Sonny hatte gerade aus einer Kristallkaraffe ein Glas Wasser eingeschenkt, als ein stämmiger, gutgekleideter Mann mit einer Hakennase ihm die Hand auf die Schulter legte. »Hey, Sonny«, sagte er, »wie lange sind die noch da drin?«
»Kennen wir uns?«, fragte Sonny. Clemenza und Tessio unterhielten sich währenddessen mit einigen Freunden und Bekannten der sechs Dons, die im Konferenzzimmer nebenan saßen – fünf Dons aus New York und DiMeo aus New Jersey.
»Virgil Sollozzo«, erwiderte der Mann und streckte Sonny die Hand hin.
Sonny schüttelte sie. »Sie müssten gleich fertig sein.« Er hob das Wasserglas. »Mein Vater redet so viel, dass er seine Leitungen ölen muss.«
»Gibt’s Probleme, Sonny?«, wollte Clemenza wissen. Er und Tessio traten hinter Sollozzo und blieben rechts und links von ihm stehen. Clemenza hatte ein Silbertablett in der Hand, das mit Prosciutto und capicol’, Salami, Sardellen und Bruschetta beladen war.
»Nein, keine Probleme«, antwortete Sonny. Sein Blick fiel auf das üppige Buffet, das auf einem langen Tisch angerichtet war, und auf die Männer in weißer Uniform mit Schöpfkellen und Pfannenhebern in der Hand, die die Anwesenden bedienten. »Pa hat sich mal wieder selbst übertroffen. Was für ein Festgelage!«
»Ist das für deinen Vater?«, fragte Tessio und deutete auf das Glas in Sonnys Hand.
»Yeah. Er hat bestimmt schon einen trockenen Hals.«
»Eh!«, sagte Clemenza und deutete mit dem Tablett auf den Konferenzraum. »Avanti!«
»Ich geh ja schon«, erwiderte Sonny. »Madon’!«
Im Konferenzraum von Saint Francis, unter den Porträts der Heiligen an den Wänden, war alle Aufmerksamkeit auf Vito gerichtet. Er saß am Kopf des Tisches auf einem ganz gewöhnlichen Stuhl – der Thron, den Mariposa für sich beansprucht hatte, war nirgendwo zu sehen. Auf einer Seite des Tisches saßen Stracci und Cuneo, auf der anderen Tattaglia und DiMeo sowie am Tischende Barzini. Vito bedeutete Sonny, er solle ihm das Wasser bringen. Sonny stellte das Glas vor ihn hin und trat zu den anderen Leibwächtern an die Wand.
Vito trank einen Schluck und faltete die Hände auf dem Tisch. »Gentlemen«, sagte er, »ich denke, wir haben hier und heute Großes erreicht. Bevor wir unsere Besprechung beenden, möchte ich noch einmal wiederholen, bei der Ehre meiner Familie, und ich gebe euch mein Wort – und mein Wort ist, wie ihr alle wisst, Gold wert … ich gebe euch mein Wort, dass es zu keinen weiteren Auseinandersetzungen kommen wird. Es ist nicht meine Absicht, mich in die Geschäfte der hier Anwesenden einzumischen.« Vito hielt inne und sah die Männer am Tisch der Reihe nach an. »Wie wir vereinbart haben, werden wir uns ein- oder zweimal im Jahr treffen, um alle Probleme zu besprechen, die aufgetreten sind. Wir haben bestimmte Regeln aufgestellt und Übereinkünfte getroffen, und ich hoffe, dass wir uns daran halten werden – und wenn es Schwierigkeiten gibt, können wir diese wie Geschäftsleute beilegen.« Um das Wort Geschäftsleute zu betonen, klopfte Vito mehrmals auf den Tisch. »In New York gibt es jetzt fünf Familien«, fuhr er fort. »Dazu kommen die Familien in Detroit, Cleveland, San Francisco und im ganzen Land. Eines Tages sollten alle diese Familien – alle, die sich an unsere Regeln und Übereinkünfte halten möchten – in einem Ausschuss vertreten sein, dessen wichtigste Aufgabe darin besteht, den Frieden zu wahren.« Wieder ließ Vito den Blick über die Anwesenden schweifen. »Wir alle wissen, dass ein solches Massaker wie vor Kurzem bei der Parade oder die barbarischen Vorfälle in Chicago uns nur schaden. Aber wenn wir unsere Geschäfte friedlich betreiben, wird uns allen Erfolg beschieden sein.«
