In dem Apartment in der 25. Straße beugte sich einer von Tony Rosatos Männern über ein Spülbecken voller Seifenwasser und schrubbte auf einem Waschbrett sein Hemd. Er war klein und stämmig, etwa Mitte zwanzig und trug ein ärmelloses weißes Unterhemd und zerknitterte Anzughosen; sein dichter Haarschopf war völlig zerwuschelt. Giuseppe war bereits seit einer Stunde auf. Der Sonne nach, die durch das Küchenfenster hereinschien, war es nach zehn Uhr morgens. Der Junge war ganz darauf konzentriert, sein Hemd über das Waschbrett zu rubbeln, eine geriffelte, undurchsichtige Glasscheibe in einem Holzrahmen, wobei Seifenwasser über den Rand des Beckens auf das Linoleum schwappte. Giuseppe schaute den Flur vor der Küche hinauf und hinunter, sah jedoch niemanden. Nach zehn Uhr, und jeder Einzelne der Idioten, die für ihn arbeiteten, schlief noch, mit Ausnahme des idiota, der sein Hemd in der Spüle wusch. Giuseppe betrachtete die Titelseite der New York Times, die er gerade vor der Wohnungstür aufgehoben hatte, wo, wie er feststellen musste, Tomasinos Wachleute auf ihren Stühlen eingeschlafen waren. Er hatte sich die Zeitung genommen, die Tür geschlossen und war durch den Flur zurück in die Küche gegangen, ohne dass ihn irgendjemand bemerkt hätte, nicht einmal dieser Schwachkopf, der sein Hemd in der Spüle wusch. Was für eine Dreistigkeit! In der Küche, wo alle anderen ihr Essen zu sich nahmen.
Auf der Titelseite der Times war Albert Einstein abgebildet. Er sah aus wie ein ciucc’ in einem guten Anzug mit Eckkragen und Seidenkrawatte – nicht einmal seine verdammten Haare konnte er sich kämmen.
»Hey, stupido«, sagte Giuseppe.
Der Junge an der Spüle zuckte zusammen, und wieder schwappte Wasser auf den Boden. »Don Mariposa!« Es sah Giuseppes Gesichtsausdruck und hob sein Hemd hoch. »Ich hab auf mein bestes Hemd Wein verschüttet. Wir waren die ganze Nacht auf und haben …«
»Mezzofinocch!«, fauchte Giuseppe. »Wenn ich dich noch mal dabei erwische, wie du hier deine Kleider wäschst, wo wir anderen essen, schieße ich dir eine Kugel in den Arsch. Kapiert?«
»Klar«, sagte der Junge wie der idiota, der er war. Er griff in das Seifenwasser und zog den Stöpsel. »Das kommt nicht mehr vor, Don Mariposa.« Das Wasser lief rasch den Abfluss hinunter, und in dem Schaum bildete sich ein Strudel.
»Ich geh aufs Dach hoch. Weck Emilio und sag ihm, dass ich ihn sehen möchte. Er soll Tits mitbringen.«
»Klar«, sagte der Junge.
»Dann räum hier auf, koch Kaffee und hol die anderen aus den Betten. Meinst du, das kriegst du hin?«
»Klar.« Der Junge lehnte sich gegen die Spüle und machte sich dabei den Hosenboden nass.
Giuseppe warf ihm einen letzten wütenden Blick zu und ging dann in sein Schlafzimmer hinüber, wo die Decken am Fußende des Bettes zusammengeknüllt waren. Die meisten Nächte wälzte er sich unruhig herum und kämpfte mit seinem Bettzeug. Außerdem stöhnte er. Manchmal so laut, dass man es im Apartment nebenan hören konnte. Durch die offene Badezimmertür konnte er einen Spiegel über einem Waschbecken sehen, der noch immer beschlagen war. Nach dem Aufstehen duschte er stets. Im Unterschied zu dem stronz’, seinem Vater, der zum Glück schon lange tot war, und seiner Mutter, beides nichtsnutzige Säufer, sie und ihr verfluchtes Sizilien. Die halbe Zeit hatten sie zum Himmel gestunken. Wenn Giuseppe aufstand, duschte er und zog sich ordentlich an, und das schon, seit er ein junger Mann war. Er trug immer einen Anzug: Selbst als er keine zwei Nickel gehabt hatte, war es ihm stets gelungen, sich einen vernünftigen Anzug zu besorgen. Aufstehen, anziehen und ran ans Tagewerk. Deshalb hatte er auch so viel erreicht, und die ganzen anderen Nieten arbeiteten für ihn.
