»Little Carmine! Den kenn ich schon, seit er ein Kind war«, sagte Benny Amato zu Joey Daniello, einem von Frank Nittis Jungs. Es war neun Uhr morgens, und sie waren gerade mit dem Zug aus Chicago eingetroffen. Sie schlenderten den Bahnsteig entlang, jeder mit einem Koffer in der Hand. Zusammen mit einem Dutzend weiterer Reisender steuerten sie die Haupthalle des Grand Central Terminal an.
»Bist du dir sicher, dass du ihn erkennst?«, fragte Joey. Diese Frage hatte er Benny bereits ein Dutzend Mal gestellt. Er war ein hagerer Kerl, der aussah wie ein Sack voller Knochen. Er und Benny waren wie einfache Arbeiter gekleidet und trugen khakifarbene Hosen, billige Hemden und ausgefranste Anoraks. Beide hatten sie sich Wollmützen in die Stirn gezogen.
»Klar erkenn ich ihn. Hab ich nicht eben gesagt, dass ich ihn von klein auf kenne?« Benny zog seine Mütze aus, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und setzte sie wieder auf. Er war ebenfalls dünn, wirkte aber drahtig und muskulös. Joey dagegen sah so aus, als würde er in eine Million Stücke zerspringen, wenn man ihn unsanft anfasste. »Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du dir zu viel Sorgen machst?« Benny fragte in gutmütigem Tonfall, aber Joey lachte nicht.
»Die beiden Anthonys hätten sich mal besser ein paar Sorgen gemacht«, erwiderte Joey.
»Diese Typen aus Cleveland? Das sind doch alles Amateure. Himmel noch mal«, sagte Benny, »scheiß auf Cleveland!«
Vor ihnen führte ein Bogengang in die weitläufige Haupthalle, wo heller Sonnenschein durch riesige Fenster hereinfiel und auf dem Boden einzelne Lichtkreise bildete. Zahlreiche Reisende steuerten zielstrebig Fahrkarten- oder Informationsschalter oder die Straße an, aber die Halle war so groß, dass sie alle verloren wirkten. In der Mitte der Halle, wo ein kleines Mädchen sich in einem der Lichtkreise übergeben hatte, waren zwei stämmige Frauen mit Eimern voller Seifenwasser und Scheuerlappen zugange. Eine junge Frau hielt das Kind in den Armen, während die Frauen schrubbten, und als Joey und Benny an der Stelle vorbeikamen, stieg ein widerlicher Pfefferminzgeruch vom Boden auf.
»Hast du Kinder?«, fragte Benny.
»Die machen doch nur Ärger«, erwiderte Joey.
»Na ja, ich mag Kinder.« Benny nahm Kurs auf den Ausgang zur 42. Straße, während einzelne Gesprächsfetzen zu den Sternbildern an der unfassbar hohen Decke hinaufhallten.
»Ich hab nichts gegen Kinder«, sagte Joey. »Ich find nur, dass sie den Ärger nicht wert sind.« Er kratzte sich im Nacken, als hätte ihn dort gerade etwas gebissen. »Er wartet gleich draußen auf uns, oder? Bist du sicher, dass du ihn immer noch erkennst?«
»Yeah«, sagte Benny. »Ich kenn ihn, seit er klein war.«
»Er arbeitet für Mariposa, stimmt’s? Ich sag dir was – mir gefällt es nicht, dass diese Typen uns den weiten Weg aus Chicago herholen, damit wir hier ihre Arbeit machen. Verdammte Sizilianer. Nichts als ein Haufen dummer Bauern.«
»Hast du das Nitti gesagt?«
»Was? Dass die Sizilianer nichts als ein Haufen dummer Bauern sind?«
»Nein. Dass es dir nicht passt, dass wir von Chicago hierherfahren müssen, um uns um die Angelegenheiten der New Yorker zu kümmern.«
»Nein. Hast du es Al gesagt?«
»Al ist im Moment nicht erreichbar. Aber allzu schwierig wird das hier nicht. Soweit ich gehört hab, ist dieser Corleone ein Schwätzer mit nichts dahinter.«
»Das haben die Anthonys wahrscheinlich auch gehört«, sagte Joey und kratzte sich so fest im Nacken, als wollte er etwas umbringen.
