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Es wurde recht schnell klar, wie ihre Hilfe aussehen sollte: durch den sich aufbauenden Angriff der Auri hindurchschlüpfen und mit einer kleinen Gruppe von Rebellen auf dem Planeten des Systems landen, dort Kontakt mit Verbündeten aufnehmen und die Aktion durchführen. Es klang spannend. Es klang wie aus einer dieser wilden Geschichten, die sich übermüdete und unter Drogen stehende Schriftsteller ausdachten, die kurz vor einem Abgabetermin noch dringend irgendetwas schreiben mussten. Ryk kannte solche Leute. Es gab sie sogar noch in Metropole 7, wenngleich ihr Publikum klein und ihr Verdienst mager war. Selbst schuld
, wie er dann immer dachte.
Aber Teil einer solchen Geschichte zu werden, das war dann doch etwas anderes.
Sie wechselten erneut das Schiff. Der Start lag nicht in allzu ferner Zukunft, also wurde ihr Gefährt auch gleich ihre Unterkunft. Dieses Exemplar war deutlich kleiner als die Katerina
und machte einen etwas moderneren Eindruck. Man hatte für das Unterfangen also das Beste aus dem Hangar geholt, was zur Verfügung stand. Das unterstrich die Bedeutung ihres Plans. Das Raumfahrzeug stand unter dem Kommando von Rita und schien nicht mehr als ein halbes Dutzend sehr schweigsamer und konzentrierter Besatzungsmitglieder zu haben. Alles hier machte einen deutlich weniger anarchistischen, eher einen militärischen Eindruck. Ryk fühlte sich dementsprechend ein wenig eingeschüchtert.
»Wir bleiben in Crawlertown, bis die Auri in Scannerreichweite auftauchen. Dann, kurz bevor sie sich auf uns eingeschossen haben, machen wir uns auf den Weg«, erklärte Rita ihnen einen Zeitplan, der Ryk ernsthafte Zweifel an den Planungsfähigkeiten ihrer neuen Freunde entwickeln ließ. Er sagte nichts, aber ein Blickwechsel mit Sia bestätigte ihm, dass zumindest sie ähnliche Vorbehalte entwickelte. »Ich werde euch erklären, was wir vorhaben. Es ist ganz einfach.«
Wenn etwas Alarmsignale in Ryk auslöste, dann die Behauptung, etwas wäre ganz einfach. Erwartungsgemäß war es dann mehr oder weniger das genaue Gegenteil.
Sie setzten sich in der engen Messe des kleinen Schiffes zusammen. Zu ihnen gesellten sich zwei weitere Rebellen, Zwillinge namens Michael und Martin, die nicht nur in der Physiognomie exakte Kopien waren, sondern auch im Verhalten und der Art und Weise, wie sie sprachen. Das war umso bemerkenswerter, da sie sehr wenig sagten und schweigsam, aber konzentriert wirkten. Der eine, Michael, redete vielleicht ein wenig mehr, wenn man wirklich nach Unterschieden suchen wollte. Sie waren beide muskulös und ihre Bewegungen wirkten wie abgezirkelt. Ryk wusste, wie es war, wenn man ein großes Körperbewusstsein hatte und sich dieses in einer starken Selbstkontrolle ausdrückte. Es gab viele Springer auf der Erde, die ähnliche Merkmale aufwiesen und daraus einen eigenen Stil machten, ein Markenzeichen, das nicht zuletzt auf potenzielle Sexualpartner, egal welchen Geschlechts, attraktiv wirkte.
Ryk fand, dass es affektiert wirkte. Vor allem wenn man eine Show daraus machte. Doch die beiden Ms taten das nicht. Sie waren von einer natürlichen Bescheidenheit, die nur Menschen ausstrahlten, die in sich ruhten – oder, wie im Fall der Zwillinge, sich selbst genug waren, da sie stets ihr vertrautes Ebenbild bei sich hatten.
Rita zeigte ihnen eine Projektion eines sehr vertraut aussehenden Objekts. Es war ein Hive und er unterschied sich offenbar nur in Details von dem, in dessen Schatten Ryk aufgewachsen war.
»Das ist einer der Hives auf der Welt, um die die Habitate kreisen«, sagte Rita und erwartete wohl andächtige Stille angesichts dieses Anblicks. Den Gefallen tat ihr aber niemand.
