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Die Süße Maid
ächzte und stöhnte und es klang nicht, als wären es Laute der Wonne oder Entspannung. Es hörte sich angestrengt an, ein Ringen unterschiedlicher kinetischer Energien, der Kampf schwacher gegen starke Materialien. Geräusche, die in Hohlräumen entstanden, wo Spiel in der Konstruktion war, im Widerstreit mit starren und fest verbundenen Komponenten, die sich jeder Veränderung entgegenstemmten und schlicht bleiben wollten, wo sie waren. Dazu kamen gewiss die unzähligen Reparaturen, die möglicherweise nicht mehr genug Rücksicht auf die in der Schiffshülle transportierten Kräfte nahmen und ihren Beitrag zu dem Konzert leisteten. Der Crawler war somit ein Symbol für das Leben, nicht nur in Metropole 7, sondern auch in diesem System, zumindest wenn die schwachen Andeutungen stimmten, die sie hingeworfen bekommen hatten.
Immerhin, die Geräusche bewiesen, dass sich das Raumschiff auf dem Weg befand. Es war kein problemloser Flug und mehr und mehr bekamen die Passagiere den Eindruck, dass dies ein Raumschiff war, dessen baulicher Zustand selbst mit Wohlwollen nur als bedenklich zu bezeichnen war. Hin und wieder hörten sie Schritte auf dem Gang vor der Tür, vermischt mit Flüchen und einem Gefühl der Eile, als sei wieder irgendwo etwas ausgefallen, das man besser fix reparierte, wollte man lebend ankommen. Wie lange war dieses fliegende Wrack schon im Dienst? Sein Alter musste sich auf eine beachtliche dreistellige Zahl belaufen. Das Weltall forderte auch seinen Tribut, dessen war sich Ryk sicher. Hier musste es doch ebenfalls Umwelteinflüsse geben. Von einigen hatte er theoretische Kenntnis, beispielsweise kleine Steinchen, die durchs All flogen und einem in den Weg kommen konnten. Oder Strahlung. Oder … andere Dinge. Ryks Fantasie reichte nicht aus, um sie sich vorzustellen. Er war Springer, kein Raumfahrer, und er war froh, dass er hier Wände um sich herum hatte, ein Dach und einen festen Boden. Die Geräusche irritierten ihn nicht, für ihn waren sie ein Hinweis darauf, dass die Süße Maid
ihren Dienst verrichtete. Widerwillig möglicherweise und höchstwahrscheinlich weit entfernt von all den Spezifikationen, die Ingenieure der Union vor Jahrhunderten als minimal notwendig angesehen hatten. Aber sie flogen. Und es gab weder einen Alarm noch wurde ihnen geraten, die Druckanzüge wieder anzulegen.
Es war nicht beruhigend. Es machte aber auch nicht nervös.
Den anderen ging es ähnlich. Sie waren alle etwas müde und empfanden eine Art von Erschöpfung, die nicht durch Schlaf allein beseitigt werden konnte. Darüber hinaus aber waren sie aufgedreht, unruhig, wie es sich für Menschen gehörte, bei denen sich die Ungewissheit über die Zukunft mit einer massiven Einschränkung der Bewegungsfreiheit verband.
»Wie gehen wir vor?«, fragte Uruhard. Er sah Sia dabei an. Nicht Ryk. Natürlich nicht. Sia hatte diese Aura von Autorität. Selbst wenn sie auch nicht weiterwusste, wirkte sie in ihrer Ratlosigkeit selbstsicher und vorausschauend. Ryk war dann einfach nur hilflos. Er war kein schlechter Schauspieler, das wollte er gar nicht sagen. Aber er hatte dieses Charisma nie besessen, das sich Sia erarbeitet oder anoperiert hatte – vielleicht war es sogar angeboren.
»Sie haben uns die Zugangskarten mit den Identcodes gelassen«, stellte Sia fest.
Ryk hatte sie in eine Innentasche seiner Montur gesteckt, die er unter dem Druckanzug getragen hatte. Er betastete die entsprechende Wölbung. Die Karten waren exakt da, wo sie sein sollten. »Die helfen uns hier nicht weiter«, sagte er.
»Tatsächlich?« Sia ließ das Wort im Raum hängen. Ryk dachte an die Implikationen. Natürlich war das alles hier Unionstechnologie. War es aber notwendigerweise auch militärische Technologie, in der irgendwo tief in einem Speicher noch alte Autorisierungsroutinen schlummerten, die nur darauf warteten, wieder zum Leben erweckt zu werden? War die Süße Maid
auch zu ihren besten Zeiten nicht eher ein ziviles Schiff gewesen, ein Transporter vielleicht oder was auch immer man im Weltall so benötigte? Hatte das Militär auf so etwas Zugriff gehabt? Und war nicht ohnehin in all den Jahren so viel an diesem Schiff herumgebastelt worden, dass all diese Gedanken und Spekulationen zu absolut nichts führten?
