Kelly klopfte mit einem Kugelhammer gegen die untere Leiste des Fensters, um die verklebte Farbe abzulösen. Nachdem sie sich eine Weile daran zu schaffen gemacht hatte, legte sie den Hammer auf den Boden, zwängte die Hände beiderseits der Verriegelung unter die Leiste und versuchte das Fenster nach oben zu drücken. Als es nicht nachgeben wollte, fluchte sie, ließ sich auf einen Hocker fallen und überlegte, was ihr sonst für Möglichkeiten blieben. Eine Windbö fuhr gegen das Fenster, und die Scheiben klapperten. Die Bäume draußen im Garten neigten sich tief hinab. Sie befand sich in Lucas Haus an der West Shore Road in Great Neck, direkt hinter der Stadtgrenze auf Long Island. Die Zimmer hier glichen in nichts der beengten Wohnung in Hell’s Kitchen, in der sie aufgewachsen war, das jüngste Kind und einzige Mädchen unter drei Brüdern, und trotzdem musste sie an das Leben dort zurückdenken, wie sie ihre Brüder und ihre Eltern von vorne bis hinten hatte bedienen müssen, als wäre sie eine Sklavin, nur weil sie als Mädchen auf die Welt gekommen war. Die ganze Wohnung war ein heruntergekommenes Loch, und schuld daran war ihr widerlicher Vater, der sich immer in die Hose pisste, wenn er wieder mal zu viel gesoffen hatte, und einen entsetzlichen Gestank verbreitete, und viel besser war ihre Mutter auch nicht – die beiden passten gut zusammen. Wie sollte es ein Mädchen da nur ein bisschen nett haben. Und was war der Dank dafür, dass sie allen Frühstück, Mittagessen und Abendessen machte? Ihre Mutter verpasste ihr Ohrfeigen, und die Männer beschimpften sie unflätig, mit Ausnahme von Sean, und der war ein großes Kind. Als sie mit Luca anbandelte, dachte ihre Familie, sie wären sie los – sie warfen sie hinaus wie ein rothaariges Findelkind –, dabei war es umgekehrt, sie war froh, sie alle los zu sein. Ohne diese Familie würde sie es besser haben, schließlich sah sie gut genug aus, um zum Film zu gehen. Alle sagten das. In einem solchen stinkenden Loch wollte sie nie wieder wohnen, und dank Luca würde sie das auch nicht müssen, denn mit Luca Brasi konnte es niemand aufnehmen – und jetzt würde sie sein Kind bekommen, obwohl er davon noch immer nichts wusste. Luca konnte es zu etwas bringen, nur dass es sie manchmal halb in den Wahnsinn trieb, wie wenig ehrgeizig er war. Sie musste sich nur hier im Haus umschauen, alles fiel auseinander. Das machte sie richtig wütend.
Das Farmhaus war uralt. Es stammte mindestens aus dem letzten Jahrhundert. Die Zimmer waren groß, mit hohen Decken und Fenstern, und die Scheiben waren alle gewellt, als wären sie ein wenig geschmolzen. Wann immer sie hier war, musste sie sich ins Gedächtnis rufen, dass sie nur eine halbe Stunde brauchte, um in die Stadt zu fahren. Sie hatte das Gefühl, in einer völlig anderen Welt zu sein, mit dem ganzen Wald und den Kieswegen und dem einsamen Strand, der auf die Little Neck Bay hinausging. Hin und wieder spazierte sie zum Wasser hinunter, und wenn sie dann zurückschlenderte und das Farmhaus betrachtete, stellte sie sich vor, was man mit ein wenig Arbeit und Sorgfalt daraus machen könnte. Die Kieseinfahrt pflastern. Die weiße Farbe, die überall abblätterte, entfernen und die Schindelverkleidung hellblau streichen. Auch die Innenräume mussten dringend mal wieder gestrichen, die Böden neu versiegelt werden – dann wäre das ein entzückendes Haus, und Kelly stand oft am Ende der Einfahrt und stellte sich vor, wie es aussehen könnte.
