Noch fünf Stunden
Agnes, Petra und Johan bekamen im Präsidentenpalast je eine elegante Minisuite im ersten Stock des Ostflügels zugewiesen. Der Weltuntergangsprophetin jagte die Tapete in ihrem Zimmer einen gehörigen Schrecken ein: Blumenmuster. Und Blätter. Und lauter kleine Vögel, rote Beeren, gelbe Früchte. Ein Affe. Ein Giraffenkopf. All das spukte in Endlosschleife an allen vier Wänden. Selbst die Tür war tapeziert. Wer konnte hier schlafen?
Nun ja, das stand ja auch gar nicht mehr an. Um 23.20 Uhr Ortszeit, plus minus ein paar Minuten, war ja Schluss mit allem. Nur noch knapp fünf Stunden.
Petras Magen knurrte. Als die Gruppe zu einem Papaya-Begrüßungstrunk auf der Terrasse zusammenkam, fragte sie den Präsidenten nach seinen Essenszeiten. Aleko erzählte, das Diner werde täglich um zwanzig Uhr aufgetragen, gefolgt von einem gepflegten Nachtimbiss so gegen Mitternacht.
»Den verpassen wir«, sagte Petra, »aber aufs Diner freue ich mich. Was wohl auf der Karte stehen wird?«
Der Präsident wusste es nicht, Johan hingegen schon. Er war gerade aus der Küche zurück, nach einer anstrengenden Unterredung mit dem Küchenchef des Palastes.
»Fisch«, sagte er.
»Was für ein Fisch?«, wollte Aleko wissen.
»Das weiß ich nicht, denn der Koch redet nur eine Sprache, die Französisch heißt und die sie in Frankreich sprechen. Aber der Fisch hat ungefähr so wie meine Schuhe ausgesehen.«
Der Präsident sah sich die Kalbsleder-Regenbogenschuhe des neu gefundenen Sohnes an. Ganz vorn marineblau, gefolgt von hellblau, grau, lila, rot, schwarz und knallgelb.
»Drückerfisch«, sagte er. »Baliste auf Französisch. Das auch auf den Kondoren gesprochen wird. Und ansonsten noch hie und da auf der Welt.«
Johan nickte. Baliste konnte das Wort gewesen sein, das der Koch immer dann wiederholt hatte, wenn Johan nach Lachs gefragt hatte. Blieb nur noch herauszufinden, wie Västerbotten-Käse wohl auf Französisch hieß.
»Fromage à Västerbotten?«, riet Agnes.
Johan bedankte sich für die Hilfe und erkundigte sich, wo Papa Aleko seinen Weinkeller hatte. Wenn er es sich recht überlegte, konnte der Meisterkoch ja doch so einiges Französisch.
»Bordeaux«, sagte er. »Bourgogne. Champagne. Loire. Gérard Depardieu. ›You don’t like me, do you?‹ – ›We don’t have to like each other; we just have to be married.‹ «
Präsident Aleko kam nicht mehr mit.
»Dein Sohn kann sämtliche Filme dieser Welt auswendig«, sagte Petra. »Gérard Depardieu hat da was bei ihm ausgelöst. Das Zitat war wohl aus Green Card .«
»1990«, sagte Johan. »Oder vielleicht ’91. Wie war das mit dem Weinkeller?«
Aleko sagte, einen solchen gäbe es nicht, er habe aber jede Menge Wodka da.
»Was bringt es, Präsident zu sein, wenn du keinen Weinkeller hast?«
Der Präsident sagte, er habe ja nicht ahnen können, dass ihm plötzlich ein Sohn und Meisterkoch in den Schoß fallen würde, sonst hätte er sich natürlich besser vorbereitet. Auf sein Fingerschnippen hin eilte eine zuvor unsichtbare Assistentin herbei. Aleko beauftragte sie, den besten Wein aus dem vornehmsten Hotel zu besorgen.
»Weiß oder rot?«, fragte die Assistentin.
»Alle Farben, die Sie kriegen können. So viele Flaschen wie möglich. Schönen Gruß, ich komme bei Gelegenheit zum Bezahlen vorbei, wenn ich dran denke.«