54. KAPITEL
Dienstag, 27. September 2011

Präsident Aleko berief eine Krisensitzung im Palast ein, kaum dass Johan und er zu Hause waren. Er brauchte jede Hilfe, die er von Günther, Johan, Agnes und Petra kriegen konnte. Wobei er nicht damit gerechnet hatte, dass der Champagner die Frauen in Kicherlaune versetzt hatte.

»Fünf Jahre!«, jubelte Petra Günther, Johan und seinem Papa zu.

»Bis zum Weltuntergang?«, überlegte der Präsident laut. Fünf Minuten wären ihm lieber gewesen.

Er schilderte den Ernst der Lage. Auf sofortige Sicht brauchten sie einen neuen Flughafen mit dazugehörigem Terminal. Auf kurze Sicht mussten sie das Finanzamtsgebäude in der Hauptstadt aufpolieren und umbenennen. Auf etwas längere Sicht musste Agnes, zur Ehrenrettung des Präsidenten, ihr Krankenhausprojekt abschließen, jemand musste acht neue Schulen bauen und ein anderer eine ganze Universität.

Agnes sagte, sie wolle kein Salz in die Wunde streuen, aber da kämen ja noch so Sachen wie Lehrer, Lehrmaterialien, Universitätsdozenten und der eine oder andere Professor hinzu. Und erschwert werde das Ganze zusätzlich dadurch, dass die Mehrzahl der angehenden Studierenden noch nicht lesen könne.

»Es gibt doch Bilderbücher«, sagte Johan. »Aber das ist vielleicht nicht ganz das Gleiche?«

Aleko grummelte vor sich hin. Absoluter Blödsinn, dass die Leute nun unbedingt lesen lernen sollten.

»In den Zeitungen steht ja doch nur Mist. Außer in denen, die ich unter Kontrolle habe. Na ja, wenn man’s genau nimmt, sind das natürlich alle.«

***

Hastig überschlagen, benötigte die kondorische Staatskasse mindestens vierhundert Millionen Dollar Nachschub. Die Lage war also ziemlich hoffnungslos. Daher Alekos halb ernst gemeinter Wunsch, der Weltuntergang möge sich ranhalten.

»Kann man damit übrigens nicht Geld verdienen?«

»Das wäre in dem Fall nur recht und billig, wo ich so viel Arbeitszeit in die Gleichung gesteckt habe«, sagte Petra in einem Tonfall, den Agnes noch nicht an ihr kannte.

Hatte sie die Frage etwa ernst genommen?

***

Die Prophetin nahm nicht nur Alekos Frage ernst, sondern hatte sie sich sogar schon mehrfach selbst gestellt.

Neun Jahre unbezahlte Arbeit. Ohne ein einziges Dankeschön. Ohne dass die Königliche Akademie der Wissenschaften sie auch nur vorgelassen hatte, damit sie denen erklären konnte, was auf sie alle zukam. Stattdessen hatten sie den Pförtner auf sie gehetzt, als wäre sie eine simple Scharlatanin.

Petra konnte ihre finsteren Gedanken nicht für sich behalten, während Agnes sich zurückhielt, darauf hinzuweisen, dass Scharlatanin es vielleicht trotz allem traf. Die Prophetin hatte nämlich mehr zu sagen.

»Ich hab nachgedacht«, sagte sie.

»Ich nicht«, sagte Johan.

»Schieß los«, sagte Agnes.

Petra wandte sich an Aleko.

»Was würdest du sagen, wenn ich behaupten würde, dass die Welt in drei Wochen untergeht?«

»Hast du nicht eben erst fünf Jahre gesagt?«

»Scheiß drauf, ich versuch das jetzt didaktisch aufzuziehen. Beantworte bitte einfach nur meine Fragen.«

Sie wiederholte die erste. Aleko blieb nichts anderes übrig, als mitzuspielen.

»Dann würde ich wohl sagen, dass ich dir nicht glaube.«

»Aber wenn ich als Beweis eine anspruchsvolle Gleichung in vierundsechzig Schritten vorlegen würde, von der ich selbst überzeugt wäre?«

Aleko überlegte kurz.

