© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en) 2018
Hans von Storch, Insa Meinke und Martin Claußen (Hrsg.)Hamburger Klimabericht – Wissen über Klima, Klimawandel und Auswirkungen in Hamburg und Norddeutschlandhttps://doi.org/10.1007/978-3-662-55379-4_10

10. Migration

Michael Brzoska1  , Jürgen Oßenbrügge2  , Christiane Fröhlich2   und Jürgen Scheffran3  
(1)
Institut für Friedensforschung, Universität Hamburg, Beim Schlump 83, 20144 Hamburg, Deutschland
(2)
Institut für Geographie, Universität Hamburg, Bundesstr. 55, 20146 Hamburg, Deutschland
(3)
Institut für Geographie, Universität Hamburg, Grindelberg 7, 20144 Hamburg, Deutschland
 
 
Michael Brzoska (Korrespondenzautor)
 
Jürgen Oßenbrügge (Korrespondenzautor)
 
Christiane Fröhlich
 
Jürgen Scheffran
10.1 Einleitung
10.2 Wissenschaftliche Debatte über Klimawandel als Ursache von Migration
10.2.1 Klimabedingte Umweltveränderungen als Ursache von Migration
10.2.2 Entscheidungsmodelle für Migration
10.2.3 Migration als Anpassung an klimabedingte Umweltveränderungen
10.2.4 Formen und Folgen klimabedingter Migration
10.2.5 Hamburg als Ort von Migration
10.3 Formen heutiger Klimamigrationspolitik und Alternativen
10.4 Zusammenfassung
Literatur

10.1 Einleitung

Seit der Klimawandel stärker ins öffentliche Bewusstsein drängt, wird er vom Schreckensbild hunderter Millionen von Umweltvertriebenen begleitet. Schon im ersten Bericht des Weltklimarates (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) von 1990 wird gewarnt, dass Veränderungen bei Niederschlägen und Temperaturen zu großen Migrationsbewegungen führen könnten, die „über einen Zeitraum von einigen Jahren ernsthafte Störungen von Siedlungsmustern und soziale Instabilität auslösen könnten“ (IPCC 1990, S. 20).

Als der ehemalige Vizepräsident der Vereinigten Staaten Al Gore 2007 den Friedensnobelpreis erhielt, argumentierte er: „Klimaflüchtlinge sind in Regionen gewandert, die schon von Menschen mit unterschiedlichen Kulturen, Religionen und Traditionen bevölkert sind, wodurch das Potenzial für Konflikte erhöht wird“ (Gore 2007). Sind das belastbare Prognosen? Sind schon heute viele Migranten1 Klimaflüchtlinge, oder ist das Schwarzmalerei? Als wie belastbar haben sich frühere Voraussagen erwiesen? Wissen wir mehr über Ursachen und Folgen der Klimamigration als vor 25 oder 10 Jahren? Welche Folgen sind schon festzustellen, welche für die Zukunft zu erwarten? Und was hat das mit Hamburg zu tun? Wird Hamburg mit mehr Flüchtlingen zu rechnen haben, und wie kann sich die Stadt darauf vorbereiten? Derartige Fragen sind seit dem Jahr 2015 durch die große Zahl an Flüchtlingen, die nach Hamburg gekommen sind, nicht nur besonders aktuell, sondern zeigen auch die Dringlichkeit, gelungene Antworten auf bereits bestehende und in Zukunft zu erwartende Herausforderungen zu finden, die von Migrationsprozessen ausgehen.

Flüchtlingsfragen sind aber nur ein Aspekt, der im Kontext von Bevölkerungsbewegungen im Allgemeinen und umweltbedingter Migration im Besonderen zu behandeln ist. Flüchtlinge sind nach Auffassung des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) Menschen, die durch Krieg, gravierende Menschenrechtsverletzungen, politische Unterdrückung und Umweltkatastrophen vertrieben werden (Box 1). Ende 2015 waren davon mindestens 59,5 Mio. Menschen betroffen (UNHCR 2016). Weitaus höhere Zahlen ergeben sich, wenn das gesamte Ausmaß der internationalen Migration in den Blick genommen wird. Die Bevölkerungsabteilung der Vereinten Nationen hat für Ende 2013 geschätzt, dass 232 Mio. Menschen in einem anderen Land lebten als dem, in dem sie geboren wurden (United Nations 2013, S. 1). Nicht eingeschlossen sind in dieser Zahl ca. 30–40 Mio. Nomaden (New World Encyclopedia 2015), die auf ihren Wanderungen häufig auch internationale Grenzen überschreiten, sowie die hohe Zahl von Menschen, die innerhalb eines Landes ihren Lebensmittelpunkt örtlich verändert haben, permanent oder über einen längeren Zeitraum. Nach Schätzungen sind ca. 10 % der Weltbevölkerung Migranten in diesem Sinne (UNDP, Foresight 2011, S. 37).

Die Gründe dafür, warum Menschen ihre Heimatorte verlassen, sind vielfältig. Wirtschaftliche, soziale, politische und ökologische Ursachen sind oft nicht voneinander zu trennen. Auch wo Menschen nicht durch Umweltkatastrophen oder „komplexe Notfälle“, in denen sich Umweltprobleme und Gewaltanwendung gegenseitig verstärken, zur Flucht veranlasst werden, kann der Klimawandel die Entscheidungen von Menschen für das Bleiben oder ein Weggehen beeinflussen, etwa durch den Anstieg des Meereswasserspiegels oder abnehmende landwirtschaftliche Produktivität.

In diesem Kapitel des Klimaberichtes gehen wir zunächst der Frage nach, in welchem Umfang Migration bereits durch Klimawandel beeinflusst wird und welche Veränderungen in der Zukunft zu erwarten sind. Daran anschließend beziehen wir dieses Wissen auf die lokale Situation. Hamburg ist als weltoffene Stadt mit florierender Wirtschaft ein Magnet für Migranten aus vielen Ländern. Das hat dazu beigetragen, dass der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in Hamburg hoch ist. Hamburg und seine Bewohner haben umfangreiche Erfahrungen mit der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen. Trotzdem hat die hohe Zahl an Schutzsuchenden, die seit 2015 nach Hamburg kamen, die Stadt vor große Herausforderungen gestellt, die auch aktuell noch nicht bewältigt sind.

Neben der Beschreibung von Migrationsbewegungen in die Metropolregion Hamburg ist der Umgang mit den Schutzsuchenden ein weiteres Thema. Dabei gehen wir von der Annahme aus, dass die Kenntnis der bisherigen migrationsbedingten Veränderungen der Stadtentwicklung helfen wird, Antworten auf folgende Frage zu geben: Was würde geschehen, wenn spürbar mehr Menschen aufgrund des Klimawandels nach Hamburg kämen?

Die Ausführungen in diesem Beitrag beruhen überwiegend auf einer Auswertung des Standes der Forschung, insbesondere zu den Folgen des Klimawandels für Migration, zur historischen Einwanderung und zur aktuellen Einwanderungspolitik in Hamburg. Hinzu kommt der sehr begrenzte Forschungsstand, den es bereits zu Zusammenhängen von Klimawandel, Migration und Hamburg gibt. Damit werden verschiedene bisher unverbundene Forschungsstränge zusammengeführt. Wir werden sehen, dass noch große Lücken bei der Beantwortung der aufgeworfenen Fragen bestehen, die sich durch weitere Forschung nur langsam werden schließen lassen. Auch wenn, wie weiter unten gezeigt, das zukünftige Ausmaß klimarelevanter Zuwanderung nach Hamburg völlig offen ist, liefern die aktuellen Debatten über die Herausforderungen großer und überraschender Migrationsbewegungen auch wichtiges Material zur Vertiefung von Konzepten der resilienten Stadt, wie sie gegenwärtig im Hinblick auf andere Folgen des Klimawandels diskutiert werden.

Flüchtlinge oder Migranten

Viele Begriffe in der Debatte über Bevölkerungsbewegungen sind emotional und politisch aufgeladen. Das reflektiert moralisch und politisch sehr unterschiedliche Ansichten darüber, ob und welche Art von Bevölkerungsbewegung unterstützt, toleriert oder verhindert werden soll. Auch hängen an den Begriffen gravierende Unterschiede, was den rechtlichen Status angeht. Besonderen Schutz genießen Personen, die als individuell politisch Verfolgte unter dem Schutz des Grundgesetzes Artikel 16 oder aufgrund besonderer Schutzbedürftigkeit unter das „Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“ von 1951 Anrecht auf Asyl haben. Dieses häufig „Genfer Flüchtlingskonvention“ genannte Abkommen soll Menschen schützen, die aufgrund ihrer Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten politischen Gruppe oder ihrer politischen Überzeugung eine begründete Furcht vor staatlicher Verfolgung haben und deshalb ihr Heimatland verlassen. Staaten, welche die Konvention (oder ein Folgeprotokoll von 1967) ratifiziert haben2, müssen Flüchtlingen Schutz gewähren. Darüber hinaus steht mit dem Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) eine Organisation der Vereinten Nationen bereit, Flüchtlingen in solchen Staaten zu helfen, die dazu selber nicht in der Lage sind. Viele Staaten, internationale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen sehen sich darüber hinaus in der Pflicht, auch Personen zu unterstützen, die aus anderen Gründen, etwa nach Umweltkatastrophen, ihre Wohnorte verlassen haben. Auch diese Menschen werden häufig als Flüchtlinge bezeichnet, wenn sie ihr Land verlassen, haben aber nicht den rechtlichen Schutz derjenigen, die unter die Genfer Flüchtlingskonvention fallen. Bleiben sie im Land, werden sie im Deutschen häufig als „Binnenflüchtlinge“ bezeichnet, international wird für letztere Gruppe der Begriff der „internally displaced persons“ (IDP) benutzt. Soweit sie internationale Unterstützung erhalten, erfolgt dies häufig nicht durch den UNHCR, sondern durch andere internationale, staatliche und nichtstaatliche humanitäre Organisationen wie die Internationale Organisation für Migration oder das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen. Viele Staaten bieten außerhalb der Genfer Flüchtlingskonvention die Möglichkeit zur Einwanderung, wobei allerdings in der Regel die Notlage der Menschen, die kommen wollen, kein Kriterium ist. Wenn Menschen ohne staatliche Genehmigung Grenzen überschreiten, werden sie zu illegalen Migranten. Eine besondere Gruppe von Migranten stellen Nomaden da, deren traditionellen Wanderungsräume durch internationale Grenzen zerteilt worden sind. In diesem Kapitel wird der Begriff Migration als Sammelbegriff für alle Bevölkerungsbewegungen benutzt. Andere Begriffe wie Flüchtlinge werden als Unterbegriffe verstanden und restriktiv nur dann verwendet, wenn sie eine klar definierte Gruppe von Menschen umfassen.

