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Ein Keller
D as Erwachen des Mannes gestaltete sich ausgesprochen schmerzhaft, aber das war nur im ersten Moment wichtig. Dann kam die Angst und die Angst spülte alles andere fort. Drohte, zu einer Panik zu werden, die der Mann mit Mühe niederkämpfte. Er hatte bereits Erfahrung darin, seine manchmal aufbrausenden Angstgefühle unter Kontrolle zu bringen, aber das machte den Kampf nie leichter. Seine Panik war ein Monster, das seinen Verstand auffraß, Stück um Stück, bis fast nichts mehr davon übrig war. Und dann würden die Stimmen kommen, und sich den Rest von ihm holen.
Still jetzt , mahnte er sich selbst.
Obwohl ihm die flatternden Lider immer wieder zuzufallen drohten – wie konnte man panisch und gleichzeitig so unsagbar müde und erschöpft sein? – kämpfte sich sein Bewusstsein immer wieder ans Licht wie ein Schwimmer, der vom Grund eines Sees zur Oberfläche aufsteigt, jeder Meter ein Wettkampf der drückenden Wassermassen über ihm gegen die verbleibende Luft in seinen Lungen. Und die Panik, die dabei nach den zappelnden Füßen des Schwimmers greift wie Tentakel, die ihn wieder hinunterzerren wollten in die kalten, stummen Tiefen.
Hinab, hinab.
Mit einer letzten Kraftanstrengung durchbrach der Mann gleichsam die Wasseroberfläche, riss die Augen weit auf und – starrte in das Licht. Aber es war nicht sein Licht. Nicht das Licht, das in schrägen Strahlen in sein Zimmer fallen sollte, hell und von goldenen, tanzenden Staubpartikeln erfüllt. Das hier war nicht sein Licht, denn es war nicht sein Zimmer. Er hatte einen Traum gehabt, einen schrecklichen, bösen Traum. Der vielleicht doch kein Traum gewesen war.
Denn er war in einem Zimmer erwacht, das er nicht kannte.
Die zerwühlte Decke und das Bett, auf dem er jetzt lag, hatte er noch nie zuvor gesehen, auch nicht die sterile weiße Bettwäsche, mit der es bezogen war und die sich viel zu hart anfühlte und rau, wie von zu vielen Wäschen steif geworden – Seine richtige Bettwäsche war mit Traktoren gemustert, und es beruhigte ihn immer, diese anzuschauen. An der reinweißen Bettwäsche war überhaupt nichts Beruhigendes – nicht auszudenken, wenn er da einen Fleck drauf machte! Wo waren die Traktoren hin? Was war das für ein hässlicher, schmutziger Teppich, der den Boden bedeckte, weinrot und von dunklen Flecken übersät. Er empfand diese Farbe als ausgesprochen beunruhigend, alarmierend – das war noch schlimmer als das klinische Weiß des Lakens und der Bettdecke. Weil Rot die Farbe von Blut ist, dachte er und spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte. Die Stahlregale an den Wänden, die schmutzverkrustete Werkbank davor, das alles sah er zum ersten Mal. Und jedes einzelne dieser Elemente schien ihn anzuschreien.
Auch die Dinge, die sich auf der Werkbank befanden. Da waren Geräte und etwas, das aussah wie Einmachgläser. Solche, in denen seine Mutter früher Pflaumenkompott aufbewahrt hatte und manchmal Pfirsiche. Er hatte die Pfirsiche immer ganz besonders gemocht, mit viel Zucker. Er mag Pfirsiche mehr als alle anderen Früchte, vielleicht mag er sie sogar mehr als seine Pillen.
Seine Pillen , dachte er und sah sich nochmals panisch um. Sie waren nicht hier.
Er wandte den Kopf, sah auf den kleinen Nachttisch neben dem Bett. Keine Röhrchen, und auch nicht die Plastikschale mit den kleinen Fächern, in denen die bunten, kleinen Pillen für morgens, mittags und abends lagen. Nicht auf der Werkbank und, soweit er das von seiner liegenden Position aus erkennen konnte, auch nicht auf dem Stahlregal.
Die Pillen waren nicht da!
Da stieg sie wieder in ihm auf, die Angst. Sie war dem Schwimmer gefolgt, als dessen Kopf – schon siegesgewiss – die Wasseroberfläche durchbrochen hatte, und sein Mund frische Luft in die Lungen saugte in dem Glauben, jetzt sorglos zurück ans sichere Ufer schwimmen zu können. Doch da schnappten die Tentakel nach seinen Füßen. Bevor er auch nur annähernd in Sicherheit war, packten sie ihn und rissen ihn hinab in die Tiefe, wo sie auf ihn warteten, die ganze Zeit geduldig gewartet hatten. Die Stimmen. Denn seine Pillen waren nicht hier, doch er brauchte seine Pillen, um nicht unterzugehen. Er brauchte sie dringend.
Der kalte Schweiß brach ihm aus, zuerst unter den Achselhöhlen und zwischen den Beinen, dann auf der Stirn und am Rücken, dann überall. Zitternd lag er zusammengekrümmt auf dem Bett, wie ein Baby, wie ein schutzloses Kleinkind. Er versuchte, seinen gewaltigen Körper auf der Matratze herumzuwuchten, doch das funktionierte nicht; seine Hand- und Fußgelenke waren an das Bett gefesselt worden. Das hatte er bisher noch nicht einmal bemerkt.
Die Panik nahm ihn ganz in Besitz. Er wollte schreien, doch aus seinem Mund kam lediglich ein trockenes Krächzen. Die Stimmen würden nun nicht mehr lange auf sich warten lassen . Aber wenigstens würde er dann wissen, was zu tun war. Die Stimmen würden es ihm sagen. Er würde nicht tun wollen, was die Stimmen von ihm verlangten, doch er wusste, dass es keinen Zweck hatte, zu versuchen, ihnen zu trotzen. Nicht ohne seine Pillen.
Als ihm das klar wurde, gelang es ihm doch, zu schreien. Er schrie, bis er heiser war, und den metallischen Geschmack von Blut in seinem Rachen schmeckte. Er schrie, bis seine Stimme endlich brach und er nur noch heiser krächzen konnte.
Dann kamen die Stimmen und sagten ihm, was zu tun war.