Eileen stand an der Spüle und schrubbte den schwarzen Boden der Pfanne, die sie gestern Abend hatte anbrennen lassen. Sie wusste nicht, was sie mehr ärgerte: die Tatsache, dass es in ihrer Wohnung so heiß war wie in einer Sauna, sobald die Temperaturen wie an diesem sonnigen Juninachmittag über dreißig Grad anstiegen; das eiernde Klappern des billigen Ventilators auf dem Tisch hinter ihr, der nicht mehr zustande brachte, als die heiße Luft ein wenig umzurühren; oder Caitlins Gequengel, das ihr schon den ganzen Tag auf die Nerven ging. Jetzt gerade wollten die Aufkleber in ihrem Aufkleberbuch einfach nicht haften bleiben, weil es dafür zu warm war. »Caitlin«, sagte Eileen, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen, »wenn du mit dem Gejammer nicht aufhörst, steht dir eine ordentliche Tracht Prügel bevor.« Eigentlich hatte die Ermahnung nicht so schroff klingen sollen, aber sie war ihr einfach rausgerutscht.
»Ich jammere nicht!«, erwiderte Caitlin. »Meine Aufkleber wollen nicht kleben, und so kann ich nicht mit ihnen spielen!«
Eileen drückte die Pfanne unter das heiße Seifenwasser und ließ sie einweichen. Sie schloss einen Moment lang die Augen, bis sich ihre Wut etwas gelegt hatte, und drehte sich dann zu ihrer Tochter um. »Caitlin«, sagte sie so liebenswürdig, wie sie es vermochte, »warum gehst du nicht nach unten und spielst mit deinen Freunden?«
»Ich hab keine Freunde«, sagte Caitlin. Ihre Unterlippe zitterte, und sie hatte Tränen in den Augen. Das gelbe Sommerkleid, das sie vor einer Stunde angezogen hatte, war schon wieder schweißdurchtränkt.
»Natürlich hast du Freunde.« Eileen trocknete die Hände an dem roten Geschirrtuch ab und schenkte ihrer Tochter ein Lächeln.
»Nein, hab ich nicht.« Caitlin konnte die Tränen nicht länger zurückhalten, und sie rannen ihr über die Wangen, während sie laut anfing zu schluchzen. Außer sich vor Kummer vergrub sie das Gesicht in den Armen.
Eileen sah ihre Tochter an, empfand seltsamerweise jedoch kaum Mitgefühl mit ihr. Sie wusste, dass sie zu ihr gehen und sie trösten sollte. Stattdessen ließ sie Caitlin weinend am Tisch sitzen, ging ins Schlafzimmer und ließ sich auf das ungemachte Bett fallen. Mit ausgebreiteten Armen starrte sie zur Decke hinauf. Hier war es noch heißer als in der Küche, aber wenigstens konnte sie Caitlins Weinen kaum mehr hören. So lag sie eine ganze Weile wie benommen da, und ihr Blick schweifte schließlich zur Kommode, wo ein Bild von Bobby neben dem von Jimmy stand, so dass sie die beiden Männer jeden Abend vor dem Einschlafen sehen konnte und jeden Morgen, wenn sie aufwachte.
Irgendwann kam Caitlin, die Boo hinter sich herschleifte, hereingetapst. Sie hatte aufgehört zu weinen und kletterte zu Eileen aufs Bett.
Eileen strich ihrer Tochter übers Haar und küsste sie sanft auf den Kopf. Caitlin schmiegte sich an sie und legte ihr den Arm über den Bauch. In der Wohnung herrschte Grabesstille, und die Hitze wollte kein Ende nehmen.