10.2 Wissenschaftliche Debatte über Klimawandel als Ursache von Migration

Die Frage, in welchem Umfang Klimawandel bereits zu Migration beigetragen hat oder in Zukunft beitragen könnte, wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert (Foresight 2011; Piguet und Guchteneire 2011; Gómez 2013; Obokata et al. 2014; McLeman und Smit 2014; IPCC 2014). Eine Literaturübersicht stellt 23 Studien, in denen ein Einfluss von Umweltfaktoren auf Migration über internationale Grenzen gefunden wurde, fünf gegenüber, in denen dies nicht der Fall war (Obokata et al. 2014). Das IPCC hat in 17 Studien Evidenz für verstärkte Migration gefunden, allerdings in 6 weiteren Studien eine Verminderung sowie in 7 Studien nach sozialen Gruppen unterschiedliches Migrationsverhalten (IPCC 2014, S. 769 f). Die uneinheitlichen Ergebnisse betreffen nicht nur unterschiedliche Regionen und Formen von Umweltveränderungen, sondern sie resultieren auch aus divergierenden wissenschaftlichen Zugängen zu den Bedingungsfaktoren von Migration und der allgemein ungesicherten Datenlage über die Bedeutung von Umweltveränderungen für Migrationsbewegungen (Neumann und Hildering 2014). Umweltfaktoren sind selten der entscheidende Einflussfaktor für Migration.

Für Erkenntnisgewinne ist eine differenzierende Betrachtung unterschiedlicher Formen von Migration hilfreich. Aber auch sie wird nur erste Hinweise darauf liefern, wie sich zukünftige Umweltveränderungen auf Migration auswirken werden, nicht zuletzt, weil auch die Zusammenhänge zwischen Klimawandel und relevanten Umweltveränderungen komplex sind (Foresight 2011; Neumann und Hildering 2014; IPCC 2014).

10.2.1 Klimabedingte Umweltveränderungen als Ursache von Migration

Der erste hier zu behandelnde, ökologische Zugang zum Thema hat seinen Ursprung im Nachdenken über mögliche Folgen des Klimawandels beginnend in den 1980er-Jahren. Im Fokus standen dabei vor allem anhaltende Dürren, Überschwemmungen und der Anstieg des Meeresspiegels. Bereits der erste IPCC-Bericht von 1990 warnt: „Migration und Umsiedlung könnten die gravierendsten kurzfristigen Auswirkungen von Klimawandel auf menschliche Besiedlung sein“ (IPCC 1990, S. 5–9). Auf dieser Grundlage aufbauend hat der britische Ökologe Norman Myers Schätzungen für zukünftige klimabedingte Migration veröffentlicht (Myers 1991, 1997, 2005). Im Jahr 2005 meinte er, dass die Zahl der Umweltvertriebenen im Jahre 2010 bei 50 Mio. Menschen liegen werde. Für 2050 sagte er 200 Mio. voraus.

Diese und ähnliche Vorhersagen, in denen hohe Millionenzahlen genannt wurden, sind heftig kritisiert worden (Gemenne 2011; Jakobeit und Methmann 2012). Wichtigster Kritikpunkt ist, dass die Schätzungen den Klimawandel isoliert als Faktor betrachten, der zu Migration führen kann und z. B. Gegenmaßnahmen gegen die mit dem Klimawandel erwarteten Umweltveränderungen ausblenden. So kam Myers auf seine hohen Zahlen nicht zuletzt aufgrund der Annahme, dass ein Anstieg des Meeresspiegels alle Menschen, die in niedriger gelegenen Gebieten leben, vertreiben würde (Foresight 2011; Neumann und Hildering 2014).

Das ist offensichtlich nicht realistisch. Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel sowie Schutzmaßnahmen haben bereits in vielen Regionen begonnen. Sie werden nicht überall ausreichend umsetzbar sein, sodass Migration wegen eingetretener Umweltveränderungen vor allem dort zu erwarten ist, wo entweder die Kosten für geeignete Schutzmaßnahmen besonders hoch sind, wie etwa bei kleinen Inseln im Pazifischen Ozean oder im sehr ausgedehnten Flussdelta des Nils, oder wo die Möglichkeiten, entsprechende Finanzmittel aufzubringen, gering sind. Dieses betrifft beispielsweise Menschen mit geringen Einkommen im besonders häufig von Dürren betroffenen Sahel-Gürtel. Da Art und Umfang der zukünftigen Schutz- und Gegenmaßnahmen sich gegenwärtig nicht begründet abschätzen lassen, sind auch Aussagen über aktuelle Zahlen oder Prognosen über den Umfang der klimabedingten Migration nicht belastbar (Gemenne 2011; IPCC 2014).

Auch für eine bereits erfolgte Flucht vor Umweltveränderungen sind nur z. T. Daten vorhanden. Ein relevanter Aspekt, für den internationale Statistiken vorliegen, sind Extremwetterereignisse. Nach den Zahlen des Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) des Norwegian Refugee Council wurden in den letzten Jahren im Schnitt 27 Mio. Menschen jährlich durch Extremwetterereignisse vertrieben (Abb. 10.1). In diesen Zahlen ist Migration aufgrund von extremer Trockenheit nicht enthalten, da es, anders als bei Stürmen oder Überflutungen, oft nicht klar ist, inwieweit Menschen fliehen mussten. Immerhin liefern Schätzungen über die Anzahl der von verschiedenen Arten von Umweltkatastrophen betroffenen Menschen auch Anhaltspunkte für die wahrscheinliche Zahl möglicher Flüchtlinge als Folge von Dürren. In den Jahren 2006–2015 waren im Schnitt ca. 160 Mio. Menschen von Extremwettereignissen betroffen, davon ca. ¼ von Dürren (Abb. 10.2). Sollte der Anteil der Flüchtlinge unter den Betroffenen bei Dürren ähnlich hoch sein wie bei anderen Extremwetterereignissen, ergäbe sich dadurch eine Schätzung aller Umweltflüchtlinge von 36 Mio. Menschen als Durchschnitt der letzten Jahre. Bei allen diesen Zahlen ist aber nicht nur zu beachten, dass sie auf unsicherer Datenlage beruhen, sondern auch, dass sie alle Extremwetterereignisse betreffen – unabhängig davon, ob sich eine Verbindung zum Klimawandel herstellen lässt oder nicht (IPCC 2012).
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Abb. 10.1

Vertreibung durch Extremwetterereignisse

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Abb. 10.2

Von Extremwetterereignissen Betroffene. Blau: saisonal oder über längere Zeiträume einsetzende Extremereignisse mit Dürren, Wildfeuer; cyan: hydrologische Ereignisse wie Überflutungen; magenta: kurzfristig einsetzende Extremwetterereignisse wie Stürme und Extremtemperaturen. (Quelle: Emdat)

Während für die Zahl der von bestimmten Extremwetterereignissen betroffenen und vertriebenen Menschen globale Zahlen erhoben werden, ist dies für die Zahl der Rückkehrer nicht der Fall. Angaben zu einzelnen Katastrophen schwanken stark. So wird geschätzt, dass nur rund zwei Drittel der etwa 400.000 Bewohner von New Orleans, die vom Hurrikan Katrina betroffen waren, wieder in die Stadt zurückgekehrt sind (Fussell et al. 2010). In anderen Regionen waren die Rückkehrerquoten höher. So sind die Bevölkerungszahlen auf den besonders häufig von Stürmen heimgesuchten Inseln Indonesiens sogar trotz temporärer Fluchtbewegungen weiter gestiegen, wenn auch unter dem Durchschnitt für das ganze Land.3

Forschung zu Migration hat nicht erst mit der stärkeren Beachtung des Klimawandels begonnen, sie hat eine lange Tradition. Nachdem dies zunächst wenig der Fall war, werden seit den späten 1990er-Jahren Erkenntnisse der Migrationsforschung stärker auch in der wissenschaftlichen Diskussion zum Zusammenhang von Klimawandel und Migration wahrgenommen (Foresight 2011). Daher sollen im folgenden Abschnitt einige Grundlagen der Migrationsforschung dargestellt und mit Überlegungen zur Bedeutung von Umweltveränderungen verbunden werden.

10.2.2 Entscheidungsmodelle für Migration

Verschiedene Traditionen der Migrationsforschung lassen sich unterscheiden (Piguet 2010). Besondere Bedeutung haben ökonomische und soziologische Ansätze. In ökonomischen Ansätzen werden Kosten und Nutzen von Migration im Vergleich zu Nichtmigration in den Mittelpunkt der Analyse gestellt. Einzelne Personen wandern dann, wenn das Einkommen, das sie durch die Migration glauben erzielen zu können („pull“), höher ist als das am Heimatort erwartete Einkommen. Sie bleiben, wenn dies nicht der Fall ist. Neben erwarteten Einkommen lassen sich mit diesem Ansatz aber auch andere Faktoren berücksichtigen, welche die Lebensqualität beeinflussen, wie etwa die Stabilität des gesellschaftlichen Systems oder politische Unterdrückung.

