Sonny schlenderte neben Sandra an den Bäckereien und Feinkostgeschäften der Arthur Avenue vorbei. Auf der Straße überholten Autos und Lieferwagen die Karren der Krämer, und Kinder in Kniebundhosen und kurzärmeligen Hemden rannten todesmutig über den Gehsteig und durch den Verkehr. Der sommerliche Frühlingstag hatte Kinder wie Erwachsene ins Freie gelockt. Sonny hatte seinen Wagen vor dem Mietshaus geparkt, in dem Sandra wohnte, und war mit ihr zur Metzgerei Coluccio spaziert, und jetzt gingen sie zurück. An Sonnys Fingerspitzen baumelte von einer Schnur eine in schweres weißes Papier eingeschlagene Wurstkette. Sandra trug einen grünen Schlapphut mit einem weißen Band auf ihrem dunklen Haar, das ihr bis über die Schultern fiel. Der Hut war neu und im Vergleich mit ihrem einfachen weißen Kleid zu schick, aber Sonny hatte ihr während des kurzen Spaziergangs zur Metzgerei bereits ein Dutzend Komplimente gemacht. »Weißt du, wie du aussiehst?«, sagte er jetzt mit einem breiten Lächeln, drehte sich um und ging rückwärts vor ihr her. »Wie Kay Francis in Ärger im Paradies.«
»Tu ich nicht«, erwiderte Sandra und versetzte ihm mit der flachen Hand einen Schubs.
»Nur dass du viel hübscher bist«, fügte Sonny hinzu. »Kay Francis kann dir nicht im Traum das Wasser reichen.«
Sandra verschränkte die Arme vor der Brust, neigte den Kopf und musterte Sonny eingehend. Er trug graue Hosen mit Nadelstreifen, ein dunkles Hemd und eine schwarz-grau gestreifte Krawatte. »Niemand sieht aus wie du«, sagte sie und wurde rot. »Du siehst besser aus als alle Kerle in den Filmen.«
Sonny warf den Kopf zurück und lachte, drehte sich wieder um und ging neben ihr her. An der nächsten Häuserecke baute ein Drehorgelspieler gerade seinen Kasten auf und war bereits von einer Schar Kinder umgeben. Mit seiner Melone und dem hellroten Halstuch sah der kleine, stämmige Mann aus, als wäre er eben erst in Amerika gelandet; er hatte einen dichten Schnurrbart, und unter seinem Hutband wehte langes graues Haar hervor. Sein Leierkasten war alt und zerbeult und wurde nur noch von ausgefransten Gurten zusammengehalten. Auf seiner Oberseite lag eine blaue Matte, und darauf hüpfte ein kleines Äffchen herum, das Hosen und eine Lederjacke trug; von seinem Halsband führte eine dünne Kette zum Handgelenk des Drehorgelspielers. »Möchtest du einen Augenblick stehen bleiben?«, fragte Sonny.
Sandra schüttelte den Kopf und blickte auf ihre Füße.
»Du machst dir Sorgen wegen deiner Großmutter, hab ich recht? Hör mal«, fügte er hinzu und zögerte dann, während eine große Wolke von Spatzen tief über die Dächer hinwegflog und dann die Avenue entlangsegelte. »Hör mal«, wiederholte er, und plötzlich stockte ihm die Stimme, als wäre er nervös. »Johnny und Nino spielen heute Abend in einem noblen Restaurant. Ich würde dich gerne dorthin ausführen, und hinterher könnten wir tanzen gehen. Was meinst du, soll ich deine Großmutter bitten, dich gehen zu lassen?«
»Du weißt genau, dass sie das nie erlauben wird.«
»Und wenn doch?«
»Das möchte ich erleben! Und außerdem habe ich dafür nicht die richtigen Kleider. Du würdest dich für mich schämen.«
»Bestimmt nicht«, sagte Sonny. »Aber darüber habe ich mir trotzdem schon ein paar Gedanken gemacht.«
»Worüber?«, wollte Sandra wissen. Sie bogen von der Arthur Avenue ab auf die Straße, in der sie wohnte.
»Dass du ein paar schicke Kleider brauchst.«
Sandra sah ihn verwirrt an.
»Hey«, sagte Sonny, »schau dir das an.« Er eilte an Sandra vorbei auf die Straße, wo ein hellblauer Cord Cabrio mit langer Motorhaube und Weißwandreifen bereits einige Schaulustige herbeigelockt hatte.
»Schicker Wagen«, sagte Sandra und trat neben ihn.
»Er hat Vorderradantrieb.«
»M-hmm«, erwiderte Sandra, die ganz offensichtlich keine Ahnung hatte, wovon Sonny da redete.
»Meinst du, du hättest gerne einen solchen Wagen?«, fragte Sonny.
»Du bist komisch heute«, sagte Sandra und zog ihn zurück auf den Gehsteig.
»Ich hab nicht die Absicht, komisch zu sein.« Inzwischen waren sie fast bei ihr zu Hause angekommen, wo sein Packard auf der Straße parkte. »Ich möchte nur heute Abend mit dir essen gehen, und zwar in dem Club, in dem Johnny und Nino auftreten, und hinterher möchte ich mit dir tanzen gehen.«
Mrs. Columbo beugte sich über ihnen aus dem Fenster und rief: »Eh! Was braucht ihr so lange?«
Sonny winkte Mrs. Columbo, reichte Sandra die Würste, beugte sich dann durch das offene Beifahrerfenster seines Wagens und holte eine großes Päckchen heraus, das in braunes Papier eingeschlagen und mit einer weißen Schnur zugebunden war.
»Was ist das?«, fragte Sandra.
»Ein schickes Kleid, Schuhe und ein paar andere Sachen für dich.« Er reichte ihr das Päckchen.
Sandra blickte zu ihrer Großmutter hinauf, die, das Kinn auf die Hände gestützt, zu ihr und Sonny hinunterstarrte.
»Mach es auf«, sagte Sonny.
Sandra setzte sich auf die Eingangstreppe, nahm das Päckchen auf den Schoß und zog das braune Papier nur so weit beiseite, bis darunter der schillernde Seidenstoff eines Abendkleids zum Vorschein kam. Sofort schloss sie es wieder und schaute zu ihrer Großmutter hoch.
»Sandra!«, rief Mrs. Columbo sichtlich besorgt. »Komm sofort hoch!«
»Wir kommen«, rief Sandra zurück. Zu Sonny flüsterte sie: »Bist du verrückt geworden, Santino?« Sie stand auf und gab ihm das Päckchen zurück. »Das sieht furchtbar teuer aus. Großmutter wird in Ohnmacht fallen.«
»Das glaub ich nicht.«
»Los, komm.« Sonny legte ihr die Hand auf den Rücken und führte sie die Treppe hinauf.
An der Tür sagte Sandra noch einmal besorgt: »Es sieht furchtbar teuer aus, Santino.«
»Ich verdiene inzwischen ganz gut.«
»In der Werkstatt?« Sie öffnete die Tür und wartete Sonnys Antwort ab, bevor sie in den halbdunklen Hausflur trat.
»Ich arbeite nicht mehr in der Werkstatt, sondern für meinen Vater. Als Verkäufer. Ich besuche die ganzen Läden und überzeuge sie, dass Genco Pura das einzige Olivenöl ist, das sie führen müssen.«
»Und wie machst du das?« Sandra trat ein und hielt Sonny die Tür auf.
»Ich mache ihnen ein Angebot, das kein vernünftiger Mensch ablehnen kann«, erwiderte Sonny, folgte ihr und schloss die Tür hinter sich.
»Und da verdienst du genug Geld«, flüsterte Sandra in dem stillen Hausflur, »dass du dir ein solches Kleid leisten kannst?«
»Los, komm«, sagte Sonny und ging Richtung Treppe. »Ich werde dir zeigen, was für ein großartiger Verkäufer ich bin. Ich werde deine Großmutter überzeugen, dass sie mir erlaubt, heute Abend mit dir tanzen zu gehen.«
Erst wirkte Sandra fassungslos, dann lachte sie. »Okay. Aber dafür musst du schon der beste Verkäufer auf der ganzen Welt sein.«
Am Fuß der Treppe blieb Sonny stehen. »Verrat mir eins. Liebst du mich, Sandra?«
Sandra erwiderte ohne zu zögern: »Ja, ich liebe dich.«
Sonny zog sie an sich und küsste sie.
Vom oberen Ende der Treppe hallte Mrs. Columbos Stimme die Treppe herunter. »Wie lange dauert es, ein paar Stockwerke hochzusteigen? Eh! Sandra!«
»Wir kommen, Großmutter«, rief Sandra zurück und nahm Sonnys Hand.
Giuseppe Mariposa schaute nachdenklich aus dem bogenförmigen Eckfenster eines Apartments im obersten Stockwerk eines Gebäudes an der 25. Straße in Manhattan. Im Licht des Spätnachmittags sah er in der Scheibe sein Spiegelbild und dahinter, an der Kreuzung des Broadway und der Fifth Avenue, das hoch aufragende Dreieck des Flatiron Building. Der weiße Kalkstein der obersten Stockwerke des Flatiron hob sich deutlich von dem dunklen Himmel ab – sie sahen aus wie ein Pfeil, der über dem Verkehr schwebte, über den Straßenbahnen und Doppeldeckern, die aus der Fifth Avenue auf den Madison Square rollten. Das Wetter war heute sehr wechselhaft gewesen, und immer wieder waren heftige Gewitter mit Blitz und Donner über die Stadt gezogen und hatten hellen Sonnenschein und regennasse Straßen zurückgelassen. Jetzt war es wieder bewölkt, die Luft war wie aufgeladen, und das nächste Gewitter war bereits im Anzug. Das weiträumige Fünf-Zimmer-Apartment hinter Giuseppe war leer, ein Labyrinth von Räumen mit hellen Hartholzböden und frisch gestrichenen weißen Wänden, in denen die Rosatos und die Barzinis und Frankie Pentangeli und einige ihrer Jungs herumirrten; sie schauten sich alles an, und ihre Stimmen und Schritte hallten durch die Räume.
