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Alteneck, Wallkamp-Siedlung. Haus von Helene Seeger
A ls Felix am nächsten Morgen vor dem kleinen, einstöckigen Einfamilienhaus in der Wallkamp-Siedlung stand, unterdrückte er ein heftiges Gähnen, während er die Szenerie auf sich wirken ließ. Ein altes Haus, eines von denen, die noch das originale Rieddach trugen, das immer dafür sorgte, dass das Gebäude ein wenig an einen seltsam geformten Steinpilz erinnerte, dessen Stiel von dem schweren Hut in die Breite gedrückt worden war. Das Haus war offenbar erst vor Kurzem liebevoll rekonstruiert worden. Ein kleiner Vorgarten, in dem allerlei blühte und spross, ergänze das anheimelnde Erscheinungsbild, ohne kitschig zu wirken. Man hatte den Pflanzen ihren natürlichen Wildwuchs gelassen, anstatt sie allerorts zu stutzen, damit sie irgendwelchen wahnwitzigen geometrischen Vorgaben entsprachen.
Felix mochte es hier sofort, stellte er fest, und damit besserte sich sogar seine Laune um ein paar Grad. Er hätte heute Morgen gern noch ein wenig länger geschlafen – einerseits, weil ihm immer noch jede Menge Schlaf fehlte, nachdem er endlich und viel zu spät in einen unruhigen Schummer hinübergeglitten war. Andererseits, weil er zur Stunde noch immer mit den Nachwirkungen eines nicht unbeträchtlichen Katers kämpfte. Und leider war der übermäßige Alkoholgenuss nur eines von den vielen Dingen, die er gern rückgängig gemacht hätte, was den gestrigen Abend betraf.
Mit einem unterdrückten Seufzer öffnete er die hüfthohen Gartenpforte, trat hinein in das blühende Grün, und drückte auf den Klingelknopf neben der niedrigen Haustür.
Auch heute Morgen war Saskia nicht aus dem Schlafzimmer gekommen – kein Wunder, sie hatte ja im Gegensatz zu ihm auch niemandem versprochen, vor der Arbeit noch vorbeizuschauen, und das morgens um sechs – er hatte es tunlichst unterlassen, an ihrer Tür zu klopfen. Für mehr als eine flüchtige Katzenwäsche und ein bisschen Zähneputzen, das hoffentlich den abgestandenen Alkoholgeruch einigermaßen übertünchen würde, hatte es nicht gereicht.
Auf der anderen Seite der Tür hörte Felix jetzt Schritte, die auf die Tür zukamen, dann wurde geöffnet und er stand einer Frau gegenüber. Sie ist hübsch, war das erste, das Felix durch den Kopf ging, als er sie sah, und das war unbestreitbar. Ihr schulterlanges Haar hatte die Farbe von Sommerhonig, in dem sich das Sonnenlicht bricht, mit vereinzelten helleren Strähnen. Sein Lieblingsblond, dachte er. Sanfte, nussbraune Augen, groß und aufmerksam, mit langen Wimpern. Und vielleicht einer Spur von Traurigkeit, wie sie da zu ihm heraufschaute. Und dann musste er sich doch korrigieren bei näherem Hinsehen. Nicht, was ihre Attraktivität betraf, aber ihr Alter. Sie war fraglos wenigstens schon Mitte Dreißig, das verrieten ihm die winzigen, kaum sichtbare Fältchen, die sich um ihre Augen legten, als ihre Lippen sich zu einem beinahe schüchtern wirkendem Lächeln verzogen. Aber das tat ihrer unaufdringlichen Schönheit keinen Abbruch, im Gegenteil. Und im Gegensatz zu ihm sah sie auch nicht aus, als hätte man sie gerade halb besoffen aus dem Bett gezerrt.
»Hallo«, sagte Felix. »Hauptkommissar Felix Hübler. Sie sind Helene Seeger?«
Dämliche Frage , dachte er im nächsten Moment und unterdrückte ein Grinsen. Immerhin hast du ja gerade bei ›Seeger‹ geklingelt, oder nicht? Und nach einem Ulrich sieht das Mädel ja nun wirklich nicht aus.
»Ja«, sagte sie. Ihre Stimme war angenehm. Leise, dabei aber klar und ungekünstelt. »Dann sind Sie es, der mich gestern angerufen hat, nehme ich an?«
Felix nickte.