Da Migration nicht nur mit den unmittelbaren Kosten der Ortsveränderung verbunden ist, sondern häufig auch mit Wartezeiten am Zielort, bevor Einkommen erzielt werden, lässt sich Migration auch als eine Art von Investition ansehen. Daraus lässt sich die Annahme ableiten, dass an Kosten-Nutzen-Kategorien orientierte Menschen nur migrieren, wenn diese Investition sich nach ihrem Kenntnisstand „rechnet“. Eine Folgerung aus diesen Überlegungen ist, dass Menschen, für die die Einkommensdifferenzen zwischen Heimat- und Zielregion besonders hoch sind, etwa weil sie über eine Ausbildung verfügen, die in der Ziel-, nicht jedoch in der Heimatregion hoch vergütet wird, eher wandern als Personen, für die Einkommensunterschiede geringer ausfallen. Eine andere Schlussfolgerung ist, dass Migration ohne hinreichendes Kapital, um Transport und Wartezeit finanzieren zu können, kaum möglich ist. In der Kombination bedeutet dies, dass Menschen im Durchschnitt eher und über größere Strecken wandern werden, wenn sie gut ausgebildet sind, jünger sind und über mehr Kapital verfügen (Docquier und Rapoport 2012).

In der soziologischen Migrationsforschung wird der Blick über das Individuum hinweg auf Familien und Gruppen gerichtet. Es ist empirisch belegt, dass Migrationsentscheidungen häufig nicht von Individuen allein, sondern in Gruppen getroffen werden. Oft werden die finanziellen Mittel gepoolt, um einem Gruppenmitglied die Migration zu finanzieren, nicht selten in der Erwartung, dass dieses Mitglied dann andere Mitglieder nachholt, wenn es im Zielland ein entsprechend hohes Einkommen erzielt. Häufig sind es Männer, die als erste wandern, um dann ihre Familien nachzuholen. In einigen Kontexten aber wandern gerade Frauen als erste, etwa wo die Arbeit als Haushaltshilfe besondere Chancen auf dem Arbeitsmarkt bietet. Auch über Familien hinaus entstehen häufig über einzelne Personen soziale Netzwerke, die Migration für die Nachfolgenden erleichtern und verstärken können.

Klimawandel kann Entscheidungskalküle über Migration auf verschiedene Weise verändern. Extremereignisse und die Verschlechterung von Einkommensmöglichkeiten verändern Kosten und Nutzen. Führt der Klimawandel etwa durch Bodenerosion zur Verschlechterung der Einkommensmöglichkeiten von Bauern, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit der Migration. Hält diese Verschlechterung an, kann sie aber auch dazu führen, dass Migration zumindest über längere Strecken nicht mehr finanzierbar ist und die Personen in ihrer Heimat bleiben müssen. Klimawandel kann darüber hinaus aber auch andere Faktoren beeinflussen, die ihrerseits Einfluss auf Migration haben (Abb. 10.3). Führt Klimawandel etwa zu einer Schwächung des politischen Systems, dann kann dies zu mehr Migration führen.
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Abb. 10.3

Der Einfluss von Umweltfaktoren auf Triebfedern für Migration. (Nach Foresight 2011, S. 54)

Während die eingangs dieses Kapitels erwähnte, in den 1990er-Jahren dominierende ökologische Ausrichtung der Diskussion von Klimawandel und Migration vor allem Szenarien betrachtete, bei denen die Lebensbedingungen sich so verschlechterten, dass Menschen zur Flucht gezwungen waren („push“), stehen bei Entscheidungsmodellen eher schleichende, die Lebensbedingungen nicht grundsätzlich vernichtende Veränderungen im Vordergrund der Analyse. Auch Extremereignisse lassen sich in solche Modelle zwängen, aber sie sind vor allem für weniger rasch kommende und tief gehende Veränderungen geeignet.

Die Zahl der Menschen, die zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen ihren Heimatort verlassen, ist hoch. Die weit überwiegende Zahl bleibt aber in ihrem Heimatland: Schätzungen zufolge 4 von 5 Migranten (IPCC 2014, S. 767). Welchen Anteil der Klimawandel bereits an diesen innerstaatlichen Migrationsbewegungen hat, lässt sich seriös nicht schätzen.

10.2.3 Migration als Anpassung an klimabedingte Umweltveränderungen

Ein umfassenderer Zugang zur Analyse der Zusammenhänge von Klimawandel und Bevölkerungsbewegungen umfasst auch die Voraussetzungen und Folgen von Migration (McLeman und Smit 2006; Black et al. 2011, 2013; Foresight 2011). Über die Betrachtung existenzbedrohender Katastrophen und einfacher Entscheidungsmodelle hinaus werden auch Rückkopplungseffekte in Heimatregionen und Wirkungen in Zielregionen betrachtet. Zudem wird besonderes Augenmerk auf Personen gerichtet, die nicht migrieren können, weil ihnen die Möglichkeiten dafür fehlen. Diese „trapped populations“ sind, unter humanitärem Gesichtspunkt, häufig schon heute, etwa bei Dürren und Überschwemmungen, eine größere Herausforderung als die Menschen, die abwandern (Foresight 2011; IPCC 2014). Eine weitere relevante Bevölkerungsgruppe, für die der Klimawandel bereits große Auswirkungen hat, sind Nomaden. Einerseits bieten sie ein ausgeprägtes Beispiel für eine Lebensweise, die räumliche Mobilität zur Anpassung an Umweltveränderungen nutzt, andererseits aber auch der Anpassungsleistungen bis hin zur Aufgabe zyklischer Wanderungen, die durch Klimawandel erforderlich werden könnten (IPCC 2014).

Ein weiterer wichtiger Aspekt von Migration sind die häufig komplexen Folgen für Herkunfts- und Zielregionen. Migration kann Familien auseinanderreißen, aber auch wieder zusammenführen. Wo Migration nach Geschlechtern unterschiedlich erfolgt, werden die Familien- sowie Geschlechterrollen und -verhältnisse sowohl in den Herkunfts- als auch in den Zielregionen verändert. Weiterhin führt Abwanderung häufig zu Bevölkerungsverlusten, was für die Regionen, aus denen die Menschen weggehen, ein großer Verlust sein kann. Die Diskussion über den „brain drain“, die Abwanderung der jüngeren, aktiveren Bevölkerung, verweist auf erhebliche migrationsbedingte Nachteile.

Gleichzeitig führt Migration häufig zum Zufluss von finanziellen Mitteln, etwa in Form von Rücküberweisungen, in die Herkunftsregion. Migration kann als Reaktion auf Umweltveränderungen andere Anpassungsmaßnahmen möglich machen. So zeigen zahlreiche Feldstudien, dass verbesserte Einkommen von einzelnen Mitgliedern eines Haushalts, die migriert sind, es anderen Mitgliedern erleichtern, in ihren Heimatregionen zu bleiben (Scheffran et al. 2012; Obokata et al. 2014; IPCC 2014). Dies gilt für kleinräumige, oft saisonale Migration ebenso wie für internationale Migration. Rücküberweisungen von internationalen Migranten haben nach Schätzungen der Weltbank aktuell jährlich ein Volumen von ca. 583 Mrd. US-$ (World Bank 2015) und übertreffen damit die offiziellen Entwicklungshilfezahlungen um ein Vielfaches.

Durch Migration ermöglichte Einkommenstransfers von Ziel- in Heimatregionen können damit zu einem wichtigen Instrument der offenen Entscheidung über weitere Migration werden. Oft sind diese Konstellationen aber fragil: Durch die Abwanderung der besonders produktiven Mitglieder einer Gemeinschaft entsteht eine Abwärtsspirale, die meist ländliche Abwanderungsregionen wirtschaftlich schwächt. In vielen Regionen verlangsamt temporäre und saisonale Migration daher nur über eine oder zwei Generation hinweg die Verlagerung der Bevölkerung in wirtschaftliche Zentren.

10.2.4 Formen und Folgen klimabedingter Migration

Die empirische Forschung zu klimabedingter Migration steckt noch weitgehend in den Anfängen und hat nur wenig belastbare Ergebnisse erbracht. Unterschiedliche Ergebnisse lassen sich häufig auf unterschiedliche theoretische Ansätze, Daten und Methoden zurückführen. Einige Trends lassen sich aber herausarbeiten. Dabei ist es hilfreich, analog zu den wichtigsten erwarteten Umweltwirkungen des Klimawandels, idealtypisch vier signifikante Konstellationen klimabedingter Migration zu unterscheiden:
  • Umweltkatastrophen als Auslöser: Kurzfristig eintretende Extremwetterereignisse wie Stürme und Überflutungen sind häufig mit großen Bevölkerungsbewegungen verbunden. Diese bleiben aber weit überwiegend kleinräumig (Foresight 2011; Bohra-Mishra et al. 2014; IPCC 2014). Hauptgrund sind häufig geringe Möglichkeiten der Betroffenen für weiträumigere Migration sowie die Rückkehrmöglichkeiten. Internationale humanitäre Hilfe ist ein wichtiger Faktor, der Menschen ein Überleben in der Nähe ihrer Heimatorte ermöglicht, gleichzeitig aber weiträumige und permanente Umsiedlung weniger wahrscheinlich macht.