»Die anderen Hives sind kleiner und wir haben den Eindruck, dass es eine Hierarchie gibt: Dieser ist das Zentrum, nur von ihm starten übrigens Sporenschiffe. Wie ist es auf Terra?«
Uruhard antwortete: »Es gibt auch bei uns Hypothesen bezüglich einer Hierarchie, sie wurden aber nie belegt. Die Hives auf Terra sind alle ungefähr gleich groß und soweit ich weiß, schicken sie alle Sporenschiffe ins All. Bei uns ist die Situation also nicht eindeutig. Aber wenn es hier so ist, hat man wenigstens ein eindeutiges Ziel.«
»Wenn die Auri den Hive beherrschen und dieser Sporenschiffe ausschickt, die das System verlassen und die anderen Hives über die Situation hier informieren …«, begann Sia, stockte und schob ein: »Falls sie diese Art von Informationen kommunizieren …«, sie stockte erneut, blinzelte und griff dann den Faden wieder auf: »Wenn sie das tun, müsste dann nicht der Hive außerhalb dieses Systems genau wissen, was hier falschläuft und Gegenmaßnahmen ergreifen?«
»Soweit wir es verstehen«, erklärte Rita, »ist der Schlüssel zur Herrschaft der Auri über den Hive die Kontrolle der Informationen, die dieser erhält, und die Entschlüsselung der Wirkungskette, die von bestimmten Informationen zu bestimmten Reaktionen führt. Wenn man so will, haben die Auri die Sprache des Hives verstanden und benutzen sie, um Anweisungen zu formulieren – aber auf eine Weise, die dem Hive, soweit er überhaupt über ein Bewusstsein verfügt, nicht verrät, dass er das Opfer einer Manipulation ist. Er denkt, alles sei in Ordnung. Die Auri bestärken ihn in dieser Auffassung. Die Sporenschiffe, die ihn verlassen, melden der Hivegalaxis: ›Hier ist alles bestens. Gehen Sie weiter. Es gibt nichts zu sehen.‹«
»Lächeln und winken«, murmelte Uruhard. »Immer nur lächeln und winken.«
Ryk sah ihn von der Seite an. Manchmal redete der alte Mann, versunken in seinen Gedanken, wirklich seltsames Zeug.
Rita merkte wohl, dass Sia nicht vollends überzeugt war. »Bisher kamen hier nur Sporenschiffe anderer Hives an, die die Auri im Regelfall abfangen – oder wir Crawler tun es für sie, gegen eine entsprechende Entlohnung. Kein Hive ist angeflogen gekommen, um mal selbst nach dem Rechten zu sehen. Ich glaube, das ist ein starkes Argument für meine These.«
Sie wartete nicht darauf, ob Sia sich damit einverstanden zeigte oder nicht, sondern wandte sich erneut ihren Erörterungen zu. »Unser Ziel ist also der Zentralhive, so wie wir ihn verstehen. Hier, ich vergrößere das Bild.«
Es sprang heran und nun wurden Strukturen neben dem Alien-Bauwerk sichtbar, die man vorher nicht hatte ausmachen können. Modern wirkende Gebäude, direkt am Fuß des Hives. Es gab eine große Aussparung, wo der gigantische After den Abfall absonderte. Dieser wurde, wenn Ryk das richtig sah, auf Förderbändern abtransportiert und offenbar einer wohl organisierten und fachgerechten Verwertung zugeführt. Welch ein Kontrast zu den Suchtrupps der Hybriden bei Metropole 7, die mit ihren Stöcken durch den organischen Mist stocherten, bis sie etwas fanden.
