17. KAPITEL
Donnerstag, 1. September 2011

Noch sechs Tage

Herbert von Toll wartete seit vierzig Jahren darauf, die Bank von seinem Vater übernehmen zu können. Aber der alte Herr klebte fest am Chefsessel in seinem Bankdirektorenbüro.

Rein statistisch gesehen, gab es keinen vernünftigen Grund, warum er nicht schon längst tot und begraben war. Er war sechsundneunzig, rauchte Zigarren und kippte morgens um neun den ersten Whisky. Den zweiten um halb zehn. Das rege Kreislauf und Gemüt an, behauptete er, womit er zum Leidwesen des sechsundsiebzigjährigen Sohnes goldrichtig lag. Der Alte war nicht mal senil.

Als eine elegante Dame mit lila Haaren das Büro der kleinen Bank betrat, nahm sich der sechsundneunzigjährige Konrad umgehend ihrer an. Allerdings nur, bis er erfuhr, dass sie nicht mehr als fünf Millionen schwedische Kronen verkörperte.

»Herbert!«, rief der alte Herr. »Hör sofort auf mit dem Papierkörbeleeren oder was du sonst Wichtiges zu tun hast, ich habe eine Kundin für dich.«

Der Sohn würde eine Kundin abkriegen! Das hatte es fast noch nie gegeben.

Die Dame stellte sich als Agnes Eklund aus Schweden vor. Sie hatte ein gewisses Vermögen auf der Handelsbank in Bromma bei Stockholm und wünschte, das Geld möge von dort verschwinden und stattdessen an einem Ort auftauchen, wo es von keiner schwedischen Behörde gefunden wurde.

Herbert von Toll, auf den die fragliche Summe auch nicht mehr Eindruck machte als auf seinen Vater, war dennoch höchst angetan. Viel zu selten wurde dem Bankhaus das Erlebnis weiblicher Schönheit zuteil. Banken und Finanzen waren ja eine Welt der Männer. Und der sechsundneunzigjährigen Greise.

Außerdem besaß Frau Eklund einen unwiderstehlichen Charme und noch dazu ein feines Näschen.

»Der da drinnen, der ein Gesicht wie eine Rosine hat, ist das womöglich Ihr Vater?«

»Äh, ja, woher wissen Sie das, Frau Eklund?«

»Verwitwete Frau Eklund«, sagte Agnes. »Mein Mann war so vernünftig, schon vor etlichen Jahren das Zeitliche zu segnen.«

»Meinen Glückwunsch, Frau Witwe Eklund«, rutschte es Herbert raus. »Ich habe meinen Vater schon lange im Verdacht, unsterblich zu sein.«

»Das wollen wir mal nicht hoffen«, sagte Agnes, kurz davor, den netten Herbert von Toll damit zu trösten, dass der Alte, wie sie aus unsicherer Quelle wisse, schon in sechs Tagen abkratzen werde. »Ich heiße übrigens Agnes. In Schweden sind wir nicht so förmlich.«

Oho, sie ging schon nach so kurzer Zeit zum Du über!

»Herbert«, sagte Herbert. »Es ist mir ein großes Vergnügen, Frau Witwe Agnes.«

»Bitte nur Agnes.«

Herbert und Agnes einigten sich rasch. Es kam Herbert zupass, dass sie bei der Handelsbank war, denn in einem ersten Schritt würden sie den ganzen Betrag von der Niederlassung bei Stockholm in die Zürich-Filiale des Konzerns transferieren. Herbert wollte mit dem schwedischen Bankdirektor reden und ihm von Agnes’ Kreditverpflichtungen im Ausland berichten, damit der Kollege in Schweden keinen Grund zur Beanstandung hatte.

»Obwohl, mir sind eigentlich keine Kreditverpflichtungen bekannt«, sagte Agnes.

Herbert schaute verlegen drein. Sagte, die Wahrheit sei relativ, und der Zweck heilige die Mittel. Damit das Geld in Zürich landete, könnten sie beide einen Spaziergang zur Schwedischen Handelsbank an der Löwenstraße machen. Es sei nicht weit, man müsse sich nur vor den tückischen Straßenbahnen in Acht nehmen.

»Vor denen ich dich bei meiner Ehre beschützen werde.«

Schon kurz nach dem Mittagessen hatte sich alles gefügt. Schweizer Nummernkonto, Briefkastenfirma auf den Kondoren und Einvernehmen zwischen Herbert und Agnes, sich wiederzusehen.

»Du kannst mich ja zur Beerdigung deines Vaters einladen«, schlug Agnes vor.

»Hoffentlich müssen wir nicht zu lange warten«, sagte Herbert und gab ihr zum Abschied einen Handkuss.

***

»Hat’s geklappt?«, fragte Petra.

»Einwandfrei«, sagte Agnes. »Das Geld ist aus Schweden verschwunden. Ich hab jetzt sogar eine Firma, in einem Land, dessen Namen ich vergessen hab.«

»Eine eigene Firma? Wozu?«

»Keine Ahnung.«

Johan war besonders zufrieden, dass die Finanzen der Gruppe gesichert waren, denn er plante ein Degustationsmenü extraordinaire für ihre Ankunft in Rom und hatte zu diesem Zweck Zürich nach passenden Zutaten abgegrast.

»In diesem Land reden sie komisch. Und sie haben eine Fahne, die nach Krankenhaus aussieht. Aber an den Produkten gibt’s nichts zu beanstanden.«