  • Einkommensmindernde Umweltveränderungen: Verschlechterungen von Einkommensmöglichkeiten, die als Folgen des Klimawandels angesehen werden können, wurden vor allem in der Landwirtschaft festgestellt (Cai et al. 2014). Ihre Bedeutung für Migration ist in zahlreichen kleinräumigen Fallstudien nachgewiesen worden, wobei aber Umfang und Richtung der Migration sehr stark von zahlreichen Faktoren in Heimat- und Zielregion abhängen (Foresight 2011). Von Einkommensverlusten betroffenen Haushalten und Gruppen stehen vielfältige Anpassungsmöglichkeiten zur Verfügung. Migration umfasst – zumindest zunächst – selten ganze Haushalte und ist häufig temporär oder saisonal (Foresight 2011; IPCC 2014). Internationale Migration ist aufgrund ihrer Kosten für Menschen, die unmittelbar aus umweltinduzierter Verarmung migrieren, zunächst eher selten. Allerdings kann es durch „Knock-on“-Effekte zu weitergehender Migration kommen. Makrostatistische Untersuchungen kommen daher überwiegend zu dem Ergebnis, dass Umweltveränderungen ein signifikanter Antriebsfaktor für internationale Migration sind (Bohra-Mishra et al. 2014; Obokata et al. 2014).

  • Komplexe Katastrophen: Umweltveränderungen müssen nicht nur im Zusammenwirken mit anderen migrationsbeeinflussenden Faktoren gesehen werden, sie können diese auch über kumulative und Rückkopplungseffekte verändern. Ein besonders problematisches Zusammenspiel ergibt sich häufig in Kriegssituationen in stark von der Landwirtschaft abhängigen Regionen. Ein Bespiel hierfür war die Dürre in Ostafrika 2011/12, die mit einer Massenflucht in die Nachbarländer, insbesondere nach Kenia, verbunden war. Die Auswirkungen der Dürre wären vermutlich deutlich geringer geblieben, wenn es nicht zu einer Intensivierung bewaffneter Auseinandersetzungen über knapper gewordene Ressourcen gekommen wäre (Lindley 2014). Zwar ist es plausibel, in der Dürre eine Ursache für die Gewalt zu sehen, aber die Kausalkette ist schwer nachweisbar – auch früher ist es schon zu Gewaltausbrüchen ohne Dürre gekommen. Die Komplexität der Zusammenhänge, die es schwierig macht, die Bedeutung von Umwelteinflüssen zu isolieren, wird auch am Beispiel des syrischen Bürgerkriegs deutlich. Für in Hamburg interviewte Flüchtlinge aus Syrien war die Gewalt der eindeutig wichtigste Fluchtgrund. Nur einer unter den Befragten sah in der Dürre einen Faktor, der zu der brisanten politischen Situation vor dem Bürgerkrieg beigetragen hat (Box 2).

  • Lebensbedingungen zerstörende Umwelteinflüsse: Insbesondere der Meeresspiegelanstieg, aber auch Wüstenbildung kann dazu führen, dass notwendige Ressourcen – Land und Wasser – permanent nicht mehr zur Verfügung stehen. Da es keine Rückkehrmöglichkeit gibt, ist Umsiedlung notwendig. In verschiedenen Regionen gibt es bereits einer Reihe kleinerer Umsiedlungsprogramme, so im Mekong-Delta in Vietnam, entlang des Limpopo in Mosambik, an der Küste von Alaska, in der Inneren Mongolei in China und von den Carteret-Inseln nach Bougainville (de Sherbinin et al. 2011; Böge 2013). Bei weiterem Klimawandel wird erwartet, dass Umfang und Zahl solcher Programme deutlich steigen werden (de Sherbinin et al. 2011).

Zukünftige Migrationsbewegungen

Klimawandel wird über Umweltveränderungen mehr Situationen schaffen, in denen Menschen vor die Alternative gestellt werden, zu gehen oder zu bleiben, entweder weil Extremwetterereignisse sie dazu zwingen oder weil veränderte Lebenssituationen, die sie nicht hinnehmen oder ändern wollen, dies nahelegen. Wie viele Menschen dies betreffen wird und wie viele dann tatsächlich migrieren werden, lässt sich seriös nicht prognostizieren – zu groß ist das Gewicht zahlreicher anderer Faktoren, die Umweltveränderungen, Lebensbedingungen und Migration beeinflussen. Trotzdem lassen sich einige Überlegungen dazu herausarbeiten, welche Bedeutung klimabedingte Migration für eine Stadt wie Hamburg in der Zukunft haben könnte:
  • Aus der Erwartung, dass Extremwetterereignisse mit dem Klimawandel in Zahl und Intensität zunehmen werden, lässt sich die Annahme einer zunehmenden Anzahl von Migranten ableiten. Die große Mehrzahl von ihnen dürfte auch in Zukunft kleinräumig und mit Rückkehrerwartung migrieren. Dies stellt eine zunehmende humanitäre und entwicklungspolitische Herausforderung dar. Weiträumige und internationale Migration ist vor allem dann zu erwarten, wenn die Menschen vor Ort keine Chance mehr zur Rückkehr sehen.

  • Die Nachfrage nach Umsiedlungsprogrammen wird steigen. Zu erwarten ist dieses in solchen Regionen, die unausweichlich vom Meeresspiegelanstieg betroffen sind oder in denen Schutzmaßnahmen nicht möglich sind oder nicht in hinreichendem Maß erfolgen (de Sherbinin et al. 2011). Das Ausbleiben von Umsiedlungsprogrammen, aber auch deren schlechte Ausführung könnte zu spontaner Migration auch in weiter entfernt liegende Regionen beitragen.

  • Besonders wo marginale Landwirtschaft betrieben wird, etwa in Hochgebirgen oder ariden Gebieten, dürften sich die Einkommens- und Lebensbedingungen verschlechtern, soweit sich nicht neue Einkommensmöglichkeiten auftun. Migration als eine Möglichkeit zur Einkommenserzielung wird zunehmen. Verschiedene Autoren und Autorengruppen haben regionale „Hotspots“ identifiziert, wo dies zu erwarten ist (Sherbinin 2013; Abb. 10.4). Diese Bevölkerungsbewegungen werden vor allem zur Verstädterung in den jeweiligen Regionen beitragen.
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    Abb. 10.4

    Hotspots des Klimawandels und politische Instabilität. (Scheffran und Battaglini 2011)

  • Eher indirekt als unmittelbar könnte dies auch zu einer Verstärkung der internationalen Migration beitragen, da diese in der Regel entsprechende finanzielle Mittel und/oder persönliche Netzwerke voraussetzt. Umweltinduzierte Migration könnte auch zu „Knock-on“-Effekten führen, indem Eingesessene aufgrund steigender ökonomischer Konkurrenz durch Migranten ihrerseits die Entscheidung treffen, zu gehen. Zudem können Menschen auch in Städten Umweltveränderungen, etwa Überflutungen, ausgesetzt werden, die sie zu weiträumiger Migration veranlassen (Foresight 2011).

  • Die größte Unbekannte sind komplexe Katastrophen mit Umweltbedingungen als einer entscheidenden Komponente. Die Kombination von Kriegen mit massiv verschlechterten Umweltbedingungen könnte zu großen Bevölkerungsbewegungen führen. Derartige Migrationen verbleiben vornehmlich regional, aber sie können, wenn sie über längere Zeiträume andauern, auch zu verstärkter Fernwanderung führen. Allerdings lassen sich solche komplexen Katastrophen weder konkret vorhersagen, noch ist klar, ob sie in Zukunft zunehmen werden. Zumindest ein Teil der Konfliktforschung konstatiert einen langfristigen Trend der Abnahme bewaffneter Gewalt (Pinker 2010).

Nicht nur der Klimawandel, auch andere Faktoren wie Bevölkerungswachstum oder steigende Einkommensunterschiede zwischen Ziel- und Heimatregionen beeinflussen Bevölkerungsbewegungen. Bisher dürfte die Bedeutung des Klimawandels für Migration, mit Ausnahme einiger besonders betroffener Regionen, im Vergleich zu anderen Bedingungsfaktoren von Migration eher gering gewesen sein. Global dürfte dies auch für die nächsten Jahrzehnte gelten. Sollte die Wirtschaft Afrikas mit der gleichen Rate wachsen wie im Durchschnitt der letzten 10 Jahre (knapp 5 % pro Jahr), wird das Bruttosozialprodukt 2050 mehr als fünfmal so hoch sein wie heute (Chuhan-Pole et al. 2015). Gleichzeitig wird, so schätzen die Vereinten Nationen, die Bevölkerung von 1,186 Mrd. auf 2,478 Mrd. Menschen zunehmen (United Nations 2015, S. 1). Klimawandel wird die Migration, die von diesen starken Trends ausgeht, verändern, aber nicht bestimmen können.

10.2.5 Hamburg als Ort von Migration

Stadtentwicklung und Migrationsbewegungen sind historisch und aktuell in vielfältigen Formen miteinander verbunden. Dieses gilt sowohl für die Zuwanderung aus dem Umland der Städte als Landflucht oder (Re‑)Urbanisierung als auch für die grenzüberschreitende internationale Zuwanderung. Analoges trifft auf die Abwanderung zu, die sich z. B. in der Suburbanisierung oder in unterschiedlichen Formen der Binnenmigration und der Auswanderung zeigt. Städte, besonders Hafenstädte, können auch ein wichtiger Transitraum für Fernwanderungen sein. Auf diese großen und vielfältigen Bedeutungen der Wanderungen für die Stadtentwicklung ist eindrücklich in dem Buch „Arrival City“ (Saunders 2011) aufmerksam gemacht worden, das gleichzeitig auf die vielen Vorteile der Zuwanderung für verschiedene Felder der Stadtentwicklung verweist.

