Vito wartete auf der Rückbank des Essex, einen Regenmantel über dem Schoß, seinen Fedora auf dem Regenmantel, die Hände vor dem Hut gefaltet. Neben ihm saß Luca Brasi und starrte, vorbei an Sonny, der auf dem Beifahrersitz saß, durch die Windschutzscheibe hinaus auf die Sixth Avenue, wo zwei junge Frauen durch den Regen eilten, jede mit einem Kind an der einen Hand und einem offenen Regenschirm in der anderen. Die Regenschirme waren leuchtend rot, ein auffälliger Kontrast zum heutigen Tag, der grau und regnerisch war. Die Männer saßen schweigend da. Vito hatte ihren Fahrer, Richie Gatto, gebeten, sich ein wenig in der Gegend umzuschauen. Genco hatte sich ihm angeschlossen, um seine Nerven zu beruhigen. Sie befanden sich im Textilviertel Manhattans, direkt an der Kreuzung Sixth Avenue und 30. Straße. Über einem verriegelten Zeitungskiosk an der Ecke war die Wand eines Gebäudes in eine riesige Reklametafel verwandelt worden, auf der zwei blinde Kinder zu einem Schriftzug aufblickten: Mit Ihrem Geld können sich hilflose Menschen selbst helfen. Jenseits der blinden Kinder reckte sich der Turm von Saint Francis mit seinem Kreuz auf der Spitze der niedrigen Wolkendecke entgegen.
Sonny warf einen Blick auf seine Armbanduhr, schob sich ungeduldig den Hut in den Nacken und wandte sich um, als wollte er etwas zu seinem Vater sagen. Dann überlegte er es sich anders, ließ sich wieder in den Sitz sinken und zog sich den Hut über die Augen.
Vito sagte: »Es ist gut, bei einem solchen Treffen nicht ganz pünktlich zu sein.« In dem Moment bogen Richie und Genco um die Ecke der Seventh Avenue und kamen auf den Wagen zugelaufen. Richie hatte sich den Fedora tief in die Stirn geschoben und den Kragen seines Mantels hochgeschlagen, während sich Genco unter einen schwarzen Regenschirm duckte. Beide Männer ließen den Blick über die umliegenden Gebäude schweifen, suchten die Eingänge und Gässchen ab. Neben dem massigen Richie Gatto wirkte Genco so dürr wie ein Strichmännchen.
»Alles in Ordnung«, sagte Richie, während er hinters Steuer glitt und den Motor anließ.
»Clemenza und Tessio?«, fragte Vito.
»Sind auf ihren Plätzen«, erwiderte Genco. Er stieg hinten ein, und Vito rutschte dichter an Luca heran. »Wenn es da drin irgendwie unruhig wird …« Genco neigte den Kopf leicht zur Seite, eine Geste, die nahelegte, dass Clemenza und Tessio das zwar mitbekommen würden, aber vermutlich nicht mehr rechtzeitig würden eingreifen können.
»Sie haben ihre Jungs dabei«, sagte Richie und tat damit Gencos Sorgen ab. »Wenn es Ärger gibt, sind wir gut vorbereitet.«
»Es wird keinen Ärger geben«, sagte Vito. »Das sind alles nur Vorsichtsmaßnahmen.« Er schaute neben sich zu Luca, der ein wenig abwesend wirkte, tief in Gedanken versunken, soweit er dazu noch in der Lage war. Auf dem Vordersitz zog Sonny seine Krawatte gerade, sein Gesichtsausdruck irgendetwas zwischen Missmut und Wut. Er hatte den ganzen Morgen noch keine drei Worte gesagt. »Santino, du bleibst hinter Genco und hältst die Augen offen«, erklärte Vito noch einmal. »Bei diesem Treffen wird sich jeder jeden genau anschauen. Was wir sagen, was wir tun, was für einen Eindruck wir machen – das ist alles sehr wichtig. Kapiert?«
»Klar«, sagte Sonny. »Du willst, dass ich den Mund halte, Pa. Schon verstanden.«
Ohne sich zu rühren oder eine Miene zu verziehen, sagte Luca Brasi: »Mund zu – Augen auf.«
Sonny warf einen Blick über die Rücklehne. Neben ihnen auf der Straße hatte sich vor einer roten Ampel eine Schlange aus Pkws und Lieferwagen gebildet. Der Regen hatte nachgelassen – jetzt nieselte es nur noch, und ein leichter Nebel lag über allem. Als die Ampel grün wurde und der Verkehr sich wieder in Bewegung setzte, wartete Richie eine Lücke ab und fuhr auf die Sixth Avenue. Kurz darauf hielt er in der Straße vor dem Kirchhof von Saint Francis hinter einem schwarzen Buick. Ein großer, fetter Mann in einem leuchtend blauen dreiteiligen Anzug, der ihm zwei Nummern zu eng war, wartete am Steuer des Buick, den Ellenbogen aus dem Fenster geschoben. Im Garten vor der Kirche unterhielten sich Carmine Rosato und Ettore Barzini mit ein paar Streifenpolizisten. Einer der Polizisten sagte etwas, worauf die anderen drei Männer laut lachten, dann geleitete Carmine sie aus dem Kirchhof hinaus, eine Hand auf der Schulter jedes Polizisten. Richie, der um den Essex herumgegangen war, um Genco die Tür zu öffnen, winkte Carmine und rief seinen Namen. Die Polizisten blieben stehen und beobachteten, wie Genco und Vito ausstiegen, und schlenderten dann weiter, nur um erneut stehen zu bleiben, als sie Luca Brasi aussteigen sahen. Ettore, der Carmine auf den Gehsteig gefolgt war, klopfte einem der Polizisten auf die Schulter, damit sie sich wieder in Bewegung setzten. Carmine trat zu Richie, Genco und Vito. Auf dem Kirchhof näherten sich einige von Emilio Barzinis Männern dem Tor und beobachteten, wie sich Luca und Sonny zu den Männern auf dem Gehsteig gesellten. Barzinis Männer sahen einander an und verschwanden dann Richtung Kirche.