Im Moment wollte sie jedoch nur ein Fenster öffnen und etwas frische Luft hereinlassen. Im Keller ächzte ein uralter Heizofen, der mit Kohle befeuert wurde. Die Heizkörper gluckerten und zischten, und wenn der Heizofen erst in Gang kam, erzitterte manchmal das ganze Haus, so sehr musste er sich anstrengen, es zu beheizen. Ihr wollte es einfach nicht gelingen, die Wärme zu regulieren – obwohl es draußen windig und kühl war, war es drinnen entweder drückend heiß oder eiskalt. Sie zupfte den Kragen ihres Morgenmantels zurecht, ging in die Küche und nahm ein Fleischermesser aus der Spüle. Damit würde sie es vielleicht schaffen, die Farbe wegzukratzen. Hinter ihr tappte Luca barfuß die Treppe herunter. Außer einer gestreiften Schlafanzughose hatte er nichts an. Seine kurzen, dunklen Haare klebten ihm an der rechten Seite seines Kopfes. Über Wange und Schläfe verliefen eine Reihe von Falten, wo er das Gesicht in das Kissen gedrückt hatte. »Du siehst komisch aus, Luca«, sagte Kelly.
Luca ließ sich auf einen Küchenstuhl fallen. »Was zum Teufel war das für ein Lärm? Ich dachte schon, da will jemand die Tür einschlagen.«
»Das war ich. Soll ich dir Frühstück machen?«
Luca ließ den Kopf mit einem Seufzer auf die Hände sinken und massierte sich die Schläfen. »Was gibt es denn?«, fragte er und starrte die Tischplatte an.
Kelly öffnete den Kühlschrank. »Wir haben Eier und Schinken. Magst du was?«
Luca nickte. »Was war das?«, wiederholte er seine Frage.
»Ich hab versucht, das Fenster aufzukriegen. Hier drin ist es so warm, dass ich nicht mehr schlafen konnte. Deshalb bin ich auch aufgestanden.«
»Wie viel Uhr ist es denn?«
»Ungefähr zehn.«
»Herr im Himmel. Ich hasse es, vor zwölf aufzustehen.«
»Weiß ich.« Kelly zuckte mit den Achseln. »Aber es war einfach zu warm.«
Luca musterte Kelly, als wollte er ihre Gedanken lesen. »Machst du Kaffee?«
»Klar, mein Schatz.« Kelly öffnete einen Schrank über der Spüle und nahm eine Tüte Eight-O’Clock-Kaffee heraus.
»Warum hast du nicht einfach das Schlafzimmerfenster aufgemacht? Das geht leicht.«
»Weil wir dann Zug gekriegt hätten. Ich dachte mir, wenn ich das hier unten aufmache, wird es im ganzen Haus ein bisschen kühler.«
Luca schaute hinter sich in das leere Zimmer, das sich an die Küche anschloss und wo ein Hocker neben dem Fenster stand, ein Hammer auf dem Boden daneben. Er ging hinüber und schlug mit dem Handballen ein paar Mal gegen den Fensterrahmen. Nachdem er sich kurz damit abgemüht hatte, glitt die Scheibe nach oben, und ein kalter Wind wirbelte an ihm vorbei in die Küche. Er schob das Fenster wieder nach unten, bis es nur noch einen Spalt offen stand. Als er zum Tisch zurückkam, lächelte Kelly ihn an.
»Was?«
»Nichts. Du bist einfach nur so stark.«
Luca nickte und sah sie lange an. Im Licht, das durch das Küchenfenster hereinfiel, war Kellys Haar besonders rot. Unter dem Morgenmantel war sie nackt, und in ihrem weiten Ausschnitt konnte er den Ansatz ihrer Brüste sehen. »Und du bist auch eine ziemlich kesse Biene.«
Kelly strahlte ihn an und schenkte ihm ein kokettes Lächeln, bevor sie zwei Eier in die Pfanne schlug und sie so, wie er es mochte, mit einer Scheibe Schinken verrührte. Als das Frühstück fertig war, tat sie es auf einen Teller und stellte es zusammen mit einem Glas frischem Orangensaft vor ihn auf den Tisch.
»Isst du nichts?«, fragte Luca.
»Ich hab keinen Hunger.« Kelly drehte die Gasflamme unter der Espressokanne hoch und wartete, bis die braune Flüssigkeit hochkochte.
»Du isst nicht genug. Wenn du so weitermachst, fällst du noch ganz vom Fleisch.«
»Luca.« Kelly wandte sich zu ihm um und lehnte sich gegen den Herd. »Ich hab nachgedacht.«
Luca brummte: »Oje«, und machte sich über sein Frühstück her.