»Schön, dass Sie kommen konnten. Kommen Sie doch bitte rein. Möchten Sie einen Kaffee?«
»Liebend gern«, sagte Felix aus ganzen Herzen und betrat das Häuschen. Man hatte bei der Rekonstruktion offenbar darauf verzichtet, das Haus mit gigantischen Panoramafenstern zu verschandeln wie manch andere entlang der Strandpromenade, und so hatte sich auch dieses, genau wie der Garten, seinen ursprünglichen Charme bewahren können, weshalb es im Inneren zwar ein wenig dunkel, aber sehr gemütlich war. Helene Seeger hatte sich große Mühe gegeben, das Haus wohnlich einzurichten, ohne es in Muschelschalen, Leuchttürmen aus Gips und ähnlichem Kitsch vollzustopfen, wie er in den meisten Ferienwohnungen für Touristen zu finden war.
»Ist das echt?«, fragte Felix und deutete auf ein hölzernes Steuerrad, das im Flur von der Decke hin und mit dezenten Lampen ausgestattet war, sodass es jetzt als eine Art Kronleuchter diente.
»Oh ja«, sagte Helene. »Das stammt noch von meinem Urgroßvater. Der war Kapitän, auf einem richtigen Segelschiff. Als sie es abgetakelt haben, durfte er das Steuerrad behalten. Als Andenken an die Jahre auf See.«
»Wow«, sagte Felix, während er Helene in die Küche folgte.
»Ich hatte auch mal ein kleines Segelboot«, sagte Felix. Zumindest bis Saskia der Meinung war, ich sollte mich unbedingt von dem angeblich kreuzgefährlichen Ding trennen , dachte er. Inzwischen habe ich allerdings den Verdacht, dass es reine Eifersucht war, weil ich manchmal lieber auf dem Boot war als mit ihr zusammen.
»Wirklich?«, fragte Helene Seeger, drehte sich um und schenkte Felix ein kleines Lächeln. »Stelle ich mir toll vor, einfach mal die Segel zu setzen und ein Stück aufs Meer hinauszufahren. So weit, bis man das Ufer nicht mehr sehen kann.«
»Ja«, seufzte Felix. »Das war es auch. Aber inzwischen hab ich’s verkauft. Können Sie segeln?«
»Nein, leider gar nicht. Mein Großvater hat mir aber ein paar dieser Knoten beigebracht, die man kennen muss. Sie wissen schon, zum Anlegen.«
»Klar, kenn ich. Palstek, Mastwurf, einseitig lösbarer Stopperstek und so.«
»Genau«, sagte sie mit einem leisen Lachen, aus dem Felix eine Spur Nervosität herauszuhören glaubte. »Aber ich bin trotzdem noch nie auf einem Boot gewesen. Komisch für jemanden, der das Meer praktisch vor der Haustür hat, finden Sie nicht?«
»Nicht wirklich. Und, wo Sie doch schon mal die Grundlagen beherrschen, können Sie es sich ja jederzeit noch anders überlegen.«
»Stimmt«, sagte sie lächelnd, dann traten sie in die Küche.
Felix entwich ein dankbares Seufzen, als er sah, dass sie bereits Kaffee angesetzt hatte, gerade fielen die letzten Tropfen durch den Filter in die Kanne. Sie holte zwei große Pötte aus dem Schrank, stellte sie auf den Küchentisch, an dem Felix jetzt Platz nahm, und schenkte ihnen beiden ein, bevor sie sich ihm gegenüber an den Tisch setzte. Jetzt, da Felix sie im Licht der Küchenlampe betrachtete, bemerkte Felix, wie dünn sie war. Man konnte es gerade noch als schlank bezeichnen, aber der niedergeschlagene Ausdruck in ihren Augen deutete darauf hin, dass es ihr wirklich nicht gut ging. Vermutlich hatte sie seit dem Verschwinden ihres Bruders keinen Bissen heruntergebracht, und das war etwas, das Felix ihr nur zu gut nachfühlen konnte. Sie trug einen Strickpulli, der ihr zwei Nummern zu groß zu sein schien und den sie immer wieder um ihren Körper schlang, als sei ihr kalt, obwohl es in der Küche gemütlich warm war. Aus den viel zu langen Ärmeln schauten nur die Spitzen ihrer feingliedrigen, schlanken Finger hervor, als sie nach der Kaffeetasse griff.
