Zurück in Mombasa, hatte der Eurocopter EC 155 wieder Bodenkontakt. Bei zunehmendem Regen und Wind waren die Insassen kräftig durchgerüttelt worden. Der Auslandskorrespondent Samuel Duma kriegte trotzdem in der Luft seinen Artikelvorspann hin.
MONROVI - MOMBASA (The Daily Sun ) . Vor sechzehn Tagen sorgte Präsident Aleko von den Kondoren in Addis Abeba für eine Sensation, als er zum Krieg seines Landes gegen die Korruption aufrief.
Schlagartig schenkte er einem ganzen Kontinent neue Hoffnung und ließ sich von den UN und dem Präsidenten der USA in die Arme schließen.
Doch Aleko täuschte sie alle. Ihm eilte der Ruf voraus, korrupt, zynisch und betrügerisch zu sein.
The Daily Sun deckt auf, dass dieser Ruf der Wahrheit entspricht.
Der Rest musste warten, bis er für den Rückflug nach Johannesburg eingecheckt hatte. Aber länger auch nicht, denn er würde ja eine Bombe platzen lassen, und so etwas durfte man nicht zurückhalten. Allerdings sollte er gleich eine E-Mail an den Präsidentenpalast schicken und dem Bluffpräsidenten – der aus gutem Grund Das Arschloch genannt wurde – die Chance zu einem Kommentar einräumen. Duma rechnete nicht mit einer Antwort, aber der Journalismus hatte seine ethischen Grundsätze.
The Daily Sun hat Präsident Aleko um einen Kommentar gebeten, aber keine Rückmeldung erhalten , so ungefähr.
Der Korrespondent bestellte ein Taxi, sobald der Hubschrauber gelandet war, und rannte in den kleinen Warteraum der Firma, um nicht draußen im strömenden Regen auf den Wagen warten zu müssen.
Zu seiner Überraschung war der Raum nicht leer. In einer Ecke stand ein Mann und wartete anscheinend darauf, irgendwohin geflogen zu werden. Bei dem Wetter? Kam er ihm nicht irgendwie bekannt vor?
»Na so was aber auch, oje, was habe ich bloß für ein Pech?«, sagte Präsident Aleko. »Wo ich doch grundsätzlich nie Interviews gebe.«
Alles ging nach Plan. Trotz des ekligen Wetters hatte er glänzende Laune. Agnes war brillant in ihrer Rolle als Krisenmanagerin.
»Aber ja, ich kenne Sie aus Addis, Herr Korrespondent, natürlich können Sie mir ein, zwei Fragen stellen, wo wir uns nun schon über den Weg gelaufen sind.«
Samuel Duma brauchte kurz, um zu begreifen, wen er da vor sich hatte. Aber er erholte sich rasch wieder.
»Wie schön, Herr Präsident. Dann lautet meine erste Frage: Warum haben Sie versucht, einer ganzen Welt Dinge vorzugaukeln, die nicht wahr sind?«
Ganz und gar nicht der Auftakt, den Aleko sich vorgestellt hatte.
»Das verstehe ich nicht«, sagte er. »Kommen Sie denn nicht gerade von Ihrem Einsatz für den investigativen Journalismus wieder, Kondoren hin und zurück? Ist mir etwas entgangen? Haben Sie sich verflogen?«
»Herr Präsident, ich habe eine Reihe von Bildern und dazu ein Video, wie Ihre lächerliche Holzfassade umgeweht wird und so ziemlich der erbärmlichste Flughafenterminal von ganz Afrika zum Vorschein kommt. Sie haben versucht, mich für Ihre Zwecke einzuspannen. Meine Frage lautet: Warum? «
Aleko hörte die Lobgesänge verstummen. Mistwetter! Alles Mist! Die Gedanken jagten ihm mit Tempo hundert durch den Schädel. Bot sich als Alternative an, den Korrespondenten auf der Stelle anzuspringen und zu erschlagen?
Duma sah, wie erschüttert der Präsident war.
»Sie versuchen doch nicht etwa, sich auf die Schnelle eine Erklärung auszudenken? Sie können mir glauben, das wird Ihnen nicht gelingen. Ich habe gesehen, was ich gesehen habe, ich habe Aufnahmen davon im Kasten und auch schon den Vorspann des Artikels formuliert, den ich schreiben werde. Ihnen, Herr Präsident, bleibt nichts anderes übrig, als zuzugeben …«
Weiter kam Samuel Duma nicht, weil er unterbrochen wurde.