Inmitten des großen Gartens, der von prachtvollen Steinmauern umgeben war, hatten sich etwa zwanzig Männer und Frauen untergehakt und tanzten im Kreis. Auf einer aus Holz gezimmerten Bühne sang Johnny Fontane, begleitet von Nino Valenti auf der Mandoline und einem kleinen Orchester im weißen Frack, »Luna Mezzo Mare«. Vito schaute von einem niedrigen Podest aus zu, das am Rand des Gartens in der Nähe der Mauer errichtet worden war. Es bedeckte eine kahle Stelle, wo er erfolglos versucht hatte, Feigenbäume anzupflanzen, und wo er im Frühjahr einen kleinen Garten anlegen wollte. Er war vom Tisch der Braut hier herübergeschlendert, um von der lauten Musik wegzukommen. Außerdem wollte er den Blick über die Feiernden schweifen lassen und mit seinen Gedanken wenigstens vorübergehend alleine sein. Tessio und Clemenza waren ihm jedoch fast sofort gefolgt und schwatzten unentwegt. Jetzt klatschten sie auch noch in die Hände und wippten mit den Füßen, ein breites Grinsen auf dem Gesicht, sogar Tessio. Auf dem Podest waren die geliehenen Stühle und alles andere untergebracht, was sie für die Hochzeit brauchten. Vito nahm sich einen Stuhl, der an der Mauer lehnte, setzte sich und betrachtete die Gäste.
Es war heiß, über dreißig Grad, und alle schwitzten, Vito eingeschlossen. Er öffnete den obersten Knopf seines Hemdes und lockerte seine Krawatte. Alle seine Geschäftspartner waren gekommen, jeder, der von Bedeutung war. Sie saßen mit seiner Familie, seinen Freunden und seinen Nachbarn im Garten zusammen. Die meisten hatten die ihnen zugeteilten Plätze schon vor Stunden verlassen, und jetzt saßen die Barzinis, Emilio und Ettore, am selben Tisch wie die Rosato-Brüder und ihre Frauen. Ganz in der Nähe hatten sich ein paar von Tessios Leuten niedergelassen, Eddie Veltri und Ken Cuisimano, aber auch Tomasino Cinquemani und JoJo DiGiorgio, einer von Lucas Jungs. Sogar der schwerfällige Mikey DiMeo aus New Jersey war gekommen, zusammen mit seiner Frau und seinen Kindern. Alle lachten und klatschten im Takt der Musik in die Hände, unterhielten sich oder riefen einander aufmunternde Worte zu. Unter den Tänzern hatte sich Ottilio Cuneo auf der einen Seite bei seiner Tochter untergehakt und auf der anderen bei seiner Frau. Phillip Tattaglia und Anthony Stracci standen mit ihren Ehefrauen am Rand des Kreises, neben sich einige Kinder, die sich schüchtern umschauten. Heute feierten sie die Hochzeit seines ältesten Sohnes, und zu Vitos Freude hatte niemand abgesagt. Noch mehr freute er sich darüber, dass die Geschenke und Glückwünsche von Herzen kamen. Alle verdienten inzwischen gutes Geld. Alle waren in Feierstimmung.
Als das Lied zu Ende war und alles klatschte und Beifall rief, trat Genco zu Vito und den anderen auf das Podest, eine Holzschüssel mit Orangen in der Hand.
»Eh!«, schrie Clemenza, zog ein feuchtes Taschentuch aus seinem zerknitterten Jackett und wischte sich über die Stirn. »Woher kommen denn die ganzen Orangen?«
»Frag Sal«, erwiderte Genco und reichte Tessio die Schüssel. »Er ist heute Morgen mit Kisten davon aufgekreuzt.«
Tessio nahm sich, ohne auf Clemenzas Frage einzugehen, eine Orange und hielt sie prüfend in der Hand.
Genco legte Vito den Arm um die Schulter und sagte: »Großartig, Vito, wirklich großartig.«
Vito erwiderte: »Danke, mein Freund«, und Genco flüsterte ihm ins Ohr: »Bald heiratet noch jemand anderes.«
»Wer denn?«
Genco und Vito traten ein paar Schritte zurück, so dass Clemenza und Tessio nicht mithören konnten. »Heute Morgen haben wir Luigi Battaglia aufgespürt.«
»Wen?«
»Hooks. Lucas Ex-Kumpel, der ihn bei den Bullen verpfiffen hat und mit seinem Geld abgehauen ist.«
»Ah«, erwiderte Vito. »Und?«
»Wie sich herausstellt, betreibt er ein Restaurant irgendwo in West Virginia. Und jetzt heiratet er auch noch ein Mädchen von da unten.« Genco verzog das Gesicht über so viel Verrücktheit. »So haben wir ihn auch gefunden. Sein Name ist in der amtlichen Verlautbarung aufgetaucht. Der imbecille hat seinen richtigen Namen verwendet.«
»Weiß Luca davon?«
»Nein«, sagte Genco.