Für die urbane Migrationsgeschichte europäischer Städte und für Hamburg sind Land-Stadt-Wanderungen immer wichtig gewesen, die z. B. im Zuge der Industrialisierung im 19. Jahrhundert zur Entstehung zahlreicher Großstädte geführt haben. Wesentlich sind aber auch freiwillige und erzwungene Migrationen, die aus religiösen, ethnisch-kulturellen, politischen, wirtschaftlichen und militärischen Motiven erfolgt sind. Somit haben nahezu alle Stadtbewohner immer auch eine Migrationsgeschichte in ihrer Familie, und damit gehört Migration zur urbanen Alltagswelt.

Für dieses Teilthema liegen zwar reichhaltige Quellen und Sekundärliteratur vor, die bisher aber nicht systematisch zusammengefasst wurden (vgl. Amenda 2012, S. 404). Ein Fachgebiet regionale Migrationsgeschichte gibt es nicht. Vor diesem allgemeinen Hintergrund ist lediglich eine knappe Zusammenfassung der Geschichte Hamburgs und Norddeutschlands angesichts der Vielfalt und Komplexität nur entlang einiger für das Thema wichtigen Auffälligkeiten möglich.

10.2.5.1 Historische Stadtentwicklung und Migration

Als Hafen und Handelsplatz ist Hamburg immer „international“ gewesen. In der Hansezeit und frühen Neuzeit prägten nicht nur der Austausch und Transport von Gütern die Stadt, sondern es zogen auch immer unterschiedlich zu charakterisierende Personengruppen nach Hamburg. Dazu gehörten u. a. See- und Kaufleute oder verfolgte religiöse Gemeinschaften. So war Hamburg im späten Mittelalter durch die Zuwanderung aus den Niederlanden geradezu geprägt, aber auch portugiesische Flüchtlinge bereicherten nachhaltig die Stadtentwicklung. Im Verlauf der Industrialisierung verstärkte sich die Zuwanderung nach Hamburg wegen des expandierenden Hafens und damit verbundener Industrien wie z. B. Werften und solcher Zweige des produzierenden Gewerbes, die auf importierte Rohstoffe aufbauten (u. a. Kaffee, Gummi, Öl). Ende des 19. Jahrhunderts wurde Hamburg auch ein wichtiger Aufenthaltsort für ost- und südosteuropäische Transmigranten, die überwiegend nach Nordamerika weiterziehen wollten. Die heutige „Auswandererwelt BallinStadt“ auf der Veddel ist Zeugnis dieser Wanderungsbewegung. In der Zeit zwischen 1850 und 1914 wurden über 5 Mio. Fahrkarten für die Auswanderung über Hamburg und die Bremer Häfen verkauft. Das Geschäft mit den Transmigranten verhalf der Reederei HAPAG zum weltweit führenden Rang, und die von diesem Unternehmen mit ihrer Hamburg-Amerika-Linie ausgehenden Infrastruktur‑, Schiffsneubau- und Reparaturaufträge gelten als der wesentliche Faktor der Hamburger Wirtschaft der Jahrhundertwende (Brinckmann 2012, S. 415).

Neben den Transmigranten war auch die zunehmende Stadtbevölkerung durch Ausländer geprägt (Tab. 10.1). Die Hamburger Bevölkerungsstatistik weist für das Jahr 1895 die Zahl 12.600 europäische Ausländer aus, wobei die größte ausländische Gruppe der polnischen Arbeitsmigranten nicht registriert wurde und daher nicht einbezogen ist. Nach Brinckmann (2012, S. 419 f) waren Barmbek, Rothenburgsort, Veddel und Wilhelmsburg Zentren polnischer Ansiedlung. In dieser Zeit entstanden auch fremdenfeindliche Zuschreibungen, die besonders im Zuge der Cholerakatastrophe 1892, die anfangs auch als von Migranten eingeschleppte Epidemie angesehen wurde, in vielfältige rassistische Aussagen und Sprüche mündeten. Zwar warb die Hansestadt bereits damals mit einem städtischen Leben, das als ein „kosmopolitisches im besten Sinne“ beschrieben wurde (Verein zur Förderung des Fremden-Verkehrs in Hamburg 1907, S. 8), der urbane Alltag war aber eher von Abgrenzung und Abwertung sowie Isolierung der ausländischen Mitbewohner und der Transmigranten geprägt.
Tab. 10.1

Bevölkerungsentwicklung von (Groß‑)Hamburg, 1871–1937

Jahr

Einwohner (absolut)

Einwohner 1871 = 100

Anteil (%) Zuwanderer

Ausländer (absolut)

Anteil (%) Ausländer

1871

471.022

100

 

9361

2,0

1900

1.073.159

227,8

 

13.346

1,2

1910

1.007.710

292,6

53,5

23.557

2,3

1937

1.670.363

354,6

 

7439

0,4

Groß-Hamburg: bis 1937 Summe der Bevölkerung der Städte Hamburg, Altona, Wandsbek und Harburg-Wilhelmsburg abzüglich der an Preußen abgegebenen Landgemeinden, nach 1937 = FHH (Ausländer: ohne Arbeitsmigranten). (Möller 1999, S. 56, erweitert)

10.2.5.2 Hamburger Bevölkerung und ihr Ausländeranteil

Ein näherer Blick auf die ausländische Bevölkerung in Hamburg in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist ein erster Zugang, der Annahmen über ähnliche oder unterschiedliche Muster der derzeitigen Zuwanderung zulässt (Tab. 10.2). In den letzten 50 Jahren ist der Ausländeranteil an der Hamburger Gesamtbevölkerung zweimal deutlich angestiegen. In den 1970er-Jahren wirkte sich die Anwerbung von Gastarbeitern auch in Hamburg stark aus. Migranten aus Portugal, Spanien, Italien, Griechenland und der Türkei erhöhen den Ausländeranteil in der offiziellen Statistik von ca. 4 % im Jahr 1970 auf ca. 10 % 1980 bzw. 12 % 1990 bei gleichzeitig abnehmender Gesamtbevölkerung der Stadt. Verbunden war damit eine demographische Transformation der Stadtbevölkerung, da sich der Zuzug der mediterranen Bevölkerung mit der Suburbanisierung, also dem Wegzug besonders der Mittelschichtbevölkerung in die umliegenden Landkreise, verbunden hat.
Tab. 10.2

Bevölkerungsentwicklung Hamburgs 1970–2010. (Quelle: Statistikamt Nord)

1

2

3

4

5

Jahr

Bevölkerung

Ausländer insgesamt

Anteil (in % von 2)

Weibl. Anteil (in % von 3)

1970

1.793.640

69.170

3,9

37,5

1980

1.579.884

157.519

10,0

44,9

1990

1.652.363

196.098

11,9

44,4

2000

1.715.392

261.886

15,3

45,7

2005

1.743.627

247.912

14,2

47,1

2010

1.786.448

242.107

13,6

47,6

Ein zweiter stärkerer Anstieg der ausländischen Bevölkerung vollzog sich in den 1990er-Jahren, der für den bisher höchsten registrierten Ausländeranteil mit gut 15 % um die Jahrhundertwende gesorgt hat. Ausschlaggegend dafür waren Zuwanderer aus Osteuropa, insbesondere Polen, dem Gebiet der ehemaligen UdSSR, aus den Konfliktregionen des ehemaligen Jugoslawiens sowie aus Iran, Afghanistan, Nigeria und Ghana. Seit 2000 hat sich der Ausländeranteil als Folge der veränderten Zugangsbarrieren zur deutschen Staatbürgerschaft verringert, und er ist erst in den letzten Jahren wieder leicht ansteigend. Die wichtigsten Herkunftsregionen der offiziell in Hamburg lebenden Ausländer vermittelt Tab. 10.3.
Tab. 10.3

Hamburger Bevölkerung mit ausländischer Staatsangehörigkeit (> 2500 Personen in 2015). (Quelle: Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig 2017)

Herkunftsland

Anteil (%) an Ausländern insg.

Herkunftsland

Anteil (%) an Ausländern insg.

Herkunftsland

Anteil (%) an Ausländern insg.

Türkei

15,8

Italien

2,7

Ghana

1,9

Polen

9,9

Syrien

2,5

Frankreich

1,8

Afghanistan

5,1

Spanien

2,2

China

1,5

Portugal

3,5

Iran

2,1

Österreich

1,5

Russland

2,9

Griechenland

2,1

Vereinigtes Königreich

1,5

Bulgarien

2,9

Kroatien

2,1

Vereinigte Staaten

1,2

Rumänien

2,8

Philippinen

1,9

Niederlande

0,9

Seit einigen Jahren erhebt das Statistikamt Nord auch Angaben über Personen mit Migrationshintergrund (vgl. Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein 2014 und 2015). Danach haben knapp 31 % der Hamburger Gesamtbevölkerung oder 550.000 Menschen internationale Bezüge in ihrer eigenen oder in ihrer Familiengeschichte. Auch wenn bundesweite Stadtvergleiche problematisch sind (vgl. BBSR 2015), liegen die Werte für Hamburg zwar über dem Bundesdurchschnitt, aber deutlich niedriger als in süd- und westdeutschen Vergleichsstädten wie München, Stuttgart, Frankfurt oder Köln.

Das gegenwärtige Zusammenspiel von Migration und Stadtentwicklung wird nach der Diskussion über den Erfolg oder das Scheitern des Multikulturalismus unter der Bezeichnung Diversität geführt (ARL 2015). In diesem Ansatz wird die Vielfalt, die u. a. durch den Zustrom unterschiedlicher Migrantengruppen entsteht, als wichtige Ressource für die wirtschaftliche und kulturelle Weiterentwicklung der Großstädte angesehen. Allerdings bestehen auch hier wie in der Vorläuferdebatte kontroverse Auffassungen, die unter dem Eindruck aktueller Flüchtlingsbewegungen selten mit soliden wissenschaftlichen Erkenntnissen verbunden sind.

