Pkw Felix Hübler
Z
wei Stunden später saß Felix draußen im Auto und schlug auf das Lenkrad ein, während eine ganze Litanei von Flüchen ausstieß. Dann hielt er inne, spähte zum Haus hinüber. Was, wenn Helene da hinter der Gardine steht und mit zusieht, wie ich mir hier alle Mühe gebe, meinen Airbag im Stand auszulösen?
Wobei das, falls es tatsächlich zutraf, im Moment zu seinen kleinesten Sorgen gehören dürfte. Was zur Hölle hat sie sich nur dabei gedacht?
, fluchte er innerlich. Sich da splitternackt vor mir auszuziehen und praktisch um einen Fick zu betteln? Scheiße! Und was zur Hölle habe
ich mir nur dabei gedacht, da mitzumachen?
Was ist los mit dir, Hübler?
Mit einiger Bestürzung wurde Felix klar, dass er, kaum zurück im Auto, in einer unbewussten Geste seinen Ehering aus dem Portemonnaie gezogen und wieder an den Ringfinger seiner rechten Hand gesteckt hatte. Wie sich das gehört für anständige Ehebrecher. Scheiße.
Aber für Reue, und auch diese Erkenntnis sickerte nur langsam in sein Bewusstsein, war es nun zu spät, viel zu spät. Bloß dass er nicht den Anflug von Reue empfunden hatte, während er in dem kleinen Häuschen gewesen war. In dem Bett, in dem Helene vermutlich schon als Jugendliche geschlafen hatte, denn es war ein schmales Bett. Nein, da hatte es nichts zu bereuen gegeben, das hatte sich gut angefühlt.
Nein, stimmt nicht.
Es hat sich verdammt
geil angefühlt, und das ist vermutlich viel schlimmer. Ich muss das Saskia beichten, am besten jetzt gleich,
dachte er. Nicht, weil ich mir ernsthaft einbilde, dass das jetzt noch etwas ändern oder sie mir vergeben würde, nein. Sondern weil ich mir wenigstens noch einen Rest Anstand bewahren will. Weil ich das muss, sonst verliere ich alles.
Bloß hatte Saskia den gleichen Anstand nicht besessen, nachdem sie mit Tobias gevögelt hatte. Wie oft?,
fragte sich Felix. Wann hat das eigentlich begonnen – vielleicht schon vor der Hochzeit? Haben die beiden nur eine kleine Pause eingelegt und hatten schon die ganze Zeit hinter meinem Rücken etwas miteinander? Hat sie die Pille nur weiterhin genommen, damit der feine Herr sich kein Kondom überziehen muss, wenn er meine Ehefrau fickt?
Er schlug noch einmal kräftig gegen den Rand des Lenkrads.
So, oder so, es würde eine Menge zu bereden geben im Hause Hübler. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass er außerdem noch beurlaubt war, und die Suspendierung würde vermutlich auch nicht mehr lange auf sich warten lassen. Auch Dinge, von denen Saskia allmählich etwas erfahren sollte.
In diesem Moment klingelte sein Telefon. Felix war beinahe dankbar für diese Störung.
»Jan?«, sagte er, nachdem er die Nummer erkannt und den Anruf entgegengenommen hatte. »Tut mir leid wegen vorhin im Park, ich bin im Moment einfach nicht richtig bei mir, ich …«
»Vergiss es«, sagte Jan. »Oder vergiss es nicht ganz, aber hör mir erst einmal zu.«
»Okay, was gibt’s denn?«
»Heute Morgen hat eine Touristenfamilie etwas am Ufer gefunden, es ist angespült worden, hatte sich wohl in den Algen verhakt, die da ständig angespült werden, du weißt, was ich meine?«
»Ja, klar, die Algen, unten am Strand. Ja, und?«
»Das war etwas unterhalb der Steilküste, wo … na, du weißt schon.«
»Beim Haus meiner Eltern?«, fragte Felix mit matter Stimme und begann, sich die Nasenwurzel mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand zu massieren. Das Haus, in dem meine Schwester verbrannt ist, nachdem sie sich mit Drogen vollgepumpt hat. Dieses Haus.