»Gut. Dann sorge dafür, dass das so bleibt. Luca muss von alldem nichts erfahren.«
»Vito, er hat Luca eine Menge Geld abgenommen.«
Vito hob den Finger. »Luca darf nichts davon erfahren. Nie. Kein Wort.«
Bevor Genco etwas erwidern konnte, kam Ursula Gatto auf das Podest, ihren zehnjährigen Sohn Paulie an der Hand, gefolgt von Frankie Pentangeli. Während Frankie Tessio und Clemenza umarmte, führte Ursula ihren Sohn zu Vito. Der Junge blieb vor ihm stehen und wiederholte die Worte, die er ganz offensichtlich auf Drängen seiner Mutter auswendig gelernt hatte. »Vielen Dank, Mr. Corleone, dass Sie uns zur Hochzeit von Santino und Sandra eingeladen haben.«
»Aber gerne«, sagte Vito und wuschelte ihm durchs Haar. Dann breitete er die Hände aus, und Ursula fiel ihm, Tränen in den Augen, in die Arme. Vito tätschelte ihr den Rücken und küsste sie auf die Stirn. »Du gehörst zu unserer Familie«, sagte er und wischte ihr die Tränen fort. »La nostra famiglia!«, wiederholte er.
»Sì«, sagte Ursula. »Grazie.« Sie wollte noch etwas sagen, konnte jedoch nicht sprechen, ohne zu weinen. Also nahm sie Paulie bei der Hand, küsste Vito noch einmal auf die Wange und wandte sich gerade zum Gehen um, als Tom Hagen sich dem Podest näherte.
Auf der anderen Seite des Gartens lehnte Luca Brasi an der Mauer und ließ den Blick über die Feiernden schweifen. Seine Miene war ausdruckslos, aber er hätte ebenso gut direkt zu Vito hinüberschauen können. Genco, dem das nicht entging, sagte: »Hast du in letzter Zeit mit Luca gesprochen? Er wird jeden Tag dümmer.«
»Er muss auch nicht klug sein«, erwiderte Vito.
Tom Hagen trat zu ihnen und umarmte Vito. Ihm folgten Tessio, Clemenza und Frankie Pentangeli, die sich alle plötzlich an der Unterhaltung beteiligen wollten. Tom hatte Gencos Bemerkung über Luca mitgehört. »Er rennt hier herum wie ein Zombie«, sagte er zu Genco. »Kein Mensch redet mit ihm.«
»Er stinkt ja auch zum Himmel!«, rief Clemenza. »Er müsste dringend mal wieder baden.«
Alle wandten sich zu Vito um und warteten auf seine Reaktion. Vito zuckte jedoch nur mit den Schultern und brummte: »Und wer sagt ihm das?«
Die Männer dachten einen Moment darüber nach, bevor sie in lautes Gelächter ausbrachen. »Wer sagt ihm das?«, wiederholte Tessio und wandte sich wieder seiner Orange zu.
Carmella kniete, Nadel und Faden zwischen den Lippen, vor Sandras Rocksaum. Eine der zahllosen Perlenschnüre, die das weiße Satinkleid schmückten, hatte sich gelöst, und Carmella hatte sie gerade festgenäht. Sie zupfte das Kleid zurecht und blickte zum hübschen Gesicht ihrer neuen Tochter hinauf, das ganz von Tüll und Seide eingerahmt war. »Bella!«, sagte sie und wandte sich dann zu Sonny um, der mit den Händen in den Taschen dastand und zuschaute, wie sich ein halbes Dutzend Frauen abmühte, Sandra für die Hochzeitsfotos herzurichten. Connie und ihre Freundin Lucy saßen neben Sandra auf dem Boden und spielten mit dem Kissen, auf dem der Ring gelegen hatte. Die Frauen hatten Vitos neues Arbeitszimmer mit Beschlag belegt. Kosmetika und Cremedöschen bedeckten den Schreibtisch aus Nussbaumholz, und überall auf dem Plüschteppich waren Schachteln mit Geschenken verstreut. Dolce hockte auf einer dieser Schachteln und schlug nach einer hellgelben Schleife.