Carmine beugte sich zu Richie hinüber. »Ihr wollt Luca Brasi da mit reinnehmen?«, fragte er, als würde Luca nicht direkt hinter ihm stehen.
»Yeah«, erwiderte Richie mit einem breiten Grinsen. »Warum, meinst du, ist er sonst hier?«
»V’facul’!« Carmine griff sich an die Stirn und senkte den Blick. Sonny trat wütend einen Schritt vor, als wollte er etwas zu Carmine sagen, riss sich dann aber zusammen und rückte stattdessen nur seinen Hut zurecht.
»Wir werden nass«, sagte Vito, und Genco öffnete hastig seinen Regenschirm und hielt ihn Vito über den Kopf.
Carmine Rosato wandte sich zu Vito um und sagte: »In eine Kirche?« Offenbar war er der Meinung, dass Luca Brasi in einem Gebäude, das der Andacht gewidmet war, nichts verloren hatte.
Vito schritt auf den Kirchhof. Hinter sich hörte er Carmine sagen: »Richie, mi’ amico, Tomasino ist da drin. Er wird ausrasten.« Luca, der sich dicht neben Vito hielt, verzog keine Miene – sein Gesicht war so ausdruckslos wie der graue Himmel.
Vito bewunderte die sorgfältig angelegten Blumenbeete, die den Betonpfad säumten, der zum Eingang der Kirche führte. Ein Springbrunnen mit vier Ebenen stand etwa fünf Meter vor einer Statue der Jungfrau Maria, die in traditioneller Haltung die Hände emporhielt, als hieße sie alle willkommen, die sich ihr näherten, einen liebenden Blick in den schmerzvollen Augen. Nachdem Genco ihn eingeholt hatte, ging Vito, seinen Consigliere neben sich, weiter auf die Kirche zu, dicht gefolgt von Luca und Sonny.
Hinter den Glastüren, in einem kleinen Foyer, wartete Emilio Barzini. Er schüttelte Vito und Genco die Hand, ohne Luca und Sonny irgendwelche Beachtung zu schenken. »Hier entlang«, sagte er und trat durch ein zweites Paar Glastüren, die auf einen breiten Korridor führten. »Das ist der Schrein des Heiligen Antonius«, fügte er hinzu, als wollte er ihnen die Kirche zeigen. Vito und die anderen blickten durch ein großes Portal in einen länglichen Raum mit niedriger Decke. Beiderseits eines gefliesten Gangs, der zu einem Marmoraltar führte, standen auf Hochglanz polierte Kirchenbänke. Als sie an dem Altar vorbeischritten, bekreuzigte sich Vito, und die anderen folgten seinem Beispiel. Dann gingen sie hinter Emilio weiter den stillen Korridor entlang.
»Sie warten auf euch«, sagte Emilio, öffnete eine schwere Holztür und trat beiseite. An einem langen Konferenztisch saßen fünf Männer, die Vito auf den ersten Blick erkannte. Am Kopfende des Tischs, auf einem kunstvoll verzierten Stuhl, der mit seinen roten Samtpolstern wie die Travestie eines Throns wirkte, saß Giuseppe Mariposa. Er starrte stur geradeaus, wobei man ihm anmerkte, dass Vitos Verspätung ihn ärgerte. Er war tadellos gekleidet; ein maßgeschneiderter Anzug, der seine noch immer athletische Figur betonte, das weiße Haar ordentlich in der Mitte gescheitelt. Vito direkt gegenüber saßen Anthony Stracci aus Staten Island und Ottilio Cuneo, der die nördlichen Bezirke kontrollierte. Diesseits des Tischs, zwischen Giuseppe und einem leeren Stuhl, der offensichtlich für Vito bestimmt war, zappelte Mike DiMeo, der glatzköpfige, untersetzte Boss der Familie DiMeo aus New Jersey, auf seinem Stuhl herum. Am anderen Ende des Tischs klopfte Phillip Tattaglia die Asche von seiner Zigarette und blickte zu Vito und Genco auf. Hinter jedem der Männer stand ein Leibwächter an der Wand. Giuseppes Leibwächter, Tomasino Cinquemani, hatte sich, rotgesichtig und schwer atmend, vom Tisch weggedreht und wandte Vito den Rücken zu.