Als Giuseppe Frankies Spiegelbild in der Scheibe sah, fuhr er herum. »Frankie? Wo zum Teufel sind die verdammten Möbel? Wie sollen wir uns hier längere Zeit aufhalten? Was hast du dir nur gedacht?«
Frankie kniff die Augen zusammen und betrachtete Giuseppe, als könnte er ihn nur undeutlich erkennen. »Was?«, fragte er. Emilio Barzini tauchte in der offenen Tür auf, den jungen Tits neben sich. Tits, der noch keine einundzwanzig war, sah zwar gut aus, war aber auch ein wenig pummelig, sein Gesicht breit und rund, seine Brust schwabbelig, was ihm seinen Spitznamen eingebracht hatte. Er trug die gleichen dreiteiligen Anzüge wie Emilio, für den er arbeitete, seit er zwölf war, aber an Emilio wirkten sie frisch und elegant und an Tits ausgebeult und zerknittert. So unbeholfen der Junge auch aussehen mochte, war er doch ernsthaft und klug, und Emilio hielt große Stücke auf ihn. »Mensch, Joe«, sagte Frankie, als Mariposa ihn schweigend anstarrte, »du hast gesagt: ›Besorg uns eine Wohnung, und zwar im obersten Stockwerk.‹ Und das hab ich getan.«
»Was hast du denn gedacht, Frankie, aus welchem Grund ich eine solche Wohnung mieten will?«
»Woher soll ich das wissen, Joe? Du hast nichts davon gesagt, dass wir länger hier bleiben würden. Willst du mir erzählen, dass uns ein Krieg bevorsteht?«
»Hab ich irgendetwas von einem Krieg gesagt?«
»Eh, Joe.« Frankie hakte seine Daumen in den Gürtel und sah Mariposa trotzig an. »Behandel mich nicht wie einen stronz’.«
Bevor Giuseppe etwas erwidern konnte, kam Emilio zu ihnen herüber. »Frankie«, sagte er, »spiel jetzt nicht den Beleidigten.« Er trat zwischen Frankie und Giuseppe, die einander wütend anfunkelten. »Manchmal ist es besser, wenn nicht so viele Leute wissen, was läuft. Das ist alles. Hab ich recht, Joe?«
Als Mariposa nickte, sagte Frankie: »In Ordnung.« Zu Emilio sagte er: »Hey, ich muss nicht alles wissen.« An Giuseppe gewandt: »Möchtest du, dass ich die Wohnung mit allem ausstatte, was wir brauchen würden, wenn es Krieg gäbe – Essen, Möbel, ein paar Matratzen, das alles? Du musst mir das nur sagen, dann kümmern sich meine Jungs darum.« Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: »Aber du musst mir schon sagen, was ich machen soll. Ich kann nicht Gedanken lesen.«
Giuseppe blickte von Tits zu Emilio und dann wieder zu Frankie. In den Zimmern nebenan war es still geworden, und er vermutete, dass die Rosatos und die anderen alle zuhörten. Als er sich zu Frankie umwandte, sagte er: »Deine Jungs sollen alles so einrichten, als würde es Krieg geben.«
»Klar«, sagte Frankie mit schriller Stimme. »Ich kümmer mich sofort darum.«
»Gut«, erwiderte Giuseppe. »Und zwar noch heute. Zumindest die Matratzen und das Essen müssen bis heute Abend da sein.« Er drehte sich wieder zu dem Eckfenster um. Der Himmel war dunkler geworden, und die Scheibe hatte sich in einen Spiegel verwandelt. Er beobachtete, wie Frankie hinter ihm das Zimmer verließ und dabei Emilio flüchtig zunickte, während Tits den Kopf abwandte, als würde er sich fürchten, Frankie in die Augen zu blicken. In den anderen Zimmern ertönten wieder Stimmen, und dann gingen Emilio und Tits in den Flur hinaus. Er blieb allein zurück, und es fing an zu regnen. Der weiße Pfeil des Flatiron Building schwebte noch immer am grauen Himmel.
Mrs. Columbo nippte an ihrer Tasse mit schwarzem Kaffee und beobachtete Sonny argwöhnisch. Sonny putzte ein weiteres ihrer Zuckerplätzchen weg und erzählte von den beiden Jungs aus dem Viertel, Johnny Fontane und Nino Valenti, und was für ein toller Sänger Johnny doch sei und dass Nino Mandoline spielen könne wie ein Engel. Gelegentlich nickte sie oder brummte etwas, doch die meiste Zeit wirkte sie entweder gelangweilt oder misstrauisch, während sie Kaffee trank und aus dem vom Regen gestreiften Küchenfenster ihrer Wohnung schaute, die klein und beengt und von dem zuckersüßen Geruch des Backwerks erfüllt war. Sandra, die gegenüber von Sonny am Küchentisch saß und ein Wasserglas in beiden Händen hielt, hatte in der letzten halben Stunde kaum ein Dutzend Wörter gesagt, während Sonny auf ihre Großmutter einredete, die hin und wieder etwas erwiderte.
»Mrs. Columbo«, sagte Sonny und hielt dann inne, stellte seine Tasche auf den Tisch und verschränkte die Arme vor der Brust – offenbar wollte er etwas Bedeutungsvolles sagen. »Wie kommt es, dass Sie einem braven italienischen Jungen wie mir nicht vertrauen?«
»Was?« Mrs. Columbo schien von dem abrupten Themenwechsel völlig verblüfft. Sie betrachtete die Schale mit Plätzchen, die in der Mitte des Tisches stand, als hätten diese Sonny zu seiner überraschenden Frage veranlasst.
»Ich möchte Ihre Enkelin heute Abend zum Essen ausführen, und zwar in das Restaurant, in dem Johnny und Nino auftreten. Sandra ist der Meinung, dass das nicht infrage kommt, dass Sie mir nie erlauben werden, sie auszuführen. Und so frage ich Sie mit allem Respekt, warum Sie einem braven italienischen Jungen wie mir, dessen Familie Sie kennen und zu ihren Freunden zählen, nicht vertrauen?«
»Ah!« Mrs. Columbo knallte ihre Tasse auf den Tisch, und der Kaffee schwappte über. Sie sah aus, als sei sie mehr als gewillt, diese Diskussion mit Sonny zu führen. »Du fragst mich, warum ich einem braven italienischen Jungen wie dir nicht vertraue?« Sie wedelte mit einem einzelnen ausgestreckten Finger vor Sonnys Nase herum. »Weil ich alles über Männer weiß, Santino Corleone! Ich weiß, was Männer wollen!« Sie spuckte die Worte geradezu aus und beugte sich dabei über den Tisch. »Vor allem junge Männer, aber eigentlich alle. Ihr seid alle gleich – und Sandra und ich, wir haben keinen braven Familienvater, der uns beschützt!«
»Mrs. Columbo …« Sonny neigte den Kopf, womit er anzudeuten schien, dass er durchaus nachvollziehen konnte, warum sie sich Sorgen machte. Er griff nach einem der köstlichen Plätzchen. »Aber ich möchte Sandra doch nur in ein Restaurant ausführen«, sagte er in besonders vernünftigem Tonfall und legte das Plätzchen auf den Teller neben seine Tasse, »damit sie Johnny und Nino hören kann. Die beiden sind von hier! Sie kennen sie. Das ist ein wirklich vornehmes Lokal, Mrs. Columbo.«
»Warum willst du unbedingt essen gehen?«, fragte Mrs. Columbo. »Ist unser Haus nicht gut genug für dich? Hier bekommst du etwas Besseres zu essen als in einem feinen Restaurant – und du musst nicht dein schwer verdientes Geld dafür ausgeben!«
»Dem widerspreche ich nicht«, sagte Sonny. »Kein Restaurant kann es mit Ihren Kochkünsten aufnehmen.«
»Und?« Mrs. Columbo wandte sich zum ersten Mal zu Sandra um, als wäre ihr gerade erst eingefallen, dass sie mit am Tisch saß, und als hoffte sie auf ihre Unterstützung. »Warum will er sein Geld in irgendeinem Restaurant ausgeben?«, fragte sie ihre Enkelin.
Sandra sah Sonny an.
»Hören Sie, Mrs. Columbo …« Sonny wurde blass, als er in die Hosentasche griff und etwas herausholte, das er in seiner Faust verborgen hielt. »Das ist für Sandra«, sagte er und öffnete die Hand. Zum Vorschein kam eine kleine schwarze Schatulle. »Eigentlich wollte ich Sandra heute beim Abendessen damit überraschen, aber da wir ohne Ihre Zustimmung nicht gemeinsam ausgehen dürfen …« Er hielt Mrs. Columbo die Schatulle hin, ohne Sandra anzuschauen, die die Hände vor den Mund geschlagen hatte.
»Was ist das für eine Dummheit?« Mrs. Columbo riss Sonny die Schatulle aus der Hand und öffnete sie. Zum Vorschein kam ein Diamantring.
»Das ist unser Verlobungsring.« Sonny sah Sandra über den Tisch hinweg an. »Sandra und ich werden heiraten.« Als Sandra nickte, breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus, und er fügte theatralisch hinzu: »Aber nur, wenn Sie uns erlauben auszugehen und Johnny und Nino spielen zu hören, wo ich in angemessenem Rahmen um ihre Hand anhalten kann!«
»Wenn das ein Trick ist«, sagte Mrs. Columbo und wedelte wieder mit dem Finger, »dann gehe ich zu deinem Vater!«
Sonny legte sich die Hand aufs Herz. »Wenn ich Ihre Sandrinella heirate«, sagte er und erhob sich, »werden Sie einen Mann in Ihrer Familie haben, der Sie beschützt.« Er nahm Mrs. Columbo an der Schulter und küsste sie auf die Wange.
Mrs. Columbo packte Sonny am Kinn und schaute ihm in die Augen. Dann sagte sie, als wäre sie wütend: »Eh! Sie solltest du küssen, nicht mich!«, und deutete auf Sandra. »Bring sie vor zehn Uhr nach Hause«, sagte sie, als sie die Küche verließ, »sonst gehe ich zu deinem Vater!« In der Tür drehte sie sich noch einmal um und hob den Finger, als wollte sie dem noch etwas hinzufügen, doch stattdessen nickte sie nur und ließ Sonny und Sandra allein.
Ettore Barzini folgte Giuseppe, während dieser das Dach begutachtete, und hielt ihm einen Regenschirm über den Kopf. Unterdessen sorgte Tits auf dieselbe Weise dafür, dass Emilio nicht nass wurde. Die anderen Jungs waren immer noch unten in der leeren Wohnung; irgendjemand hatte sie mit Sandwiches und einer Kiste Coca-Cola versorgt. Giuseppe ging zum Rand des Daches und schaute auf die Straße hinunter. Fußgänger hasteten, unter farbenfrohen Regenschirmen verborgen, dichtgedrängt die Avenue entlang. Es regnete nur leicht, aber unablässig, und in der Ferne zeigte sich hinter den Wolken hin und wieder ein blasser Blitz, gefolgt von leisem Donnergrollen. Giuseppe deutete auf die schwarzen Bögen einer Feuerleiter und sagte zu Emilio: »Sorg dafür, dass deine Jungs die Bolzen lockern, damit hier keiner von der Straße raufklettern kann.«
»Klar«, erwiderte Emilio. Eine Windbö zerzauste ihm das Haar, und er strich sich die Strähnen aus der Stirn. »Ehrlich gesagt, Joe«, sagte er, »glaube ich, dass Vito morgen mit eingezogenem Schwanz bei uns vor der Tür steht, wenn wir heute Nacht Clemenza und Genco erledigen.«
Giuseppe zog sein Jackett straff und wandte dem Wind den Rücken zu. An jeder Ecke des Gebäudes hockte ein dämonisch grinsender Wasserspeier und blickte auf die Straße hinunter. Mariposa schwieg einen Moment und sagte dann: »Das würde ich gerne erleben, wie Vito Corleone mit eingezogenem Schwanz vor mir steht. Weißt du, was ich dann machen würde?«, fragte er und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Ich würde ihn trotzdem umbringen. Aber erst würde ich mir die großen Reden anhören, die er so gerne schwingt.« Seine Augen leuchteten. »Ach ja«, sagte er, als stünde Vito vor ihm. »Tatsächlich? Das ist ja interessant, Vito.« Er hob die Hand, als würde er eine Pistole halten, und zielte damit auf Emilios Kopf. »Peng! Aus nächster Nähe, so dass sein Gehirn an die Wand klatscht. Und dann würde ich zu ihm sagen: Da hast du meine Antwort, Vito. Und, was hältst du davon?« Er sah Tits und Ettore an, als wäre ihm gerade erst wieder eingefallen, dass sie da waren. Die beiden jungen Männer lächelten, als hätte seine Geschichte ihnen ungeheuer Spaß gemacht.
