit beschließen Ruskins Serie über Landschaftsstudien. Dann folgen allgemeine Regeln für die künstlerische Komposition, eine Philosophie über den einzuschlagenden Weg, um Schönheit, Erhabenheit und Perfektion zu erreichen. Dabei sind die Regeln der Schönheit im allgemeinen Sinne eigentlich in der Studie der Kunst inbegriffen. Das Volumen wird dann mit einigen markanten Vergleichen zwischen Künstlern aus verschiedenen Schulen beendet. Im Verlauf des gesamten Werks findet man dann die Anwendung der entwickelten Theorien. Ein solches System der Kritik weist sicherlich sowohl Neuheit als auch Originalität auf. Und so findet der Kunststudent bei Ruskin auch eine grundsätzliche moralische Erziehung. Ihm werden weder Formeln vorgesetzt noch auf Vorurteilen beruhende Ideale vorgeschrieben. Ruskins einzige Anweisungen sind: arbeiten, studieren und beobachten.
Außerdem hatte er eine Einstellung, die eine tiefe und gesunde Abscheu vor allem, was falsch ist, aufwies.