»Schmeckt er?«, fragte sie mit einem Kopfnicken in Richtung des Kaffees. Felix nippte daran. »Gut«, sagte er dann. »Und stark. Wunderbar.«
»Freut mich. Wenn Sie Zucker möchten, oder Milch …«
»Nein danke, das würde ihn nur verderben.«
Sie lächelte flüchtig, bevor ihr Gesicht wieder traurig wurde – und irgendwie ein bisschen entrückt. »Das hat mein Urgroßvater auch immer gesagt.«
»Der Kapitän vom Segelboot?«
Sie nickte mit einem traurigen Lächeln. »Genau der.«
Felix wünschte sich, er wäre tatsächlich nur hergekommen, um mit ihr Kaffee zu trinken und über ihren Urgroßvater zu plaudern. Das hätte er dem wahren Grund seines Hierseins jedenfalls bei Weitem vorgezogen. Helene schien seine Gedanken zu lesen, als sie sagte: »Ich danke Ihnen, dass Sie vorbeigekommen sind, wegen …« Sie stockte. »Wegen Ulrich. Wirklich, das weiß ich sehr zu schätzen. Ich habe letzte Nacht kaum ein Auge zugetan vor Sorge.«
Felix nickte.
»Also, was kann ich tun, um Ihnen bei der Suche zu helfen?«
Dazu müsste es ja erstmal eine Suche geben , dachte Felix, aber er verkniff sich diesen Kommentar. »Erzählen Sie mir von sich und Ihrem Bruder. Alles, das Ihnen einfällt und das uns irgendwie weiterhelfen könnte. Seine Gewohnheiten, den Tagesablauf, einfach alles.«
Sie nickte und begann zu erzählen – auf diese unaufgeregte und manchmal beinahe schüchterne Weise, die Felix ein bisschen an Saskia denken ließ, bevor sie … bevor sie aus Hamburg zurück nach Alteneck gezogen waren. Bevor alles gründlich den Bach runtergegangen war. Und dann fragte er sich, wieso zum Teufel er jetzt überhaupt solche Vergleiche anstellte, abgesehen von dem Offensichtlichen: Den blonden Haaren und der unbestreitbaren Attraktivität beider Frauen.
Helene Seeger wohnte mit ihrem Bruder zusammen im ehemaligen Haus ihrer Eltern, die beide schon vor Jahren gestorben waren. Sie bewohnte das gesamte Erdgeschoss allein, und mehr Geschosse, abgesehen von einem geräumigen Dachboden, der lediglich als Rumpelkammer genutzt wurde, gab es hier auch nicht. »Da oben ist er nicht«, sagte Helene, als Felix zu einer entsprechenden Frage ansetzte. »Ich habe nachgesehen. Mehrfach. Er ist nicht im Haus, da bin ich ganz sicher. Natürlich ist er auch nicht in seinem Zimmer und das verlässt er eigentlich nur freiwillig, wenn wir spazieren gehen, was er nur mit mir gemeinsam macht. Er würde nirgendwo allein hingehen, schon gar nicht ohne seine Pillen, da hätte er viel zu viel Angst und seine Pillen waren noch da unten, es hat nur die Ration für den Morgen gefehlt, und … also, er …«
Helene Seeger geriet ins Stocken.
Felix nickte in seinen Kaffee und schwieg. Jahrelange Erfahrung im Verhörraum hatte ihn gelehrt, wann es besser war, zu schweigen. Immer dann nämlich, wenn sein Gegenüber von allein redete, so stockend das mithin auch geschah.
»Es ist ja nicht so«, fuhr Helene fort, »dass er gern in dem Zustand ist, in den er ohne die Pillen früher oder später gerät. Wenn er die Stimmen hört.«
»Die Stimmen?«, hakte Felix ein und gab sich Mühe, ganz beiläufig zu klingen. Wovon redet sie da? Welche Art von Pillen muss der arme Kerl denn schlucken und wieso ist bisher eigentlich niemand auf die Idee gekommen, das zu erfragen?
»Ulrich leidet unter paranoider Schizophrenie«, sagte Helene Seeger. »Wenn er keine Medikation erhält, beginnt er irgendwann, wieder Stimmen zu hören, die eigentlich nicht da sind. Deswegen war er jahrelang in klinischer Behandlung, bis man seinen Zustand soweit im Griff hatte, dass er einigermaßen zurecht kam – mit meiner Hilfe, natürlich. Aber … ich hätte alles getan, um ihn da raus zu holen, und es ging ihm ja auch besser hier. Natürlich hat er noch ein paar … spezielle Angewohnheiten und … Entschuldigung!«
Helene senkte den Kopf und presste ein vollkommen zerknülltes Taschentuch an ihre Augen, Tränen schimmerten auf ihren Wangen. Dabei rutschte der linke Ärmel ihres Pullovers hoch und gab den Blick auf etwas frei, das Brandnarben sein mochten oder vielleicht auch etwas Anderes. Nein , dachte Felix mit einem Anflug von Panik, ganz bestimmt etwas Anderes. Keine Brandnarben. Irgendwelche Verletzungen, die sie sich vielleicht als Kind beim Spielen geholt hat, aber keine Brandnarben. Das da sind eindeutig mal Schnittwunden gewesen, wie von einer Rasierklinge, die sie sich … Doch da hatte Helene Seeger den Arm schon wieder gesenkt. Jetzt starrte sie Felix aus tränenfeuchten Augen an.