»Fünfundzwanzigtausend«, sagte Aleko. »Dollar natürlich.«
»Wofür?«, fragte Samuel Duma verwundert.
»Hab ich fünfundzwanzigtausend gesagt? Ich meinte fünfzig. Ungefähr drei Jahresgehälter, oder?«
Aleko dachte, dass kaum einer so gut im Bestechen war wie er.
»Ich würde eher sagen, fünf Jahreslöhne, Herr Präsident. Oder fünfzig, wenn ich Bauer auf den Kondoren wäre.«
»Die Bauern auf den Kondoren sind nur Idioten. Aber von Ihnen nehme ich das nicht an. Ich glaube, heute kann der beste Tag Ihres Lebens werden. Kommen Sie, schlagen Sie bei glatt hunderttausend ein. Ich habe zu Hause noch einiges zu erledigen und würde gern aufbrechen, bevor das Wetter zu schlecht wird. Vorher möchte ich bloß diese missliche Angelegenheit aus der Welt schaffen.«
Samuel Duma sagte, das ginge ihm ebenso. Wenn der Präsident gestatte, wolle er seinen Artikel so schnell wie möglich fertig schreiben.
»Ach, und da kommt ja schon mein Taxi. Besten Dank für das Interview, Herr Präsident. Und viel Glück für den Rest Ihres Lebens. Leben Sie wohl.«
Sagte Samuel Duma, trat in den Regen hinaus, stieg ins Taxi – und verschwand. Hunderttausend Dollar waren für jeden beliebigen südafrikanischen Auslandskorrespondenten immens viel Geld. Aber an Samuel Dumas Ehre hing kein Preisschild.
Der Hubschrauberpilot hatte die übliche Routine durchlaufen, sein Fahrzeug abgestellt und ausgeschaltet und die Sicherheits-Checkliste abgehakt. Nun kehrte er in sein Büro zurück. Im Warteraum stand Präsident Aleko.
»Guten Tag, Herr Präsident«, sagte der Pilot. »Alles gut?«
»Halt die Klappe«, sagte Aleko. »Wie konntest du so scheißdämlich sein, den Korrespondenten zurückzufliegen, nachdem er gesehen hatte, was er gesehen hat?«
Der Pilot hatte schon so eine Ahnung gehabt, dass der Tag übel enden würde. Aber was hätte er schon groß tun können?
»Was hätte ich denn tun können?«, erwiderte er.
»Zuerst einmal einen Absturz ins Meer«, sagte Aleko. »Oder wenigstens den Passagier aus fünfzehnhundert Metern Höhe rausschubsen. Egal was, nur das eine nicht!«
Der Hubschrauberpilot verfügte über ein eingebautes Taxameter für diverse Bestechungsgrade bei unterschiedlichen Anlässen. Er fand nicht, dass ihn seine bisherige Ausbeute dazu motivierte, sich selbst, seinen Hubschrauber und einen Passagier ums Leben zu bringen. Und die Hebel auch nur eine Sekunde im Sturmwind sich selbst zu überlassen und einen Mitreisenden rauszuschubsen, nein, das wäre für alle Beteiligten nicht gut ausgegangen.
»Außer für mich«, murrte Aleko. »Jetzt wirf deine Scheißmaschine an und flieg mich nach Hause.«
»Nicht bei dem Wetter, Herr Präsident«, sagte der Pilot. »Das ist viel zu gefährlich.«
Aber Aleko hatte nicht vor, in einem Wartezimmer zu übernachten. Er warf dem Piloten einen Blick zu, der sich gewaschen hatte.
»Aber vielleicht klart es ja auf, wenn wir Glück haben«, sagte der Pilot. »Wir starten in drei Minuten.«
»In zwei«, sagte Aleko.
***
MONROVI-MOMBASA (The Daily Sun ). Vor sechzehn Tagen sorgte Präsident Aleko von den Kondoren in Addis Abeba für eine Sensation, als er zum Krieg seines Landes gegen die Korruption aufrief.
Schlagartig schenkte er einem ganzen Kontinent neue Hoffnung und ließ sich von den UN und dem Präsidenten der USA in die Arme schließen.
Doch Aleko täuschte sie alle. Ihm eilte der Ruf voraus, korrupt, zynisch und betrügerisch zu sein.
The Daily Sun deckt auf, dass dieser Ruf der Wahrheit entspricht.