Emilio lächelte nicht. »Vito Corleone ist ein kluger Mann«, sagte er. »Ich kann ihn genauso wenig leiden, Joe, aber er schwingt nicht nur große Reden. Wenn wir Clemenza und Genco kaltmachen, trifft ihn das hart, und er selbst wird das nur zu gut wissen.« Er hielt inne, trat einen Schritt auf Tits zu und zog die Hand des Jungen ein paar Zentimeter nach unten, damit der Regenschirn ihn besser schützte. »Er wird nur zu gut wissen, wie hart ihn das trifft«, wiederholte Emilio, »und dann wird er uns, so glaube ich, geben, was wir von ihm haben wollen. Andernfalls muss er uns den Krieg erklären, und er weiß, dass er den verlieren wird – und er ist kein Hitzkopf. Er ist nicht verrückt. Wir können uns darauf verlassen, dass er tut, was für seine Familie am besten ist.«
Ein Blitz zuckte herab, heller als die anderen, und erleuchtete für einen Augenblick die dunklen Wolken. Giuseppe wartete, bis es donnerte, was einige Sekunden dauerte, ein fernes, gedämpftes Grollen. »Also soll ich ihn nicht von vornherein zu sehr unter Druck setzen?«
»Ich glaube, er wird dir dazu überhaupt keine Gelegenheit geben.« Emilio legte Giuseppe den Arm um die Schulter und geleitete ihn zu der Tür, die nach unten führte, während der Regen immer heftiger wurde. »Vito ist nicht dumm«, fuhr er fort, »aber schon bald …« Er öffnete die Handflächen, eine Geste, die nahelegte, dass er Mariposa die Zukunft zeigte. »Wir werden dafür sorgen, dass er immer schwächer wird, und dann … dann machen wir ihn endgültig fertig.«
»Das Einzige, was mir Sorgen bereitet«, sagte Giuseppe, »ist Luca Brasi. Das gefällt mir nicht.«
Tits öffnete die Tür und trat beiseite. »Mir auch nicht«, sagte Emilio und blieb neben Tits stehen. »Aber was sollen wir machen? Wenn wir Luca aus dem Weg räumen müssen, dann tun wir das eben.«
»Tommy will Brasi das Herz herausreißen«, sagte Giuseppe und blieb am oberen Ende der Treppe direkt unter einer Lampe stehen. »Was ist mit Vitos Sohn, Sonny?«, fragte er Emilio. »Ist er ein Problem?«
»Sonny? Der ist ein bambino. Aber wenn wir Vito aus dem Weg räumen, werden wir ihn wohl auch erledigen müssen.«
»In diesem Geschäft gibt es zu viele Söhne«, sagte Giuseppe und musste an die LaContis denken. Er hielt inne und wartete, bis Tits die Tür zum Dach mit einem Schlüssel abschloss, den Emilio ihm gegeben hatte. »Hast du dich um die Zeitungsleute gekümmert?«, fragte er Emilio.
»Die werden zusammen mit den Fotografen im Club sein.«
»Gut. Es ist immer klug, ein Alibi zu haben.« Giuseppe setzte einen Fuß auf die oberste Stufe und drehte sich noch einmal um. »Du hast uns einen Tisch vor der Bühne reserviert, ja?«
»Joe, das ist alles erledigt.« Emilio legte ihm die Hand auf den Arm und führte ihn die Treppe hinunter. »Was ist mit Frankie? Er sollte uns begleiten.«
Giuseppe schüttelte den Kopf. »Ich vertraue ihm nicht. Ich möchte nicht, dass er mehr weiß, als er unbedingt wissen muss.«
»Hör mal, Joe, ist Frankie jetzt auf unserer Seite oder nicht?«
»Ich weiß es nicht. Wir werden ja sehen, wie alles läuft.« Am unteren Ende der Treppe wartete Carmine Rosato. »Vertraust du denn den beiden Anthonys?«, fragte Giuseppe Emilio.
»Die sind in Ordnung. Ich hab schon mal mit ihnen zusammengearbeitet.«
»Ich weiß ja nicht.« Giuseppe blieb neben Carmine stehen. »Diese Typen aus Cleveland, das sind alles Hanswürste, Forlenza und der ganze Rest.«
»Bisher konnte ich mich immer auf sie verlassen.«
»Und wir wissen mit Sicherheit, dass Clemenza und Genco da sein werden?«, fragte Giuseppe. »Von diesem Angelo’s hab ich noch nie gehört.«
»Das ist ein kleines Familienlokal auf der East Side«, antwortete Carmine. »Der Sohn eines unserer Jungs arbeitet dort. Clemenza und Abbandando essen andauernd da. Sie reservieren unter falschem Namen, aber dieser Angelo hat gehört, wie sie einander bei ihrem richtigen Namen nennen. Also sagte er zu dem Jungen: ›Reservierungen für Pete und Genco.‹ Dem Jungen geht ein Licht auf – Pete Clemenza, Genco Abbandando. Und er erzählt es seinem Vater …«
»Glück gehabt«, sagte Emilio. »War auch an der Zeit.«
Bei der Vorstellung, dass das Glück auf seiner Seite war, musste Mariposa lächeln. »Sorg dafür, dass diese Visagen aus Cleveland alles haben, was sie brauchen.« Zu Tits sagte er: »Du weißt, wo sie untergeschlüpft sind?« Als Tits das bejahte, zog Giuseppe eine Rolle Geldscheine aus der Tasche und gab Tits einen Zwanziger. »Besorg ihnen ein paar Nelken. Ich möchte, dass sie gut aussehen, wenn sie diese beiden Wichser kaltmachen – richte ihnen das aus!«
»Klar«, erwiderte Tits. »Wann? Jetzt gleich?«
»Nein, gestern.« Giuseppe versetzte Tits einen Klaps auf den Hinterkopf. Dann lachte er und schob ihn die Treppe hinunter. »Ja, jetzt sofort. Du hast gehört, was ich gesagt habe.«
»Nimm meinen Wagen«, sagte Emilio und reichte Tits die Schlüssel. »Und komm gleich wieder hierher.«
»Klar«, sagte Tits. Er warf Emilio noch einen kurzen Blick zu und eilte dann die Treppe hinunter. Hinter sich hörte er, wie die Unterhaltung fortgesetzt wurde, doch er war bereits außer Hörweite.
Vor dem Haus suchte Tits die Straße nach geparkten Autos ab. Als er Emilios Wagen sah, ging er darauf zu und dann daran vorbei bis zur Ecke der 24. Straße, wo er wieder beide Straßenseiten absuchte. Ein Stück in Richtung Sixth Avenue entdeckte er Frankies schwarzen DeSoto und schlenderte hinüber, wobei er hin und wieder einen Blick über die Schulter warf. Als er den Wagen erreichte, beugte er sich auf der Beifahrerseite zum Fenster hinunter, das offen war.
»Steig ein«, sagte Frankie. »Ich hab die Straße im Auge behalten, die Luft ist rein.«
Der Junge folgte der Aufforderung und rutschte dann nach unten, bis seine Knie auf dem Armaturenbrett ruhten und sein Kopf von der Rückenlehne verborgen wurde.
Frankie Pentangeli schaute zu ihm hinunter und lachte. »Ich hab dir doch gesagt, dass da niemand ist.«
»Ich will nicht erklären müssen, was ich in deinem Wagen verloren hatte.«
»Und, was hast du hier verloren?«, fragte Frankie, noch immer sichtlich belustigt. »Was hast du für mich?«
»Heute Abend ziehen sie’s durch. Emilio hat die beiden Anthonys aus Cleveland herbeordert.«
»Anthony Bocatelli und Anthony Firenza«, sagte Frankie, jetzt plötzlich ernst. »Und sonst niemand?«
»Nur Fio Inzana«, sagte Tits. »Der fährt. Alle anderen werden im Stork Club sein und sich fotografieren lassen.«
»Alle außer mir.« Frankie holte einen Umschlag aus der Tasche und reichte ihn Tits.
Tits schob seine Hand weg. »Ich will kein Geld. Da komm ich mir vor wie Judas.«
»Junge …« Frankie war offensichtlich der Meinung, er sollte das Geld nehmen.
»Vergesst mich nur nicht, wenn absehbar ist, wer aus dieser Sache als Sieger hervorgeht.« Er sah zu Frankie hoch. »Ich hasse Jumpin’ Joe, il bastardo.«
»Du und der Rest der Welt«, erwiderte Frankie und steckte den Umschlag wieder ein. »Ich werd das nicht vergessen. Du hältst jetzt erst mal den Mund, damit du nicht mit reingerissen wirst, wenn die Sache schiefgeht. Kapiert? Kein Wort zu niemand!«
»Klar. Aber wenn du mich brauchst, sagst du Bescheid, ja?« Tits schob den Kopf über die Rücklehne und schaute die Straße hinunter. »Okay, Frankie«, sagte er und stieg aus. »Hals und Beinbruch.«
Frankie sah Tits nach, bis er am Broadway um die Ecke verschwunden war. Dann erst ließ er den Wagen an, brummte »V’fancul’« und ordnete sich in den Verkehr ein.
Auf der Bühne, einem Podest am hinteren Ende eines langen, schmalen Raumes, der an einen Eisenbahnwaggon erinnerte, beugte sich Johnny über ein Mikrofon, das er in der linken Hand hielt, und gab eine besonders gefühlvolle Version von »I Cover the Waterfront« zum Besten, die rechte Hand offen an der Taille, die Handfläche dem Publikum zugewandt, als würde er die Leute anflehen, ihm zuzuhören. Zumeist schenkten ihm die Dutzende von Gästen jedoch keine Beachtung; sie saßen auf ihr Essen konzentriert an Tischen, die so dicht beieinander standen, dass sich die Kellner seitlich zwischen ihnen hindurchmanövrieren mussten, die Tabletts hoch über den Köpfen. Einige der Frauen blickten jedoch zur Bühne und hörten zu, und sie alle hatten denselben sehnsüchtigen Gesichtsausdruck, während sie den schlanken Sänger mit der Fliege anschauten und ihre Freunde oder Männer sich selbstvergessen auf ihr Essen stürzten oder zu ihren Wein- oder Schnapsgläsern griffen. Nirgendwo war Platz zum Tanzen. Selbst um zur Toilette zu gelangen, musste man sich zwischen den Stuhllehnen hindurchwinden. Trotzdem, das Lokal war todschick, wie Johnny versprochen hatte. Die Frauen trugen lange Kleider, Perlenketten und funkelnden Diamantschmuck, und die Männer sahen wie Bankiers und Politiker aus in ihren maßgeschneiderten Anzügen und Lacklederschuhen, in denen sich das Licht spiegelte, wenn sie den Raum durchquerten.
