Kapitel 5
Der Verräter
Flo hat uns verpfiffen?
Ich fass es nicht!
Ich wusste ja, dass er neidisch ist auf meine neue Rolle in der Clique, aber sowas hätte ich nicht erwartet.
Im Vorbeigehen sage ich zu ihm:
Regel Nr. 6: Hüte dich vor neidischen Nerds!
Unser Direktor ist zum Glück immer total nett, deshalb hat keiner so richtig Angst vor ihm.
Das kann ihm aber egal sein, denn fürs Angstmachen hat er ja Herrn Schinder, der auch ‘nen Grizzly das Fürchten lehren würde.
Auch jetzt ist es sein Job, den bösen Bullen zu geben.
Er brüllt Flo an: »WER hat damit angefangen?«
Mist! Jetzt bin ich geliefert.
Aber Flo sieht nicht zu mir, sondern schüttelt den Kopf und sagt: »Weiß nicht. Ich war in der Bücherei, Herr Schinder.«
Puh! Das war knapp!
Draußen haben sich die Überlebenden gesammelt. Ein paar Irre wagen sich sogar aufs Jungenklo, um sich zu waschen. Das Klo ist seit Skottis Wasserhahn-Explosion-Aktion immer noch nicht geputzt worden ist.
Da drin sieht‘s jetzt aus wie im Kriegsgebiet.
Nur die Unerschrockensten trauen sich da noch rein.
Die meisten von uns laufen lieber den Rest des Tages in pappigen Klamotten rum.
Niko kommt mir gratulieren.
Niko sagt, noch ein paar solcher Aufgaben und ich bin definitiv einer von ihnen.
Ein paar? Wow, krass. Ich dachte, ich bin fertig.
Wir latschen mit schmatzenden Schuhen zurück ins Klassenzimmer. Ich peile einen Platz bei meiner Clique an, aber die haben keinen Platz frei.
Also setze ich mich doch wieder zu Flo. Um mich von dem Verräter abzuschirmen, stelle ich meine Tasche zwischen uns.
Irgendwann später schreckt uns eine Durchsage aus dem Dämmerschlaf.
Schulversammlung? Wow. Direktor Fritsch muss echt sauer sein. Was er wohl vorhat?
Jetzt sind wir dran.
Ab da sind alle mucksmäuschenstill. Frau Kurz kann sogar ihren Unterricht halten.
Umspült von ihrem elbisch-klingonischen Gefasel harren wir unserer Hinrichtung in der zweiten Pause.
Früher war in der Schule alles noch anders. Im Kindergarten war noch alles voller Regenbögen und Schmetterlinge.
In der Grundschule war auch noch alles bunt und lustig.
Aber dann mussten wir lesen und schreiben lernen.
Und irgendwann war dann auch da Schluss mit lustig.
Das war die Zeit, als Mama ganz viel mit mir gelernt hat. Sie war turbo gestresst und hat sogar mal geweint. Vielleicht aber gar nicht wegen Mathe, sondern weil Papa da ausgezogen ist.
Und dann kam die 5. Klasse und es wurde ein bisschen, wie in Azkaban gefangen sein.
Da, wo dir die Dementoren alle Lebensfreude aussaugen.
Nix mehr mit Regenbögen und Schmetterlingen. Eher so wie im Labor eines verrückten Wissenschaftlers.
Und in der 6. Klasse sieht man dann so aus:
Die Aufseher der Lernzombies dort lassen sich grob in drei Arten einteilen.
Als wir uns in der Pause alle im Lichthof versammeln, weiß keiner, was auf uns zukommt.
Wir erwarten das Schlimmste.
Aber unser Direktor Herr Fritsch hat was ganz anderes vor.
Stunden später erklärt er uns dann irgendwann, was.
Wir alle sollen zusammen an einem Projekt zur Verschö-nerung der Schule arbeiten, um »unsere destruktiven Energien in konstruktive Bahnen zu lenken«.
Zusammen mit den Kunstlehrern Herrn Porz und Frau Dissel sollen wir Graffitis entwerfen und die ganze Schule damit bemalen.
Wer gut in Kunst ist, darf Entwürfe machen, der Rest muss die Sauerei wegputzen.
Zinn, der Hausmeister, ist im siebten Himmel.
Frau Dissel liest die Namen der außerwählten Zeichner vor und ich bin darunter.
Halleluja!
Nix wie weg hier ...
Frau Dissel bringt uns zum Kunstraum und erklärt, was wir tun sollen. Herr Porz, die schräge Schnarchnase, ist auch dabei.
Kira aus der Parallelklasse ist auch unter den Künstlern.
Sie ist sowas wie meine schärfste Konkurrentin in der Stufe in Sachen Zeichnen.
Vor einer Weile hat sie mir eine Freundschaftsanfrage geschickt. Kurz darauf habe ich ein Bild von Skotti bekommen, das von ihr sein könnte. Weiß sie Bescheid? Wahrscheinlich will sie mich erpressen. Ich muss also total auf der Hut sein.
Geleitet wird das Projekt von so einem Oberstufler namens Paul. Paul ist in der zehnten und Schülersprecher. Er sieht aus wie ein Model oder ein Superstar und trägt immer die angesagtesten Klamotten.
Sogar mit Halstuch zu seiner Piloten-Lederjacke sieht er cool aus. Niemand sieht mit einem Halstuch gut aus. Paul schon.
Alle Mädels sind in ihn verknallt.
Paul kann zwar nicht malen, aber gut organisieren, weil immer alles gemacht wird, was er sagt.
Diese Schablonen zu machen, ist ganz schön tricky. Diese Graffiti-Künstler, die Frau Dissel uns zeigt, sind der Hammer.
Aber zusammen entwerfen wir ein paar echt coole Dinger.
Ich schmuggle sogar einen Skotti drunter.
Wenn ich es richtig anstelle, kann ich das Graffiti-Projekt sogar als Skotti-Tarnung nutzen. Wenn Skotti ohnehin schon als Schablone an jeder Wand prangt, kann er sich sicher supergut in der Schule verstecken.
Außerdem wird so vielleicht doch noch mein Traum wahr, ihn als Schul-Maskottchen zu etablieren.
Wir verbringen den Rest des Tages mit Zeichnen.
Nach der sechsten Stunde werden wir aus dem Kunstsaal entlassen und ich bin total erleichtert, weil ich:
1. wegen der Colaschlacht nicht erwischt wurde
2. Kira aus dem Weg gehen konnte
Vor der Tür steht die ganz Mädchenclique rum. Worauf warten die denn?
Da kommt Gigi rüber zu – mir???? Das hat sie noch nie gemacht! Hilfe, was ist denn jetzt los? Und jetzt redet sie auch noch mit mir.