»Hör mir einfach zu.« Sie fischte ein Chesterfield-Päckchen aus einer Tasche des Morgenmantels und beugte sich über den Gasbrenner, um sich eine Zigarette anzuzünden. »Ich hab nur nachgedacht«, sagte sie und stieß eine Rauchwolke aus, die sich im Morgenlicht kräuselte. »Jeder weiß, dass es in der ganzen Stadt niemand mit dir aufnehmen kann. Nicht einmal Mariposa, obwohl der natürlich eine zu große Nummer ist. Er kontrolliert praktisch die ganze Stadt.«
Luca hörte auf zu essen und sah sie amüsiert an. »Was verstehst du denn davon? Hast du deine Nase in Sachen gesteckt, die dich nichts angehen?«
»Ich weiß eine ganze Menge. Und mir kommt so manches zu Ohren.«
»Ja und?«
»Ich meine ja nur … ich finde, du solltest bestimmen, wo’s langgeht, Luca. Wer kann es schon mit dir aufnehmen?« Der Kaffee kochte hoch, und sie nahm ihn vom Brenner, drehte das Gas ab und stellte ihn wieder zurück, damit er eine Weile zog.
»Keine Angst«, sagte Luca. »Alles läuft so, wie ich das will.«
»Klar.« Kelly trat hinter Luca und massierte ihm die Schultern. »Weiß ich doch. Hier und da ein Raubüberfall, ein wenig Glücksspiel … Du machst eben das, wonach dir der Sinn steht und was dir und den Jungs was einbringt.«
»Ganz genau.«
»Aber ich finde, Luca, du solltest dich organisieren. Ich könnte wetten, du bist der einzige Italiener in New York, der auf eigene Rechnung arbeitet. Alle anderen arbeiten zusammen. Und im Vergleich zu dir machen sie ein Vermögen.«
»Auch das ist richtig.« Luca umfasste Kellys Hand. »Aber du vergisst, Puppe, das diese anderen alle Befehle bekommen.« Er drehte sich auf seinem Stuhl um, legte Kelly die Arme um die Taille und küsste ihren Bauch. »Sogar dieser Schwachkopf Mariposa. Wenn sein Freund Al Capone ihm sagt, er soll in seinen Hut scheißen, scheißt er in seinen Hut. Und alle anderen auch – sie tun, was man ihnen sagt. Und niemand, weder Giuseppe Mariposa noch Al Capone oder sonst irgendjemand, sagt mir, was ich tun soll.«
»Schon klar.« Kelly strich ihm mit den Fingern durchs Haar. »Aber du machst nicht die richtig große Kohle, Baby. Du kommst nicht an das große Geld ran.«
»Was ist los? Sorg ich nicht gut genug für dich? Kauf ich dir etwa nicht schicke Kleider und teuren Schmuck? Zahl ich nicht deine Miete und geb dir Taschengeld?« Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte Luca sich wieder seinem Frühstück zu.
»Ach, du bist wundervoll.« Kelly küsste ihn auf die Schulter. »Das weißt du doch. Ich liebe dich, Baby.«
»Ich hab dir gesagt, du sollst mit dem ewigen ›Baby‹ aufhören. Das mag ich nicht.« Er legte die Gabel hin und grinste breit. »Jedes Mal, wenn meine Jungs hören, wie du ›Baby‹ zu mir sagst, lachen sie hinter meinem Rücken, okay?«
»Klar. Ich hab’s nur vergessen, Luca.« Kelly schenkte sich eine Tasse Kaffee ein, setzte sich Luca gegenüber an den Tisch und schaute ihm beim Essen zu. Schließlich nahm sie einen Plastikaschenbecher vom Kühlschrank, drückte ihre Zigarette aus, trug ihn zum Tisch und stellte ihn neben die Kaffeetasse. Nach einer Weile stand sie wieder auf, drehte den Gasbrenner an, um sich eine weitere Zigarette anzuzünden, und setzte sich wieder hin. »Luca, weißt du noch, dass wir darüber gesprochen haben, uns ein paar hübsche Möbel zu kaufen? Wirklich, Schatz. Das Schlafzimmer ist der einzige Raum, der eingerichtet ist. Außer dem großen Doppelbett ist das Haus so gut wie leer.«
Luca aß sein Frühstück auf. Er musterte Kelly, sagte jedoch nichts.