»Er singt wirklich schön, findest du nicht auch?«, sagte Sandra. Mit der rechten Hand hielt sie ihr Weinglas am Stiel, während ihre linke nur ein klein wenig unbeholfen auf ihrem Knie ruhte. Sie trug das lange, lavendelfarbene Kleid, das Sonny ihr gekauft hatte. Es schloss sich eng um ihre Taille und Oberschenkel und bauschte sich über ihren Waden – wenn sie lief, strich es über den Boden.
»Heute Abend ist nichts so schön wie du«, erwiderte Sonny und lächelte, als er sah, dass sie schon wieder rot wurde. Er nippte an seinem Whisky, und sein Blick glitt zu Sandras Brüsten hinab. Sie waren vollständig von dem hochgeschlossenen Kragen bedeckt, aber der seidige Stoff enthüllte mehr, als er verbarg.
»Wohin schaust du denn?«, fragte Sandra, und Sonny schoss das Blut ins Gesicht, bevor er sich fing und über ihre Direktheit lachte.
»Du bist voller Überraschungen«, sagte er. »Wenn ich das nur mal früher gewusst hätte.«
»Das ist doch gut, oder? Ein Mädchen sollte ihren Freund hin und wieder überraschen.«
Sonny stützte den Kopf auf die Hände und grinste breit, während er Sandra eingehend musterte. »Die Verkäuferin, die mir geholfen hat, das Kleid auszusuchen, wusste wirklich, was sie tat.«
Sandra stellte ihr Weinglas ab und griff über den Tisch hinweg nach Sonnys Hand. »Ich bin so glücklich, Santino«, sagte sie und blickte zu ihm hoch.
Als die Stille ein wenig zu lange währte, schaute Sonny zur Bühne hinüber. »Er ist ein bisschen verrückt, unser Johnny«, sagte er. »Mein Vater hat ihm einen Job als Nieter auf einer der Schiffswerften besorgt, aber er möchte unbedingt Sänger werden.« Sonny zog ein Gesicht, das zeigen sollte, dass er Johnny nicht verstand. »Aber er hat eine tolle Stimme, was?« Als Sandra nur nickte, fügte er hinzu: »Seine Mutter ist wirklich eine Nummer. Madon’!«
»Was ist mit seiner Mutter?«, wollte Sandra wissen. Sie hob das Weinglas und trank einen ordentlichen Schluck.
»Eigentlich nichts. Sie ist ein bisschen verrückt, das ist alles. Von ihr hat Johnny es wahrscheinlich. Sein Vater ist Brandmeister. Ein guter Freund der Familie.«
Sandra hörte aufmerksam zu, während Johnny das Lied von Nino begleitet zu Ende sang. »Sie machen beide einen netten Eindruck«, sagte sie dann.
»Die sind klasse«, sagte Sonny. »Erzähl mir von Sizilien. Wie war es, dort aufzuwachsen?«
»Ein Großteil meiner Familie ist beim Erdbeben umgekommen.«
»Oh. Das wusste ich nicht. Tut mir leid.«
»Das war vor meiner Geburt«, erwiderte sie, als wollte sie Sonny damit sagen, dass er sich dewegen keine Gedanken machen musste. »Alle meine Verwandten, die überlebt haben, haben Messina verlassen und sind nach Amerika ausgewandert. Manche sind später wieder zurückgekehrt und haben noch einmal von vorne angefangen. Also habe ich, obwohl ich aus Sizilien stamme, immer von dem wunderbaren Amerika gehört und was für ein tolles Land es ist.«
»Warum sind sie dann zurückgegangen?«
»Keine Ahnung. Sizilien ist herrlich«, fügte sie dann hinzu. »Ich vermisse die Strände und die Berge, vor allem Lipari – da waren wir immer in Ferien.«
»Wie kommt es, dass ich dich nie Italienisch reden höre?«, fragte Sonny. »Nicht einmal mit deiner Großmutter.«
»Meine Eltern haben meistens Englisch gesprochen, und meine Verwandten auch. Sie haben mich auf die Schule geschickt, damit mein Englisch besser wird … und jetzt ist es besser als mein Italienisch!«
Darüber musste Sonny lachen, und von weiter hinten, von den Tischen vor der Bühne, wo Nino mit Johnny herumblödelte, ertönte ebenfalls ein lautes Lachen.
»Das Essen …«, flüsterte Sandra, als wollte sie Sonny warnen, dass der Kellner im Anmarsch war. Ein großer, gutaussehender Mann mittleren Alters, der mit einem französischen Akzent sprach, tauchte neben ihrem Tisch auf. Er stellte zwei zugedeckte Teller vor sie hin, und während er mit großer Geste die Silberhaube herunterriss, verkündete er, was darunter zum Vorschein kam. »Cordon bleu vom Huhn«, sagte er zu Sandra. »Und ein Porterhousesteak halb durch für den Herrn«, was für Sonnys Ohren allerdings eher wie »Putenhaussteak« klang. Der Kellner wartete einen Moment, ob die Gäste noch etwas wünschten, und als sie schwiegen, verbeugte er sich knapp und ging.
»Meint der vielleicht, wir hätten vergessen, was wir bestellt haben?«, fragte Sonny und äffte den Akzent des Kellners nach. »Puhter’aussteik!«
»Schau«, sagte Sandra, die sich wieder der Bühne zugewandt hatte. Johnny war gerade unter höflichem Applaus vom Podium gestiegen und bahnte sich einen Weg zu ihrem Tisch.
Sonny stand auf, um ihn zu begrüßen. Sie umarmten einander und klopften sich auf den Rücken. »Oh!«, sagte Johnny und deutete auf das blutige Steak auf Sonnys Teller. »Bist du sicher, dass das tot ist?«
»Johnny«, sagte Sonny, ohne auf seinen Witz einzugehen, »darf ich dir meine zukünftige Ehefrau vorstellen?«
Johnny trat einen Schritt zurück und sah Sonny an, als wartete er auf die Pointe. »Meinst du das ernst?«, fragte er schließlich. Sandra legte die Hand neben ihrem Teller auf das Tischtuch; der Diamant an ihrem Finger war nicht zu übersehen. Johnny schüttelte Sonny die Hand. »Das ist ja nicht zu fassen. Gratuliere, Sonny!« Dann streckte er Sandra die Hand hin. Als sie, ohne aufzustehen, etwas unbeholfen danach griff, beugte er sich darüber und küsste sie. »Wir gehören jetzt zur selben Familie. Sonnys Vater ist mein Patenonkel. Ich hoffe, du denkst künftig als dein Bruder von mir.«
»Yeah, als Bruder«, sagte Sonny und versetzte Johnny einen Schubs. Zu Sandra sagte er: »Vor dem musst du dich in Acht nehmen.«
»Und natürlich werde ich bei eurer Hochzeit singen«, sagte Johnny zu Sandra und fügte an Sonny gewandt hinzu: »Ich mach dir auch einen guten Preis.«
»Wo ist Nino?«, wollte Sonny wissen.
»Ach, der ist mal wieder sauer auf mich.«
»Was hast du angestellt?«
»Nichts! Der hat dauernd wegen irgendwas miese Laune.« Johnny zuckte mit den Achseln, als wäre ihm Nino ein Rätsel. »Ich muss wieder an die Arbeit«, sagte er und senkte dann die Stimme. »Das sind solche Langweiler hier. Eine Visage fragt mich dauernd, wann ich endlich ›Inka Dinka Doo‹ singe. Seh ich vielleicht wie Jimmy Durante aus? Das musst du jetzt nicht beantworten!«, sagte er, bevor Johnny die Gelegenheit ergreifen konnte.
Als er sich gerade umdrehen wollte, sagte Sandra: »Du singst wunderschön, Johnny.«
Johnnys Gesichtsausdruck veränderte sich, und er wirkte plötzlich weit jünger und argloser. Offenbar fiel ihm keine Antwort ein, denn er sagte nur: »Vielen Dank«, und ging zurück auf die Bühne, wo Nino bereits auf ihn wartete.
»Meine Damen und Herren«, wandte er sich ans Publikum, »das nächste Lied möchte ich meinem lieben Freund Sonny Corleone widmen und der wunderschönen jungen Dame in dem lavendelfarbenen Kleid« – er deutete zu ihrem Tisch hinüber, und Sonny wiederum deutete auf Sandra –, »die ganz offensichtlich viel zu schön ist für einen Trampel wie Sonny, die aber, aus Gründen, die wir gewöhnliche Sterbliche nie werden verstehen können, gerade zugestimmt hat, ihn zu heiraten.« Die Gäste applaudierten höflich. Nino ließ fast seine Mandoline fallen, bevor er die Arme ausbreitete und Sonny und Sandra zunickte. »Das ist ein neues Stück von Harold Arlen«, fuhr Johnny fort, »und ich vermute mal, dass es ziemlich gut beschreibt, wie sich mein Freund Sonny jetzt fühlt.« Er drehte sich um und flüsterte Nino etwas zu. Dann beugte er sich über das Mikrofon und stimmte »I’ve Got the World on a String« an.
Sandra hatte ihr Cordon bleu völlig vergessen und nur noch Augen für die Bühne. Sonny griff über den Tisch hinweg nach ihrer Hand, dann saßen sie beide schweigend da und lauschten, wie alle anderen Gäste auch, Johnnys Gesang.
Im Angelo’s hatte der Kellner gerade ein zugedecktes Tablett an den Tisch von Clemenza und Genco gebracht, die sich zwanglos unterhielten, eine runde, mit Stroh umwickelte Flasche Chianti zwischen sich auf der roten Tischdecke. Gencos Ellenbogen ruhten rechts und links von seinem Teller, die Handflächen vor seinem Gesicht zusammengedrückt, rieb er sich mit den Fingerspitzen die Nase. Hin und wieder nickte er, während er Clemenza zuhörte, der einen Großteil des Gespräches bestritt. Beide wirkten sehr in ihre Unterhaltung vertieft, und sie schienen sich auch nicht für das Tablett zu interessieren, das gerade gebracht worden war. Das Restaurant war winzig; es hatte nur sechs Tische, und diese standen dicht beieinander. Clemenza hatte der Küche den Rücken zugewandt, und Genco konnte durch eine Luke in der Schwingtür Angelo an einem Ofen neben einer Edelstahltheke hantieren sehen. Die vier anderen Gäste saßen paarweise an Tischen, die einander an den Wänden gegenüberstanden, so dass ihre beiden Tische die Grundlinie eines Dreiecks bildeten, mit Clemenza und Genco an der Spitze. In dem Lokal war es ruhig; außer den Gesprächen der Gäste war nur das gelegentliche Klappern von Töpfen und Pfannen aus der Küche zu hören.