»Das ist die Station der Auri, betrieben durch die Heptarchie. Von dort aus kontrollieren sie den Hive, von dort aus werden die vom Hive produzierten Waren in den Orbit gebracht. Es gibt eine Besatzung von rund einhundert Spezialisten, die nichts anderes tun, als sich um diese Aufgabe zu kümmern, und eine Gruppe von zwanzig Wachen, die sich seit Jahrhunderten sehr langweilen.«
»Man wird sie jetzt in Alarmbereitschaft versetzt haben«, mutmaßte Ryk. »Sie haben vielleicht auch Verstärkung bekommen.«
Rita verzog nur das Gesicht. »Vielleicht. Aber das ist zweitrangig, wir haben einen Insider und wir haben Kameraden da unten, die Ortskenntnis haben und uns unterstützen. Wir haben erfahrene Techniker und Spezialisten in Gestalt unserer Zwillinge.« Sie nickte in Richtung der beiden schweigsamen Männer, die das Nicken ernst erwiderten. »Der Anflug wird schwierig, die Landung wird schon leichter, aber hineinkommen werden wir, wenn nicht direkt, dann über einen Umweg. Die Frage ist, wie wir dann vorgehen. Unser ursprünglicher Plan war, dass wir eine Datenleitung öffnen und Eze seine Magie wirkt – mit ungewissem Ausgang, wie ich zugeben möchte, vor allem, was die Dauer angeht. Aber jetzt scheinen sich ja neue Optionen zu eröffnen. Die Zugangskarten sind ein Bonus. Wir können eure Hilfe gut gebrauchen. Sia, du bist die einzige echte Cyborgfrau im System – diese Art von Aufrüstung hat es hier nie gegeben. Deine Dienste könnten sich als unschätzbar erweisen. Uruhard ist ein Experte für die alte Zeit, die Terranische Union, alles, was damit zusammenhängt. Auch das wird uns helfen können. Die Vorzüge von Momo sind offensichtlich, vor allem was den Umgang mit renitenten Wachen angeht. Und Ryk hier …«
Ah, da zögerte sie. Ryk verzog keine Miene und vervollständigte den Satz für sie. »Hat den richtigen Vorfahren und kann zumindest eine der Codekarten mit einiger Überzeugungskraft einsetzen. Außerdem ist er flink und gelenkig. Ist ja immer schön.«
»Ich hätte nichts Sarkastisches gesagt«, verteidigte sich Rita. »Ich bin mir sicher …«
»Aber gedacht hast du es«, entgegnete Ryk und winkte ab, als die Frau darauf etwas antworten wollte. »Es ist mir egal. Im Ernst. Wir haben ein anderes Ziel und wenn wir weiterkommen, indem wir euch helfen … fein. Ich spiele meine Rolle, wie sie sich ergibt. Dann ziehen wir weiter.«
Er spürte, wie Sias Hand die seine umfasste und sanft drückte. Er verbarg ein Lächeln. Wer benötigte die Wertschätzung irgendwelcher Rebellen, wenn er die dieser Frau hatte? Sobald man seine Prioritäten gesetzt hatte, wusste man auch, wie man mit der eigenen Eitelkeit richtig umging.
»Wir werden euch helfen«, sagte Rita. »Eze glaubt an eure Geschichte. Die mit dem Letzten Admiral. Zumindest kalkuliert er ein, dass sie eventuell wahr sein könnte.«
»Du aber nicht.«
Rita zuckte als Antwort nur mit den Schultern. »Ich mag Utopien. Das stärkste Argument für die Pflege von Utopien formulierte einmal ein weiser Mensch: ›Man erkennt dann erst voll das Wirkliche, wenn man auch das Mögliche überschaut.‹ Anstatt jede Vision gleich als Fantasterei abzutun, fragt das utopische Denken danach, unter welchen Bedingungen sie wahr sein könnte. Damit eröffnet es eine Diskussion über eine neue Perspektive für die Menschheit, eine bessere, mehr als alles, was wir hier und auf der Erde kennen. Über den Horizont des Gegenwärtigen hinaus. Ich muss selbst gar nicht daran glauben, ich muss nur akzeptieren, dass man so denken kann.«
Alle schauten sie schweigend an. Ryk war erstaunt. Das war eine Denkweise, die er zumindest nicht aus dem Mund dieser Frau erwartet hätte. So war es, wenn man jemanden unterschätzte. Ryk war sich nicht zu schade, seinen Fehler einzugestehen. Rita lächelte.
»Ich hätte nichts Sarkastisches gesagt«, erwiderte Ryk lächelnd. Dann nahm er ihr die zu erwartende Erwiderung vorweg: »Aber gedacht, ja, ganz bestimmt.«
Rita schüttelte den Kopf. Die beiden Zwillinge kicherten leise und lehnten sich zurück, ein Duett sichtbarer Entspannung.
Dann ging es um die Details.