Er schaute sich im Schlafzimmer um, betrachtete die Möbel, das Schlittenbett und die Nachttische aus Mahagoni, die dazu passende Spiegelkommode, alles nagelneu. Ihm gefiel die Wohnung, und er überlegte, ob er sie nicht behalten sollte, wenn dieser Mist mit Corleone vorbei war, für eines seiner Mädchen vielleicht. Sein Jackett hing an der Badezimmertür über seinem Schulterholster. Das Jackett zog er an, das Holster ließ er dort. Er ging zur Kommode, öffnete eine Schublade, wählte aus dem Haufen Pistolen darin eine winzige Derringer aus. Steckte sie ein und ging aufs Dach hinauf, wobei er jede Wache, an der er vorbeikam, mit einer Ohrfeige weckte, ohne ein Wort zu ihnen zu sagen.
Auf dem Dach, wo die Sonne die Teerpappe und das gemauerte Gesims aufwärmte, war es herrlich. Es waren über zwanzig Grad – ein sonniger Frühlingsmorgen, fast schon sommerlich. Giuseppe war gerne draußen an der frischen Luft, dann fühlte er sich immer so wunderbar sauber. Er ging zum Rand des Daches hinüber, legte die Hand auf den Hinterkopf eines Wasserspeiers und blickte auf die Stadt hinaus. Unter ihm herrschte bereits geschäftiges Treiben, Menschen eilten die Gehsteige entlang, Autos drängten sich auf den Straßen. Schräg gegenüber leuchtete der weiße Pfeil des Flatiron Building im Sonnenschein. Als er noch ein kleines Licht gewesen war, hatte er eine Weile für Bill Dwyer in Chicago gearbeitet. Da hatte er auch Capone kennengelernt. Bill hatte ihn ziemlich herumkommandiert, und war er nicht jedes Mal gesprungen? Und wie! Das hatte ihm den Spitznamen »Jumpin’ Joe« eingetragen, den er zwar nicht mochte, der ihn aber auch nicht störte. Er war sein ganzes Leben lang immer auf dem Sprung. Deshalb war er auch so schnell aufgestiegen.
Als die Treppenhaustür aufging, wandte sich Giuseppe widerwillig von der warmen Sonne ab, die ihm ins Gesicht schien, und blickte zu Emilio hinüber, der zwanglos in dunkle Hosen und ein schlampiges blassgelbes Hemd gekleidet war; an seinem Hals standen ein paar Knöpfe offen, und die Goldkette, die er trug, war nicht zu übersehen. Für gewöhnlich achtete Emilio immer sehr auf seine Kleidung, und das gefiel Giuseppe an ihm. Was ihm nicht gefiel, war, ihn so zu sehen. Das war unprofessionell.
»Joe«, sagte Emilio und kam zu ihm herüber. »Du wolltest mit mir reden?«
»Als ich heute Morgen aufgestanden bin«, erwiderte Giuseppe und wandte sich zu Emilio um, »musste ich feststellen, dass die beiden Kerle, die vor der Wohnung Wache halten sollten, eingeschlafen waren. Alle schliefen tief und fest, bis auf diesen Schwachkopf, der in der Spüle sein Hemd gewaschen hat.« Er breitete die Arme aus, eine Aufforderung an Emilio, ihm zu erklären, was der Unsinn sollte.
»Die müssen sich erst einleben. Die Jungs haben bis in die Puppen Poker gespielt und getrunken.«
»Und? Meinst du, das spielt eine Rolle, wenn Clemenzas Leute hier aufkreuzen? Die jagen uns keine Kugel durch den Kopf, weil die Jungs bis spät Poker gespielt haben?«
Emilio hob beschwichtigend die Hände. »Das kommt nicht mehr vor, Joe. Ich geb dir mein Wort.«
»Gut.« Giuseppe setzte sich auf das Gesims, legte den Arm auf einen Wasserspeier und bedeutete Emilio, sich neben ihn zu setzen. »Noch mal von vorne«, sagte er. »Wir sind uns absolut sicher, dass das die Jungs von Frankie Pentangeli waren?«
»Yeah«, erwiderte Emilio, ließ sich neben Giuseppe nieder und klopfte eine Zigarette aus seiner Packung. »Carmine Rosato war dort. Er hat Fausto und Fat Larry gesehen und ein paar Jungs, die er nicht kannte. Sie haben wild in der Gegend herumgeballert. Und wir sind mindestens zehn Riesen ärmer.«
»Und die Gewerkschaftsbüros?« Giuseppe streckte die Hand nach einer Zigarette aus.