»Verzeiht mir«, sagte Vito. Er schaute sich in Ruhe um, als wollte er sich vergewissern, dass er sich auch nicht täuschte. Porträts von Heiligen und Priestern hingen an den Wänden, und fünf leere Stühle standen entlang der Vertäfelung. An der Rückseite des Zimmers befand sich eine weitere Tür. »Ich war der Meinung«, sagte er, »dass unsere Consigliere ebenfalls an diesem Treffen teilnehmen sollten.«
»Dann haben Sie offenbar etwas falsch verstanden«, erwiderte Giuseppe und sah ihn nun endlich an. Er warf einen Blick auf die Armbanduhr. »Wie Sie sich auch hinsichtlich der Uhrzeit geirrt haben.«
»Vito«, sagte Genco leise. Er beugte sich vor und versuchte auf Italienisch zu erklären, dass er keineswegs etwas falsch verstanden hatte. Auch ihm waren die fünf leeren Stühle nicht entgangen, und er vermutete, dass Mariposa die anderen Consiglieri hinausgeschickt hatte, um Genco und Luca nicht bei dem Treffen dulden zu müssen.
»Luca Brasi!«, bellte Giuseppe, und es klang wie ein Fluch. »Begleite Genco ins Hinterzimmer.« Er deutete auf die zweite Tür. »Dort könnt ihr zusammen mit den anderen warten.«
Luca, der direkt hinter Vito stand, ließ sich nicht anmerken, ob er Giuseppe gehört hatte. Er wartete in aller Ruhe, ließ die Arme herabhängen und starrte eine Obstschale an, die mitten auf dem langen Tisch stand.
Hinter Giuseppe drehte sich Tomasino um und schaute Luca an. Unter seinen Augen, wo Luca ihn mit der Pistole geschlagen hatte, hatten sich hässliche Narben gebildet, die sich rot auf der verwitterten olivfarbenen Haut abzeichneten.
Luca sah von der Obstschale hoch und erwiderte Tomasinos Blick. Zum ersten Mal regte sich etwas in seinem Gesicht – er lächelte kaum merklich.
Vito berührte Luca und Genco am Ellenbogen. »Andate«, sagte er. »Geht. Santino wird bei mir bleiben.«
Sonny, der mit dem Rücken zur Tür dagestanden hatte, trat näher an seinen Vater heran. Sein Gesicht war zwar rot, aber sonst ausdruckslos.
Vito nahm neben Mike DiMeo Platz.
Nachdem die Tür sich hinter Genco und Luca geschlossen hatte, zog Giuseppe seine Ärmel gerade, zupfte an seinen Manschetten, schob seinen Stuhl nach hinten und stand auf. »Gentlemen«, sagte er, »ich habe euch heute alle hierher gebeten, um künftige Schwierigkeiten zu vermeiden.« Seine Worte klangen steif und eingeübt. Er hustete und fuhr dann etwas unbefangener fort: »Hört mir gut zu. Wir können eine Menge Geld verdienen, wenn wir alle einen kühlen Kopf bewahren und wie Geschäftsleute zusammenarbeiten. Nicht wie Tiere«, fügte er hinzu und blickte zur Hintertür, durch die Luca gerade hinausgegangen war. »Jeder von uns hat sein Revier. Gemeinsam gehört uns ganz New York und New Jersey – mit Ausnahme einiger Juden und Iren, ein Haufen tollwütiger Idioten, die glauben, sie könnten tun und lassen, was sie wollen.« Er beugte sich ein wenig vor. »Aber darum kümmern wir uns später.« Keiner der Bosse oder Leibwächter machte ein Geräusch. Alle wirkten ausgesprochen gelangweilt, mit Ausnahme von Phillip Tattaglia, der an Giuseppes Lippen zu hängen schien. »Es hat schon genug Tote gegeben«, fuhr Giuseppe schließlich fort. »Manche davon waren nötig« – ein Blick zu Vito –, »andere nicht. Der junge Nicky Crea im Central Park …« Er schüttelte den Kopf. »Das macht nur die Cops und Politiker wütend, und die machen wiederum uns das Leben schwer. Wir alle hier stehen an der Spitze einer Familie, und jeder trifft seine eigenen Entscheidungen. Aber wenn über einen unserer Leute ein Todesurteil gefällt wird, dann, finde ich, sollten wir Bosse gemeinsam darüber abstimmen. Das ist einer der Gründe, warum ich diese Zusammenkunft einberufen habe. Um herauszufinden, ob wir uns da einig sind.«
Giuseppe trat vom Tisch zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Als keine unmittelbaren Reaktionen erfolgten und die Männer am Tisch ihn weiterhin ausdruckslos anstarrten, schaute er erst Tomasino an, der neben ihm stand, dann wieder die Bosse. »Wisst ihr was? Wenn ich ehrlich bin, war das eigentlich nicht als Frage gemeint. Ich möchte, dass das ein möglichst kurzes Treffen wird, denn im Zimmer nebenan wartet eine Menge gutes Essen auf uns.« Seine Augen leuchteten. »Falls unsere Consiglieri uns nicht alles wegessen, bevor wir fertig sind!« Tattaglia lachte laut, und Stracci und Cuneo gestatteten sich die Andeutung eines Lächelns. »Gut«, sagte Giuseppe. »Also, so läuft das von jetzt an. Bevor jemand kaltgemacht wird, müssen alle Bosse zustimmen. Wenn jemand anderer Meinung ist, dann ist das der richtige Zeitpunkt, es zu sagen.« Er setzte sich und zog den Stuhl bis an den Tisch. Das Kratzen der Stuhlbeine war auf den Fliesen kaum zu hören.