»Ja, genau. Also, das was sie da aus dem Wasser gezogen haben, war ein Skrotum, samt dem Rest.«
»Ein was
?«
»Ein Hodensack. Den hat der Rechtsmediziner inzwischen zweifelsfrei dem letzten Opfer zugeordnet. Dem Mann vom Baum, der keine Arme mehr hatte.«
»Scheiße.«
»Ein Kind hat … na ja, ein kleiner Junge hat das Skrotum gefunden, am Strand. Ein spielendes Kind
. Ich glaube, du kannst dir vorstellen, was dessen Familie gerade durchmacht. Die haben ihm erzählt, es wäre ein ertrunkenes Tier, aber ich glaube nicht, dass der Kleine ihnen das wirklich abnimmt. Tommy heißt er, Felix. Ist gerade mal sechs Jahre alt.«
Felix schwieg und starrte durch die Frontscheibe seines Wagens nach draußen, während er das Mobiltelefon ans Ohr presste und versuchte, seinen Atem zu beruhigen. Ein Hodensack. Angespült am Strand, in Algen verknotet wie ein ertrunkenes Tier. Furchtbare Bilder wirbelten durch seinen Kopf und für einen Moment glaubte er tatsächlich, sich übergeben zu müssen. Direkt unterhalb des Felsens
, dachte er, wo wir in meinem Traum stehen, Charlotte und ich und uns an den Händen halten und ich ihr versprechen muss, sie niemals im Stich zu lassen. So, wie ich das auch mal Saskia versprochen habe. Und unter uns nichts als die tosende Brandung.
»Hallo, bist du noch dran?«, fragt Jan am anderen Ende.
»Ja«, sagte Felix abgehackt und versuchte angestrengt, sich wieder auf das Hier und Jetzt zu fokussieren, den Blick scharf zu stellen auf das, was direkt vor seiner Nase lag. »Wie ist das ... also, wie sind die Leichenteile da hin geraten, habt ihr da schon eine Theorie?«
»Ins Meer geworfen, vermutlich. Ich glaube nicht, dass es geplant war, dass die angespült werden, dafür ist die Wahrscheinlichkeit zu gering, dass genau das passiert, bevor sich das irgendein Raubfisch schnappt oder … Mann, mir ist richtig schlecht, wenn ich mir das nur vorstelle.«
Felix dachte nach. »Aber dann hat der Psychologe, dieser von Witten, vielleicht doch nicht ganz Recht.«
»Was? Womit denn?«
»Er hat gesagt, dass der Täter die Geschlechtsteile seiner Opfer als Trophäen mitnimmt und sammelt.«
»Als Insignien seiner Macht«, ergänzte Jan. Ja
, dachte Felix. Auch diesen seltsamen Ausdruck hatte von Witten verwendet. Und sich vielleicht komplett geirrt dabei.
»Und das glaubst du jetzt nicht mehr?«, fragte Jan.
»Nein. Warum sollte er diese so genannten Zeichen seiner Macht dann einfach ins Meer werfen, wenn ihm doch angeblich so daran gelegen ist, sie als Trophäen aufzubewahren, um sich später gedanklich wieder in die Morde hineinzuversetzen? Ich glaube, es geht ihm gar nicht darum, diese Körperteile zu besitzen, sondern nur darum, sie den Opfern zu entreißen. Der nimmt die nicht als Trophäen mit. Würde mich nicht wundern, wenn der nächste Tourist da unten demnächst wieder etwas findet, vielleicht einen Schw ….«
»Willst du mich auf den Arm nehmen?«, unterbrach ihn Jan hastig. »Ist dir klar, wie der Möller drauf ist, seit der Fund bekannt wurde? Der lebt in schierer Panik davor, dass der Bürgermeister ihn kurzerhand absetzt, wenn das so weitergeht. Und ich glaube, Felix, du hast eine ziemlich gute Vorstellung davon, was passiert, wenn einer wie der Möller in Panik gerät.«
»Er versetzt Andere ebenfalls in Panik. Vorzugsweise Unetrgebene.«
»Ganz genau, Felix, und zwar kräftig. Und deshalb musst du mir jetzt auf der Stelle
sagen, woher die DNA auf dem Kamm stammt, den Vogel für dich untersuchen sollte. Felix, das ist kein Spaß, schon lange nicht mehr! Wenn du …«
»Danke«, unterbrach ihn Felix, »dass du mich angerufen hast.«
Dann legte er auf und schaltete sein Handy aus.