»Wir könnten es uns hier richtig gemütlich machen«, sagte sie leise, aber bestimmt. »Im Sear’s-Katalog hab ich eine wunderschöne Wohnzimmereinrichtung gesehen. Die wäre ideal für uns. Und weißt du« – sie machte eine Geste, die das ganze Haus umfasste –, »wir könnten Vorhänge vor die Fenster hängen …«
»Mir gefällt es hier so, wie es ist. Das hab ich dir schon mal gesagt.« Er nahm eine von Kellys Zigaretten, fuhr mit einem Streichholz über die Küchenwand und zündete sie sich an. »Fang nicht jetzt schon damit an. Kelly, wir sind kaum aufgestanden, und du fängst schon wieder damit an.«
»Tu ich doch gar nicht.« Als Kelly den weinerlichen Tonfall hörte, in dem sie das sagte, wurde sie wütend. »Tu ich doch gar nicht«, wiederholte sie lauter. »Die Dinge verändern sich, mehr wollte ich gar nicht sagen, Luca. Es kann nicht immer alles beim Alten bleiben.«
»Ach nein?« Luca stippte die Asche von seiner Zigarette. »Was redest du da, Puppe?«
Kelly stand auf und machte ein paar Schritte vom Tisch weg. »Luca, dir ist es egal, wie es hier aussieht, weil du praktisch bei deiner Mutter wohnst. Du schläfst öfter dort als hier. Du isst andauernd dort. Fast könnte man meinen, du wohnst noch bei ihr.«
»Was geht dich das an, Kelly?« Luca rieb sich den Nasenrücken. »Was geht es dich an, wo ich esse und schlafe?«
»So kann es jedenfalls nicht weitergehen.«
»Warum nicht? Warum kann es so nicht weitergehen?«
Kelly spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen, also wandte sie Luca den Rücken zu und ging zum Fenster hinüber. Ihr Blick glitt über die Kieseinfahrt zur Straße und den Bäumen, die die Straße säumten. »Im ganzen Haus steht nur ein großes Bett«, wiederholte sie. Sie klang, als spräche sie mit sich selbst. Da hörte sie, wie hinter ihr der Stuhl über den Boden schrammte. Als sie sich umdrehte, drückte Luca gerade seine Zigarette im Aschenbecher aus. »Manchmal glaube ich, du brauchst dieses Haus nur, damit du dich irgendwo verstecken und mit deinen Huren schlafen kannst. Hab ich recht, Luca?«
»Wenn du meinst.« Er schob den Aschenbecher über den Tisch. »Ich geh wieder ins Bett. Vielleicht hast du, wenn ich aufwache, bessere Laune.«
»Ich hab keine schlechte Laune«, sagte Kelly. Sie folgte ihm ein Stück und schaute ihm nach, wie er die Treppe hinaufging. »Wie viele Huren hast du überhaupt? Ich bin nur neugierig, Luca. Ich bin nur neugierig, sonst nichts.« Als er ihr die Antwort schuldig blieb, wartete sie. Sie hörte die Matratze unter Lucas Gewicht knarren und ächzen. Im Keller erwachte der Heizofen krachend zum Leben, und kurz darauf fingen die Heizkörper an zu gurgeln. Sie stapfte zum Schlafzimmer hinauf und blieb in der Tür stehen. Luca lag auf dem Rücken, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Auf dem Nachttisch stand ein Glas Wasser neben einem schwarzen Telefon; der Hörer hing über der Wählscheibe am Fußteil. Luca blickte zum Fenster hinaus, wo der Wind durch die Bäume peitschte und pfeifend über die Scheibe fuhr.
»Fang jetzt nicht damit an, Kelly«, sagte er. »Bei Gott, dafür ist es noch zu früh.«
»Schon gut«, erwiderte sie und betrachtete ihn, wie er so dalag. Seine langen muskulösen Arme zeichneten sich weiß vor dem dunklen Holz des Kopfbretts ab; seine Füße unter der Decke berührten das Fußbrett am anderen Ende der Matratze. »Ich würd das nur gerne wissen, Luca, sonst nichts. Wie viele Huren nimmst du mit hier raus?«
»Kelly …« Luca schloss die Augen, als wünschte er sich, für einen Moment verschwinden zu können. Schließlich öffnete er sie wieder und sagte: »Du weißt, dass du die Einzige bist, die ich hierher mitnehme, Puppengesicht. Das weißt du.«
»Wie lieb von dir.« Kelly hielt sich mit beiden Händen den Kragen ihres Morgenmantels zu. Ihre Finger gruben sich in den Frotteestoff, als würde sie sonst das Gleichgewicht verlieren. »Wo treibst du es dann mit deinen anderen Huren? In einem der Bordelle in Manhattan?«
Luca lachte und drückte sich die Handflächen auf die Augen. »Madam Crystal’s am Riverside Drive gefällt mir. Kennst du es?«
»Woher sollte ich es kennen?«, fauchte Kelly. »Was willst du damit sagen?«
Luca klopfte neben sich auf die Matratze. »Komm her.«
»Warum?«
»Ich hab gesagt, du sollst herkommen.«
Kelly wandte sich um, blickte die Treppe hinunter und zu einem der Fenster hinaus.