Mike DiMeo strich sich durch die wenigen Haarsträhnen, die ihm noch geblieben waren. Als er sprach, klang seine Stimme sanft und kultiviert, was nicht so recht zu seinem massigen Körper passen wollte. »Don Mariposa«, sagte er und stand auf, »ich respektiere Ihre große Macht in New York, vor allem, seit die Geschäfte der Familie LaConti auf Sie übergegangen sind. Aber New York«, fügte er hinzu, ohne den Blick von Giuseppe abzuwenden, »New York ist natürlich nicht New Jersey. Trotzdem – alles, was uns davon abhält, wie ein paar Verrückte übereinander herzufallen, findet meine Zustimmung.« Er hielt inne und klopfte zweimal mit dem Finger auf den Tisch. »Und wenn ich zustimme, dann können Sie sich darauf verlassen, dass sich das übrige New Jersey dem anschließt.«
DiMeo setzte sich wieder, und die anderen Bosse klatschten höflich, mit Ausnahme von Vito, dem allerdings auch zu gefallen schien, was der Boss von New Jersey gesagt hatte.
»Dann wäre das erledigt«, sagte Giuseppe, als hätten sie förmlich darüber abgestimmt. »Jetzt habe ich noch ein Problem, und dann können wir essen.« Er schwieg einen Moment, als müsste er nachdenken. »Seit dem Ende der Prohibition musste ich einige Einbußen hinnehmen. Meine Familie hat eine Menge Geld verloren – und die Männer werden allmählich unruhig.« Er sah sich am Tisch um. »Ich will offen sein. Meine Männer wollen Krieg. Sie möchten unsere Unternehmungen auf andere Gebiete ausweiten, und zwar auf eure Gebiete. Meine Männer sagen mir, dass wir jetzt so mächtig sind, dass wir einen solchen Krieg gewinnen würden. Sie behaupten, es sei nur eine Frage der Zeit, dann würde uns ganz New York gehören, der Süden wie der Norden, und« – er sah Mike DiMeo an – »New Jersey. Und dann würden wir genug Geld verdienen, um den Verlust wettzumachen. In meiner Familie gibt es viele Stimmen, die das fordern – aber ich sage Nein. Ich möchte diesen Krieg nicht. Denn dann würde mir das Blut zu vieler Menschen an den Händen kleben, das Blut von Freunden, von Leuten, für die ich großen Respekt hege, sogar von welchen, die ich liebe. Ich sage es noch einmal – ich will keinen Krieg. Aber wir sind alle Bosse, und wir wissen, wie es ist. Wenn ich mich dem Willen so vieler Leute widersetze, werde ich nicht mehr lange der Boss bleiben. Und auch deshalb habe ich euch hierher gebeten.« Er streckte die offenen Hände über den Tisch. »Ich möchte jegliches Blutvergießen vermeiden und zu einer Einigung gelangen. Jeder von euch ist sein eigener Boss, aber ich bin der Meinung, mit meiner Macht – die ich nicht einzusetzen wünsche – sollte ich als Boss der Bosse anerkannt werden. Ich werde über unsere Streitigkeiten richten und sie schlichten, wenn es sein muss, mit Gewalt.« Er starrte über den Tisch hinweg Vito an. »Und dafür sollte ich auch bezahlt werden«, sagte er, fast als würde er ausschließlich mit Vito sprechen. »Ich möchte einen Anteil an allen Einkünften«, fuhr er an die anderen gewandt fort. »Einen kleinen Anteil, aber von euch allen. Das wird mir helfen, meine Leute zufriedenzustellen und einen Krieg zu vermeiden.« Nachdem er gesagt hatte, was er hatte sagen wollen, lehnte sich Giuseppe zurück und verschränkte wieder die Arme vor der Brust. Einige angespannte Momente verstrichen, dann nickte er Tattaglia zu. »Phillip, warum sprichst du nicht als Erster.«
Tattaglia schlug mit beiden Händen auf den Tisch und erhob sich. »Ich begrüße es, mich unter den Schutz von Don Mariposa stellen zu können. Das ist nur gut fürs Geschäft. Wir geben einen kleinen Anteil ab und sparen uns dafür die Kosten eines Krieges – und wer könnte sich einen besseren Richter bei unseren Disputen wünschen als Don Mariposa?« Tattaglia, der einen halbseidenen blassblauen Anzug und eine leuchtend gelbe Krawatte trug, zog sein Jackett gerade. »Ich halte das für ein vernünftiges Angebot«, sagte er und setzte sich wieder. »Ich finde, wir sollten dankbar sein, dass wir diesen Krieg verhindern können«, fügte er hinzu, »einen Krieg, der manchen von uns – Gott behüte! – das Leben kosten könnte.«
Die Bosse sahen einander lauernd an und warteten auf weitere Reaktionen. Niemand verzog eine Miene, auch wenn Anthony Stracci aus Staten Island nicht eben glücklich aussah und Ottileo Cuneo einen gequälten Eindruck machte, als hätte er körperliche Schmerzen.