»Das muss auch Frankie gewesen sein. Wir sind jetzt im Krieg, Joe. Und Frankie ist zu den Corleones übergelaufen.«
Giuseppe nahm die Zigarette, die Emilio ihm anbot, und klopfte damit auf das Gesims. Emilio reichte ihm ein Feuerzeug. »Und wir? Wir lassen ihnen das durchgehen?«
»Sie haben ihre ganzen Banken entweder geschlossen oder verlegt, und den Großteil ihrer Glücksspielläden auch, also verlieren sie Geld. Das ist die eine Sache«, sagte Emilio. »Und ihre hohen Tiere sind alle raus nach Long Island gezogen. Das ist wie eine Festung dort. Du riskierst schon dein Leben, wenn du nur einen Blick darauf werfen willst. Und reinkommen? Da müsstest du den Belagerungszustand ausrufen, wie im Mittelalter.«
»Was für einen Zustand?«, fragte Giuseppe und gab Emilio das Feuerzeug zurück.
»Na, wie bei einer Burg. Mit einem Graben und einer Zugbrücke.«
»Aha.« Emilio schwieg und blickte zum blauen, wolkenlosen Himmel hinauf. »Jetzt wissen wir es also mit Sicherheit«, sagte er, ohne Emilio anzuschauen. »Frankie hat die beiden Anthonys verraten.« Mit ernster Miene wandte er sich Emilio zu. »Ich hab Frankie nie vertraut. Er mochte mich nicht. Er hat gelächelt und die richtigen Dinge gesagt – aber mir hat er nichts vorgemacht. Er konnte mich nicht leiden. Wenn ich ihm nur rechtzeitig eine Kugel in den Kopf gejagt hätte.« Er drückte die Zigarette aus und warf sie aufs Dach. »Du hast dich für ihn verbürgt, Emilio. Du hast gesagt, warte ab, mach ihn nicht kalt, er ist in Ordnung.«
»Hey, Joe, woher hätte ich das wissen sollen?«
Giusseppe tippte sich mit dem Finger auf das Herz. »Instinkt. Ich wusste es nicht, hab es aber vermutet. Ich hätte mich auf meinen Bauch verlassen und ihn umlegen sollen.«
Als die Treppenhaustür aufging und Ettore Barzini zusammen mit Tits aus dem Halbdunkel trat, sagte Giuseppe noch rasch zu Emilio, bevor die anderen sie erreicht hatten: »Diese Geschichte mit den Iren geht besser glatt, Emilio. Hörst du?«
»Ja, klar«, erwiderte Emilio. »Alles im Griff.«
Giuseppe und Emilio standen auf, während Ettore und Tits auf sie zukamen. »Emilio und ich haben gerade über diesen dreckigen Verräter Frankie Pentangeli geredet«, sagte Giuseppe.
»Dieser Hurensohn«, erwiderte Ettore. Er trug einen rauchgrauen Anzug mit einem schwarzen Hemd darunter, aber keine Krawatte. »Ich kann’s kaum fassen, Joe.«
»Eine Sache«, sagte Giuseppe und sah Tits in die Augen. »Aber eine Sache verwirrt mich ein wenig. Wir haben Frankie nichts von den Anthonys erzählt. Und Frankie wusste auch nichts von Capones Leuten. Wie hat er das rausgefunden? Woher wusste er von den Anthonys? Woher wusste er von den Jungs aus Chicago? Irgendjemand hat ihm einen Tipp gegeben. Tits, hast du ’ne Idee, wer das gewesen sein könnte?«
»Don Mariposa«, krächzte Tits. Sein rundliches Gesicht wurde ausdruckslos, und er wirkte plötzlich nicht mehr im Mindesten kindisch. »Wie könnte ich Frankie einen Tipp geben? Ich gehöre nicht zu seinen Leuten. Ich hab nichts mit ihm zu tun. Wann hätte ich überhaupt die Gelegenheit dazu gehabt? Bitte, Don Mariposa, ich war das nicht.«
»Joe«, sagte Ettore, »ich verbürge mich für Tits. Warum sollte er Frankie etwas verraten. Was hätte er denn davon?«
»Ettore, halt den Mund«, sagte Giuseppe und sah Emilio an. »Verbürgst du dich auch für ihn?«
»Natürlich. Der Junge arbeitet schon für mich, seit er klein ist. Er würde mir niemals in den Rücken fallen. Er ist es nicht, Joe.«
»Natürlich würde er dir nie in den Rücken fallen. Du bist wie ein Vater für ihn. Dich würde er bestimmt nie verraten.« Giuseppe schüttelte den Kopf, um zum Ausdruck zu bringen, wie sehr ihm das alles zuwider war. Er bedeutete den anderen, ihm zu folgen, und ging zur Treppenhaustür hinüber. »Wisst ihr, wie ich jetzt vor den anderen Familien dastehe? Vor meinem Freund Al Capone? Vor der Organisation? Wisst ihr eigentlich, wie ich jetzt dastehe?«
Tits hastete an ihnen vorbei und hielt Giuseppe die Tür auf.