Vor dem Grand Central, auf dem Gehsteig an der 42. Straße, ließ Carmine Loviero eine Zigarette fallen und trat sie aus. »Hier drüben«, rief er Benny zu. »Eh!«
Benny hatte bereits den Arm halb erhoben, um einen Blick auf seine Armbanduhr zu werfen, doch als er Carmines Stimme hörte, erstarrte er. Sein Blick fiel auf die massige Gestalt in einem blassblauen Anzug, und er betrachtete sie sichtlich verwirrt, bevor er den Gehsteig überquerte. »Little Carmine!«, sagte er schließlich. Er stellte den Koffer ab und umarmte ihn. »Madre ’Dio! Ich hab dich nicht erkannt! Du musst zwanzig Pfund zugenommen haben.«
»Eher vierzig, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben«, erwiderte Carmine. »Himmel, wie alt war ich da – fünfzehn?«
»Ja, das kommt hin. Das ist mindestens zehn Jahre her.« Benny blickte über Carmines Schulter zu dem Mann, der am Straßenrand links hinter ihm stand. »Wer ist das?«, fragte er.
»Das ist mein Kumpel JoJo«, erwiderte Carmine. »JoJo Di-Giorgio. Seid ihr euch nie begegnet?«
»Nee«, sagte JoJo. »Hatte noch nicht das Vergnügen.« Er hielt Benny die Hand hin.
Joey Daniello war im Eingang des Grand Central stehen geblieben und schaute sich alles an. Während er sich gegen die Mauer des Bahnhofs lehnte, den Fuß auf seinem Koffer, die rechte Hand in der Tasche, massierte er sich mit der freien Hand die Stirn. Er wirkte wie ein Mann, der unter starken Kopfschmerzen litt.
Benny schüttelte JoJo die Hand, wandte sich dann um und winkte Joey zu sich herüber. »Joey der Gauner«, sagte er leise zu Carmine. »Sieht nicht nach viel aus, aber Madonn’, wenn der sauer wird. Er ist verrückt!« Als Joey zu ihnen trat, die eine Hand noch immer in der Tasche, sagte Benny: »Das ist Little Carmine, von dem ich dir erzählt hab, und das hier ist JoJo DiGiorgio.«
Joey nickte beiden Männern zu. »Und, ist das jetzt ein Klassentreffen, oder geht’s hier ums Geschäft.«
»Ums Geschäft«, sagte JoJo. Und an Carmine gewandt: »Nimm ihre Koffer.«
Carmine sah ihn an, als wüsste er nicht genau, was er von ihm wollte. Dann wandte er sich zu Benny und Joey um und sagte: »Okay, ich kümmer mich um die Koffer.«
Nachdem Carmine beide Koffer in Händen hielt, trat JoJo auf die Straße und winkte, als wollte er ein Taxi rufen. Er winkte mit der linken Hand, während seine rechte herabbaumelte. Aus den Augenwinkeln beobachtete er Carmine, der die beiden Koffer hielt. »Bitte schön«, sagte er, als ein schwarzer Buick am Straßenrand abbremste.
»Wohin fahren wir?«, wollte Joey wissen.