Mariposa deutete auf Vito. »Corleone«, sagte er, »was halten Sie davon?«
»Wie hoch ist der Anteil?«, entgegnete Vito.
»Ich bin kein habgieriger Mensch. Ich fordere nur, was mir zusteht.«
»Verzeihen Sie mir, Signor Mariposa«, sagte Vito, »aber das wüsste ich gerne genauer. Wie groß ist der Anteil, den Sie von den Bossen hier am Tisch verlangen?«
»Fünfzehn Prozent«, sagte Giuseppe zu Vito, und an die anderen gewandt: »Ich bitte euch als Ehrenmann und als Geschäftsmann um fünfzehn Prozent eurer Einkünfte.« Und wieder zu Vito: »Ich bekomme fünfzehn Prozent Ihrer Einnahmen aus dem Glücksspielgeschäft, aus dem Olivenölmonopol und von den Gewerkschaften. Genauso wie Tattaglia sich bereiterklärt hat, fünfzehn Prozent von allem abzugeben, was er mit seinen Frauen und Wäschereien verdient. Ist Ihnen das genau genug, Corleone?«
»Sì«, sagte Vito. Er faltete die Hände auf dem Tisch und beugte sich vor. »Ja«, wiederholte er. »Vielen Dank, Don Mariposa. Das ist mir genau genug, und ich halte es für durchaus angemessen.« Er schaute in die Runde. »Wenn es keinen Krieg und kein Blutvergießen gibt, profitieren wir alle. Was wir an Geld und Menschenleben sparen«, fügte er mit einem Blick zu Giuseppe hinzu, »ist die fünfzehn Prozent, die wir abgeben, allemal wert. Ich bin der Meinung, dass wir dem zustimmen sollten. Und wir sollten Don Mariposa dafür danken, dass er sich für einen so kleinen Preis unserer Probleme annimmt.« Vito hörte, wie Sonny, der noch immer reglos hinter ihm stand, hustete und sich räusperte. Die Männer am Tisch sahen erst Vito an und dann einander.
»Damit ist das entschieden«, sagte Giuseppe. Er klang eher überrascht denn energisch, wurde sich seines unsicheren Tonfalls jedoch sofort bewusst und versuchte das wiedergutzumachen, indem er bellte: »Es sei denn, irgendjemand hat Einwände.«
Als niemand etwas sagte, erhob sich Vito. »Ihr alle werdet uns verzeihen, wenn wir nicht an dem Festmahl teilnehmen, das Don Mariposa uns versprochen hat, aber einer meiner Söhne« – er legte sich die Hand aufs Herz – »muss ein umfangreiches Referat schreiben, und zwar über unseren großen neapolitanischen Bürgermeister, der New York von Sünde und Korruption befreien wird.« Alle lachten, mit Ausnahme von Mariposa. »Ich habe versprochen, ihm dabei zu helfen.« Vito wandte sich um und wies mit einer Kopfbewegung zur Hintertür, und während Sonny hinübereilte, um sie ihm zu öffnen, schritt Vito zu Mariposa und hielt ihm die Hand hin.
Giuseppe betrachtete sie misstrauisch und schüttelte sie dann.
»Vielen Dank, Don Mariposa«, sagte Vito und schaute über den Tisch. »Gemeinsam werden wir reich werden.«
Alle Bosse erhoben sich von ihren Stühlen und traten zu Vito und Mariposa, um einander die Hände zu schütteln. Vito sah zu Sonny hinüber, der noch immer die Tür aufhielt, und von Sonnys Gesicht zu Genco, der im Zimmer nebenan zusammen mit einem Dutzend anderer Männer um einen Banketttisch herumstand, auf dem üppig angerichtet war. Genco schien zu verstehen, was er von ihm wollte. Er wandte sich zu Luca um und bedeutete ihm mit einem Kopfnicken, dass sie gehen wollten. Zusammen mit Sonny bildeten die Männer einen kleinen Kreis an der Tür und warteten, bis Vito allen die Hand geschüttelt und mit den anderen Bossen ein paar höfliche Worte gewechselt hatte. Tomasino Cinquemani, der wie die anderen Leibwächter mit überkreuzten Händen an der Wand stand, starrte Luca finster an. Sein Gesicht wurde zunehmend rot, bevor er sich abwandte und wieder etwas beruhigte, den Blick auf eines der Heiligenporträts gerichtet.
