47. KAPITEL
15.-25. September 2011

Spezialagent Sergio Conte hatte jeden Tag den Vorsitzenden des Fliegenfischereivereins und mindestens zwei der acht Anwälte des unschuldigen Milliardenkonzerns am Telefon. Einen von Bvlgari in Rom und einen vom Mutterkonzern in Paris. Die Instagram–, Facebook- und Blogkampagne gegen das, was unter die zynische Methode, einfachen, ehrlichen Leuten noch mehr Geld aus der Tasche zu ziehen lief, schlug immer höhere Wellen. Ein erfundenes Vorbild für junge Menschen zu erschaffen, war nun wirklich das Allerletzte! Tausende Teenies waren Travelling Eklund doch als ihrem Leitstern im Leben gefolgt.

Dabei gab es sie gar nicht! Es hatte sie nie gegeben.

Die globale Kampagne zum Boykott sämtlicher Produkte des profitgierigen Konzerns hatte es bereits bis in die Nachrichtensendungen und Talkshows der Fernsehsender geschafft. Zeitungskolumnisten beklagten die Auswüchse dieser Raffgier, wobei milliardenschwere Unternehmen nicht einmal mehr vor waschechten Betrügereien zurückschreckten. Der endgültige Beweis war freilich noch nicht erbracht, aber ohne Feuer kein Rauch.

Bvlgari und LVMH gaben eine Pressekonferenz, auf der Geschäftsführer und Konzernchef ihre Unschuld beteuerten. Beide wurden ausgebuht. Dem einen, der die Geschmacklosigkeit besessen hatte, in einer Limousine vorzufahren, wurde griechischer Joghurt an die Windschutzscheibe geschmiert. Offenbar ließen sich die Gemüter nur noch beruhigen, indem die Schuldige aufgegriffen wurde, vor laufender Kamera gestand und Bvlgari entlastete.

Aber erst mal mussten sie sie aufspüren.

Spezialagent Conte sagte dem Anwalt, was Sache war, nämlich dass Agnes Eklund sich nachweislich auf den Kondoren aufhielt, einem der hundertsiebenundachtzig Interpol-Mitgliedsländer, und ihm der Polizeichef des Landes versichert habe, dass man nach ihr fahnde, aber da die Kondoren sozusagen die Kondoren seien, habe man Vorkehrungen für die umgehende Verhaftung der Eklund bei ihrer Rückkehr aufs Festland getroffen.

Dass die Kondoren nun mal die Kondoren waren, damit wollten sich die Anwälte nicht abspeisen lassen. Der gestresste Sergio Conte sah sich gezwungen, ein ums andere Mal zum Hörer zu greifen und den Polizeichef der Kondoren zu kontaktieren.

»Na so was, guten Tag auch, Herr Spezialagent«, sagte Günther. »Mir ist, als wär’s gestern erst gewesen. Ach so, war es ja auch.«

Conte mochte ihn von Tag zu Tag weniger.

»Irgendwelche Neuigkeiten zu Agnes Eklund?«

»Die Insel ist groß, Herr Spezialagent«, sagte Alekos bester Freund und neuer Seelenonkel des Freundes der Gesuchten.

»Stimmt ja gar nicht«, sagte Spezialagent Conte.

Günther hatte genug von der Hartnäckigkeit von Interpol. Er machte sich in den Palast auf und setzte sich zur Gesuchten.

»Wäre es nicht das Bequemste, wenn wir dich sterben lassen?«, sagte er.

»Wen denn? Agnes oder Eklund?«

***

Der schwere Verkehrsunfall mit einem Auto und einem Pferdewagen war die Topstory des Abends im kondorischen Fernsehen. Es gab zwar nur Standbilder, doch die waren in ihrer Dramatik nun wirklich kaum zu überbieten. Agnes hatte stundenlang mit ihrem Bildbearbeitungsprogramm daran herumgetüftelt.

Eine gesuchte weiße Ausländerin mit lila Haaren war in einem gestohlenen Auto direkt auf ein Pferdefuhrwerk aufgefahren. Das Pferd war sofort gestorben, die Frau am Unfallort verblutet. Der Kutscher (Bruder der besten Freundin von Günthers kondorischer Frau) erzählte anschaulich, wie er erst versucht habe, das Leben des Pferdes zu retten, dann das der Frau. Doch alles umsonst.

»Wir haben sie schließlich gefunden«, informierte der Polizeichef den Spezialagenten Conte.

»Steht die Identität der Toten zweifelsfrei fest?«

»Hierzulande haben wir sonst nicht allzu viele weiße, lilahaarige Fünfundsiebzigjährige. Was von ihrem Aussehen übrig war, stimmte mit den Angaben im Pass überein, den sie bei sich trug.«

»Können wir rüberkommen und den Leichnam untersuchen?«

Puh! Jetzt war schnelles Denken gefragt.

»Leider nein. Wir haben keinen Kühlraum. Sie wurde bereits verbrannt. Aber ich kann Ihnen ihren blutigen Pass schicken, wenn Sie wollen?«

Damit gab sich Conte zufrieden. Die verfluchten Anwälte würde das nicht freuen, und sein Platz auf der Warteliste des Fliegenfischereivereins war in Gefahr. Aber tot war tot.