»Mariposa möchte euch sehen«, sagte JoJo und hielt ihnen die hintere Tür auf. »Carmine«, sagte er, während Benny und Joey auf die leere Rückbank rutschten, »leg das Gepäck in den Kofferraum.« Kaum war Carmine hinten um den Wagen herumgegangen, öffnete sich die straßenseitige Tür und Luca Brasi ließ sich auf die Rückbank fallen. Er trug einen schwarzen Trenchcoat und hatte eine .38er Super in der Hand, die er Benny in den Bauch drückte. Vinnie Vaccarelli, der auf dem Fahrersitz saß, fuhr herum und hielt Joey eine Pistole unter die Nase, während er ihn rasch abtastete. Er zog eine Pistole aus Joeys Tasche und eine aus einem Holster am Fußgelenk. Luca riss einen großen .45er Colt unter Bennys Jacke hervor und warf ihn auf den Beifahrersitz zu Joeys Waffen. Nur Sekunden später saß JoJo neben Vinnie, und sie schlängelten sich durch den Verkehr in Midtown.
Joey Daniello sagte zu Benny: »Hey, wo ist unser Kumpel Little Carmine? Sieht fast so aus, als wäre er verlorengegangen.«
Benny, der schwitzte, fragte Luca mit zitternder Stimme, ob er ein Taschentuch aus der Jacke ziehen und sich die Stirn abwischen dürfte, und Luca nickte.
Joey grinste, als würde ihm das alles großen Spaß machen. »Hey, JoJo«, sagte er und beugte sich nach vorn, »wie viel habt ihr Bennys gutem Freund Little Carmine bezahlt, damit er uns in eine Falle lockt? Das würd mich interessieren.«
»Wir haben ihm keinen Cent bezahlt«, erwiderte JoJo. Er nahm den Hut ab und warf ihn auf die Pistolen, die zwischen ihm und Vinnie lagen. »Wir haben ihn lediglich davon überzeugt, dass es für ihn gesünder wäre, zu tun, was wir verlangen.«
»Oh«, sagte Joey und lehnte sich zurück, den Blick auf Luca gerichtet. Zu Benny sagte er: »Hey, dann hat uns dein Kumpel wenigstens nicht für Geld verraten. Immerhin etwas.«
Benny wurde blass und schien Probleme mit dem Atmen zu haben. »Beruhig dich«, sagte Luca. »Wir werden … niemand umbringen.«
Joey Daniello lachte. Es war ein verbittertes Lachen, und er wandte den Blick nicht eine Sekunde von Luca ab.
»Carmine ist bestimmt schon unterwegs zu Jumpin’ Joe«, sagte Vinnie und sah in den Rückspiegel. »Vielleicht schicken sie die Kavallerie.«
Joey deutete mit dem Finger auf Luca. »Weißt du, wie du aussiehst?«, fragte er. »Im Ernst – wie dieser verdammte Frankenstein, den Boris Karloff in dem Film spielt. Hast du den gesehen?« Er fasste sich an den Kopf. »Du hast die gleiche Stirn. Wie ein Affe!« Als Luca nicht antwortete, fuhr er fort: »Was ist mit deinem Gesicht passiert? Meine Großmutter sah nach einem Schlaganfall so aus.«
JoJo richtete seine Pistole auf Joey. Zu Luca sagte er: »Soll ich ihm das Gehirn wegpusten, Boss?«
»Steck sie weg«, sagte Luca.
»Er will nicht, dass du mich im Wagen erschießt«, sagte Joey. »Wär ja auch ’ne Riesensauerei.« Und an Luca gewandt: »Du hast bestimmt schon ein passendes Örtchen für uns ausgesucht.«
»Beruhig dich«, sagte Luca zu Joey. »Wir bringen niemand um.«
Wieder lachte Joey verbittert. Er schüttelte den Kopf, als fände er es widerlich, dass Luca ihn anlog. Schließlich schaute er zum Fenster hinaus. »All die Leute auf der Straße«, sagte er, als würde er ein Selbstgespräch führen. »Die haben alle irgendwas vor. Die gehen alle irgendwohin.«
JoJo warf Luca einen vielsagenden Blick zu – offenbar hielt er Joey für ein wenig verrückt.
»Wenn ihr uns nicht umbringt, was macht ihr dann?«, fragte Benny.