»Dann würde ich wohl sagen, dass ich dir nicht glaube und man aus der Gleichung nicht schlau wird.«

Die Prophetin nickte zufrieden.

»Willst du hundert Dollar verdienen?«, sagte sie.

Hundert Dollar? Aleko brauchte ja wohl eher vierhundert Millionen Dollar, spielte aber weiter mit.

»Ja, bitte.«

»Gut. Wollen wir wetten? Wenn du mir hundert Dollar gibst, kriegst du in drei Wochen zweihundert wieder, falls die Welt nicht untergeht.«

»Was sagst du da?«

Agnes dämmerte allmählich, worauf Petra hinauswollte. Sie erklärte dem Präsidenten, dass es ein absoluter Win-Win-Vorschlag war. Entweder er verdoppelte seinen Einsatz, oder die Welt ging wirklich unter, und was wollte er dann mit dem Hunderter?

Petra nickte. Die Dame mit den lila Haaren war nicht auf den Kopf gefallen. Das Einzige, was sie brauchten, war ein glaubwürdiger Absender der Gleichung; möglichst nicht sie selbst, da sie nicht lebenslänglich ins Gefängnis wollte.

»Für hundert Dollar?«, sagte Aleko.

»Mal ein paar Millionen.«

Als die Geldmenge, die auf dem Spiel stand, dermaßen angewachsen war, war Aleko wieder voll und ganz dabei. Aber warum sollte er sich auf den glaubwürdigen Absender verlassen? Und wer sollte all das Geld annehmen, um es später verschwinden zu lassen?

Daran hatte Petra auch gedacht.

»Außer dem Absender brauchen wir eine skrupellose Bank auf den Kondoren.«

»Die hab ich«, sagte Aleko.

»Und wer leitet die? Ein Cousin von irgendwem?«, sagte Agnes. »Oder ein Halbbruder?«

»Einer der vielen Vettern meiner Frau. Er macht, was ich sage. Wie alle anderen auch.«

»Wir brauchen auch eine Bank in der Schweiz«, sagte Petra. »Aus Glaubwürdigkeitsgründen. Agnes hat dort einen festen Freund.«

Die Lilahaarige wurde rot. Dachte, dass da schon ein bisschen was dran war. Mit dem eleganten, sympathischen Herbert von Toll pflegte sie seit dem Tag, an dem sie sich in Zürich das erste Mal begegnet waren, eine Brieffreundschaft. Besser, sie wechselte das Thema.

»Wenn wir breitenwirksam vorgehen wollen, brauchen wir wohl auch jemanden, der sich mit Social Media auskennt«, sagte sie. »Und nach so jemandem müssen wir nicht lange suchen. Hier bin ich.«

»Und dann brauchen wir einen Geldesel«, sagte Petra.

»Einen Geldesel?«, sagte Johan.

Die Prophetin wollte sich beim Planen nicht bremsen lassen.

»Auch Money Mule genannt. Das erklär ich dir alles später, Johan.«

***

Bei der Aussicht auf zu erwartende beträchtliche Einnahmen war Aleko wieder Feuer und Flamme. Der intelligenteste Cousin seiner Frau würde in wenigen Tagen mit dem Asphaltieren der Start- und Landebahn des Aleko International beginnen.

Und dann war da noch der Terminal. Die Lösung könnte in einem tragischen Brand bestehen, war Aleko eingefallen. Was ließ sich schon ausrichten, wenn die Abfertigungshalle bis auf die Grundmauern abbrannte, noch bevor sie überhaupt eingeweiht worden war? Von einem Tag auf den anderen würde sich Das Arschloch, das zur großen Hoffnung Afrikas avanciert war, in den Präsidenten verwandeln, den die ganze Welt auch noch bedauerte. Unterstrichen von den Bildern im kondorischen Fernsehen eines den Tränen nahen Präsidenten auf der Asche seines stolzen Flughafenneubaus. Mit Agnes’ und Petras angekündigten Millionen in der Tasche konnte er dann den Terminal in aller Ruhe wiederaufbauen. Oder vielmehr neu errichten lassen.

Wer hätte das gedacht, alles würde sich finden.

Dachte Aleko.

Ohne die Gefahr einzukalkulieren, die vom Halbbruder seines Sohnes in Rom ausging.