Um das Angelo’s von der Straße her zu betreten, mussten die beiden Anthonys drei Stufen hinabsteigen und eine schwere Holztür mit einem Messingschild unter einem kleinen rechteckigen Fenster aufziehen. Dieses Messingschild mit dem Namen des Restaurants war der einzige Hinweis, dass es sich um ein Lokal handelte; ansonsten sahen die rote Backsteinmauer und der Eingang eher nach einer typischen Souterrainwohnung aus. Anthony Firenza warf einen Blick zu dem schwarzen viertürigen Chrysler hinüber, der vor dem Restaurant parkte. Am Steuer saß Fio Inzana, ein junger Kerl mit Pfirsichflaum auf dem Gesicht. Er sah kein Jahr älter als sechzehn aus. Firenza gefiel es nicht, dass ihr Fahrer ein bambino war. Es machte ihn nervös. Bocatelli, der andere Anthony, spähte neben ihm durch die beschlagene Scheibe des kleinen Fensters in das Restaurant hinein. Er war der Größere der beiden, obwohl sie einander ansonsten hinsichtlich Statur und Alter recht ähnlich waren – beide gingen auf die fünfzig zu, beide waren ziemlich genau eins fünfundfünfzig groß. Sie kannten sich, seit sie gemeinsam in derselben Straße in Cleveland Heights aufgewachsen waren. Als Teenager hatten sie gemeinsam Bekanntschaft mit der Polizei gemacht, und seit sie die zwanzig überschritten hatten, waren sie überall nur noch als die beiden Anthonys bekannt.
Bocatelli zuckte mit den Achseln und sagte: »Viel kann ich nicht erkennen. Bist du bereit?«
Firenza schaute durch das Fenster. Er konnte die ungefähren Umrisse von ein paar Tischen sehen. »Sind anscheinend nur ein paar Leute da. Sollte kein Problem sein, sie zu finden.«
»Aber du kennst sie, ja?«, wollte Bocatelli wissen.
»Ist ein paar Jahre her, aber Pete erkenne ich schon wieder. Bist du bereit?«
Die Anthonys trugen beide einen schwarzen Trenchcoat über einem eleganten Dreireiher mit weißem Tabkragen und goldener Kragenklammer, am Revers eine dazu passende weiße Nelke. Unter Firenzas Trenchcoat verbarg sich eine abgesägte Schrotflinte in einem Taillenholster. Im Vergleich dazu war Bocatelli mit einem .45er Colt in der Manteltasche nur leicht bewaffnet.
»Eigentlich mag ich Pete ganz gern«, sagte Firenza. »Er ist ein lustiger Kerl.«
»Dann schicken wir ihm eben einen hübschen Kranz«, erwiderte Bocatelli. »Seine Familie wird das bestimmt zu schätzen wissen.«
Firenza trat einen Schritt zurück, und Bocatelli hielt ihm die Tür auf.
Clemenza erkannte ihn sofort, und Firenza tat überrascht, ihn hier zu sehen. »Eh, Pete«, sagte er und öffnete seinen Trenchcoat. Bocatelli trat neben ihn, und gemeinsam schritten sie auf den Tisch zu. Genco drehte sich auf seinem Stuhl um, als Bocatelli gerade die Hand in die Tasche schob – und dann schwangen die Küchentüren auf, und ein Riese von einem Mann stapfte hindurch. Seine Arme hingen wie kraftlos herab, und sein Gesicht war grotesk entstellt. Der Mann war so groß, dass er sich unter der Tür ducken musste. Er machte ein paar Schritte in den Raum hinein und blieb hinter Clemenza stehen. Firenza hatte bereits eine Hand in seinem Trenchcoat und wollte gerade das Gewehr aus dem Holster ziehen, und Bocatellis Finger berührten den Griff des Colts. Doch als die bestia durch die Küchentür hereinkam, erstarrten die Männer beide. Luca und die beiden Anthonys sahen einander über die Köpfe von Pete und Genco hinweg an, und niemand rührte sich, bis zwei Schüsse auf der Straße sie aufschreckten. Bocatelli wandte leicht den Kopf, als hätte er überlegt, sich zur Tür umzudrehen, doch dann machte er genau dieselbe Bewegung wie Firenza neben ihm und zog den Colt aus der Tasche, während Firenza den Lauf des Gewehrs hochriss. Der riesige, unbewaffnete Mann hinter Clemenza schien sie ein wenig aus der Fassung gebracht zu haben, bevor ihnen klar wurde, was los war, und sie nach ihren Waffen griffen – aber da war es schon zu spät. Die vier Männer an den Tischen entlang der Wände hatten bereits ihre Pistolen in der Hand. Sie hoben sie unter roten Stoffservietten hervor und feuerten scheinbar gleichzeitig ein Dutzend Schüsse ab.
Clemenza hob ein Weinglas an die Lippen. Nachdem die Schüsse verhallt waren, kamen zwei seiner Männer aus der Küche. Einer trug eine Plastikplane, der andere einen Eimer und einen Scheuerlappen, und kurz darauf wurden die beiden Anthonys durch die Küchentür hinausgetragen. Zurück blieben nur ein paar nasse Dielen, wo das Blut aufgewischt worden war. Richie Gatto und Eddie Veltri, zwei der vier Männer, die geschossen hatten, traten zu Clemenza, während Luca Brasi den anderen ohne ein Wort in die Küche folgte. »Legt die Leichen in den Wagen mit dem Fahrer und bringt sie zum Fluss hinunter«, sagte Clemenza.
Richie schaute durch die Luke, wie um sich zu vergewissern, dass ihnen niemand zuhörte. »Dieser Brasi hat wirklich Mut«, sagte er zu Clemenza. »Keine Pistole, kein gar nichts. Steht einfach nur da.«
»Hast du das gesehen?«, sagte Genco zu Clemenza. »Die Anthonys sind wie angewurzelt stehen geblieben, als er durch die Tür kam.«
Clemenza schien das nicht zu beeindrucken. Zu Richie und Eddie sagte er: »Andate!«, und als sie hinausgingen, wandte er sich um und rief Richtung Küche: »Frankie! Was treibst du da drin?«
Frankie Pentangeli kam aus der Küche, während die Türen noch hin- und herschwangen, nachdem Richie und Eddie hindurchgegangen waren.
»Komm her!«, sagte Clemenza, der plötzlich äußerst aufgeräumt wirkte. »Setz dich!« Er zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor. »Schau dir das an!« Er nahm die Haube von dem Silberteller, der in der Mitte des Tisches stand, und zum Vorschein kam ein gebackener Lammkopf, der in zwei Stücke geteilt war, die milchigen Augäpfel noch immer an Ort und Stelle.
»Capozzell’«, sagte Genco. »Niemand bereitet das besser zu als Angelo.«
»Capozzell’ d’angell’«, sagte Frankie mit seiner rauhen Stimme, als würde er mit sich selbst reden. Er lachte leise. »Mein Bruder in Catania macht das auch. Er ist ganz wild auf das Hirn.«
»Ah! Das liebe ich auch, das Hirn!«, erwiderte Clemenza. »Setz dich!« Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Mangia!«
»Gerne.« Frankie klopfte Genco grüßend auf die Schulter und nahm Platz.
»Angelo!«, rief Clemenza in die Küche. »Bring noch ein Gedeck!«
»Wir müssen noch über Geschäftliches sprechen«, sagte Frankie, während Genco ein Weinglas vom Tisch nebenan nahm und ihm etwas Chianti einschenkte.
»Nicht jetzt«, sagte Clemenza. »Du hast gute Arbeit geleistet. Wir reden später, mit Vito. Jetzt«, sagte er und packte Frankie am Handgelenk, »jetzt essen wir.«
»Wenn ich die Augen zusammenkneife«, sagte Sandra, »habe ich das Gefühl zu fliegen.« Sie lehnte sich gegen die Tür und schaute durch das Autofenster hinaus auf die oberen Stockwerke der Apartmentgebäude, die an ihnen vorbeirauschten, die meisten Fenster hell erleuchtet. Manchmal erhaschte sie einen Blick auf die Leute in ihren Wohnungen, die den Verkehr, der an ihnen vorbeiglitt, gar nicht wahrnahmen.
Sonny hatte den West Side Highway genommen, der aus der Stadt hinausführte, und jetzt waren sie auf dem Rückweg kurz vor der Ausfahrt zur Arthur Avenue und der Bronx. »Bevor der Highway hochgebaut wurde, hieß er ›Death Avenue‹«, erklärte Sonny. »Als sämtlicher Verkehr noch unten auf der Straße verlief, kam es andauernd zu Unfällen zwischen Zügen und Autos.«
Sandra schien ihn überhaupt nicht zu hören. Nach einer Weile sagte sie: »Heute Abend möchte ich nicht an Unfälle denken. Mir kommt alles vor wie ein Traum.« Sie kniff die Augen zusammen und blickte durch das Fenster zu den Gebäuden und der Skyline hinauf. Als Sonny vom Highway abbog und den Wagen die Ausfahrt hinunterrollen ließ, setzte sie sich auf, rutschte zu ihm hinüber und legte den Kopf auf seine Schulter. »Ich liebe dich, Santino. Ich bin sehr glücklich.«
Sonny schaltete in den zweiten Gang und legte den Arm um sie. Als sie sich noch enger an ihn schmiegte, fuhr er rechts ran, machte den Motor aus, schloss sie in die Arme und küsste sie. Zum ersten Mal begannen seine Hände, ihren Körper zu erkunden. Als er ihre Brüste streichelte und sie sich nicht widersetzte, als sie stattdessen schnurrte wie eine Katze und ihm mit den Fingern durchs Haar fuhr, richtete er sich unvermittelt auf und ließ den Motor an.
»Was ist?«, fragte Sandra. »Sonny …«
Sonny antwortete nicht – ihm war anzusehen, dass er um Worte rang. Auf der Tremont Avenue wäre er fast in einen Pferdewagen hineingefahren.
»Hab ich etwas falsch gemacht?«, fragte Sandra. Sie faltete die Hände im Schoß und starrte zur Windschutzscheibe hinaus, als hätte sie Angst, Sonny anzuschauen, als fürchtete sie, was er sagen könnte.
»Es liegt nicht an dir«, sagte Sonny. »Du bist wunderschön«, fügte er hinzu, während er abbremste und langsam dem Wagen des Schrotthändlers folgte. Schließlich warf er ihr einen raschen Blick zu. »Ich möchte bei dir einfach alles richtig machen. Damit es etwas Besonderes ist, so, wie es sein sollte.«
»Oh«, hauchte Sandra, und in dieser einzelnen Silbe schwang ihre ganze Enttäuschung mit.
»Wenn wir heiraten«, sagte er, »können wir auf Hochzeitsreise gehen. Zum Beispiel zu den Niagarafällen.« Wieder sah er sie an. »Wir können alles so machen, wie es sich gehört, wenn man heiratet.« Er schwieg eine Weile und lachte dann.