Während Richie Gatto im gleichmäßigen Regen durch die Straßen von Manhattan fuhr, legte Vito seinen Hut auf die Ablage hinter sich und öffnete den obersten Knopf seines Hemdes. Im Wagen herrschte erwartungsvolles Schweigen, als würden alle Männer, Sonny vorne neben Richie und Vito zusammen mit Genco und Luca im Fond, darauf warten, dass jemand als Erstes das Wort ergriff. Vito strich sich über den Hals und schloss die Augen. Er wirkte besorgt. Schließlich öffnete er die Augen wieder und wandte sich Luca zu, der sich ihm im selben Augenblick zuwandte. Obwohl Genco zwischen ihnen saß, hätte er ebenso gut unsichtbar sein können. Die beiden Männer sahen einander an, und jeder schien im Blick des anderen etwas zu erkennen.
Sonny, der durch das Fenster in den Regen hinausgestarrt hatte, rief: »Ach, Herrgott noch mal!« Alle zuckten erschrocken zusammen – außer Luca. »Pa!«, sagte Sonny und drehte sich herum, so dass er auf dem Beifahrersitz kniete. »Ich kann nicht fassen, dass wir uns das von Mariposa bieten lassen! Dieser verdammte ciucc’! Der bekommt jetzt fünfzehn Prozent von uns?«
»Santino«, sagte Vito mit einem leisen Lachen, als hätte Sonnys Ausbruch die unheilvolle Stimmung zerstreut, die eben noch geherrscht hatte. »Setz dich hin und halt den Mund. Solange dich niemand fragt, hast du hier keine Stimme.«
Sonny ließ theatralisch den Kopf auf die Brust sinken und verschränke die Hände im Nacken.
Genco sagte: »Von alledem verstehst du noch nichts, Sonny.« Als Sonny nickte, ohne aufzuschauen, sagte Genco zu Vito: »Giuseppe will fünfzehn Prozent?«
»Er bekommt einen Anteil von fünfzehn Prozent von allen Einkünften«, erwiderte Vito, »und dafür verspricht er, dass es keinen Krieg geben wird.«
Genco presste die Hände aneinander. »Was haben sie für Gesichter gemacht, als Giuseppe ihnen erklärte, was sie bezahlen sollen?«
»Es hat ihnen nicht gepasst«, antwortete Vito, als sei das selbstverständlich. »Aber sie wissen, dass ein Krieg sie teuer zu stehen käme.«
»Sie haben Angst«, sagte Luca, sichtlich angewidert von den Bossen, die sich zu dem Treffen eingefunden hatten.
»Aber trotzdem, es passt ihnen nicht«, sagte Genco, »und das ist gut für uns.«
Vito versetzte Sonny einen Klaps auf den Kopf, womit er ihm bedeutete, er solle sich aufrecht hinsetzen und zuhören. Sonny hob den Kopf, ließ den Blick über die Rückbank schweifen, verschränkte die Arme vor der Brust und schwieg.
»Mariposa ist habgierig«, sagte Vito. »Das wissen die Bosse alle. Wenn er sich jetzt mit uns anlegt, werden sie wissen, dass sie ebenfalls nicht mehr sicher sind.«
»Das stimmt«, sagte Genco, »und auch das ist zu unserem Vorteil.«
»Vorerst«, sagte Vito, »werden wir die fünfzehn Prozent bezahlen.« Er schaute über Sonnys Kopf hinweg zur Windschutzscheibe hinaus. »Und zwischenzeitlich bereiten wir uns vor. Es wäre gut, wenn noch mehr Politiker und Polizisten auf unserer Gehaltsliste stünden.«
»Mannagg’!«, entfuhr es Genco. »Vito. Wir bezahlen jetzt schon zu viele Leute. Letzte Woche hat ein Senator drei Riesen von mir verlangt, und ich habe es ihm abgeschlagen. Drei Riesen! V’fancul’!«
»Ruf ihn an«, sagte Vito leise, als wäre er plötzlich sehr müde, »und entschuldige dich. Erklär ihm, dass Vito Corleone darauf besteht, ihm diesen Freundschaftsdienst zu erweisen.«
»Aber Vito!«, sagte Genco und verstummte, als Vito die Hand hob und die Diskussion damit beendete.
»Je mehr Polizisten und Richter auf unserer Gehaltsliste stehen, desto stärker sind wir. Ich möchte zeigen, dass mir Freundschaft etwas wert ist.«
»Madon’!«, sagte Genco und gab sich geschlagen. »Die Hälfte unserer Einnahmen geben wir wieder aus.«
»Glaub mir, Genco«, sagte Vito, »langfristig wird das unsere größte Stärke sein.« Als Genco lediglich einen Seufzer ausstieß und schwieg, wandte sich Vito an seinen Sohn. »Wir haben eingewilligt, die fünfzehn Prozent zu zahlen«, sagte er und kam damit auf Sonnys Einwand zurück, »weil das keine Rolle spielt, Santino. Mariposa hat dieses Treffen einberufen, weil er hoffte, dass ich mich weigern würde. Er wollte, dass ich ihm widerspreche. Dann hätte er uns fertiggemacht, um ein Exempel zu statuieren.« Vito klang plötzlich genauso weinerlich wie Mariposa. »Mir blieb keine andere Wahl! Die Corleones haben einfach nicht gemacht, was ich wollte!«
Als wäre er Mariposa, der zu den anderen Bossen spricht, fügte Genco hinzu: »Ich mach jeden kalt, der die fünfzehn Prozent nicht rausrückt – wie die Corleones.«
»Aber ich kapier das nicht«, erwiderte Sonny. »Was spielt das für eine Rolle, ob wir machen, was er sagt?«
»Mariposa wird versuchen, uns fertigzumachen, ob wir nun zahlen oder nicht«, sagte Genco. »Im Moment verdienen wir einen Haufen Geld, unsere ganze Familie. Wir waren nie vom Schnapsverkauf abhängig. Mariposa glaubt, dass es ihm ein Leichtes sein wird, uns auszunehmen.«
Sonny breitete die Arme aus. »Ich begreif’s immer noch nicht.«
Luca Brasi sagte, ohne Sonny anzuschauen: »Don Corleone ist ein … brillanter Mann, Santino. Du solltest … aufmerksamer zuhören.«
Sonny wirkte angesichts von Lucas unheilvollem Tonfall völlig verblüfft. Er versuchte, ihm in die Augen zu schauen, doch Luca schien wieder ganz in Gedanken versunken.