Die nebenstehenden Bilder sprechen für sich. Keine drei Wochen ist es her, als Präsident Aleko bei seiner aufsehenerregenden Antikorruptionsrede einen neuen, glänzenden Flughafenterminal ankündigte. Und das in Anwesenheit aller Machthaber Afrikas, des amerikanischen Präsidenten Obama und des UN-Generalsekretärs Ban Ki-moon.
Doch der Terminal war lediglich eine hölzerne Attrappe. Die von einem kräftigen Windstoß umgeweht wurde.
Präsident Aleko gab The Daily Sun ein Exklusivinterview, in dem wir ihn mit der Wahrheit konfrontierten. Der Präsident bemühte sich nicht um eine Erklärung. Stattdessen unternahm er drei Versuche, den Zeitungskorrespondenten zu bestechen. Als wir ihn darauf hinwiesen, dass die angebotenen Summen erstaunlich hoch seien, und sie damit verglichen, was jeder ehrliche Kondorianer eigentlich in dem Land verdient, das Aleko regiert, verhöhnte er seine Staatsbürger und bezeichnete sie als Idioten.
Ein ausführlicher Bericht folgt in der morgigen Ausgabe.
SAMUEL DUMA
***
Die viel zu früh einsetzende Regenzeit schien sich wieder davonmachen zu wollen, so als könne sie sich nicht entscheiden. Der Hubschrauberpilot landete sicher auf dem Gelände des Präsidentenpalastes, setzte den Passagier ab und verzog sich mit dem sicheren Gefühl, dass die Tage des Präsidenten gezählt waren. Es wurde wohl Zeit, um Vorkasse zu bitten. Und das Geld vielleicht seiner Frau in die Hand zu drücken, mit dem Tipp, auf einen kräftig abgewerteten kondorischen Franc zu spekulieren.
Als Aleko den Raum betrat, in dem sich der harte Kern normalerweise versammelte, waren Agnes, Günther, Herbert, Johan und Petra schon da und sahen fern. Der amerikanische Nachrichtensender CNN hatte vier Fotos und ein Video eingekauft. Auf allen war ein gefakter kollabierender Flughafenterminal zu sehen. Es wurde wörtlich aus dem Artikel in der südafrikanischen Zeitung zitiert, einschließlich des Interviews mit dem Präsidenten persönlich – der seine Bevölkerung als Idioten bezeichnete. Gefolgt von drei kurzen Interviewclips mit Kondorianern, die seit Wochen in Addis Abeba festsaßen, weil ihr Rückflug in letzter Sekunde ausgefallen war. Alle drei sagten, sie wollten nicht mehr von einem regiert werden, der sie nicht respektierte und erwiesenermaßen nur log und betrog. Dann ein neuer Clip mit der Ankündigung des kondorischen Außenministers, dass Korruption auf der Insel ab sofort komplett verboten sei.
Schweigend und mit regennassen Haaren sah sich der Präsident den vernichtenden CNN -Bericht an. Bis der Videoclip mit Johan zu Ende war.
»Schmiergeld anzunehmen, war ja wohl schon immer verboten, oder? Wie konnte die beknackte Schwester meiner Frau dich in die Sendung lassen, damit du so was zum Besten gibst?«
Johan konnte seinen Vater nicht anlügen.
»Ich hab ihr einen Hunderter zugesteckt.«
Der anschließende Anruf von Ban Ki-moon machte Alekos Tag erst perfekt. Der Generalsekretär erklärte, dass Johan Löwenhult nicht länger als Antikorruptionsgeneral infrage käme, und was den Präsidenten betraf, so könne er sich seine Börse sonst wohin stecken. Solch eines Sprachgebrauchs hatte sich Ban Ki-moon in jahrzehntelangen diplomatischen Diensten noch nie bedient, aber er hatte keine andere Wahl, da der Diplomatie die Worte fehlten, um das auszudrücken, was er empfand.
Der Anruf des Generalsekretärs erinnerte Johan an die Telefonnummer, die er von seinem Vater bekommen hatte und die zu dem amerikanischen Hollywoodschauspieler führte.
»Ich finde die Stimmung unnötig gedrückt«, sagte er. »Soll ich nicht vielleicht George Clooney anrufen? Der hatte doch so nette Sachen über uns zu sagen.«
»Gute Idee«, sagte Petra ironisch.
Johan strahlte.
»Wirklich?«
»Nein.«