Als Vito schwieg und nach seinem Glas griff, schob Emilio Barzini seinen Stuhl zurück, stand auf und legte die Hände auf den Tisch. Seine Finger ruhten auf dem auf Hochglanz polierten Holz wie auf den Tasten eines Klaviers. »Ich möchte hier und jetzt, vor allen großen Männern, die um diesen Tisch versammelt sind, erklären, dass ich Don Corleone in allem zustimme und dass ich schwöre, mich an alle Übereinkünfte zu halten, die wir getroffen haben. Es ist meine Hoffnung, dass Sie sich mir alle anschließen und ebenfalls einen Eid auf das ablegen werden, was wir heute beschlossen haben.«
Die anderen am Tisch nickten und ließen ein zustimmendes Murmeln hören, und Phillip Tattaglia wollte gerade aufstehen, aber Vito kam ihm zuvor. »Und lasst uns schwören«, sagte Vito, den Blick auf Barzini gerichtet, »wenn wieder jemand eine solche infamitá wie das Blutbad auf der Parade begeht, ein Verbrechen, bei dem Unschuldige ermordet wurden, unter ihnen sogar ein Kind – wenn irgendeiner von uns Unschuldige und Familienangehörige bedroht, dann wird es keine Gnade geben.« Alle am Tisch applaudierten – mit solcher Leidenschaft hatte Vito während der ganzen langen Versammlung noch nicht gesprochen –, sogar Barzini, wenn auch Sekunden nach den anderen Männern, und alle schworen, sich an ihre Abmachungen zu halten. Schließlich ergriff Vito wieder das Wort. Wie im Gebet presste er die Finger aneinander und faltete die Hände. »Es ist mein größter Wunsch, als Pate geachtet und respektiert zu werden, als Mann, dessen Pflicht es ist, seine Freunde zu unterstützen und ihnen nach Kräften zu helfen – mit Rat und Geld, mit meinen eigenen Männern und mit meinem ganzen Einfluss. Zu allen hier am Tisch sage ich: Eure Feinde sind auch meine Feinde, und eure Freunde sind auch meine Freunde. Möge dieses Treffen den Frieden zwischen uns allen gewährleisten.«
Bevor Vito zu Ende gesprochen hatte, erhoben sich alle von ihren Stühlen und klatschten erneut Beifall. Vito hob die Hand und bat um Ruhe. »Mögen wir unser Wort halten«, sagte er in einem Tonfall, der nahelegte, dass er bald ans Ende gelangt sein würde. »Mögen wir unser Brot verdienen, ohne das Blut der anderen zu vergießen. Wir alle wissen, dass die Welt dort draußen kurz davor steht, in den Krieg zu ziehen, aber wir, in unserer Welt, werden Frieden halten.« Vito hob sein Wasserglas, als wollte er den Anwesenden zuprosten, und trank einen tiefen Schluck, während um den Tisch herum wieder applaudiert wurde. Schließlich traten die Männer einer nach dem anderen zu ihm, drückten ihm die Hand und wechselten ein paar Worte mit ihm.
Sonny, der sich nicht von der Stelle gerührt hatte, schaute zu, wie sein Vater Hände schüttelte und jeden der Dons umarmte. Als Barzini an der Reihe war, umarmte Vito auch ihn wie einen lange verschollenen Bruder, und als Vito ihn wieder losließ, küsste Barzini ihn auf die Wange.