JoJo sah Luca an, bevor er antwortete. »Ihr sollt Capone und der Organisation in Chicago eine Botschaft überbringen, das ist alles. Wir verschicken heute Botschaften, wie Western Union. Little Carmine überbringt Mariposa eine Botschaft, und ihr überbringt euren Kumpels in Chicago eine Botschaft.«
»Ach, wirklich?«, sagte Joey und grinste. »Dann mal her damit! An der nächsten Ecke könnt ihr uns rauslassen. Wir nehmen uns ein Taxi.« Als niemand antwortete, sagte er: »Yeah. Eine Botschaft.«
An der Ecke West Houston und Mercer parkte Vinnie in einer ungepflasterten Gasse zwischen einer Reihe von Lagerhäusern und Fabriken. Es war ein sonniger Morgen, und auf der Straße hinter ihnen waren Männer in leichten Anzügen und Frauen in sommerlichen Kleidern zu sehen. Ein Streifen Sonnenlicht schaffte es sogar ein paar Meter die Gasse hinein und fiel auf ein schmutziges Mauerstück. Dahinter herrschte ewiges Halbdunkel. Nichts bewegte sich, nur in der Mitte der Gasse befand sich ein ausgetretener Fußpfad. »Da sind wir also«, sagte Joey, als wäre er schon einmal hier gewesen.
Luca zog Benny aus dem Wagen, und sie folgten alle der düsteren Gasse, bis sie auf eine zweite, breitere stießen, die die erste kreuzte wie ein T. Eine Reihe von Bretterbuden lehnte an einer fensterlosen Backsteinmauer. Sie bestanden aus zusammengenageltem Abfallholz und anderem Schrott, und aus ihren Dächern ragten Ofenrohre. Vor dem mit einer Plane abgedeckten Eingang einer der Hütten schlief eine Katze neben einem Kinderwagen und einer rußgeschwärzten Mülltonne aus Metall, auf der ein Grillrost lag. Zu dieser frühen Stunde suchten alle nach Arbeit, und die Gasse lag verlassen da.
»Hier entlang«, sagte Vinnie und führte die Gruppe zu einer verschlossenen Tür zwischen zwei der Hütten. Er zog einen Schlüssel aus der Tasche, kämpfte eine Weile mit dem Schloss, stemmte sich dann mit der Schulter gegen die Tür und stieß sie auf. Dahinter kam eine feuchte Halle zum Vorschein, die einmal eine Fabrik gewesen sein musste, jetzt aber nur noch eine leere Hülle war, in der auf hohen Fenstern Tauben hockten und den Boden mit ihrem Kot besudelten. Hier roch es nach Schimmel und Staub, und Benny hielt sich die Mütze vor die Nase, bevor Vinnie ihn auf eine rechteckige Öffnung im Boden zuschob, aus der ein einziges Rohrstück ragte, wo einmal ein ganzes Geländer gewesen sein musste. »Da runter«, sagte er und deutete auf eine wacklige Treppe, die in der Finsternis verschwand.
»Da unten kann ich ja nicht mal was sehen«, sagte Benny.
»Hier.« JoJo trat vor ihn, hielt ein silbernes Feuerzeug in die Höhe und stieg die Treppe hinunter. Am Fuß der Treppe, wo es stockdunkel war, schnippte er das Feuerzeug an, und der rote Schein der Flamme erleuchtete einen flackernden Korridor. Alle paar Meter führte rechts und links ein Eingang in einen Raum mit festgetretenem Boden und nackten Backsteinwänden. Die Wände waren feucht und klamm, und von der niedrigen Decke tropfte Wasser.
»Wirklich perfekt«, sagte Joey. »Als wären wir in den scheiß Katikomben.«
»Wo?«, fragte Vinnie.
»Hier rein«, sagte JoJo und ging in einen der Räume voraus.
»Und was ist an dem so besonders?«, wollte Joey wissen.