»Worüber lachst du?«
»Über mich. Ich glaube, ich verliere den Verstand.«
Sandra schmiegte sich wieder an ihn und umschlang seinen Arm. »Hast du es schon deiner Familie erzählt?«
»Noch nicht.« Er küsste sie schnell. »Ich wollte erst sicher sein, dass du Ja sagst.«
»Das wusstest du doch. Ich bin verrückt nach dir!«
»Was ist da los?« Sonny war gerade in die Straße eingebogen, in der Sandra wohnte, und das Erste, was er sah, war der Essex seines Vaters, der vor ihrem Haus parkte.
»Was denn?« Sandra folgte seinem Blick und schaute dann zum Fenster ihrer Großmutter hinauf.
»Der Wagen dort gehört meinem Vater.« Sonny fuhr direkt vor dem Essex rechts ran, und als er ausstieg, hievte sich gerade, dicht gefolgt von Tessio, Clemenza auf den Gehsteig. Richie Gatto, der hinterm Steuer saß, hob grüßend die Hand. Neben ihm saß, die Hände vor der Brust verschränkt, Al Hats, einen schwarzen Homburg auf dem Kopf.
»Was ist denn los?«, fragte Sonny mit rotem Gesicht.
»Ganz ruhig«, erwiderte Clemenza und umfasste Sonnys Oberarm mit einer fleischigen Pranke.
Tessio, der neben Clemenza stand, sagte: »Es ist alles in Ordnung, Sonny.«
»Warum seid ihr dann hier?«
»Du musst Sandra sein.« Clemenza machte einen Schritt an Sonny vorbei und streckte Sandra die Hand hin.
Sandra zögerte erst und sah Sonny fragend an, und als er nickte, nahm sie Clemenzas Hand. »Wir werden Sonny leider entführen müssen«, sagte Clemenza. »Morgen hat er bestimmt wieder Zeit.«
»Che cazzo!« Sonny wollte sich auf Clemenza stürzen, wurde jedoch von Tessio aufgehalten, der ihn an der Schulter packte und zu sich heranzog.
»Alles in Ordnung, Schätzchen«, sagte Tessio mit ausdrucksloser Stimme zu Sandra; wie immer klang er, als befände er sich in Trauer.
»Santino?«, sagte Sandra sichtlich verängstigt.
Sonny riss sich von Tessio los. »Ich begleite sie zur Tür«, sagte er zu Clemenza, und zu Sandra, während er sie die Treppe hinaufführte: »Das sind enge Freunde meiner Familie. Offenbar gibt es irgendein Problem. Ich werde dir alles erklären, sobald ich weiß, was los ist.«
An der Tür fragte Sandra mit flehentlicher Stimme: »Ist alles in Ordnung, Sonny?«
»Ja, natürlich!« Sonny küsste sie auf die Wange. »Das hat etwas mit unserem Geschäft zu tun.« Er hielt ihr die Tür auf. »Nichts, worum du dir Sorgen machen musst.«
»Bist du sicher?« Sandra schaute an ihm vorbei zu Clemenza und Tessio hinüber, die wie Wachposten rechts und links von dem Essex standen.
»Natürlich bin ich sicher.« Sonny schob sie in den Hausflur. »Wir reden morgen miteinander, versprochen!« Nachdem er ihr einen flüchtigen Kuss auf die Lippen gedrückt hatte, schloss er die Tür hinter ihr und trabte die Treppe hinunter. Als er zwischen Clemenza und Tessio auf der Rückbank des Wagens saß, blickte er von einem zum anderen und fragte in ruhigem Tonfall: »Was ist los?«
Richie ließ den Motor an, und Al hielt Sonny die offene Hand hin.
»Gib ihm deine Wagenschlüssel«, sagte Tessio. »Du kommst mit uns.«
Sonny sah Tessio an, als würde er ihm gleich eine reinhauen, aber er reichte Al seine Schlüssel.
»Wir sehen uns im Büro«, sagte Hats und stieg aus.
»Mariposa«, sagte Clemenza, »hat versucht, Genco und mich umzubringen.«
»Genco?« Sonnys Stimme klang plötzlich sorgenvoll.
»Dem geht es gut«, sagte Clemenza und legte Sonny eine Hand auf die Schulter, wie um ihn zu beruhigen.
»Was ist passiert?«
Richie wendete vorsichtig und fuhr zurück zur Hughes Avenue; Al folgte ihnen in Sonnys Packard.
»Mariposa hat ein paar Killer aus Cleveland angeheuert«, sagte Clemenza. »Sie hatten es auf Genco und mich abgesehen.« Er zuckte mit den Achseln. »Wir haben rechtzeitig davon gehört. Jetzt befinden sie sich im Fluss und versuchen, unter Wasser nach Cleveland zurückzuschwimmen.«
»Und es herrscht Krieg«, fügte Tessio hinzu.
Sonny sah Clemenza an. »Machen wir den Hurensohn jetzt endlich kalt?«
»Du kommst mit uns ins Büro«, erwiderte Tessio, »wo wir uns mit deinem Vater treffen. Und wenn du klug bist, hältst du den Mund, hörst zu und tust, was man dir sagt.«
»Dieser Bastard! Wir sollten ihm eine Kugel durch den Kopf jagen. Dann wäre die Sache ein für alle Mal erledigt.«
Clemenza stieß einen langen Seufzer aus. »Du solltest auf Tessio hören, Sonny, und die Klappe halten.«
»Fancul’«, sagte Sonny zu niemand Bestimmtem. »Und ich hab gerade Sandra gefragt, ob sie mich heiraten will.«
Im Wagen wurde es still. Clemenza und Tessio starrten ihn an, und sogar Richie drehte sich um und warf einen raschen Blick nach hinten.
»Weiß dein Vater das schon?«, fragte Clemenza.
»Nee, noch nicht.«
»Und uns erzählst du es zuerst?«, rief Clemenza. Er versetzte Sonny einen Klaps auf den Hinterkopf. »Mammalucc’! So etwas erzählt man zu allererst seinem Vater. Komm her.« Er legte den Arm um Sonny und zog ihn an sich. »Gratuliere! Vielleicht wirst du ja jetzt erwachsen.«
Nachdem Clemenza Sonny losgelassen hatte, umarmte ihn auch Tessio und küsste ihn auf die Wange. »Du bist achtzehn, stimmt’s?«, fragte er. »So alt war ich, als ich meine Lucille geheiratet habe. Das Klügste, was ich je getan hab.«
»Ein großer Tag heute«, sagte Clemenza. »Liebe und Krieg.«
»Gratuliere«, rief Richie nach hinten. »Die Kleine ist umwerfend.«
»Jesus Maria«, sagte Sonny, »Krieg …« Ihm wurde erst allmählich klar, was das bedeutete.
Auf der Hester Street fuhr Richie Gatto hinter dem Lagerhaus rechts ran, wo zwei von Tessios Männern an der Zufahrt Wache hielten. Das Wetter war kalt und feucht geworden, und die Segeltuchplanen über den Ladeflächen der Lieferwagen knatterten im Wind. Zwei schemenhafte Gestalten standen neben dem Hintereingang des Lagerhauses. Eine Katze miaute und richtete sich auf die Hinterbeine auf, und einer der beiden Männer bückte sich, hob sie auf und kraulte sie im Nacken. Am Himmel riss die Wolkendecke auf, und die silberne Mondsichel kam zum Vorschein.
Sonny eilte dicht hinter Clemenza und Tessio die Gasse entlang. Die beiden verschwanden durch den Hintereingang, doch er blieb stehen, denn er hatte in den schemenhaften Gestalten die Romero-Zwillinge erkannt. Sie trugen beide Trenchcoats, unter denen sich MPs abzeichneten. »Jungs«, sagte Sonny und schüttelte ihnen die Hand, während Richie Gatto hinter ihm wartete. »Sieht so aus, als wäre endlich mal was los.«
»Hier merkt man davon aber nichts.« Vinnie warf die Katze, die er gehalten hatte, auf die Ladefläche eines Lieferwagens, von der sie sofort hinuntersprang, um in der Dunkelheit zu verschwinden.
»Hier ist alles ruhig«, sagte Angelo und rückte seinen Hut zurecht, eine braune Melone mit einer kleinen rot-weißen Feder im Band.
Sonny riss ihm den Hut vom Kopf, betrachtete ihn und deutete dann mit einem Grinsen auf den schwarzen Filzfedora, den Vinnie trug. »Ihr müsst unterschiedliche Hüte tragen, damit sie euch auseinanderhalten können, stimmt’s?«
Vinnie sah seinen Bruder an. »Ich finde, die Feder steht ihm gut, nicht wahr?«
»Mannaggia la miseria«, sagte Angelo. »Damit sehe ich aus wie ein Ire.«
»Gut, gut«, meldete sich Richie und legte Sonny eine Hand auf den Arm. »Wir haben noch einiges zu tun.«
»Wir reden später.« Sonny griff nach der Türklinke, aber Angelo kam ihm zuvor und hielt sie ihm auf. »Verdient ihr auch ordentlich?«, fragte Sonny mit einem Fuß auf der Schwelle und dem anderen auf der Gasse. Die Zwillinge nickten, Vinnie klopfte Sonny auf die Schulter, und Sonny verschwand im Lagerhaus.
»Im Moment ist vielleicht nichts los«, sagte Richie zu den Zwillingen, »aber das kann sich ganz schnell ändern. Versteht ihr, was ich sagen will?« Die Zwillinge nickten, und Richie fügte hinzu: »Konzentriert euch auf eure Aufgabe.«
Als Sonny die Tür zum Büro seines Vaters öffnete, war Frankie Pentangeli mitten in einem Satz. Frankie hielt inne, und alle wandten sich zu Sonny und Richie Gatto um. Vito saß hinter dem Schreibtisch und lehnte sich auf seinem Bürostuhl zurück. Tessio und Genco hatten vor dem Tisch Platz genommen, während Clemenza auf einem großen Aktenschrank saß und Luca mit dem Rücken zur Wand dastand, die Arme vor der Brust verschränkt, und vor sich ins Nichts starrte. Frankie hockte direkt neben Tessio und Genco rittlings auf einem Klappstuhl, die Arme auf die Rückenlehne gestützt. Vito bedeutete Sonny und Richie, sie sollten hereinkommen. Zu Frankie sagte er: »Meinen Sohn Santino kennen Sie.«
»Klar«, erwiderte Frankie und schenkte Vito ein Lächeln. »Die werden wirklich schnell erwachsen, was?«
Vito zuckte mit den Achseln, als wäre er sich da nicht so sicher. »Bitte fahren Sie fort.«
Richie und Sonny nahmen sich zwei Klappstühle, die an der Wand standen. Richie stellte seinen neben Clemenza, während Sonny seinen Stuhl um den Tisch herum trug und sich neben seinen Vater setzte.
Frankies Augen folgten Sonny, als wäre er ein wenig überrascht, dass der Junge sich so dicht bei seinem Don platzierte.