»Ich will das nicht noch mal sagen müssen.«
Kelly seufzte. »Um Himmels willen, Luca.« Sie kletterte auf die Matratze und setzte sich neben ihn, wobei sie noch immer die Aufschläge ihres Morgenmantels umklammert hielt.
»Ich frage dich jetzt noch einmal, und ich will eine Antwort: Wer war das Collegejüngelchen, von dem du im Juke’s geredet hast?«
»Ach, nicht das schon wieder. Das hab ich dir doch gesagt. So ein Jüngelchen eben.«
Luca packte Kelly mit einer Hand an den Haaren, hob sie wie eine Marionette hoch und ließ sie in der Luft zappeln. »Ich kenne dich und ich weiß, dass das noch nicht alles ist – und du wirst es mir jetzt verdammt noch mal verraten.«
»Luca!« Kelly griff nach seiner Hand und zog sich hoch. »Du bist mein Kerl, Luca. Das schwöre ich dir. Du bist der Einzige.« Als Luca fester zupackte und mit der freien Hand ausholte, schrie sie: »Nicht, Luca! Bitte! Ich bin schwanger. Ich bin schwanger, und es ist deins!«
»Du bist was?« Luca zog Kelly zu sich heran.
»Ich bin schwanger.« Kelly ließ den Tränen, die sie die ganze Zeit zurückgehalten hatte, freien Lauf. »Es ist von dir, Luca.«
Luca ließ Kelly fallen und schwang die Beine über den Rand der Matratze. Eine ganze Weile saß er reglos da und starrte die Wand an.
»Luca«, sagte Kelly leise. Sie berührte seinen Rücken, und er zuckte vor ihr zurück. »Luca«, sagte sie noch einmal.
Luca ging zum Schrank, holte ein kleines schwarzes Buch und blätterte hastig darin. Nachdem er gefunden hatte, was er gesucht hatte, setzte er sich auf den Rand des Bettes. »Nimm den Hörer ab«, sagte er und wies mit einer Kopfbewegung auf das Telefon. »Ich will, dass du diese Nummer anrufst.«
»Warum, Luca? Warum soll ich jemand für dich anrufen?«
»Um es wegmachen zu lassen«, erwiderte er und legte das schwarze Buch vor ihr auf die Matratze, wobei er sie aufmerksam beobachtete.
Kelly wich von dem Buch zurück. »Nein, Luca, das kann ich nicht. Wir würden beide in die Hölle kommen.«
»Du dämliche Schlampe! Wir kommen so oder so in die Hölle.« Luca nahm das Telefon vom Nachttisch und ließ es vor Kelly auf die Matratze fallen. Die Sprechmuschel rutschte vom Haken, und er tat sie wieder an ihren Platz. Als sie den Kopf schüttelte, nahm er das Telefon und schleuderte es ihr ins Gesicht.
Kelly schrie auf, mehr aus Angst als vor Schmerzen, und wich vor Luca zurück. »Das mache ich nicht!«, brüllte sie und kauerte sich auf dem Rand der Matratze zusammen.
Luca stellte das Telefon auf den Nachttisch zurück. »Du lässt es wegmachen«, sagte er leise.
»Werd ich nicht!«, schrie Kelly, fuhr herum und warf sich auf ihn.
»Ach ja?« Luca sprang aufs Bett und schlug Kelly mehrmals ins Gesicht, bis sie von der Matratze rutschte und auf den Boden fiel.
Kelly krabbelte in eine Zimmerecke und schrie: »Das werd ich nicht, Luca! Du kannst mich mal! Ich tu das auf keinen Fall!«
Luca hob sie hoch, eine Hand unter ihren Beinen, die andere unter ihrer Schulter. Sie trommelte mit den Fäusten auf seine Brust, doch er schenkte dem keine Beachtung. Er trug sie zur Treppe und warf sie hinunter.