»Das.« JoJo stellte sein Feuerzeug auf einen Backstein neben einem Seil und einer Rolle schwarzem Plastik.
Joey lachte laut. »Hey, Boris«, sagte er zu Luca. »Ich dachte, du bringst uns nicht um.«
Luca legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Ich werde … Sie nicht umbringen … Mr. Daniello.« Er gab Vinnie und JoJo ein Zeichen, und in dem flackernden roten Schein des Feuerzeugs machten sie sich daran, Benny und Joey an Händen und Füßen zu fesseln. Luca hackte das Seil mit einer Machete, die er unter seinem Trenchcoat hervorgezogen hatte, in Stücke und reichte sie ihnen.
»Eine Machete?« Als Joey die lange Klinge sah, klang er zum ersten Mal wütend. »Was seid ihr – verdammte Barbaren?«
Nachdem sie damit fertig waren, hievte Luca erst Benny und dann Joey in die Höhe und hängte sie einander gegenüber mit den gefesselten Händen an schwarze Fleischerhaken, so dass ihre Füße ein paar Zentimeter über dem Boden baumelten. Als Luca wieder zu seiner Machete griff, schluchzte Benny: »Mannaggia la miseria.«
»Hey, Benny«, fragte Joey. »Wie viele Leute hast du schon umgebracht?«
»Ein paar«, erwiderte Benny, sichtlich darum bemüht, nicht in Tränen auszubrechen.
»Dann halt die verdammte Klappe.« Zu Luca sagte Joey: »Hey, Boris«, und als Luca sich zu ihm umdrehte, schrie er mit der Stimme von Frankenstein aus dem Film: »Es lebt! Es lebt!« Dann brach er in schallendes Gelächter aus und wäre, als er die Worte wiederholen wollte, fast an seinem eigenen Lachen erstickt.
»Herrgott, Daniello«, sagte Vinnie. »Du bist ein verrückter Hund.«
Luca knöpfte seinen Trenchcoat zu und schlug den Kragen hoch. Mit einer Handbewegung bedeutete er Vinnie und JoJo, dass sie in den Korridor hinausgehen sollten. Dann holte er mit der Machete aus und hackte Benny die Füße ab. Blut spritzte in alle Richtungen und ergoss sich auf den Boden. Luca betrachtete sein Werk, und als Bennys Heulen und Schreien ihm auf die Nerven zu gehen schien, zog er ein Taschentuch hervor und stopfte es dem Jungen in den Mund.
»Was jetzt?«, fragte Joey völlig gelassen, nachdem Bennys Schreie verstummt waren. »Du bringst uns gar nicht um, sondern machst uns nur zu Krüppeln? Ist das eure Botschaft?«
»Nein«, erwiderte Luca. »Ich … werde … Benny töten. Ich mag ihn nicht.« Wieder schwang er die Machete und durchtrennte Bennys Handgelenke. Als der Junge zu Boden fiel und versuchte, auf seinen Stümpfen wegzukriechen, setzte Luca ihm einen Fuß auf die Waden und nagelte ihn auf der Erde fest. »Sieht fast so aus … als müsstest du … unsere Botschaft überbringen«, sagte er zu Joey. Benny spuckte das Taschentuch aus schrie verzweifelt um Hilfe, als gäbe es auch nur die geringste Chance, dass ihn jemand hier unten im Keller einer verlassenen Fabrik am Ende einer menschenleeren Gasse hören könnte, als wäre es möglich, dass jemand ihm zu Hilfe eilte. Luca beugte sich über ihn und rammte ihm mit beiden Händen von hinten die Machete durch das Herz. Als er sie wieder herauszog, war alles voller Blut – die Wände, der Boden, Lucas Trenchcoat und Joey Daniello, der noch immer an der Wand hing. Luca beförderte die Leiche des Jungen mit mehreren Tritten in eine Ecke, griff dann in die Tasche und zog ein sauberes, weißes Blatt Papier hervor. Seine Hände waren jedoch so blutverschmiert, dass die handgeschriebene Notiz sofort unleserlich zu werden drohte. Er reichte sie JoJo. »Lies das … Mr. Daniello vor«, sagte er. Und an Joey gewandt: »Das ist die … Botschaft, die du … überbringen sollst. Sie stammt von Don Corleone und … ist für deine … Bosse in Chicago und für … Capone in Atlanta.« Er nickte JoJo zu.