»Per favore«, sagte Vito.
»Yeah.« Frankie räusperte sich. »Wie ich gesagt habe – Mariposa dreht völlig durch. Er verlangt von seinen Jungs, dass sie die Leichen der beiden Anthonys finden und zu ihm bringen, damit er darauf pissen kann.«
»Tja«, warf Clemenza ein, »damit wird er nicht viel Glück haben.«
»Buffóne«, sagte Genco und meinte Giuseppe.
»Aber er hat Freunde«, fuhr Frankie fort. »Ich hab gehört, dass er zu Capone gegangen ist, und Al schickt zwei seiner Killer, um Sie zu erledigen, Vito. Ich weiß noch nicht, wen, aber die Kerle in Chicago, das sind Tiere.«
»Wen schickt das Schwein Capone?«, brüllte Sonny und beugte sich auf seinem Stuhl zu Frankie vor. »Dieser verdammte Fettsack!« Sonny deutete wütend auf Frankie, als würde er ihm die Schuld geben. »Woher wissen Sie das? Wer hat Ihnen das gesagt?«
»Santino«, sagte Vito, bevor Frankie etwas erwidern konnte, »geh vor die Tür und sorg dafür, dass uns niemand stört.«
»Pa …«
Sonny wurde von Clemenza unterbrochen, der mit rotem Gesicht von dem Aktenschrank aufsprang. »Halt den Mund und mach, dass du rauskommst, wie es dein Don von dir verlangt – oder bei Gott!« Er hob die Faust und trat einen Schritt auf den Schreibtisch zu.
»Cazzo.« Sonny schien angesichts von Clemenzas Ausbruch völlig überrascht.
Vito, der immer noch völlig ruhig dasaß, sagte noch einmal: »Santino, geh vor die Tür und sorg dafür, dass uns niemand stört.«
»Pa«, erwiderte Sonny, der sichtlich um Selbstbeherrschung rang, »da draußen ist niemand.« Als Vito ihn nur anstarrte, warf er frustriert die Hände in die Höhe und ging hinaus, wobei er die Tür hinter sich ins Schloss knallte.
So laut, dass Sonny es auf jeden Fall hören konnte, sagte Vito: »Frankie Pentangeli, bitte verzeihen Sie meinem dickköpfigen Sohn. Er hat ein gutes Herz, aber leider ist er auch dumm und hört nicht zu. Doch er ist nun einmal mein Sohn, also versuche ich, ihm etwas beizubringen. Ich bin sicher, dass er sich noch bei Ihnen entschuldigen wird.«
»Hey«, sagte Frankie, und mit einer einzigen Silbe tat er gleichzeitig Sonnys Verhalten ab und verzieh es ihm. »Er ist jung, und er macht sich Sorgen um seinen Vater.« Er zuckte mit den Achseln.
Vito nickte kurz, eine Geste, die deutlich ausdrückte, dass er Frankie dankbar war. »Weiß Mariposa, dass Sie uns einen Tipp gegeben haben?«
»Mit Sicherheit weiß er noch gar nichts«, erwiderte Frankie, griff in seine Tasche und holte eine Zigarre hervor. »Außer dass die beiden Anthonys tot sind und Genco und Clemenza nicht.«
»Aber er hegt einen Verdacht?«
»Er vertraut mir nicht.« Frankie hielt die Zigarre, die er noch nicht angezündet hatte, vor sich in die Höhe. »Er weiß, dass unsere Familien sich schon lange kennen.«
Vito sah Clemenza und Tessio an, als wollte er etwas von ihnen bestätigt haben, und die drei Männer schienen eine kurze, wortlose Konferenz abzuhalten. Nachdem er einen Moment nachgedacht hatte, sagte Vito zu Frankie: »Ich möchte nicht, dass Sie zu Mariposa zurückgehen. Das ist zu gefährlich. Ein animale wie Giuseppe, der bringt Sie allein auf einen Verdacht hin um.«
»Aber Vito«, sagte Genco beschwörend, »wir brauchen jemand in Mariposas Organisation. Er ist zu wertvoll für uns.«
»Ich habe jemand in Joes Umfeld, dem ich vertrauen kann«, sagte Frankie. »Jemand, der ihn fast genauso sehr hasst wie ich.« Und an Vito gewandt: »Ich bin es leid, für diesen Clown zu arbeiten. Ich möchte Ihrer Familie angehören, Don Corleone.«
»Aber solange Frankie in Mariposas Nähe bleibt«, widersprach Genco, »können wir ihn erledigen, sollte sich das als nötig erweisen.«
»Nein.« Vito hob die Hand und bereitete der Diskussion damit ein Ende. »Frankie Pentangeli gehört zu uns, und ich möchte nicht, dass er sein Leben noch mehr in Gefahr bringt, als er das sowieso schon getan hat.«
»Vielen Dank, Don Corleone«, sagte Frankie. Zu Genco fügte er hinzu: »Macht euch nichts vor, von wegen ›sollte sich das als nötig erweisen‹. Ihr befindet euch jetzt im Krieg, und der ist erst vorbei, wenn Giuseppe Mariposa tot ist.«
Da ergriff Luca Brasi, dessen leerer Blick ihn unsichtbar zu machen schien, das Wort, und alle erschraken, nur Vito nicht, der sich in aller Ruhe Luca zuwandte, als hätte er damit gerechnet, dass er etwas sagen würde. »Don Corleone«, sagte Luca, und seine Stimme und sein Auftreten ließen ihn besonders einfältig wirken, »darf ich vorschlagen, dass … Sie mich Giuseppe Mariposa töten lassen? Sie müssen es nur sagen … und ich versprechen Ihnen … Giuseppe Mariposa ist … sehr bald … ein toter Mann.«
Alle sahen Luca an, während er sprach, dann wandten sie sich zu Vito um und warteten auf eine Antwort. »Luca«, sagte Vito, »du bist zu wertvoll für mich. Ich kann nicht zulassen, dass du dein Leben riskierst, um Giuseppe zu töten, und das würdest du. Ich bezweifle nicht, dass du ihn entweder töten oder bei dem Versuch sterben würdest – und die Zeit mag noch kommen, wenn ich dich darum werde bitten müssen.« Er griff in die oberste Schublade seines Schreibtischs und nahm eine Zigarre heraus. »Im Moment tust du mir jedoch einen besseren Dienst, wenn du dich um die beiden Killer kümmerst, die Capone auf mich ansetzt.«
»Das werde ich … mit Freuden … für Sie tun, Don Corleone«, erwiderte Luca und lehnte sich wieder an die Wand. Augenblicklich schien er die Welt um sich herum wieder vergessen zu haben.
»Frankie«, fragte Vito, »wird uns Ihr Freund in dieser Sache helfen können?«
Frankie nickte. »Aber wenn es zu heiß für ihn wird, müssen wir ihn rausholen. Er ist ein guter Junge, Vito. Ich möchte nicht, dass ihm etwas passiert.«
»Natürlich«, sagte Vito. »Wenn die Zeit gekommen ist, werden Sie ihn mit unserem Segen in unsere Familie aufnehmen.«
»Gut. Sobald er etwas herausfindet, werde ich davon erfahren.« Frankie kramte Streichhölzer aus seiner Jacketttasche und zündete die Zigarre an, mit der er gespielt hatte.
»Was heute Abend bei Angelo’s vorgefallen ist«, sagte Genco, »wird den anderen Familien überhaupt nicht gefallen. Indem er so kurz nach Saint Francis versucht hat, uns zu töten, hat er gezeigt, dass sein Wort nichts wert ist.«
»Außerdem«, sagte Tessio mit einer Stimme, die so schwermütig klang wie eh und je, »haben wir ihn ausmanövriert, was seinem Ruf auch nicht gerade zuträglich ist.«
»Meine Leute und ich«, sagte Frankie mit der Zigarre im Mund, »wir sind zwar nicht viele, aber jeder wird wissen, dass ich auf eurer Seite bin.«
»Das ist ja alles gut und schön«, sagte Genco und hob eine Hand, als wollte er um etwas Zurückhaltung bitten. »Wir haben die erste Schlacht gewonnen, aber Mariposa ist weiterhin stärker als wir.«
»Trotzdem«, sagte Vito, »es gibt einiges, was uns zugute kommt.« Er betrachtete die Zigarre, die er in der Hand hielt, und legte sie auf den Schreibtisch. »Giuseppe ist ein Dummkopf …«
»Aber auf seine Capos trifft das nicht zu«, fiel ihm Clemenza ins Wort.
»Sì. Aber Giuseppe gibt die Marschrichtung vor.« Vito rollte die Zigarre über den Tisch, als würde er Clemenzas Einwand beiseitewischen. »Mit Tessios Leuten in der Hinterhand sind wir stärker, als Giuseppe weiß. Und wir haben mehr Polizisten, Richter und Politiker in der Tasche, als er ahnt.« Er berührte den Rand eines leeren Glases, das auf dem Tisch stand, und tippte zweimal dagegen, wie um den Raum zur Ordnung zu rufen. »Und das Wichtigste ist: Die anderen Familien respektieren uns und Giuseppe nicht.« Er sah die Männer der Reihe nach an. »Die Familien wissen, dass sie mit uns Geschäfte machen können« – wieder tippte er gegen das Glas –, »weil auf unser Wort Verlass ist. Ihr werdet noch an meine Worte denken: Wenn wir in diesem Krieg genügend Stärke zeigen, werden sich die anderen Familien auf unsere Seite schlagen.«
»Ich stimme Vito zu«, sagte Genco. Sein Blick war auf den Don gerichtet, aber seine Worte galten allen. »Ich glaube, wir können gewinnen.«
Vito schwieg, um Tessio oder Clemenza die Gelegenheit zu geben, Einwände zu äußern. Als keiner von ihnen etwas sagte, kam das einer Abstimmung gleich – die Entscheidung, den Krieg gegen Giuseppe Mariposa mit aller Macht voranzutreiben, war gefallen. »Luca wird die Rolle meines Leibwächters übernehmen«, sagte Vito und wandte sich damit den Einzelheiten zu. »Wenn er mit anderen Sachen beschäftigt ist, wird Santino seinen Platz einnehmen. Du, Genco«, sagte er und deutete auf seinen Consigliere, »wirst von Clemenzas Leuten bewacht werden. Frankie«, fuhr er in einem Ton fort, der keinen Widerspruch duldete, »ich möchte, dass Sie und Ihre Leute Mariposas Glücksspielläden unter Druck setzen und seine Kontakte zu den Gewerkschaften stören. Aus den Gewerkschaften werden wir ihn ganz vertreiben. Er sollte einige seiner wichtigsten Leute verlieren – aber nicht die Rosato-Brüder oder die Barzini-Brüder. Wenn wir diesen Krieg gewinnen, brauchen wir sie noch.«
»Mit Joes Glücksspielläden kenn ich mich aus«, sagte Frankie. »Damit komm ich klar. Aber bei den Gewerkschaften brauch ich Hilfe.«
»Ich kann dir erklären, was du wissen musst«, sagte Tessio.