Sie vertrieben ihnen ein wenig die Zeit. Sie füllten den Raum mit ihren Spekulationen, jeder frei von der Leber weg. Manche waren hoffnungsvoll, andere zeichneten ein düsteres Bild, doch alle waren sie bedeutungslos, denn Uruhards Frage nach dem weiteren Vorgehen wurde auf diese Weise nicht beantwortet. Irgendwann schlug Momo vor, die Tür aus den Angeln zu reißen und sich einfach mal »umzusehen«. Er schien dazu bereit, der Rest der Gruppe riet jedoch ab und der mächtige Mann blieb stehen, wo er war, und nahm die Mehrheitsentscheidung wie immer schweigend zur Kenntnis.
Sie bekamen zu essen. Ein Mann schob einen Wagen herein, als sie schon anfingen, sich gegenseitig auf die Nerven zu fallen, und unterbrach ihr zielloses Gerede. Er ließ den Wagen stehen, drehte sich um und ging. Die Fragen prallten an ihm ab. Das Essen passte zu ihrer Situation, es erfüllte sie gleichermaßen mit Widerwillen wie Misstrauen. Es war ein undefinierbarer dunkelbrauner Brei oder eine sehr zähflüssige Suppe, immerhin heiß, mit einem entfernten Aroma von Linsen, in dem dicke Brocken irgendeines Nährklumpens schwammen. Ryk glaubte nicht, dass man sie vergiften würde – zumindest nicht mit Absicht –, und er hatte Hunger. Dazu gab es einen Becher mit einem durchsichtigen, leidlich kühlen Trunk, der ebenfalls ein leichtes Aroma hatte, diesmal nach einer nicht genau zu definierenden Zitrusfrucht. Das war gewiss keine Gefängnisnahrung, der Crawler war kein Transporter für suspekte blinde Passagiere. Die Vermutung lag nahe, dass die Verpflegung der regulären Besatzung nicht viel besser sein würde. Ryk sprach das laut aus, um ein konstruktives Gespräch in Gang zu setzen, und seine Gefährten nahmen den Faden gerne auf. Über das Essen zu reden war eine seelische Wohltat, sich gemeinsam darüber aufzuregen reinigte die Atmosphäre. Alle aßen sie ohne große Lust, aber auch ohne Vorbehalte und das Ergebnis war immerhin ein angenehm warmes Gefühl im Magen. Die Laune besserte sich. Graduell, aber immerhin.
»Dieses Schiff hat schon bessere Tage gesehen. Das Essen ist einfach und zeugt nicht von besonderem Reichtum. Conrad sprach von diesen Auri mit Respekt in der Stimme – aber auch mit Abneigung, einem stillen Hass geradezu.« Sia tupfte sich den Mund mit dem Ärmel ab. »Das sind Leute, die sich so durchschlagen. Sie tun offenbar legale wie auch halbseidene Dinge und sie bekommen dafür so etwas wie Schutz von einer Macht, dieser Heptarchie, die sie duldet und ohne die sie nicht auskommen. Aber sie operieren am Rande der Gesellschaft und haben sich dort einigermaßen eingerichtet. So wie diese Rita geredet hat, ist es ein Leben, das von Grausamkeit und Gewalt geprägt ist.«
Uruhard nickte. Er hatte sein Mahl ebenfalls beendet und schaute beinahe sehnsüchtig auf den leeren Teller. Für Sias Hypothese sprach, dass die Portion nicht besonders groß gewesen war.
»Also im Grunde wie das Leben in den irdischen Metropolen, nur mit Raumschiffen.« Er sah sich um und wies auf die fleckigen Wände. »Das macht es nicht besser.«
»Es macht es anders«, betonte Ryk. »Es ergeben sich dadurch beispielsweise neue Möglichkeiten. Halten wir doch mal folgende Tatsache fest: Dieser Conrad und seine Leute haben ein Geschäft. Dazu gehört offenbar, regelmäßig die Sporenschiffe abzufangen, aufzuschneiden und auszuplündern, ob nun im Auftrag dieser Auri oder auf eigene Rechnung, sei mal dahingestellt. Fakt ist: Sie werden dafür nicht bestraft. Die Hivestöcke in diesem System, wie viele es auch sein mögen, reagieren darauf nicht.«
»Der Weltraum gehört den Menschen«, schloss Sia.