Kelly schlug auf dem unteren Treppenabsatz auf und stieß eine Folge von Flüchen aus. Verletzt hatte sie sich jedoch nicht. Sie hatte sich den Kopf an einem Pfosten angeschlagen und die Knie aufgeschrammt, aber sie wusste, dass nichts Ernstes passiert war. »Du verdammtes Makkaronischwein!«, brüllte sie die Treppe hinauf.
Luca nickte und sah sie lange an, wie sie da auf dem Absatz lag, das Fenster im Rücken. Sein Gesicht hatte sich so sehr verdüstert, dass er wie ein völlig Fremder aussah. Im Keller röhrte der Heizofen, und das ganze Haus erbebte.
»Willst du wirklich wissen, was mit dem Collegejüngelchen gelaufen ist?« Kellys Morgenmantel war aufgegangen, und während sie sich aufrappelte, zog sie ihn zu und band den Gürtel. »Er heißt Tom Hagen. Weißt du, wer das ist?«
Luca erwiderte nichts. Er sah sie nur an und wartete.
»Das ist Vito Corleones Sohn«, fuhr Kelly fort. »Ich hab mich von ihm vögeln lassen, obwohl ich wusste, dass ich von dir schwanger bin. Was hältst du davon, Luca?«
Luca nickte nur.
»Was machst du jetzt?«, fragte sie und setzte den Fuß auf die Treppe. »Du weiß doch, wer die Corleones sind, oder, Luca? Ihr Spaghettifresser kennt euch doch alle. Was machst du jetzt? Bringst du mich um, obwohl ich dein Kind in mir trage? Und Vito Corleones Sohn, bringst du den auch um?«
»Er ist nicht Vitos Sohn«, sagte Luca ruhig. »Aber ja, umbringen werde ich ihn.« Er machte ein paar Schritte die Treppe hinunter und hielt dann inne. »Woher weißt du überhaupt so viel über Vito Corleone und seine Familie?« Er klang nur noch neugierig, als hätte sich sein ganzer Zorn verflüchtigt.
Kelly stieg eine Stufe hinauf, die Hände zu Fäusten geballt. »Hooks hat mir alles über die Corleones erzählt«, sagte sie und ging einen Schritt weiter. »Und ich hab mich auch selbst ein bisschen umgehört.« Sie hatte Blut auf der Wange und wischte es weg. Woher es kam, wusste sie nicht.
»Ach, tatsächlich?« Luca wirkte plötzlich belustigt. »Du hast dich umgehört?«
»Ganz genau. Und ich hab alles über sie rausgefunden. Und weißt du, was ich rausgefunden hab? Die sind nicht so groß, dass du’s nicht mit ihnen aufnehmen könntest, Luca. Wer kommt schon gegen dich an? Du könntest ihr Revier übernehmen und Millionen machen.«
»Vielleicht ist das der einzige Ausweg – schließlich bleibt mir jetzt nichts anderes übrig als Vitos Sohn umzubringen.«
»Und was ist mit mir? Bringst du mich auch um?«
»Nein, dich bring ich nicht um.« Luca stieg langsam und schwerfällig die Treppe hinab, als würde sein ganzes Gewicht ihn nach unten ziehen. »Aber ich werde dir eine Tracht Prügel verpassen, die du so schnell nicht vergisst.«
»Nur zu! Ist mir doch egal. Mir ist eh alles egal.« Sie reckte ihr Kinn vor und sah Luca erwartungsvoll entgegen.
Eileen hob die Bettdecke an und schaute darunter. »Mein Gott, Sonny«, seufzte sie. »Dafür sollten sie einen Altar errichten.«
Sonny strich Eileen durchs Haar, das ihr auf die nackten Schultern fiel. Er mochte, wie es sich anfühlte, wenn er die feinen Strähnen zwischen seinen Fingern hindurchgleiten ließ. Es war ein stürmischer Herbstnachmittag, und sie lagen in Eileens Bett. Vor dem Fenster über dem Kopfende war die Jalousie heruntergelassen, und die hellen Streifen, die hindurchdrangen, tauchten das Zimmer in rotes Licht. Caitlin war, wie jeden Mittwoch, bis zum Abendessen bei ihrer Großmutter. Eileen hatte die Bäckerei eine Stunde früher geschlossen.