»Entschuldigen Sie«, sagte sie wieder. »Es ist nur, ich mache mir solche Sorgen um ihn.«
»Das ist doch völlig verständlich, Frau Seeger. Aber ich kann Ihnen versichern, dass wir alles in unserer Macht stehende tun werden, um Ihren Bruder schnellstmöglich zu finden.« Das klang selbst in Felix’ Ohren verdächtig nach einer dahergesagten Floskel, obwohl er jedes Wort davon ehrlich meinte.
»Danke«, sagte Helene und schneuzte sanft in das durchweichte Taschentuch.
»Wo genau hier im Haus wohnt Ihr Bruder denn?«, fragte Felix, hauptsächlich, um das Thema zu wechseln.
»Unten, im Keller.«
»Wie bitte?«
»Er will das so, da fühlt er sich sicher, wissen Sie?«, sagte sie mit einem entschuldigenden Lächeln. »Er mag das kleine Fenster, und das er da nur ein bisschen Gras und den Himmel sehen kann. Das genügt ihm, sagt er. Auf die Straße hinausschauen zu müssen, wäre ihm viel zu hektisch.«
»Verstehe«, sagte Felix. »Hätten Sie vielleicht noch ein Foto von Ulrich? Das würde uns enorm weiterhelfen.«
Das brachte sie zum Lächeln. Was ein ausgesprochen wohltuender Anblick war, fand Felix, trotz der tränenfeuchten Augen. »Natürlich«, sagte sie und stand auf, um ins Nebenzimmer zu gehen. Kurz darauf kam sie mit einem Foto in den Händen zurück, das sie gemeinsam mit einem Mann von etwa dreißig Jahren und außergewöhnlich großem Körperwuchs zeigte, so als hätte die Natur versucht, seine geistige Einschränkung bei der Körpergröße wieder wettzumachen. Er hatte blondes, halblanges Haar und feine, beinahe feminine Gesichtszüge, die seinem Gesicht etwas unbestimmt Kindliches verliehen, obwohl er mindestens um die Dreißig sein musste, und einen schreienden Kontrast zu seiner Körpergröße bildeten. Wenn man beide Geschwister so neben einander stehen sah, war die Ähnlichkeit allerdings unverkennbar. Aber da war eine Leere im Blick des deutlich älteren Bruders und etwas, das Schüchternheit sein mochte, oder sogar ein Anflug von Angst. Felix beneidete Ulrich keinesfalls um dessen Geisteszustand. Vermutlich verbrachte der arme Kerl den halben Tag damit, sich davor zu fürchten, dass diese Stimmen zu ihm sprachen, irgendwelche Schattengestalten aus der Wand kamen oder die Welt vor seinen Augen aus den Fugen geriet. Ohne seine Medikamente musste dieser Mann wahrlich die Hölle auf Erden durchmachen.
»Ich kann auch schauen, ob ich eins finde, auf dem nur Ulrich zu sehen ist«, sagte Helene, aber Felix schüttelte nur den Kopf, während er weiter gedankenverloren auf das Foto blickte. »Nein, das Foto ist gut, Frau Seeger, danke.«
»Können Sie vielleicht auch Helene zu mir sagen?«, fragte sie mit ihrer sanften Stimme und Felix blickte auf. »Wenn Sie so förmlich mit mir reden, erinnert mich das immer wieder daran, warum Sie hier sind und …«
»Natürlich«, sagte Felix und streckte ihr die Hand hin. »Helene dann. Ich heiße übrigens Felix.«
»Der Glückliche«, sagte sie und drückte seine Hand.