Innerhalb des Stadtraums sind die Personen mit Migrationshintergrund ungleich verteilt. In einigen Stadtteilen liegt der Anteil über 70 % (Billbrook, Veddel), in den Vier- und Marschlanden teilweise unter 10 %. Drei Einflussfaktoren lassen sich dabei unterscheiden: 1. die gesuchte Nachbarschaft der Migranten, 2. die sozialräumliche Segregation, die durch den Wohnungsmarkt gesteuert wird, sowie 3. besondere historische Konstellationen.
  1. 1.

    Aus der Forschung über Migrationsnetzwerke ist bekannt, dass familiäre oder weiter gefasste soziokulturelle Netzwerke sowohl die Wanderungsziele als auch die Suche nach Unterkunft in der Zielregion bestimmen (Gans 2014). In der neuen Umgebung ermöglicht die Nachbarschaft zu Migranten aus derselben Herkunftsregion vielfältige alltagsbezogene Unterstützungen, die große Bedeutung besonders für die erste Generation der Migranten haben können.

     
  2. 2.

    Die bewusste Schaffung von Nachbarschaften von Migranten ist aber den jeweiligen Ausprägungen des Wohnungsmarktes unterworfen. Diese sind seit Jahren mit starken Kostensteigerungen, Abnahme des Bestands an Sozialwohnungen und mit Verdrängungsprozessen für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen verbunden (Gentrifizierung). Aus diesem Grund ergibt sich auch eine Konzentration der Bevölkerung mit Migrationshintergrund in sog. benachteiligten Quartieren, in denen Wohnraum leichter gefunden werden kann. Dadurch entstehen gesamtstädtische Probleme zunehmender sozialräumlicher Polarisierung und Quartiersprobleme, da degradierte „Alteingesessene“ auf finanziell schwache Zuwanderergruppen treffen.

     
  3. 3.

    Besondere stadträumliche Muster entstehen in spezifischen historischen Konstellationen. Sie resultieren zum einen aus Migrationswellen, die sich aus Naturkatastrophen, Systemtransformationen und militanten Konflikten und Kriegen herleiten. Zum anderen sind die zu diesen Zeitpunkten jeweils verfügbaren Wohnungsangebote ausschlaggebend. In Hamburg steht der Stadtteil Allermöhe für diesen Zusammenhang. Dieses neue Großwohngebiet wurde Ende der 1980er-Jahre fertiggestellt (Allermöhe-West) und damit gewissermaßen Auffangbecken für die Zuwanderer aus dem Osten (ehemals UdSSR) sowie die Flüchtlinge der Balkankriege.

     

10.2.5.3 Aktuelle Debatten und Kontroversen über Migration und Flüchtlinge in Hamburg

Im Europa der offenen Grenzen ist eine Stadt wie Hamburg den Herausforderungen von Migrations- und Flüchtlingsbewegungen aus Krisenregionen direkt ausgesetzt. Dabei lässt sich eine starke Zuwanderung von Flüchtlingen nicht allein auf kommunaler oder stadtstaatlicher Ebene bewältigen. Nötig ist die Zusammenarbeit auf Länder‑, Bundes- und Europaebene, die in zahlreiche grundsätzliche politische Debatten und in medial vermittelte öffentliche Diskurse eingebettet ist. Erste kleinere Untersuchungen charakterisieren einige Aspekte der Situation in Hamburg, die zum einen die sog. Willkommenskultur spiegeln, zum anderen die Standorte für die Flüchtlinge im Stadtraum problematisieren.

Das Spektrum der medialen Diskurse in Hamburg reicht von einem hohen Grad an Akzeptanz über Skepsis, Fehldarstellungen und Bedrohungswahrnehmungen bis hin zu rassistisch motivierten Handlungen. Für 2014 verzeichnete das Landesamt für Verfassungsschutz 81 fremdenfeindliche Delikte (Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg 2015, S. 131) – eine im Vergleich zur Gesamtzahl von 990 Delikten für Deutschland relativ hohe Zahl (Bundesamt für Verfassungsschutz 2015, S. 28). Wie in anderen Teilen der Republik wuchsen angesichts der raschen Zunahme von Flüchtlingsbewegungen im Sommer 2015 die Befürchtungen, dass bestehende Kapazitäten überfordert und Widerstände in der Bevölkerung verstärkt werden können. Damit wurde die Migrationsfrage zunehmend zu einem Gegenstand innerstädtischer Auseinandersetzungen. Zu nennen sind hier schon länger schwelende Differenzen über die Hindernisse bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Mittelmeerraum und Nordafrika, die in Protesten der Lampedusa-Initiative in Hamburg ihren Ausdruck gefunden haben. Daneben gibt es wichtige Initiativen von ehrenamtlichen Helfern, Hilfsorganisationen und Einrichtungen wie das Café Why Not?, das über Sprachkurse und andere Aktivitäten eine aktive Eingliederung von Migranten fördert.

In den Debatten über die Zuwanderung in Hamburg stoßen verschiedene Perspektiven aufeinander (Tab. 10.4).
Tab. 10.4

Positive und negative Effekte von Migration in der Wahrnehmung von HamburgerInnen und Migranten. (Nach Gardner 2015, Befragung von Ortsansässigen und Migranten [n = 20])

 

Wahrnehmungen von HamburgerInnen

Wahrnehmungen von MigrantInnen

Positive Effekte von Migration

Gesellschaftliches Engagement und Freiwilligentätigkeit; Führungsrolle und neue Initiativen Deutschlands zur Flüchtlingshilfe; Baumaßnahmen, Schaffung von Unterkünften und Arbeitsplätzen; Wirtschaftlicher Stimulus für lokale Lieferanten und Vermieter; Kompensation für den Bevölkerungsrückgang

Zuwanderung qualifizierter und ausgebildeter Arbeitskräfte; Nutzung internationaler wirtschaftlicher Netzwerke; Beratung und moralische Unterstützung; Zustrom jüngerer Bevölkerung mit Kindern; städtische Einnahmen durch Steuern; erhöhte lokale Ausgaben und Wissenstransfer; kulturelle Vielfalt; Attraktivität der Stadt

Negative Effekte von Migration

Verbrechen; Drogenhandel; persönliche Sicherheit; sexuelle Belästigung; Angriffe unter Asylsuchenden; Lärm; Rückgang der Immobilienwerte; Infektionen; Missachtung für Flüchtlingshelfer; verringerte Verfügbarkeit von Gemeindediensten wie Freiflächen, Schulen, Ärzten, Parks und Sportanlagen; Einfluss des Islamismus; finanzielle Belastungen

Erhöhte Kriminalität (u. a. Diebstahl und Drogen); Wettbewerb auf lokalem Arbeitsmarkt (billige Arbeitskräfte), Segregation zwischen deutschen Bürgern und internationalen Einwohnern; kulturelle Unterschiede (z. B. mit Problemfällen bei Lärm, Probleme mit nichtintegrierten MigrantInnen), die dem Ruf der anderen schaden

Das Spektrum der Einstellungen und Bewertungen erweist sich bereits bei dieser kleinen Stichprobe als breit und gegensätzlich, sowohl zwischen den Ortsansässigen und Zuwanderern als auch innerhalb der hier getrennt aufgeführten Gruppen. Dies überrascht angesichts der derzeitigen Debatte nicht. Die als positiv wahrgenommen Effekte bestätigen die Vorstellung, Deutschland und Hamburg könnten sich erfolgreich zu einer Einwanderungsgesellschaft transformieren. Die negativen Wahrnehmungen verweisen auf Gefahren der Radikalisierung bis hin zu sozialem Stress, politischer Polemik und institutionellem Rassismus. Derzeit scheint die negative Variante die Politik und die öffentliche Meinung zu beherrschen, da Übergriffe wie in der Silvesternacht 2015/16 und der Terroranschlag in Berlin zu einer erheblichen Verunsicherung beigetragen haben.

Eine weitere Befragung zeigt, dass bei den Migranten Krieg, politische Verfolgung, soziale (Obdachlosigkeit, Hunger) und ökonomische Motive (Armut, Wohlstand, Karrierestreben) im Vordergrund stehen, während Klima- und andere Umweltveränderungen in ihrem Bewusstsein keine wesentliche Rolle spielen (Box 2). Zwar haben einige Erfahrungen und Probleme mit Umweltveränderungen in ihren Heimatländern genannt, die aber eher mit temporären Wetterereignissen und Ressourcenfragen zu tun hatten. Die Vorstellungen über den Klimawandel sind nicht präzise und werden in den Kontext der anderen Motive eingeordnet.