»Man könnte meinen, sie wären die dicksten Freunde«, sagte Sonny zu Tomasino, der sich zu ihm gesellt hatte.
»Das sind sie auch«, erwiderte Tomasino und klopfte Sonny auf den Rücken. »Jetzt ist alles vorbei. Und wir dürfen nett zu einander sein.« Er zwinkerte Sonny zu. »Darauf muss ich unbedingt mit meinem neuen Kumpel Luca anstoßen.« Er rieb sich die Narbe unter seinem Auge, lachte und setzte sich Richtung Buffet in Bewegung.
Sonny schaute noch ein letztes Mal zu seinem Vater hinüber, der mit Barzini und Tattaglia plauderte, und folgte Tomasino durch die Tür.
Bis alle gegangen waren, stand die Sonne tief über Saint Francis. Durch zwei Fenster fielen ihre Strahlen in geraden Linien auf die Überreste der Antipastiplatten und Tabletts mit Fleisch und Pasta. Nur die Corleones waren noch da, und auch sie machten sich zum Gehen bereit. Vito hatte sich einen Stuhl an den Tisch herangezogen. Genco und Tessio saßen links von ihm, Sonny und Clemenza zu seiner Rechten. Jimmy Mancini und Al Hats waren hinausgegangen und holten die Wagen. Für ein paar Minuten war es ruhig in dem Zimmer, und sogar der Lärm des Verkehrs war kurzzeitig nicht zu hören.
»Schaut mal«, sagte Clemenza und zog eine noch verschlossene Flasche Champagner aus einer Kiste unter dem Tisch. »Eine haben sie übersehen.« Er legte eine Stoffserviette um den Korken, und während die anderen zusahen, lockerte er ihn mit geübter Hand. Als er knallte, stellte Tessio fünf Gläser auf ein Tablett, nahm eines für sich und schob die übrigen zu Vito hinüber.
»Heute war ein guter Tag.« Vito nahm ein Glas und ließ sich von Clemenza einschenken. »Jetzt sind wir die mächtigste Familie in New York«, fuhr er fort, während Clemenza die anderen Gläser füllte. »In zehn Jahren werden wir die mächtigste Familie in ganz Amerika sein.« Tessio rief: »Hört, hört!«, und alle hoben die Gläser und tranken.
Nachdem wieder Schweigen herrschte, stand Clemenza auf und musterte Vito, als wäre er sich über etwas im Unklaren. Nach kurzem Zögern sagte er mit großer Ernsthaftigkeit: »Vito«, was alle aufmerken ließ, denn für Clemenza war das ungewöhnlich. »Vito«, wiederholte er, »wir wissen alle, dass du mit Sonny andere Pläne hattest. Andere Träume …« Er nickte, was fast schon einer Verbeugung vor seinem Don gleichkam. »Aber nachdem die Dinge sich jetzt so entwickelt haben, können wir, so glaube ich, stolz auf unseren Santino sein, der erst vor Kurzem gezeigt hat, zu was er in der Lage ist und wie sehr er seinen Vater liebt. Lasst uns ihn in unserer Welt und in unserem Geschäft willkommen heißen. Sonny, du bist jetzt einer von uns!« Clemenza hob sein Glas und prostete Sonny zu. »Cent’anni!«, sagte er. Die anderen, darunter Vito, taten es ihm nach, riefen »Cent’anni!« und leerten ihre Gläser.
Sonny, der nicht wusste, wie er darauf reagieren sollte, sagte »Danke«, und alle lachten – außer Vito. Sonny schoss das Blut ins Gesicht. Er starrte sein Champagnerglas an und kippte es hinunter. Vito, dem nicht entgangen war, wie verlegen sein Sohn war, umfasste seinen Kopf und küsste ihn auf die Stirn, was von einer Runde Applaus begleitet wurde. Alle klopften ihm auf den Rücken und umarmten ihn, was Sonny dankbar erwiderte.