»Santino, wir gewinnen Zeit«, sagte Vito. »Wir brauchen Zeit, um uns vorzubereiten.«
»Außerdem«, fügte Genco hinzu, »wird Mariposa in der Achtung der anderen sinken, wenn er sich mit uns anlegt, obwohl dein Vater eingewilligt hat, die fünfzehn Prozent abzugeben. Keiner wird ihm mehr vertrauen. Diese Dinge sind äußerst wichtig, Sonny. Das wirst du noch lernen.«
Sonny wandte sich wieder nach vorn und ließ sich auf seinen Sitz fallen. Den Blick durch die Windschutzscheibe auf den Regen gerichtet, sagte er: »Consigliere, kann ich noch eine Frage stellen?« Als Genco nicht verneinte, fuhr er sichtlich frustriert fort: »Woher wissen wir, dass Mariposa uns fertigmachen will, obwohl wir ihm geben, was er verlangt?«
Hinter ihm, wo er es nicht sehen konnte, warf Genco Vito einen fragenden Blick zu. Don Corleone schüttelte den Kopf.
»Sonny«, sagte Vito, »hör mir gut zu: Schreibe nicht, wenn du reden kannst, rede nicht, wenn du mit dem Kopf nicken kannst, und nicke nicht mit dem Kopf, wenn du nicht unbedingt musst.«
Genco schenkte Vito ein breites Lächeln.
Sonny zuckte nur mit den Schultern und schwieg.
Der regnerische Frühlingstag ging seinem Ende entgegen, und allmählich wurde es dunkel. Cork lag völlig reglos auf dem Rücken. Caitlin hatte sich auf ihm ausgestreckt, den Kopf an seinen Hals geschmiegt und die Füße an seine Hüfte. Einen Arm hatte er sich unter den Kopf geschoben, der andere ruhte auf der Schulter des Kindes. Er hatte sie in den Schlaf gestreichelt, nachdem er ihr, zum hundertsten Mal, die Geschichte von Connla und dem Feenmädchen vorgelesen hatte, eine Geschichte aus einem der alten Bücher seines Vaters, einer in Leder gebundenen, mit Goldrand verzierten Geschichtensammlung, die jetzt neben Caitlins schmalem Bett lag. Vorsichtig drehte er sich auf die Seite und ließ Caitlin auf das Laken gleiten. Ihr Kopf, von einem Heiligenschein aus sandfarbenem Haar umgeben, sank auf ein dickes Kissen. Er hörte, wie sich, gerade als er Caitlin eine karierte Decke mit Kühen und Schafen darauf über die Schulter zog, draußen ein Schlüssel im Schloss drehte und die Küchentür aufging. Er blieb noch eine Weile neben seiner schlafenden Nichte in dem halbdunklen Zimmer stehen und lauschte, wie Eileen in der Küche hin- und herging.
Cork war in dieser Wohnung aufgewachsen. Als seine Eltern an der Grippe gestorben waren, war er so klein gewesen, dass er sich kaum noch an sie erinnern konnte – aber er wusste noch genau, wie aufregend es gewesen war, mit Eileen hier einzuziehen. Seinen siebten Geburtstag hatte er in der Küche gefeiert. Eileen, die im gleichen Alter gewesen sein musste wie er jetzt, hatte rote und gelbe Fähnchen aus Krepppapier an der Decke aufgehängt und sämtliche Kinder eingeladen, die in ihrer Straße wohnten. Sie hatte gerade angefangen, bei Mrs. McConaughey in der Bäckerei zu arbeiten, einer Frau, die auf ihn schon damals uralt gewirkt hatte. Er erinnerte sich noch daran, wie Eileen gerufen hatte: drei Schlafzimmer, ein Wohnzimmer und eine Küche! Es war ihm vorgekommen, als zögen sie in einen Palast, verglichen mit den beengten Zimmern, die sie sich in den Häusern entfernter Verwandter geteilt hatten, während Eileen ihren Schulabschluss machte, was einigen dieser Verwandten überhaupt nicht gefiel. Er war in dieser Wohnung aufgewachsen und erst ausgezogen, nachdem er selbst die Highschool abgeschlossen und angefangen hatte, mit Sonny das ein oder andere Ding zu drehen. Aber das war jetzt vorbei, und Murray hatte ihm erklärt, er solle sich von den Iren fernhalten. Cork schaute sich in seinem alten Zimmer um und stellte fest, dass er sich hier immer noch wohlfühlte. Von draußen drangen die vertrauten Geräusche des Viertels herein, und er hörte Eileen in der Küche werkeln. Er bückte sich, hob Caitlins zerlumpte Plüschgiraffe Boo auf und legte sie zu ihr ins Bett.