JoJo durchquerte den Raum und beugte sich zu der Flamme des Feuerzeugs hinunter. »Lieber Mr. Capone«, las er ab, »jetzt wissen Sie, wie es meinen Feinden ergeht.« Er hustete und räusperte sich. »Warum mischt sich ein Neapolitaner in einen Streit zwischen zwei Sizilianern ein?«, fuhr er fort, wobei er sich mit jedem Wort Zeit ließ. »Wenn Sie möchten, dass ich Sie als Freund betrachte, dann schulde ich Ihnen einen Gefallen, den ich jederzeit einlösen werde.« JoJo hob das Blatt näher an sein Gesicht, um den Text unter der blutigen Schmiere lesen zu können. »Ein Mann wie Sie weiß bestimmt, dass es profitabler ist, Freunde zu haben, die, anstatt um Hilfe zu bitten, ihre Angelegenheiten selbst regeln und jederzeit bereit sind, einem Freund zu helfen, sollte dieser das nötig haben.« Er hielt inne und versuchte, das Blut auf dem letzten Satz wegzuwischen. »Wenn Sie meine Freundschaft nicht wünschen, werde ich das respektieren. Aber dann muss ich Ihnen sagen, dass das Klima hier in der Stadt feucht ist und für Neapolitaner sehr ungesund. Von Besuchen könnte ich nur abraten.« JoJo richtete sich auf und gab Luca das Blatt zurück, der es zusammenfaltete und Joey Daniello in die Tasche steckte.
»Das ist alles?«, fragte Joey. »Ich soll lediglich diese Botschaft überbringen?«
»Kann ich mich … darauf verlassen … dass Sie das tun?«
»Klar. Das mach ich doch gerne. Kein Problem.«
»Gut«, sagte Luca. Er hob die Machete auf und ging zur Tür. Im Eingang blieb er stehen. »Weißt du was«, grollte er, und noch einmal: »Weißt du was?«, und drehte sich wieder um. »Ich bin mir nicht sicher … ob ich dir vertrauen kann.«
»Klar kannst du mir vertrauen«, erwiderte Joey, und die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus. »Warum sollte ich die Botschaft von deinem Boss nicht überbringen? Du kannst mir vertrauen, ganz bestimmt!«
Luca schien darüber nachzudenken. »Das Frankenstein-Monster … von dem du … geredet hast? Ich hab den Film … gesehen.« Er biss sich auf die Unterlippe, als verstünde er nicht, was die ganze Aufregung sollte. »Kein besonders … eindrucksvolles Monster … wenn du mich fragst.«
»Was zum Teufel soll das jetzt heißen?«, sagte Joey.
Luca wandte Joey den Rücken zu, machte einen Schritt Richtung Tür und wirbelte dann mit seiner Machete herum wie Mel Ott, wenn er seinen Schläger schwang. Mit einer Folge von drei fließenden Bewegungen enthauptete er Joey. Sein Kopf rollte über den Boden und blieb an der Wand in einer Blutlache liegen. Zu JoJo sagte Luca, als er hinausging: »Lass sie … ausbluten … dann wickelt … die Leichen ein … und schafft sie weg.« Dann stapfte er noch einmal zurück, zog Vitos Brief aus Joeys Tasche und reichte ihn Vinnie. »Pack ihn … zusammen mit den … Händen des Jungen … in einen Koffer … und sorg dafür … dass Frank Nitti … ihn bekommt.« Er warf seine Machete auf die blutrote Erde und schritt hinaus in den finsteren Korridor.