Noch zwei Stunden
Malik, der zum Dessert Eis mit Schokoladensoße aufgefahren hatte, wagte sich jedenfalls auf die Terrasse, um ihnen Kaffee mit Cognac in rauen Mengen zu servieren. Was Johan darauf brachte, dass er außer Gérard und Depardieu auch noch das französische Wort Cognac kannte.
Alle am Tisch vertrugen sich wieder, nur Petra saß immer noch etwas abseits und summte »What a Wonderful World« vor sich hin. Eine Serviererin stand mit Weinflasche im Anschlag gleich in der Nähe und behielt sie im Auge.
Der Präsident wollte keinen neuen Streit vom Zaun brechen, hatte aber das Bedürfnis, Agnes’ schlecht überspielter Kritik an seinem Führungsstil etwas entgegenzusetzen. Wenn er sich behutsam vorwagte, klappte es womöglich.
»Soll ich erzählen, wie ich mich nach sieben Jahren noch an der Macht halte?«, sagte er. »Keine Sorge, es hat nichts mit Gewalt zu tun.«
»Man umgibt sich mit Freunden?«, schlug Agnes vor und nickte Richtung Günther.
»Stimmt nur zum Teil.«
Es war nämlich so, dass die Geschwister, Cousins und Cousinen ersten und zweiten Grades seiner verstorbenen kondorischen Gattin sämtliche Schlüsselpositionen des Landes besetzt hielten (bis auf die des Polizeichefs, die hatte Aleko Günther gegeben, der schon immer Uniform tragen wollte). Außerdem hatte Aleko gewisse Änderungen an der Verfassung vorgenommen. Die nun festschrieb, dass ein Präsident nach fünf Jahren im Amt automatisch wieder ernannt wurde, sofern der Oberste Gerichtshof nicht anders entschied.
»Und der Oberste Gerichtshof besteht aus?«
»Mir. Wieso?«
»Praktisch. Ein Holzschuhfabrikant bleibt auf seinem Posten, bis er oder sie keine Holzschuhe mehr verkauft. Oder auf einen Nagel tritt. Oder beides.«
Um des lieben Friedens willen enthielt sich Aleko eines Kommentars zur Holzschuhfrage. Er sagte, in erster Linie sitze er nach sieben Jahren noch immer fest im Sattel, weil er so beliebt sei.
»Du meinst also, die Leute stehen auf hohe Kindersterblichkeit, Analphabetentum und ein nicht vorhandenes Gesundheitswesen?«
Aleko ließ die Lilahaarige reden. Er war definitiv aus der Schmollecke raus.
»Mein Volk liebt mich, weil ich mich gegen die Außenwelt stark mache, also gegen alle Schweine in der Afrikanischen Union.«
»Schweine?«, sagte Johan.
»Im übertragenen Sinne, Johan«, sagte Agnes.
»Schaltet den Fernseher ein, wann immer ihr wollt. Da kriegt ihr live mit, wie die Union das kleinste Mitgliedsland unterzubuttern versucht und wie sich der Präsident im Namen des stolzen kondorischen Volkes dagegen auflehnt.«
»Wahnsinn!«, sagte Johan. »Nennen sie dich deshalb Arschloch?«
»Wie viele Fernsehsender gibt es auf der Insel?«, fragte Agnes.
»Einen«, sagte Aleko. »Ich weiß, was du denkst.«
Die Dame war nicht dumm. Die Intendantin des Fernsehsenders, Fariba, war eine Zwillingsschwester der verstorbenen Präsidentengattin. Ihre Führungsqualitäten waren unumstritten. An ihrem ersten Arbeitstag feuerte sie die ersten drei Leute, denen sie begegnete, nur um des Feuerns willen. Die dann noch übrig blieben, waren von einer Sekunde auf die andere eisern loyal.
»Über mich heißt es auch, dass ich modern bin«, sagte Aleko.
Seine letzte Neuerung hatte darin bestanden, den eigenen Staat als Oase für weltweit alle zu etablieren, die nicht einsahen, warum sie ihrem Heimatstaat Steuern zahlen sollten. Wie Agnes. Und für alle, die Einkünfte hatten, auf die sie gar keine Steuern zahlen konnten, selbst wenn sie es gewollt hätten. Schwarzgeld brachte leider den Nachteil mit sich, dass es schwarz war. Früher war alles so viel einfacher gewesen, eine Plastiktüte voll Geld? Kein Problem.
Erstmals hatte Agnes keine bissige Bemerkung parat.
»Kurz gesagt, den Leuten geht es besser unter meiner Führung«, sagte Aleko. »Nicht viel, aber ein bisschen. Und wie stolz sie sind! Wir hatten uns um die Ausrichtung der Fußball-WM in drei Jahren beworben.«
»Habt ihr gewonnen?«
»Nein, Brasilien. Ich glaube, niemand ist so korrupt wie die FIFA .«
»Habt ihr überhaupt irgendwelche Stadien?«, fragte Agnes.
»Zeit für Karaoke«, sagte Günther.