Als er in die Küche kam, stand Eileen an der Spüle und wusch Geschirr. »Ich musste gerade an die alte Mrs. McConaughey denken«, sagte er und setzte sich an den Tisch. »Gibt’s die noch?«
»Ob sie noch lebt?«, erwiderte Eileen, von der Frage sichtlich überrascht. Sie drehte sich um und trocknete sich die Hände an einem hellgrünen Geschirrtuch ab. »Natürlich. Sie schreibt mir jede Ostern und Weihnachten eine Postkarte. Wirklich eine Heilige, diese Frau.«
»Sie war witzig«, sagte Cork. »Für mich hatte sie immer ein Rätsel parat.« Er hielt inne und dachte an die alte Frau zurück. »Meinst du, ich krieg eine Tasse Kaffee für meine Dienste als Babysitter?«
»Mal sehen«, erwiderte Eileen und machte sich am Herd zu schaffen.
»Ich weiß noch, wie wir hier ein großes Fest für sie ausgerichtet haben«, sagte Cork.
»Du klingst ja richtig wehmütig«, sagte Eileen, ohne sich umzudrehen. »Ich kann mich nicht erinnern, dass du Mrs. McConaughey jemals erwähnt hättest.«
»Kann schon sein. Ein bisschen jedenfalls.« Cork blickte zur Decke und musste an die bunten Fähnchen denken, die an seinem siebten Geburtstag dort gehangen hatten. Das Fest für Mrs. McConaughey hatten sie gefeiert, weil die alte Dame aufgehört hatte zu arbeiten und nach Irland zurückgegangen war. Eileen und Jimmy hatten ihr gerade die Bäckerei abgekauft. »Ich hab mich gefragt, Eileen – so oft, wie ich auf Caitlin aufpasse, kann ich genauso gut wieder hier einziehen.«
»Heißt das, du wohnst eigentlich gar nicht hier?«, fragte seine Schwester und drehte sich zu ihm um. »Wie kommt es dann, dass ich dir zu jeder Tages- und Nachtzeit begegne? Außer natürlich im Laden, wo ich schufte wie eine Sklavin, damit wir was zu beißen haben. Nur Gott weiß, was du dann so treibst.«
»Nicht viel«, sagte Cork. »Jedenfalls nicht in letzter Zeit.« Er schaute betreten auf seine Hände, die auf dem Tisch lagen.
»Bobby«, fragte Eileen, »was ist denn los?« Sie zog sich einen Stuhl heran und umfasste seine Hand.
Für eine Weile war nur das Köcheln des Kaffees auf dem Herd zu hören. Schließlich sagte Cork: »Ich hab mir gedacht, ich könnte doch wieder hier einziehen und dir in der Bäckerei helfen.« Cork wusste, dass Eileen sich das von ganzem Herzen wünschte, und nicht erst seit er seinen Abschluss gemacht hatte, aber er machte den Vorschlag, als wäre er völlig neu, etwas, das ihm gerade erst eingefallen war.
»Meinst du das ernst?« Eileen riss ihre Hand zurück, als würde etwas an diesem Vorschlag ihr Angst machen.
»Ja. Ich hab etwas Geld gespart. Das käme uns beiden zugute.«
Eileen stand auf und kümmerte sich um den Kaffee. »Du meinst es ernst«, sagte sie, als könnte sie es nicht so recht glauben. »Gibt es einen bestimmten Grund?«
Cork blieb ihr die Antwort schuldig. Er stand auf und trat zu ihr an den Herd. »Du hast also nichts dagegen?«, fragte er. »Ich kann morgen meinen Kram holen und ins Hinterzimmer ziehen? Viel hab ich nicht.«
»Und diese andere Sache – damit ist es vorbei?« Eileen war anzuhören, dass von dieser Frage einiges abhing.
»Aus und vorbei«, sagte Cork. »Also, was ist? Kann ich wieder einziehen?«
»Natürlich.« Eileen stand über den Kaffeetopf gebeugt und hatte ihrem Bruder noch immer den Rücken zugewandt. Schließlich wischte sie sich mit den Handrücken über die Augen und sagte: »Gütiger Himmel.« Sie weinte und versuchte jetzt auch nicht mehr, es zu verbergen.
»Hör auf«, sagte Cork und legte ihr die Hände auf die Schultern.
»Hör selber auf.« Sie drehte sich um, schloss ihn in die Arme und drückte das Gesicht an seine Brust.
»Komm schon, hör auf«, sagte Cork noch einmal, aber ganz leise. Dann hielt er seine Schwester in den Armen und ließ sie weinen.