Giuseppe sagte zu ihm: »Du magst mich nicht besonders, hab ich recht?«
»Aber natürlich, Don Mariposa.«
»Don Mariposa, Don Mariposa«, sagte Giuseppe und trat in das Halbdunkel des Treppenabsatzes. »Jetzt plötzlich überschlägt sich dein Junge vor Höflichkeit.«
Tits zog die Tür hinter sich zu, und die vier Männer standen in einem kleinen Kreis beieinander.
Giuseppe schüttelte erneut den Kopf, als würde er auf einen Einwand reagieren, den die anderen nicht hören konnten. »Weißt du was?«, sagte er zu Tits. »Ich weiß nicht, ob du Frankie oder den Corleones irgendwas verraten hast. Aber außer meinen Capos warst du der Einzige, der alle Einzelheiten kannte, also …«
»Das stimmt nicht, Don!«, rief der Junge aufgebracht. »Wir wussten alle Bescheid.«
»Ich verheimliche meinen Männern nichts«, sagte Emilio und trat dichter an Giuseppe heran. »Ich muss ihnen vertrauen können, und sie wussten, dass Frankie nicht eingeweiht war. Von meinen Männern hat niemand etwas zu ihm gesagt.«
Giuseppe blickte Emilio in die Augen, bevor er sich wieder dem Jungen zuwandte. »Trotzdem, ich trau dir nicht, Tits. Du bist ein kleiner Dreckskerl, und ich hab dich schon länger im Verdacht, also …« Er machte einen Schritt auf Tits zu, packte ihn mit der linken Hand im Nacken, hielt ihm mit der rechten die Derringer vor die Brust und drückte ab. Dann trat er zurück und ließ den Jungen zu Boden gleiten.
Ettore drehte sich um und schaute weg. Emilio rührte sich nicht, sah Giuseppe nur schweigend an.
»Widersprich mir nie wieder«, sagte Giuseppe zu Emilio. »Wenn ich nicht auf dich gehört hätte, wäre Frankie jetzt unter der Erde und nichts von alldem wäre passiert. Die ganze Angelegenheit hätte längst vorbei sein sollen, und jetzt muss ich mich mit einem verdammten Krieg herumschlagen.«
Emilio schien Giuseppe kaum gehört zu haben. Er starrte noch immer auf Tits hinab. Unter der Leiche bildete sich eine kleine Blutlache. »Er war ein guter Junge«, sagte er.
»Und wenn schon! Jetzt ist er ein toter Junge.« Giuseppe wandte sich der Treppe zu. »Schafft ihn weg.« Am Fuß der Treppe drehte er sich noch einmal um. »Und jemand soll mit den Iren reden. Und dafür sorgen, dass sie die Klappe halten.« Er verschwand die Treppe hinunter.
Als Giuseppes Schritte verklungen waren und sie sicher sein konnten, dass er sie nicht mehr hören konnte, sagte Ettore zu seinem Bruder: »Der Scheißkerl hat wahrscheinlich sogar recht. Gut möglich, dass Tits Frankie einen Tipp gegeben hat. Er hat Joe gehasst.«
»Das wissen wir nicht«, erwiderte Emilio. Er ging die Treppe hinunter, dicht gefolgt von Ettore. »Hol ein paar von den Jungs und bringt ihn in das Leichenhaus in Greenpoint, in der Nähe seiner Familie.«
»Meinst du, dass Joe …«, wollte Ettore ihm widersprechen.
»Joe kann mich mal«, fiel ihm Emilio ins Wort. »Mach, was ich dir sage.«