»Wie bitte?«
»Das bedeutet Ihr Vorname«, erklärte Helene lächelnd. »Dass Sie vom Glück gesegnet sind.«
»Hm«, machte Felix und grinste schief zurück. Vom Glück gesegnet, na sowas. Bloß scheinen meine Schicksalsgötter davon bisher nicht all zu viel mitbekommen zu haben, oder meine Eltern haben sich bei der Namensauswahl tüchtig vergriffen.  Der Gedanke an seine Eltern ließ sein Grinsen augenblicklich in sich zusammenfallen.
»Alles in Ordnung?«, fragte Helene und streckte ihre Hand nach ihm aus, die jedoch nur bis zur Mitte des Tisches kam. »Sie sehen ein bisschen blass aus. War der Kaffee etwa zu stark?«
»Nee«, sagte Felix. »Der Kaffee ist prima. Hab nur schlecht geschlafen letzte Nacht, aber das soll mal nicht Ihre Sorge sein.«
Sie nickte, und Felix erhob sich, nachdem er das Foto von Helene und Ulrich Seeger in der Innentasche seines Jacketts verstaut hatte. »Ich fürchte, ich muss mich dann auch langsam mal auf dem Revier blicken lassen.«
»Natürlich«, sagte Helene und erhob sich ebenfalls, wobei sie peinlich darauf zu achten schien, dass ihr Ärmel nicht noch einmal hochrutschte. Vorsichtig ergriff er ihre schmale Hand zur Verabschiedung, und so standen sie eine Weile da, bis sie, einem Impuls folgend, einen kleinen Schritt auf ihn zumachte und ihn umarmte, einfach so. Für einen Moment stand Felix perplex und wie erstarrt, doch dann legte er sanft auch seinen Arm um sie. Roch den Duft ihres honigblonden Haars, das weich war und nach Äpfeln roch und ihn sanft an der Wange kitzelte. Stellte überrascht fest, wie zierlich ihr Körper, den sie jetzt mit sanftem Druck an den seinen presste, unter diesem dicken Pulli wirkte, unter dem sie, auch das entging ihm nicht, keinen BH trug. Und er bemerkte noch etwas, das ihn veranlasste, sich eilig von ihr zu lösen, obwohl er gern noch ein wenig länger so mit ihr hier gestanden hätte – er hatte einen kleinen Ständer bekommen. Das war natürlich ganz und gar unangebracht in einer solchen Situation, also trat er hastig einen Schritt zurück.
Exakt in diesem Moment begann sein Handy zu klingeln – die kindische 8-bit-Melodie wirkte auf Felix wie der mahnender Zeigefinger einer Anstandsdame – und er kramt es hastig aus seiner Jackettasche.
»Entschuldigung«, sagte er nach einem Blick auf das Display. »Das ist das Revier, ich muss dann auch wirklich …«
Mit einem letzten, dankbaren Nicken entließ ihn Helene und zog dann die Haustür hinter ihm ins Schloss, während er die ›Anruf annehmen‹-Taste drückte und eilig auf seinen Wagen zuschritt, so gut sich das in seinem Zustand der etwas eng gewordenen Hose machen ließ.
»Hübler«, brummte er in den Apparat.
Am anderen Ende war Bernd Möller, offenbar ebenfalls in allerbester Morgenlaune. Der hat seine Tasse Kaffee offenbar auch schon gehabt , dachte Felix. Oder eher zehn Tassen. Möller brüllte irgendwas von wo er denn stecke und ob er heute überhaupt noch mal auf dem Revier zu erscheinen gedenke und dass das hier eine Arbeitsstelle sein und kein Hobbyverein und so weiter. Typisch Möller eben.
»Guten Morgen«, unterbrach ihn Felix mit betont gelassener Stimme. »Ich war gerade auf dem Weg ins Revier und …«
»Sparen Sie sich das!«, blaffte Möller und schon war Felix’ Gelassenheit dahin. Irgendetwas Braunes hat den Lüfter getroffen, und das ist sicher kein Kaffee gewesen. »Kommen Sie in den Dünenforst, aber ein bisschen dalli, wenn ich bitten darf.«
»Ja, und wo genau soll ich da hin?«
»Oh, folgen Sie einfach dem Blaulicht, so groß ist das Wäldchen ja nicht. Dann werden Sie schon sehen.«
»Dem Blaulicht?«
»Ja, Hübler, dem Blaulicht. Wir haben hier einen neuen Tatort und drei Mal dürfen Sie raten, auf wessen Konto der geht. Der Verstümmler hat wieder zugeschlagen!«
»Scheiße …«, ächzte Felix in den Hörer, dann beendete er das Gespräch und machte, dass er zu seinem Wagen kam.