Flüchtlinge aus Syrien in Hamburg

Der syrische Bürgerkrieg begann im Frühjahr 2011 nach der blutigen Unterdrückung von Demonstrationen gegen das Assad-Regime. Die Demonstranten hatten zahlreiche Kritikpunkte, einer war der Umgang der Regierung mit Umweltproblemen, insbesondere den Auswirkungen einer Dürre zwischen 2006 und 2010. Möglicherweise bis zu 1,5 Mio. Menschen, insbesondere Bauern und Landarbeiter, mussten wegen Wasserknappheit und sinkender Einkommen ihr Land verlassen. Viele endeten verarmt in Slumsiedlungen am Rand der großen Städte.Aus der zeitlichen Abfolge hat eine Reihe von Autoren gefolgert, dass die Dürre ursächlich für den Bürgerkrieg gewesen sei (Gleick 2013; Femia und Werrell 2012; Kelley et al. 2015). In der Logik dieser Argumentation wären dann auch die Flucht zahlreicher Syrerinnen und Syrer – bis Herbst 2015 etwa 8 Mio. Binnenflüchtlinge und 4 Mio. internationale Flüchtlinge – eine Folge der Dürre. Es ließe sich dann auch erwarten, dass die syrischen Flüchtlinge, die nach Hamburg gekommen sind, diesen Zusammenhang artikulieren würden.In Interviews mit syrischen Flüchtlingen, die von der Hamburger Forscherin Hedda Lökken im Sommer und Herbst 2015 durchgeführt wurden, wird die Dürre allerdings selten als ein Ursachenfaktor für Protest, Bürgerkrieg und Flucht genannt. In einer Serie von fünf Interviews erwähnte nur ein Befragter auf Nachfrage nach der Dürre, dass er Auswirkungen bemerkt habe. Die Zuwanderung aus von der Dürre betroffenen Regionen habe die Arbeitslosigkeit steigen lassen und die Lebenshaltungskosten in einigen Stadtteilen von Damaskus in die Höhe getrieben. Von einigen der anderen Interviewten werden staatliche Misswirtschaft, insbesondere die Vernachlässigung der Landwirtschaft für diese Phänomene verantwortlich gemacht. Ein Grund dafür, dass die Dürre von 2006 bis 2010 im Narrativ nur weniger Flüchtlinge einen Platz hat, könnte sein, dass ihre Auswirkungen im Vergleich zu anderen Kritikpunkten an der Regierung als gering angesehen werden. Zu bedenken ist dabei, dass Flüchtlinge aus Syrien überwiegend aus früher wirtschaftlich besser gestellten sozialen Gruppen kommen und Bauern und Landarbeiter, insbesondere wenn sie bereits vor dem Bürgerkrieg verarmt waren, eher unterrepräsentiert sind. Insgesamt zeigen die Interviews ein sehr heterogenes Bild der Situation in Syrien vor und während des Bürgerkrieges, mit sehr unterschiedlichen Begründungen für das Verlassen des Landes in Richtung Europa. 10.2.5.4 Standorte der öffentlichen Unterbringung von Flüchtlingen in Hamburg

10.2.5.4 Standorte der öffentlichen Unterbringung von Flüchtlingen in Hamburg

Der starke Flüchtlingszustrom des Jahres 2015 ist nur eingeschränkt mit den stadträumlichen Implikationen früherer Zuwanderungen vergleichbar. Die Zahl der Flüchtlinge erzeugt zunächst kapazitäre Engpässe in der Erstaufnahme und der Errichtung von dauerhaft nutzbaren Unterkunftsplätzen. Jedoch ist mittelfristig davon auszugehen, dass die heutigen Flüchtlinge langfristig diejenigen Trends verstärken, die generell bei Personen mit Migrationshintergrund anzutreffen sind.

Ein besonderes Augenmerk verdient die Frage, ob bereits derzeit die bestehenden und geplanten Unterkunftsplätze die vorhandenen sozialräumlichen Unterschiede in Hamburg verstärken werden. Abb. 10.5 verschneidet die Standorte der öffentlichen Unterbringung von Flüchtlingen mit einem Sozialindikator, der die Intensität sozialer Problemlagen auf Stadtteilebene abbildet. Damit wird bereits sichtbar, dass Flüchtlingsunterkünfte häufig auch in benachteiligten Stadtteilen lokalisiert werden. Harburg, Wilhelmsburg, Jenfeld, Billbrook oder Osdorf fallen besonders auf. Stadtteile, die im doppelten Sinne als „grün“ ansprechbar sind, da sie nicht nur einen geringen Anteil an Transferempfängern aufweisen, sondern auch überwiegend gute Wohnlagen, werden weniger stark durch bestehende und neue Unterkünfte verändert. Der Zuzug und die Unterbringung von Flüchtlingen erweitern und vertiefen auf diese Weise das bestehende politische Handlungsfeld „soziale Stadt“. Integration bleibt daher auch in sozialräumlicher Perspektive eine enorme Herausforderung für die Stadtpolitik.
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Abb. 10.5

Bestehende und geplante Unterkünfte für Flüchtlinge und sozialräumliche Struktur in Hamburg 2015

10.3 Formen heutiger Klimamigrationspolitik und Alternativen

Offizielle Migrationspolitik kennt keine „Klimamigranten“. Menschen, die nach einem Extremwetterereignis über eine internationale Grenze fliehen, haben international keinen gesonderten rechtlichen oder politischen Status gegenüber Migranten, die aus anderen Gründen ihre Heimat verlassen haben. Bislang gibt es keine einheitliche internationale Definition der Begriffe Umwelt- und Klimamigration4. Das UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) hat bislang explizit darauf verzichtet5.

Seit den späten 1990er-Jahren gibt es Bemühungen, dies zu ändern und die rechtliche und politische Situation von Klimaflüchtlingen zu verbessern (Biermann und Boas 2012; Gibb und Ford 2012). Hauptargument der Befürworter ist, dass die Verschlechterung der Lebensbedingungen, die zur Migration geführt haben, nicht von den Opfern, sondern von anderen, insbesondere den Industrieländern zu verantworten ist. Eine Anerkennung von „Klimaflüchtlingen“ könnte, so das Argument, zu humanitärer Unterstützung verpflichten und die Last des Klimawandels gerechter verteilen helfen. Ziel dieser Bemühungen ist die Einrichtung einer eigenen Schutzkategorie, entweder in der Genfer Konvention oder in einer anderen rechtlich verbindlichen Form, die an den Grundsätzen der Menschlichkeit, der Menschenwürde und der Menschenrechte zu orientieren sei. Auf dem Weltklimagipfel in Cancún 2009 vereinbarten die Mitgliedstaaten, das Verständnis über die klimabedingte Abwanderung aus benachteiligten Regionen zu verbessern und bei der Bewältigung der klimabedingten Migration zusammenzuarbeiten.

Kritiker bezweifeln, dass eine Heraushebung von klimabedingter Migration gegenüber anderen Fluchtgründen möglich und sinnvoll ist. Zum einen sind Umweltveränderungen selten der alleinige oder auch nur Hauptgrund für Migration. Die rechtliche Anwendung einer solchen Kategorie würde daher auf große praktische Probleme stoßen. Zweitens wird argumentiert, dass eine Ausweitung des Flüchtlingsstatus bzw. der Flüchtlingsdefinition dem Schutz der Flüchtlinge, die vor politischer Gewalt und Kriegen geflohen sind, abträglich sein könnte. Nachdem über einige Jahre die Idee einer neuen Kategorie von Klimaflüchtlingen an Unterstützung gewann, wächst in den letzten Jahren eher die Skepsis. Aber das Ergebnis der politischen und rechtlichen Debatte ist weiter offen (Methmann und Oels 2015). Zwar hat im Juli 2015 das oberste neuseeländische Gericht die Klage eines Bewohners von Kiribati auf Gewährung von Asyl abgewiesen (The Law Library of Congress 2015), aber weitere Klagen sind anhängig. Demgegenüber haben Bemühungen, den Schutz von Menschen vor und nach Extremereignissen zu verbessern, international starke Unterstützung gefunden.

Einen wichtigen Ansatzpunkt dafür bieten die 2011 in Oslo vorgestellten „Nansen Principles on Climate Change and Displacement“. Darin festgehaltene und von einer großen Zahl von Regierungen unterstützte Grundsätze für den Umgang mit Klimaflüchtlingen sind die Nichtdiskriminierung einzelner Personen und Gruppen, die Partizipation der Betroffenen und Partnerschaft mit den Betroffenen. Im Herbst 2011 boten sich die Regierungen Norwegens und der Schweiz an, eine auf diesen Prinzipien aufbauende Initiative zu fördern. Inzwischen wird die Nansen-Initiative von mehr als 100 Regierungen unterstützt.6 Ziel der Initiative ist die Entwicklung eines Schutzregimes für Menschen, die durch Umweltkatastrophen, einschließlich solcher, in denen dem Klimawandel Bedeutung zukommt, über internationale Grenzen vertrieben werden. Angestrebte Elemente sind die Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit und Solidarität, die Verbreitung von Standards für die Behandlung betroffener Menschen, insbesondere in Bezug auf Zugang, Aufenthalt und Status, sowie die Entwicklung neuer Instrumente zur Unterstützung von Umweltvertriebenen, z. B: durch spezielle Fonds und in der Arbeit humanitärer und entwicklungspolitischer Akteure. In diese Richtung gehen auch internationale Bemühungen, die Prävention und Nachsorge von Umweltkatastrophen zu verbessern (Nash 2015). So unterstützen viele Staaten und die Vereinten Nationen das Sendai Framework for Disaster Risk Reduction 2015–2030, in dem u. a. vorgesehen ist, die Rechte von Umweltvertriebenen zu stärken.7

Ein Grund für die Zurückhaltung vieler Regierungen, einschließlich der deutschen, gegenüber der Idee einer rechtlichen Verpflichtung zur Aufnahme von Klimaflüchtlingen dürfte darin liegen, dass sie befürchten, die sowieso schon hoch kontroversen Debatten über Migration durch das Thema klimabeeinflusster Migration weiter anzuheizen. Migrationsdebatten allgemein sind stark von Ängsten geprägt, wozu die eingangs erwähnten hohen Schätzungen über die Zahl von Klimaflüchtlingen mit beigetragen haben dürften (Jakobeit und Methmann 2012). Zu den Schreckensbildern massiver Migration aus armen in reiche Länder aus wirtschaftlichen oder demographischen Gründen kam nun das der Klimamigration hinzu und verstärkte die insbesondere in Europa schon vorher ausgeprägten Abschottungstendenzen der „Festung Europa“. Die von der Europäischen Union im Rahmen des Schengen-Abkommens von 1991 getroffenen Vereinbarungen und Maßnahmen zielten auf eine möglichst geringe Zuwanderung ab. Der zunächst schleichende und 2015 massive Zusammenbruch des Schengen-Systems und die darauf folgenden Beschlüsse der EU vom Winter 2015 und Frühjahr 2016 haben nur geringfügige Änderungen an dieser Zielstellung gebracht.

