13. KAPITEL
Dienstag, 30. August 2011

Noch acht Tage

Der Däne verrichtete seine Morgentoilette in einem Gebüsch auf der anderen Rastplatzseite, ein gutes Stück entfernt vom gedeckten Frühstückstisch, weil er gemerkt hatte, dass die Schweden das zu schätzen wussten. Um sich besonders hervorzutun, bat er Johan anschließend sogar für alle deutlich vernehmbar um ein Feuchttuch.

Nachdem sie über die ganze Sache geschlafen und Eggs Benedict und Graved Lachs mit Senfsoße zum Frühstück bekommen hatten, einigten sie sich darauf, im Konvoi Richtung Süden weiterzufahren. Wegen Prebens Güllewagentempo und der Fähre zwischen Rødby und Puttgarden würden sie nicht vor dem Abend in Bielefeld ankommen. Die Begegnung mit Dietmar musste also bis zum nächsten Morgen warten.

»Erst Abendessen, dann Kloppe«, sagte Johan. »Mit oder ohne Strafpredigt dazwischen. Man soll niemanden auf nüchternen Magen kloppen. Man soll überhaupt nichts auf nüchternen Magen machen. Irgendwelche besonderen Wünsche, was das Menü angeht?«

»Hamburger?«, sagte Preben.

»Oder auch nicht«, sagte Johan. »Ich lass mir was einfallen.«

***

Agnes saß am Steuer und ärgerte sich immer noch über ihr Online-Alias. Svalbard war auf seine Art ein Erlebnis, aber letzte Nacht, nachdem die anderen längst eingeschlafen waren, blieb die Lilahaarige lange wach und versuchte, mittels Bildbearbeitung etwas halbwegs Wirklichkeitsnahes zusammenzuschustern. Durchschnittliche Augusttemperatur: drei Grad. Gab es in der Gegend Schnee? Wenn ja, wie viel? Und dann die Eisbären, die umherschlichen. Regelrecht lebensgefährlich. Mit Produktplatzierungen war da nicht viel zu holen.

Sie teilte der Prophetin ihre Sorgen mit.

Petra wollte sich nicht mit ihr streiten, aber hatte Agnes Svalbard eben als ein Erlebnis beschrieben, ohne je anders als fakemäßig dort gewesen zu sein? War ihr der Unterschied zwischen Dichtung und Wahrheit bekannt?

Agnes antwortete, ha, und das ausgerechnet von einer Weltuntergangsprophetin!

Danach war die Stimmung vorne im Wohnmobil etwas angespannt, bis die ersten Küchendüfte zu ihnen zogen. Da konnte Petra nicht anders als fragen, was es zu essen gebe. Johan kündigte als Vorspeise Kartoffelpuffer an, die gerade auf dem Herd waren. Auch die Hauptspeise war ganz im Geiste bodenständiger Hausmannskost gehalten. Preben hatte ja mit seinem Hamburger-Vorschlag die Richtung vorgegeben: Einfachheit.

»Was ist in deinem seltsamen Kopf wohl ein einfaches Hauptgericht?«

»Pizza«, sagte Johan.

»Na also!«

»Mit russischem Störkaviar.«

***

Es ist schwierig genug, außerhalb Schwedens – wo man kurzfristig nach Belieben seine Zelte aufschlagen kann – im Wohnmobil zu übernachten. Reist man außerdem in Begleitung eines ausgewachsenen Gülletankers, muss man sich schon etwas mehr Gedanken machen.

So wie Petra. Sie wies Agnes und Preben an, den ganzen Trupp zur KIPA Industrie-Verpackungs GmbH in der Friedrich-Hagemann-Straße 7 zu bringen, wo sie genau das fand, was sie suchte: ein nach Feierabend menschenleeres Industriegelände mit reichlich Platz für Fahrzeuge wie auch Esstisch.

Zwischen Vorspeise und Hauptgericht nahm Petra den Dänen beiseite und erläuterte ihm ihren Plan. Der jetzt ausgereift war, nachdem sie die örtlichen Gegebenheiten näher inspiziert hatte.

»Wir stellen das Wohnmobil und den Güllewagen hier ab, in diese Fahrtrichtung. Ich geh zum Empfang rein, frage nach Dietmar Sommer, er kommt zu mir. Und geht mit mir raus, um jemanden zu treffen, der ihn sprechen will.«

»Aber ich will nicht mit ihm reden.«

»Würdest du bitte auch nicht mit mir reden? Nicht jetzt. Nur zuhören.«

Petra hatte vor, Prebens Ex-Freundin ins dramatische Spiel zu bringen. Dem Deutschen einen Gruß von Kajsa in Schweden zu bestellen, wenn Herr Sommer netterweise mit ihr rausginge. Nach allen Regeln der Logik würde das den untreuen Familienvater nicht nur nervös, sondern auch neugierig machen. Petra wollte ihn um die Ecke des Betriebsgebäudes lotsen, ein Spaziergang von sechzig, siebzig Metern. Wenn sie langsam genug gingen, gab ihr das ein paar Minuten, um ihm zu verklickern, wie wichtig es war, dass man die Familie zusammenhielt, seinen Kindern ein Vorbild war und einmal gegebene Gelübde befolgte. Wenn ihre Worte nicht auf taube Ohren stießen und sie sich Gehör verschaffen konnte, würde Dietmar eine Woche später als ein mehr oder weniger geläuterter Mann zu Eis gefrieren. Vielleicht würde der Deutsche ihr sogar danken, bevor sie um die Ecke bogen.

»Wenn wir um die Ecke kommen, erwartest du uns schon. Ohne Zeugen. Wie du ja gesagt hast, macht es dann wohl ohne vorauseilenden Small Talk ›Wumm!‹. Gefolgt von einem Fünfzehn-Sekunden-Sprint zu unseren Autos.«

Preben lächelte. Ja, genau! Er sagte, dass er sogar mit Dietmar reden wollte, wenn er zuschlug. Bei der geraden Rechten würde er sagen: »Das ist von Kajsa.« Und beim linken Haken: »Und das von mir.«

Johan rief alle an den Tisch zurück. Zeit für die Pizza.

»Champagner an einem Dienstagabend mag einem ein bisschen verstiegen vorkommen, aber ich möchte dem Kaviar gerecht werden. Dom Pérignon Oenothèque, 1996. Ein sehr haltbarer Jahrgang mit hohem Fruchtgehalt, reif und frisch.«

»Pizza!«, gluckste Preben. »Lecker!«

Sie konnten auch nach dem Essen noch ihren Plan genauer austüfteln.

»Ist es okay, wenn ich den schwarzen Klumpatsch abkratze? Hast du kein Bier da?«

***

Die Dunkelheit legte sich über das Industriegelände. Kaffeetassen und Schnapsgläser waren ausgetrunken, die Pläne für den nächsten Morgen festgeklopft und fertig ausgebrütet.

Zeit zum Gutenachtsagen. Alle hatten ein gutes Gefühl.

Bis es dann doch ganz anders kam als gedacht. Was ja gar nicht so selten vorkommt.