»Die Glücksspielläden …« Frankie neigte den Kopf, als würde er bereits die Einzelheiten durchgehen. »Manche unserer Freunde könnten da Einwände haben.«
»Das lässt sich nicht vermeiden«, sagte Vito. »Sie kennen Giuseppes Organisation am besten, also wissen Sie auch, auf wen wir verzichten können, ohne für allzu viel böses Blut zu sorgen. Sprechen Sie alles mit Genco ab«, fügte Vito hinzu, »aber ich neige dazu, in dieser Sache Ihrem Urteil zu vertrauen.«
Genco tätschelte Frankie das Handgelenk, als wollte er ihm versichern, dass er ihm mit Rat und Tat zur Seite stehen würde.
»Tessio«, sagte Vito, »ich möchte, dass du der Tattaglia-Familie auf den Zahn fühlst. Finde heraus, ob es da irgendwelche Anknüpfungspunkte gibt. Giuseppe hat überall Feinde. Carmine Rosato könnte ebenfalls dazugehören. In Saint Francis hat er mir dafür, dass er zu Giuseppes Leuten gehört, etwas zu herzlich die Hand gedrückt.« Wieder schwieg Vito, als würde er an das Treffen in Saint Francis zurückdenken. »Ah«, sagte er schließlich, »lasst uns alle überlegen, wie wir diesen Krieg so schnell wie möglich beenden können, damit wir wieder Zeit für unsere Geschäfte und unsere Familien haben.«
»Zu allererst«, sagte Genco, schob seinen Stuhl näher an den Schreibtisch und drehte ihn um, so dass er die anderen im Blick hatte, »zu allererst müssen wir uns um Capones Killer kümmern. Dann …« Bevor er weitersprach, berührte er seine Nase, als müsste er erst eine Entscheidung fällen. »Frankie hat recht: Wir müssen Mariposa aus dem Weg räumen.« Er zuckte mit den Schultern, als wäre das eine lästige Pflicht. »Wenn es uns gelingt, diese beiden Dinge so bald wie möglich zu erledigen, schließen sich uns die anderen Familien vielleicht an.«
»Es passt ihnen bestimmt nicht, dass Mariposa sich an Capone gewandt hat.« Clemenza verlagerte auf dem Aktenschrank sein Gewicht. »Einen Napolitan’ gegen einen Sizilianer zu Hilfe zu rufen …« Er wedelte mit dem Finger. »Das wird ihnen nicht gefallen.«
»Luca«, sagte Genco, »Capones Männer überlassen wir dir. Frankie«, fuhr er fort, »du erklärst Luca alles, was du weißt.« Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück. »Ich sage es noch einmal – obwohl wir auf den ersten Blick unterlegen sind, bin ich der Meinung, dass unsere Chancen gut stehen. Für den Augenblick und bis das alles geregelt ist, halten wir uns bedeckt. Ich habe bereits dafür gesorgt, dass die Jungs auf dem Anwesen auf Long Island eine Reihe von Zimmern einrichten. Die Häuser sind noch nicht fertig und die Mauer ebenso wenig, aber lange dauert es nicht mehr. Vorerst werden wir und alle unsere wichtigen Leute dort draußen wohnen.«
Richie Gatto, der sich normalerweise hütete, bei einem solchen Treffen den Mund aufzumachen, sagte: »Jetzt gleich? Meine Frau braucht …« Er klang, als wollte er erklären, was für Probleme es mit sich bringen würde, jetzt sofort auf das Anwesen umzuziehen, fing sich aber noch rechtzeitig.
»Richie!«, sagte Clemenza. »Was deine Frau nicht braucht, ist ein toter Mann, hab ich recht?«
Vito stand von seinem Schreibtischstuhl auf und trat auf Richie zu. »Ich habe vollständiges Vertrauen in Genco Abbandando«, sagte er. »Er ist Sizilianer, und wer wäre besser geeignet, in Kriegszeiten unser Consigliere zu sein, als ein Sizilianer?« Vito legte Richie einen Arm um die Schulter. »Wir werden uns um deine Familie kümmern«, sagte er und drückte Richie freundschaftlich, während er ihn zur Tür führte. »Um deine Frau Ursula und deinen Sohn Paulie werden wir uns kümmern, als wären sie unser eigen Fleisch und Blut. Darauf hast du mein Wort, Richie.«
»Vielen Dank, Don Corleone.« Richie blickte kurz zu Clemenza hinüber.
»Hol die übrigen Jungs«, sagte Clemenza zu Richie, dann schloss er sich Luca und den anderen an, die hintereinander das Büro verließen. An der Tür umarmte Clemenza Vito, wie schon Tessio und Frankie vor ihm.
Genco wartete, bis Clemenza die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Vito«, fragte er dann, »was sollen wir mit der Parade machen?«
»Ah.« Vito tippte sich gegen die Stirn, als müsste er sich die Einzelheiten erst wieder in Erinnerung rufen. »Stadtrat Fischer.«
»Sì. Der Bürgermeister wird dort sein. Sämtliche pezzonovante der ganzen Stadt werden mitmarschieren.«
Vito strich sich über den Hals und blickte zur Decke. »Eine Veranstaltung wie diese, bei der sogar unser fetter neapolitanischer Bürgermeister anwesend sein wird … außerdem Kongressabgeordnete, Polizisten, Richter, die Zeitungen … Nein.« Vito sah Genco an. »Bei einer solchen Veranstaltung wird Mariposa nichts tun. Denn damit würde er sämtliche Familien gegen sich aufbringen, im ganzen Land. Die Polizei würde alle seine Geschäfte stilllegen, und nicht mal seine Richter könnten ihm dann noch helfen. Er ist dumm, aber so dumm dann doch nicht. Nein, an der Parade können wir teilnehmen.«
»Das sehe ich auch so. Allerdings sollten wir sicherheitshalber unsere Leute auf dem Gehsteig mitlaufen lassen.« Als Vito zustimmend nickte, umarmte Genco ihn und verließ das Büro.
Nachdem Genco zwischen den Kisten im Zwielicht des Lagerhauses verschwunden war, trat Sonny ins Büro und schloss die Tür. »Pa«, sagte er, ich muss mit dir reden.«
Vito ließ sich auf seinen Stuhl fallen und sah ihn an. »Bist du eigentlich noch ganz bei Verstand? Mit einem Ehrenmann wie Pentangeli so zu reden, als wäre er ein Niemand? Gegenüber einem solchen Mann erhebst du die Stimme und deutest mit dem Finger auf ihn?«
»Tut mir leid, Pa. Ich hab die Beherrschung verloren.«
»Du hast die Beherrschung verloren«, wiederholte Vito und wandte sich mit einem Seufzer von Sonny ab. Er ließ den Blick über die Klappstühle und leeren Wände schweifen. Irgendwo draußen polterte ein Lastwagen vorbei, das Ächzen seines Motors über dem Hintergrundmurmeln des Verkehrs deutlich hörbar. Im Lagerhaus gingen Türen auf und zu, und Stimmen hallten gedämpft und unverständlich zu ihnen herein. Vito berührte den Knoten seiner Krawatte und löste ihn dann ein wenig. Als er sich wieder an Sonny wandte, sagte er: »Du wolltest bei deinem Vater ins Geschäft einsteigen? Nun, das ist dir gelungen.« Er hob den Finger, um Sonny zu bedeuten, er solle ihm genau zuhören. »Du wirst in keinem unserer Treffen jemals wieder ein Wort sagen, bis ich es dir erlaube oder bis ich dich direkt dazu auffordere. Hast du verstanden?«
»Himmel, Pa …«
Vito sprang auf und packte Sonny am Kragen. »Widersprich mir nicht! Ich habe dich gefragt, ob du mich verstanden hast?«
»Himmel, Pa – ja, ich hab verstanden.« Sonny wich einen Schritt zurück und strich sein Hemd glatt.
»Verschwinde«, sagte Vito und wies zur Tür. »Los.«
Sonny zögerte einen Moment und griff dann nach dem Türknauf, drehte sich aber wieder um. Sein Vater starrte ihn noch immer wütend an. »Pa«, sagte er, als wäre nichts geschehen – als hätte er in der kurzen Zeit, während deren er sich von Vito ab- und ihm wieder zugewandt hatte, vergessen, wie zornig sein Vater war. »Ich wollte dir etwas erzählen. Ich habe um Sandras Hand angehalten.«
In dem langen Schweigen, das daraufhin folgte, starrte Vito ihn weiterhin an, doch sein Blick wirkte weniger wütend als neugierig. Schließlich sagte er: »Jetzt wirst du also für eine Frau sorgen müssen und bald auch für Kinder.« Vito klang, als würde er mit sich selbst sprechen und nicht mit Sonny. »Vielleicht lernst du von deiner Frau zuzuhören. Vielleicht lehren dich deine Kinder Geduld.«
»Wer weiß.« Sonny lachte. »Alles ist möglich.«
Vito musterte seinen Sohn eingehend. »Komm her«, sagte er schließlich und breitete die Arme aus.
Sonny drückte seinen Vater an sich und trat dann einen Schritt zurück. »Ich bin noch jung«, sagte er, als würde das alles entschuldigen, was Vitos Zorn erregte. »Aber ich kann lernen, Pa. Ich kann von dir lernen. Und jetzt werde ich heiraten … und meine eigene Familie haben.«
Vito packte Sonny im Nacken und grub seine Finger in den dichten Haarschopf. »Vor einem solchen Krieg wollte ich dich beschützen …«, sagte er, blickte Sonny in die Augen und küsste ihn dann. »Aber es ist mir nicht gelungen, und das muss ich akzeptieren.« Er tätschelte Sonny sanft die Wange. »Jetzt habe ich wenigstens eine gute Nachricht, die ich deiner Mutter erzählen kann, um ihre Angst vor dem kommenden Krieg auszugleichen.«
»Muss Mama überhaupt etwas davon erfahren?«, wollte Sonny wissen. Er ging zum Garderobenständer hinüber und holte Vitos Hut, Mantel und Schal.
Vito seufzte angesichts der dummen Frage seines Sohnes. »Wir werden zusammen mit den anderen Männern auf Long Island wohnen«, sagte er. »Fahr mich jetzt nach Hause, damit wir packen können.«
»Also, Pa«, sagte Sonny, nachdem er Vito in den Mantel geholfen und ihm die Tür aufgehalten hatte. »Möchtest du immer noch, dass ich den Mund halte, wenn ich bei einem Treffen anwesend bin?«
»Ich möchte kein einziges Wort von dir hören«, erwiderte Vito, »außer ich fordere dich ausdrücklich dazu auf.«
»In Ordnung, Pa.« Sonny öffnete die Händflächen, um zu signalisieren, dass er das hinnahm. »Wenn du das so willst.«
Vito zögerte und betrachtete Sonny, als versuchte er, ihn in einem neuem Licht zu sehen. »Gehen wir«, sagte er schließlich, legte ihm den Arm um die Schultern und geleitete ihn hinaus.