»Ein paar der Jungs in der Schule haben mich ›Die Peitsche‹ genannt«, sagte Sonny.
»Die Peitsche, wirklich?«
»Ja. Wenn wir nach dem Sportunterricht in der Umkleide …«
»Schon gut, ich kann’s mir vorstellen. Du musst es mir nicht erklären.«
Sonny legte Eileen den Arm um die Taille und zog sie zu sich heran. Er schnüffelte in ihren Haaren und küsste sie auf die Stirn.
Eileen legte den Kopf auf seine Brust. Eine Weile schwieg sie, dann nahm sie den Faden wieder auf. »Wirklich, Sonny, wir sollten ihn fotografieren. Wenn ich das meinen Freundinnen erzähle, halten sie mich für die größte Lügnerin in New York City.«
»Hör auf! Wir wissen beide, dass du niemand irgendwas erzählen wirst.«
»Wohl wahr«, erwiderte Eileen wehmütig. »Aber ich würde es gerne.«
Sonny strich ihr das Haar aus dem Gesicht und blickte ihr in die Augen. »Nein, würdest du nicht. Du magst Geheimnisse.«
Eileen dachte darüber nach und nickte. »Auch wieder wahr. Sieht so aus, als würde ich niemand erzählen, dass ich mit dem besten Freund meines kleinen Bruders ins Bett steige.«
»Machst du dir Sorgen um deinen Ruf?«
Eileen verlagerte ihr Gewicht und schmiegte die Wange an Sonnys Brust und die krausen Haare, die sich wie Flügel von Brustwarze zu Brustwarze ausbreiteten. Auf ihrer Kommode lag, mit dem Bild nach unten, eine gerahmte Fotografie von Jimmy und Caitlin. Sie drehte sie immer um, wenn sie mit Sonny zusammen war, aber es half nie etwas. Auf der anderen Seite des schwarzen Kartons warf Jimmy Gibson gerade seine Tochter in die Luft. Er hatte die Hände ausgestreckt und schaute zu Caitlins strahlendem Gesicht hoch – und wartete auf ewig, dass sie in seine Arme zurückfiel. »Kann schon sein, dass ich mir Sorgen um meinen Ruf mache. Dass du erst siebzehn bist, würde keinen guten Eindruck machen, aber noch schlimmer ist, dass du ein Makkaroni bist.«
»Dir scheint das nichts auszumachen.«
»Das stimmt. Aber der Rest meiner Familie ist da nicht so unvoreingenommen.«
»Wir kommt es, dass ihr Iren die Italiener nicht leiden könnt?«
»Ihr Italiener habt ja auch nicht allzu viel für die Iren übrig, oder?«
»Das ist was anderes. Wir legen uns mit euch an, aber wir hassen euch nicht. Manche von euch Iren tun so, als wären Italiener der letzte Dreck.«
»Oh«, erwiderte Eileen, »wird das jetzt ernst?«
»Ein wenig.«
Eileen dachte einen Moment nach. Die Schlafzimmertür war geschlossen und verriegelt, und auf ihrer Rückseite hingen Sonnys Jacke und Mütze am obersten Haken. Am unteren Haken hingen ihre Arbeitskleider. Sie starrte die graue Bluse und den grauen Rock an, blickte durch die geschlossene Tür in die Küche und auf die rote Backsteinmauer des Mietshauses dahinter, wo sie hören konnte, wie Mrs. Fallon draußen auf dem Absatz der Feuertreppe einen Teppich oder eine Matratze ausklopfte – das Patsch-Patsch eines stumpfen Gegenstands, der auf etwas Weiches traf. »Viele Iren«, sagte sie schließlich, »sind wohl der Meinung, dass ihr nicht weiß seid. Sie halten euch irgendwie für Farbige, als würdet ihr einer anderen Rasse angehören wie wir.«
»Denkst du auch so? Findest du auch, dass wir nicht derselben Rasse angehören?«
»Was interessiert mich das? Ich schlafe ja auch mit dir, oder?« Sie hob die Bettdecke an und schaute noch einmal darunter. »Aber du bist ein Ungeheuer, Sonny! Gütiger Himmel!«
Sonny drückte sie auf den Rücken und beugte sich über sie. Ihre Haut war so wunderbar weiß, so weich und flaumig. Das kleine rötliche Muttermal an ihrer Hüfte bekam außer ihm bestimmt niemand zu sehen.
