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Polizeirevier Alteneck. Kaffeeküche
» D er Möller ist wieder in Bestform heute, hm?«, wandte sich Felix eine knappe halbe Stunde später grinsend an Jan Lange, der am Tresen im Empfangsbereich des Reviers seinen Dienst versah – vermutlich hatte ihn Möller ganz bewusst auf diesen wenig ruhmreichen Posten verfrachtet, den Jan deutlich häufiger übernehmen musste als Kollegen gleichen Dienstranges – auch das eine klare Ansage Möllers. Jan war nur ein paar Jahre jünger als Felix, aber der hoch aufgeschossene, drahtige Mann mit den stets zerwuschelten, rötlichen Haaren und dem schiefen Grinsen erinnerte Felix immer an einen Lausbuben, der gerade etwas ausgefressen hat. Und nur so tut, als schäme er sich dafür.
»War ja nicht anders zu erwarten«, antwortete Jan gleichmütig. »Hat dich der große Zampano denn wenigstens ebenfalls noch ordentlich zur Schnecke gemacht?«
»Klar doch, Jan. Immerhin habe ich mich erfrecht, während seiner Ausführungen kurz ein wenig … in Gedanken zu versinken.«
»Und da geht sie hin, die nächste Beförderung, wie? Willkommen im Club!«
»Vermutlich, ja. Aber wenn es nach mir ginge, sollte der Möller beim Befördern sowieso erstmal an dich denken. Du bist bei Weitem der fähigste Hotelportier, den ich je gesehen habe, Jan. Wenn du so weitermachst, wird vielleicht mal noch ein richtiger Polizist aus dir.«
»Arschloch«, sagte Jan lachend und boxte Felix in den Oberarm. »Also, was willst du?«
»Diese Vermisstensache.«
»Ach, hör doch auf, Felix. Du hast doch vorhin selbst gehört, was der Möller dazu meint, und immerhin gehörst du ja im Gegensatz zu mir armem Würstchen durchaus zum inneren Kreis seiner erlauchten Sonderkommission – oder warst du da auch wieder in Gedanken versunken
»Nein«, sagte Felix. »Hab ich gehört, laut und deutlich. Laut Möller ist es ja auch reiner Zufall, dass zwei der Opfer eine körperliche Behinderung hatten. Die Sache interessiert mich aber trotzdem. Und was der Möller nicht weiß …«
»Macht ihn nicht heiß«, vollendete Jan den Satz. »Könnte es aber. Wenn er davon erfährt.«
»Wird er aber nicht, okay? Lass mich einfach mal einen Blick in die Anzeige werfen und sollte mir heute nach Dienstschluss langweilig sein, rufe ich vielleicht mal diese Schwester an, die den Mann vermisst gemeldet hat. Rein zufällig natürlich.«
»Langweilig? Während ihr an dieser Mordserie ermittelt? Deine Nerven möchte ich haben.«
»Wenn es denn was zu ermitteln gäbe, Jan. Wir warten immer noch auf die Ergebnisse aus der Spurensicherung, der dritte Mann ist bisher nicht identifiziert und was den Täter betrifft … da wissen wir auch nicht mehr als nach dem ersten Mord. Ich denke, der Täter weiß sehr genau, was er tut – und wo unsere Grenzen liegen.«
»Hm«, brummte Jan. »Und er selbst scheint inzwischen jede Grenze längst überschritten zu haben. Wenn ich mir die Fotos von den Opfern anschaue … meine Güte, da braucht man wirklich einen starken Magen. Und es wird jedes Mal schlimmer, scheint mir.«
»Ach, du hast dir die Fotos angeschaut?«, fragte Felix interessiert.
»Ja, ich weiß schon, nicht meine Baustelle, alles top secret , wenn’s nach Möller geht. Aber ich dachte mir, hey, Alteneck ist ja nur ’ne Kleinstadt, und vielleicht fällt mir irgendwas auf. Vielleicht, um das dritte Opfer zu identifizieren, oder ein Hinweis auf den Täter. Kann ja nicht schaden.«
»Eigentlich eine gute Idee«, sagte Felix nachdenklich, während er die Anzeige studierte, die Jan inzwischen vor ihm auf den Tresen gebreitet hatte.
Vermisst wurde Ulrich Seeger, 41 Jahre alt, männlich, wohnhaft in Alteneck, in der Föhrenbrok-Siedlung – unweit der alten Ziegelei, wie Felix auffiel. Laut der Aussage seiner Schwester, einer gewissen Helene Seeger, die ihn vermisst gemeldet hatte, war der Mann längere Zeit in einer Nervenklinik in medizinischer Behandlung gewesen, vor zwei Jahren entlassen worden und seitdem ganz auf die Betreuung durch seine Schwester angewiesen, in deren Haus er gezogen war.
Sie besorgte den Haushalt, erledigte seine Einkäufe und – das Wichtigste – sorgte dafür, dass er regelmäßig seine Medikamente nahm. Als sie heute vom Einkaufen nach Hause gekommen war, hatte sie ihn dort nicht angetroffen und nach einer kurzen Suche im Umkreis des Hauses die Polizei telefonisch verständigt und die Anzeige zu Protokoll zu geben.
»Jetzt weißt du, wieso ich da vorhin wie ein aufgeregter Grundschüler in eure SoKo-Versammlung geplatzt bin«, seufzte Jan. »Aber der Möller sitzt nun mal auf dem Fall wie die sprichwörtliche Glucke auf ihren Eiern. Der würde die ganze Sache vermutlich am liebsten ganz unter den Tisch kehren, um ja bloß die zahlungskräftigen Touristen nicht zu verschrecken.«
Felix nickte düster, dann wandte er sich zum Gehen. »Ich muss weg«, sagte er zu Jan. »Komme aber vor Feierabend noch mal rein.«
»Was?«, rief ihm Jan hinterher. »Und was soll ich denn dem Möller sagen, wenn er fragt, wo du bist?«
Felix zuckte mit den Schultern. »Sag ihm, ich ermittle.«
Dann ging er.