»Sonny!«, sagte Carmella. »Hol deinen Vater!«
»Warum?«
»Warum?«, entgegnete Carmella, und wie so oft klang sie wütend, obwohl sie es gar nicht war. »Für die Fotos, was sonst!«
»Madon’!«, rief Sonny aus, als würde er nur ungern die Bürde auf sich nehmen, nach seinem Vater zu suchen.
Seit Wochen ließ Sonny pflichtschuldigst jedes Ritual über sich ergehen, das mit der Hochzeit zusammenhing, von den Treffen mit dem Priester bis zum Aufgebot, den Proben, den Abendessen und allem anderen. Inzwischen konnte er es nicht mehr erwarten, dass es endlich vorbei war. Auf dem Weg vom Arbeitszimmer zur Haustür wurde er drei Mal aufgehalten, um Glückwünsche von Leuten entgegenzunehmen, die er kaum kannte, und als er es schließlich durch die Tür geschafft hatte und feststellte, dass er allein war, blieb er unter dem Säulenvorbau stehen und genoss es, einmal nicht reden zu müssen. Von hier hatte er einen guten Ausblick auf die Bühne. Johnny sang eine Ballade, und alle lauschten hingerissen. »Cazzo«, sagte er laut, als er Stadtrat Fischer entdeckte, der sich mit Hubbell und Mitzner unterhielt, hochkarätigen Anwälten, die für Sonnys Vater arbeiteten, sowie mit Al Hats und Jimmy Mancini, zwei von Clemenzas Männern. Sie plauderten und lachten, als wären sie gemeinsam aufs College gegangen.
Dicht an der Mauer, am Rand des großen Gartens, hinter dem das neue Haus stand, in dem er mit Sandra wohnen würde, sobald sie von ihrer Hochzeitsreise zurückkehrten, entdeckte er auf einem kleinen Podest seinen Vater. Vito hatte die Hände gefaltet und betrachtete ausgesprochen ernst das Treiben auf dem Rasen. Auf der anderen Seite des Gartens, dem Podest direkt gegenüber, ließ Luca Brasi mit zusammengekniffenen Augen den Blick über die Hochzeitsgäste schweifen, als suchte er nach etwas, das er verloren hatte. In dem Moment hoben Vito und Luca gleichzeitig eine Orange an den Mund. Vito biss von seinem Schnitz ab und wischte sich mit dem Taschentuch über den Mund, während Luca in die ungeschälte Orange biss und nicht zu merken schien, wie ihm der Saft über Wangen und Kinn lief. Michael sprang zu Vito auf das Podest hinauf – offenbar flüchtete er vor Fredo, der knapp hinter ihm einen Stock schwang. Als Michael in seinen Vater hineinrannte und ihn fast umriss, musste Sonny lachen. Vito nahm Fredo den Stock weg und schlug ihm damit spielerisch auf den Hintern, und wieder musste Sonny lachen, ebenso wie Frankie Pentangeli und auch Tessio, die rechts und links von Vito standen, und der kleine Paulie Gatto, der Fredo und Michael hinterhergejagt war und ihnen nach auf das Podest sprang.
Eine Zeitlang beobachtete Sonny ungestört das festliche Treiben, und während er den Stadtrat und die Anwälte musterte, die Richter und Polizisten, die sich unter die Oberhäupter der Familien und ihre Männer mischten, wurde ihm bewusst, dass seine Familie die mächtigste von allen war – nichts würde sie mehr aufhalten. Sie hatten es geschafft, sie hatten alles erreicht, und nichts und niemand konnte sich ihnen noch in den Weg stellen – nichts konnte sich ihm in den Weg stellen, denn er war der älteste Sohn und somit der Erbe dieses Königreichs. Alles, dachte er, und obwohl er nicht hätte sagen können, was alles bedeutete, spürte er es in seinem tiefsten Inneren. Am liebsten hätte er den Kopf zurückgelegt und laut gebrüllt. Als Clemenza ihm zuwinkte, er solle doch zu ihnen herüberkommen, hob Sonny die Hände, als wollte er Clemenza und alle anderen Hochzeitsgäste umarmen – und trat in den Garten hinaus, um sich zu seiner Familie zu gesellen.