»Was denkst du, Sonny Corleone?« Eileen blickte nach unten. »Schon gut – ich sehe, was du denkst.«
Sonny strich ihr das Haar aus dem Gesicht und küsste sie auf die Lippen.
»Das geht nicht«, sagte sie.
»Warum?«
»Weil das schon das dritte Mal heute Nachmittag wäre!« Eileen stemmte sich gegen Sonnys Brust und hielt ihn zurück. »Ich bin eine alte Dame, Sonny. Ich kann nicht mehr!«
»Ach was!« Sonny küsste sie noch einmal und machte sich über ihre Brüste her.
»Ich kann nicht mehr«, sagte Eileen. »Hör auf. Ich werd auch so schon tagelang komisch laufen. Wenn die Leute das merken!« Als Sonny nicht aufhörte, seufzte sie, hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und wand sich unter ihm heraus. »Außerdem ist es schon spät.« Sie stand auf, kramte einen Slip aus der Kommode und schlüpfte hinein. »Cork kann jeden Moment hier auftauchen.« Sie bedeutete Sonny aufzustehen.
»Cork kommt hier nachmittags nie vorbei.« Sonny schüttelte ein Kissen auf, schob es sich unter den Kopf und faltete die Hände über dem Bauch.
»Vielleicht doch, und dann haben wir beide ein Problem.«
»Bist du sicher, dass Cork nicht sowieso schon weiß, das zwischen uns etwas läuft?«
»Natürlich hat er nicht die geringste Ahnung!«, sagte Eileen. »Sonny, spinnst du? Bobby Corcoran ist Ire, und ich bin seine fromme Schwester. Bestimmt glaubt er, dass ich niemals Sex habe.« Sie trat gegen die Matratze. »Steh auf und zieh dich an! Ich muss noch baden und Caitlin vor sechs Uhr abholen.« Sie warf einen Blick auf die Uhr, die auf der Kommode stand. »Himmel, es ist schon halb sechs.«
»Verdammter Mist!« Sonny erhob sich, schlurfte zu seinen Kleidern, die auf dem Boden lagen, und zog sich an. »Wirklich schade, dass du so eine alte Dame bist.« Er zog den Reißverschluss an seiner Hose zu und schlüpfte in sein Unterhemd. »Sonst würd ich glatt noch was Ernstes mit dir anfangen.«
Eileen nahm Sonnys Jacke und Mütze von der Tür. Die Jacke legte sie sich über den Arm, die Mütze behielt sie in der Hand. »Wir haben ein Techtelmechtel miteinander, sonst nichts«, sagte sie und schaute zu, wie Sonny sich das Hemd zuknöpfte und den Gürtel zuschnallte. »Cork darf davon auf keinen Fall etwas erfahren, und auch sonst niemand. Ich bin zehn Jahre zu alt für dich. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«
Sonny griff nach seiner Jacke und glitt hinein, während Eileen sich abmühte, ihm die Mütze über die Locken zu ziehen. »Am Sonntag gehe ich mit einem hübschen Mädchen Abendessen«, sagte er schließlich. »Sie ist sechzehn und Italienerin.«
»Schön für dich.« Eileen trat einen Schritt zurück. »Wie heißt sie denn?«
»Sandra.« Sonny streckte die Hand nach der Türklinke aus, ließ Eileen jedoch nicht aus den Augen.
»Dann stürze sie bloß nicht ins Unglück, Sonny Corleone.« Eileen musterte Sonny mit strengem Blick. »Sechzehn ist zu jung für das, was wir hier tun.«
»Und was tun wir hier?«, fragte er und grinste breit.
»Das weißt du nur zu gut.« Eileen schob ihn aus dem Schlafzimmer in die Küche und folgte ihm zur Wohnungstür. »Wir amüsieren uns nur ein wenig«, sagte sie, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn flüchtig auf die Lippen. »Wir haben unseren Spaß und denken uns nichts weiter dabei.« Damit öffnete sie ihm die Tür.
Sonny warf einen Blick ins Treppenhaus, um sich zu vergewissern, dass sie allein waren. »Nächsten Mittwoch?«
»Klar.« Eileen zwinkerte ihm zu, schloss die Tür und blieb mit der Hand auf dem Türknauf stehen. Sie horchte, wie Sonny die Treppe hinunterrannte. »Himmel noch mal«, sagte sie, als ihr wieder einfiel, wie spät es war. Sie eilte ins Bad und stieg in die Wanne, noch während das Wasser einlief.