Die Nachhaltigkeit einer prinzipiellen Abschottungspolitik ist allerdings fraglich. Das zeigte das Ausmaß der illegalen Einwanderung sowohl vor dem Sommer 2015 als auch seit dem Frühjahr 2016. Eine solche Politik ignoriert auch die Verantwortung, die europäische Staaten für Flucht- und Migrationsgründe der hierher kommenden Menschen zu tragen haben. Ein Beispiel ist die Zuwanderung aus dem Nahen und Mittleren Osten: Hier hat die Aufteilung der Region in Mandatsgebiete (Sykes-Picot-Abkommen 1916) und die seither andauernde europäische Einflussnahme maßgeblich zu den heutigen Konfliktkonstellationen beigetragen – durch Stellvertreterkriege, Waffenlieferungen, konditionierte Partnerschaften oder die Unterstützung autokratischer Herrschaftssysteme. Ein anderes ist der Klimawandel, zu dem vor allem die Emissionen der Industrieländer beitragen.

Die Industrieländer haben sich, u. a. durch die Schaffung von Fonds für Anpassungsmaßnahmen in besonders betroffenen Ländern, prinzipiell zu ihrer besonderen Verantwortung für den anthropogenen Klimawandel bekannt. Damit lassen sich auch Maßnahmen fördern, die geeignet sind, internationale Klimamigration zu begrenzen – durch Prävention negativer Folgen des Klimawandels oder besseren Flüchtlingsschutz in den betroffenen Ländern. Dies dürfte zwar die mit dem Klimawandel der Zukunft verbundenen Bevölkerungsbewegungen bestenfalls abschwächen, macht es aber wahrscheinlicher, dass die eingangs zitierten Prognosen hoher Zahlen Umweltvertriebener nicht eintreffen und die Chance für Umweltvertriebene, – wie heute schon – in oder nahe ihren Heimatregionen erfolgreich Schutz zu suchen, größer wird.

Eine Stadt wie Hamburg muss sich vermutlich unabhängig davon, welche Migrationspolitik gewählt wird, auf Zuwanderung aus Ländern einstellen, die vom Klimawandel besonders betroffen sind, sei es durch illegale Einwanderung im Falle von Abschottung oder legale Einwanderung in einem offeneren System. Darunter werden auch auf absehbare Zeit eher wenige Menschen sein, für die Umweltveränderungen der wichtigste Grund für Migration sind, hingegen möglicherweise mehr Menschen, bei denen Klimawandel ein Grund unter mehreren ist, das eigene Land zu verlassen und nach Deutschland zu kommen. Die internationale Gemeinschaft trägt der Aufweichung der Grenzen zwischen Migration und Flucht immerhin bereits terminologisch Rechnung, indem sie die Kategorie der „gemischten Migration“ eingeführt hat. Sie soll verdeutlichen, dass individuelle Motive und Gründe für freiwillige und unfreiwillige Migration eng miteinander verwoben sind.

Kurzfristige massive Bevölkerungsbewegungen nach Deutschland und Hamburg aufgrund von klimabedingten Ereignissen sind in den nächsten Jahrzehnten eher unwahrscheinlich. Sollten gravierende Katastrophen eintreten, wird die Masse der Vertriebenen mit großer Wahrscheinlichkeit in der Region bleiben. Was vermutlich in solchen Fällen in weit größerem Maße gefordert sein wird, ist kurzfristige humanitäre Hilfe und langfristige Unterstützung beim (Wieder‑)Aufbau nachhaltiger Lebensverhältnisse.

Statt Klimamigration nachträglich abzuwehren, wäre es effektiver, die Vorbeugung gegenüber Klimawandel und Umweltkatastrophen zu stärken, etwa durch eine Energiewende hin zu klimaverträglichen erneuerbaren Ressourcen und Technologien, sowie den Erhalt menschlicher Lebensgrundlagen. Sofern Klimawandel bereits eingetreten ist, geht es darum, die soziale Resilienz der betroffenen Gemeinschaften zu verbessern, um ungewollte Migration zu vermeiden, und auch die Abwanderung als eine legitime Anpassungsmaßnahme gegen unwvermeidbare Klimarisiken anzuerkennen. Dazu bedarf es internationaler Unterstützung – hier bleiben die Geberländer bisher hinter ihrer Rhetorik zurück – und der Mitwirkung von Migrations- und Diasporanetzwerken, etwa durch Rücküberweisungen oder den Transfer von Wissen und Technologie, welche die Lebensbedingungen in den Herkunftsgebieten verbessern.

Vorausschauende Klimamigrationspolitik, die Risiken abschwächt, unnötige Kosten vermeidet und positive Synergieeffekte für Herkunfts- und Zielländer wie auch für Migranten entwickelt, steht vor großen Herausforderungen, bietet aber auch erhebliche Chancen (Foresight 2011). Das Ziel, Migration als Teil der Lösung entwicklungs- und klimapolitischer Herausforderungen anzusehen, wird breit geteilt, so von den Teilnehmenden der Hamburger Konferenz über Klimawandel und Migration 2012, die eine entsprechende Erklärung verabschiedeten8, bis hin zur EU-Kommission, die eine „Einwanderungspolitik, die allen nützt“ anstrebt (Europäische Kommission 2011, S. 13). Ideen und Ansätze in Richtung auf diese Ziele finden sich, etwa in den Bestrebungen der Nansen-Initiative, aber es wird weiterer Foren und Anstrengungen bedürfen, um Klima‑, Migrations- und Entwicklungspolitik besser zu integrieren (Foresight 2011; Scheffran und Vollmer 2012).

10.4 Zusammenfassung

Die wissenschaftliche Forschung zu den Folgen des Klimawandels für Migration ebenso wie zu den Auswirkungen von Migration auf Anpassungsmaßnahmen steckt noch in den Anfängen. Das gilt zum einen für die globale und regionale Ebene, für die bereits grobe Schätzungen vorgelegt worden sind, zum anderen besonders auch für die lokale Ebene. Mikrostudien für einzelne Städte existieren bislang nicht und sind aus verschiedenen Gründen mit großen konzeptionellen Problemen verbunden. Trotz der noch unzureichenden Datenlage werden in diesem Kapitel aktuelle und zukünftig zu erwartende Problemstellungen skizziert, die sich aus den Folgen des Klimawandels und der damit verbundenen Zuwanderung für Hamburg ergeben. Dazu verbinden wir die bestehenden Forschungsergebnisse zu Klimawandel und Migration mit der Geschichte und Erfahrungen über Zuwanderung nach Hamburg.

Besonders prominent ist in der öffentlichen Diskussion die Flucht aus besonders stark von klimabedingten Umweltveränderungen in Afrika und dem Mittleren Osten. Die Zahl zukünftiger Klimaflüchtlinge ist allerdings nicht solide abschätzbar, ebenso wie deren wahrscheinlicher Verbleib, etwa in einer Stadt wie Hamburg. Ein Grund ist, dass Migration häufig multikausal und daher eine Isolierung des Fluchtgrundes „Klimawandel“ nicht zielführend ist. Ein anderer ist das komplexe Zusammenspiel von Migrationsanreizen, Migrationsmöglichkeiten, Migrationshindernissen und der Attraktivität von Zielregionen. So sind etwa von Dürren, Überschwemmungen oder schweren Stürmen Betroffene selten in der Lage, weiter als bis zum nächsten Flüchtlingslager zu wandern. Weiterhin kann umweltinduzierte Migration in vom Klimawandel besonders betroffenen Regionen auch Folgeeffekte erzeugen, wenn andere wegen zunehmender Konkurrenz durch Migranten ihrerseits die Entscheidung treffen, die lange und teure Reise nach Europa anzutreten.

Seit langer Zeit ist Hamburg wie viele andere europäische Großstädte ein Ort mit hohen Zuwanderungsraten und vielfältigen Erfahrungen in der Integration von Migranten. Diese Geschichte setzt sich aktuell durch die hohe Zahl von Flüchtlingen aus Kriegsgebieten weiter fort, die seit 2015 nach Hamburg kommen. In der Stadtforschung herrscht weitgehende Einigkeit, dass der Zustrom unterschiedlicher Migrantengruppen eine wichtige Ressource für die wirtschaftliche und kulturelle Weiterentwicklung von Großstädten darstellt. Sie stellen aber auch Herausforderungen für bestehende Felder der Stadtentwicklung dar wie die Wohnungsversorgung besonders in preisgünstigen Segmenten, der sozialen Infrastruktur wie Kindergärten, Schulen und der Unterstützung der Älteren und des Arbeitsmarktes. Hinzu tritt die Integrationsaufgabe, die zum einen durch spezielle Angebote wie Sprachkurse oder Begegnungsorte befördert werden kann, deren erfolgreiche Lösung zum anderen aber auch vom Alltagshandeln und der sog. Willkommenskultur aller Stadtbewohner abhängig ist. Die Gestaltung des Zusammenspiels von Zuwanderung und Stadtentwicklung ist politisch zumeist kontrovers begleitet worden.

Somit lassen sich die Herausforderungen, die durch die Verbindungen von Klimawandel mit Migration für eine Stadt wie Hamburg entstehen, zwar benennen, aber bisher nicht exakt bestimmen. Allerdings sollte kein Zweifel bestehen, dass umweltbedingte Migration im 21. Jahrhundert zunehmen wird und damit auch die Stadtregion Hamburg als Wanderungsziel bedeutungsvoll bleibt. Darauf haben sich Stadtpolitik und Stadtplanung einzustellen.

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