»Entweder das … oder etwas anderes«, sagte Uruhard nachdenklich. Mit einer unbewussten Geste strich er sich über den Backenbart. »Ryk weist da auf etwas sehr Wichtiges hin. Diese Leute hier leben gewiss kein einfaches Leben. Am Rande der Gesellschaft, wie schon gesagt. Aber ich hatte zu keinem Zeitpunkt den Eindruck, dass sie vor dem Sporenschiff selbst oder den Konsequenzen, die sich aus der Kaperung ergeben, irgendwelche Furcht hätten. Es ist ihr Job. Er ist Routine. Conrad saß im Laderaum vor uns, als sei er schon immer in Sporenschiffen gereist. Sie betreten das Sporenschiff in einer Großmaulmaske und lenken dadurch eine eventuelle Besatzung ab, um sie zu überwältigen. Das ist die einzige Gefahr. Als man uns entdeckt hat, waren alle ganz locker. Conrad war völlig entspannt, nur unsere Anwesenheit hat ihn etwas beschäftigt.«
»Und selbst das war kaum der Rede wert. Er ist ja fast eingeschlafen«, knurrte Ryk.
»Er hat uns was vorgespielt«, meinte Sia. »Er ist ein Offizier dieses Schiffes, offenbar sogar der Kommandant. Wenn er nicht die Ruhe bewahrt, werden die Ritas seiner Crew schnell für Unruhe sorgen. Er muss wahrscheinlich einen ziemlich wilden Haufen unter Kontrolle halten. Ich glaube nicht, dass unser Auftauchen ihn so kalt gelassen hat, wie er wirkte. Er wollte nur, dass nichts aus dem Ruder läuft.«
»Aber er liefert uns aus. Anders sind seine Worte nicht zu deuten«, beharrte Ryk.
Sia zuckte mit den Schultern. Sie sagte darauf nichts.
»Vielleicht kann er nicht anders. Wir wissen nicht, wie die realen Machtverhältnisse sind, die Regeln, nach denen diese Leute leben.« Uruhard beugte sich nach vorne. »Wir dürfen nicht den Fehler machen, unsere Lebenserfahrung in den Metropolen einfach so auf die Zustände hier zu übertragen. Das könnte sich als fatale Fehleinschätzung erweisen.«
»Was werden diese Auri mit uns machen? Haben wir eines dieser Gesetze, eine dieser Regeln bereits verletzt und werden entsprechend sanktioniert?«, fragte Ryk sich, obgleich er bereits ahnte, dass ihm hier niemand eine Antwort geben konnte. Es lud einmal mehr zu Spekulationen ein. Das war, wie sie mittlerweile wussten, gleichermaßen müßig wie anregend, denn nichts war interessanter, als sich die eigene Zukunft in den düstersten Farben auszumalen, in der Hoffnung, danach angenehm überrascht zu werden.
»Wir sind erst mal interessant. Wir sind durchaus spannende Neuigkeiten. Wenn wir nicht als Bedrohung wahrgenommen werden, bin ich zuversichtlich, dass wir bis auf Weiteres nicht feindselig aufgenommen werden«, sagte Uruhard mit fester Stimme. Er wollte
zuversichtlich sein. Er zwang sich dazu, vorbildlich zu handeln. Ryk war ihm dafür dankbar.
»Wir müssen mit jemandem reden, der sich auskennt«, erwiderte Sia. »Wir müssen an ein Raumschiff kommen. Eines, das sich selbst steuert – oder jemanden finden, der es für uns tut. Wir haben nur die erste Etappe unserer Reise erreicht. Ein Zwischenstopp. Wir müssen weiter!«
»Ohne Bezahlung«, ergänzte Ryk. »Ich glaube, VE werden hier nur als Kuriosum angesehen.«
»Vielleicht können wir unsere Anzüge verkaufen«, meinte Uruhard.
»Falls wir sie zurückerhalten. Conrad könnte sie als Bezahlung für unsere ›Rettung‹ ansehen. Möglicherweise wäre das nach hiesigen Gesetzen sogar sein Recht. Wir sollten nicht überrascht sein, wenn uns alles genommen wird«, spekulierte Sia düster.
Momo nickte. Er war offensichtlich auch eher pessimistisch. Ihm machte es nur wenig, denn damit geschah nichts, was seinem bisherigen Lebensweg grundsätzlich widersprach. Ryk war beinahe ein wenig neidisch auf seine stoische Grundhaltung.
Leider war jedes negative Gefühl so viel stärker und verheißungsvoller als Uruhards etwas gewollte Zuversicht. Die kurze Aufhellung der Stimmung, hervorgerufen durch seine Erwartungen, verflog sehr schnell. Ryk ermahnte sich. Er wusste doch gar nicht, was passieren würde. Vielleicht waren die Auri ja total nett.
Als er das dachte, klang dieser Gedanke so absurd, dass er beinahe darüber lachen musste.