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Polizeirevier Alteneck, Kriminaltechnisches Labor
» D ann darf man also quasi zur Beförderung gratulieren«, sagte Dr. Volkmar Vogel, Leiter der Spurensicherung, an Jan gewandt, mit hochgezogenen Augenbrauen. »Leiter der Ermittlungen im Fall ›Alte Ziegelei‹, nicht schlecht, mein Lieber!«
»Wie man’s nimmt«, antwortete Jan mit einem schiefen Grinsen. »Ich habe immer noch den selben Dienstgrad wie seit fünf Jahren. Keine Ahnung, was da in den Möller gefahren ist, mich zum stellvertretenden Ermittlungsleiter zu machen, und wieso er stattdessen einen erfahrenen Polizisten wie Felix suspendiert.«
»Beurlaubt«, korrigierte Vogel. »Vorerst. Was man so hört.«
»Wie auch immer. Aber soll ich ehrlich sein? Ich habe keine Ahnung, wo ich überhaupt anfangen soll bei diesem Fall. Ich stehe wie vor einer Wand. Überall Hinweise, auf die ich mir keinen Reim machen kann, und dann noch die Presse in meinem Nacken, von Möller ganz zu schweigen.«
»Der Ausrutscher mit der Presse, so hört man, soll ja zu einem nicht unbeträchtlichen Teil auf den geschätzten Kollegen Hübler zurückgehen.«
»Das kann ja sein«, sagte Jan seufzend. »Aber der wollte die Leute doch nur warnen. Ihm da jetzt einen Strick draus zu drehen, ist doch nicht fair.«
»Vermutlich solltest du es als Chance begreifen. Wenn du diesen Fall löst, als neuer Leiter der Ermittlungen …«
»Wird Möller sofort zur Stelle sein, um die entsprechenden Interviews zu geben und die ganzen Lorbeeren einzuheimsen.«
»Zweifellos«, bestätigte Vogel lächelnd. »Aber dann wird man auch dich nicht mehr ignorieren können, zumindest intern. Deine nächste Beförderung wäre dann keine Möglichkeit mehr, sondern sozusagen schon eine Tatsache.«
»Ja, und wenn etwas schief geht …«
»… hat Möller auch schon einen, dem er’s in die Schuhe schieben kann, ganz recht. Aber so läuft das nun mal.«
»So allmählich glaube ich, dass ich begreife, wieso er von allen Kommissaren ausgerechnet mich zum Leiter der Ermittlungen gemacht hat statt einem seiner Speichellecker. Der Möller glaubt überhaupt nicht mehr dran, dass wir diesen Fall hier überhaupt noch sauber abschließen können, zumindest nicht in absehbarer Zeit.«
»Und damit darf ich wohl meinen zweiten Glückwunsch aussprechen«, sagte Vogel. »Soeben hast du deine erste wichtige Lektion der hohen Polizeiarbeit gelernt. Habe immer einen parat, den du vor’s Loch schieben kannst, falls die Sache in die Hose geht.«
»Na fantastisch«, stöhnte Jan. »Aber du wolltest doch sicher noch etwas Anderes von mir als mich darauf vorzubereiten, dass ich mich demnächst gemeinsam mit Felix beim Arbeitsamt anstellen darf?«
»Ach ja, ganz recht, Felix«, sagte Vogel, als sei ihm gerade erst wieder eingefallen, warum er Jan gebeten hatte, in die kriminaltechnischen Labore herabzusteigen – vermutlich war es auch kein Zufall, dass Möller darauf bestanden hatte, die Computerfreaks, wie er die Kriminaltechniker manchmal im Kreise seiner Getreuen zu nennen pflegte, im Keller einzuquartieren. Hier war es immer ein paar Grad kühler als in den anderen Zimmern, aber Vogel schien das nicht zu stören.
»Also«, sagte Vogel, an Jan gewandt. »Richte Felix bitte aus, falls du ihn siehst, dass er falsch lag mit seiner Vermutung.«
»Äh, ja, das werde ich«, sagte Jan mit hochgezogenen Augenbrauen. »Aber wenn ich schon gegen Möllers ausdrücklichen Befehl verstoße und mit Felix über Dienstliches reden soll, würde ich ganz gern wissen, worum es geht.«
»Da müsstest du schon Felix fragen, fürchte ich.«
»Hm. Wieso komme ich mir eigentlich gerade vor wie dein Laufbursche, Volkmar?«
»Auch das wird dir fraglos der Kollege Hübler erklären können. Und richte ihm bitte aus, dass er – obschon er mit seiner Vermutung falsch lag – mir einen wichtigen Hinweis geliefert hat und ich ihn deshalb dringend sprechen muss. Er weiß dann schon.«
»Ah, na wie überaus aufschlussreich. Werde ich dann demnächst noch Liebesbriefchen in Geheimschrift zwischen euch beiden austauschen müssen? Wieso rufst du ihn denn nicht einfach an?«
»Weil das gegen Möllers ausdrücklichen Befehl verstoßen würde, und ich ein bisschen an meinem Job hänge.«
»Und ich nicht oder wie? Du machst mich echt fertig, Volkmar.«
»Was soll ich sagen? Computerfreaks, so sind wir eben. Und sag Felix, der soll bloß nicht herkommen, sondern mich mal nach Dienstschluss abpassen und dafür sorgen, dass es zufällig aussieht. Alteneck ist ein verdammt kleiner Ort.«
»Mann, Volkmar. Schneid dir doch zwei Löcher in eine Zeitung und dann setzt ihr euch am besten ganz konspirativ mit dem Rücken zueinander auf eine Bank im Stadtpark!«
»Das«, sagte Vogel und machte ein bierernstes Gesicht, »ist gar keine so üble Idee.«