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Alteneck, Ahornring. Wohnung von Jan Lange
» I ch hätte nicht gedacht, dass das tatsächlich funktioniert«, sagte Katrin zu Jan. »Also, dass du es tatsächlich mal schaffen würdest, das Handy für einen ganzen Abend auszulassen, während wir zusammen essen. Chapeau, das hat dich bestimmt jede Menge Überwindung gekostet, Schatz!«
»Ach was«, brummte Jan und stopfte noch ein Stück von Katrins selbstgemachter Pizza in seinen Mund. »Man muss den Job auch mal auf Arbeit lassen können.«
»Und das von dir«, sagte sie. »Dabei dachte ich immer, du wärest geradezu besessen davon, dem großen Felix Hübler nachzueifern.«
»Lass Felix da mal lieber aus dem Spiel«, sagte Jan. »Er kann schließlich nichts dafür, dass der Möller ihn so hasst.«
»Ja«, sagte Katrin nachdenklich, dann lächelte sie Jan an, was dazu führte, dass sich zwei entzückende Grübchen auf ihren Wangen zeigten. »Aber andererseits hat das dafür gesorgt, dass du jetzt das Team leitest. Da steht deiner Beförderung wohl nichts mehr im Weg. Wie wäre es denn da mal mit einem richtigen Urlaub, zur Abwechslung? Vielleicht Gran Canaria oder sowas? Oder Kreta? Da wollte ich schon immer mal hin.«
Jan brummte etwas Undefinierbares, dann schlang er gierig den Rest seines Pizzastücks herunter. »Dazu müssten wir den Scheißkerl aber erstmal fangen«, nuschelte er mit vollem Mund – und verschwieg seiner Freundin, dass er glaubte, dass sie, um das bewerkstelligen zu können, erst einmal Felix Hübler an die Strippe bekommen mussten, der nicht telefonisch zu erreichen und auch nicht in seiner Wohnung gewesen war. Seine Frau Saskia war da allerdings auch nicht gewesen, sondern überhaupt niemand. Als er ein paar Mal Sturm geklingelt hatte heute Abend, war das komplett für die Katz gewesen.
Daher schwante ihm Übles, was die Beziehung zwischen ihnen beiden anging. Vermutlich wäre eine Trennung nicht mal die schlechteste Idee, wenn man die Sache im richtigen Licht besah, er hatte Saskia ohnehin nie so richtig leiden können. Sie hatte auf Jan stets wie jemand gewirkt, der sehr geschickt darin war, einen Mann um den kleinen Finger zu wickeln und ihn dann – wenn er erstmal an ihrem Haken zappelte – nach Strich und Faden auszunehmen. Außerdem, aber das hatte er Felix wohlweislich verschwiegen, wirkte Saskia auf Jan wie eine Frau, der ein einziger Mann schnell langweilig werden konnte, speziell dann, wenn sie feststellt, dass sie nicht länger das alleinige Zentrum seines Universums war. Und was Felix Hübler betraf, so stand das Zentrum seines Universums fest und es hieß nun einmal Polizeiarbeit. Keine Frau konnte da mithalten.
»Das klingt doch nicht schlecht«, sagte Jan zum Vorschlag seiner Freundin, und meinte es aus vollem Herzen. »Lass uns an irgendeinem Hotelpool liegen und ein bisschen in der Sonne brutzeln, während hier alle mit den Zähnen klappern vor Kälte. Vielleicht im November oder so?«
»Im Ernst?« Sie sah ihn mit großen Augen an.
»Klar. Warum nicht? Aber natürlich nur, wenn der Möller mich nicht vorher wieder degradiert.«
»Mach keine Scherze über sowas, Jan!«
»Mach ich nicht. Wenn du den Möller kennen würdest, wüsstest du das.«
Und gerade deshalb war es so überaus merkwürdig, dass Felix nicht ans Telefon ging. Er hatte ihnen gegenüber kein Hehl draus gemacht, dass er in dieser Sache privat weiter ermitteln wollte und sie hatten ihn auch gedeckt, soweit das möglich gewesen war. Und jetzt taucht er einfach so ab, verschwindet völlig von der Bildfläche und geht nicht mal ans Handy?
Bei einem anderen Menschen hätte vielleicht die Möglichkeit bestanden, dass er die plötzliche Freizeit genutzt und mit seiner Frau und den Kindern in einen Spontanurlaub gefahren wäre, schon mal, um dem Möller eins auszuwischen – aber Felix Hübler? Undenkbar.
»Ich hab heute was gelesen über Work-Life-Balance, das war sehr interessant, weißt du? Es ging in dem Artikel um …«
»Puh!«, sagte Jan und schlug sich auf seinen Bauch. »Sorry, Schatz, aber wenn du mich kurz entschuldigen würdest.«
»Oh«, sagte sie lächelnd. »Ja, klar. Und bring auf dem Rückweg den Rotwein mit, ja? Kleiner Vielfraß.«
»Mach ich«, saget Jan, während er sich erhob und in Richtung Badezimmer ging, wo er die Tür hinter sich verschloss und das Klo ansteuerte, wo er sich auf den geschlossenen Deckel setzte und sein Handy aus der Tasche zog. Er würde jetzt noch ein letztes Mal versuchen, Felix zu erreichen, und es dann für heute aufgeben. Wohin auch immer sich sein Freund und ehemaliger Kollege zurückgezogen hatte, eine weitere Nacht würde daran vermutlich auch nichts ändern – immerhin bestand auch die durchaus realistische Möglichkeit, dass Felix Hübler sich vor lauter Enttäuschung schlicht hatte vollaufen lassen, was leider in letzter Zeit immer häufiger vorgekommen war – und allmählich zu einer weiteren Leidenschaft zu werden drohte. Auch darüber würde er zu geeigneter Zeit einmal mit Felix reden müssen.
Jan starrte auf das Display.
Eine neue Nachricht, von seiner Mailbox, keine zehn Minuten alt.
Felix hatte offenbar versucht, ihn zu erreichen, während er sein Handy in den Flugzeugmodus geschaltet hatte, um in Ruhe mit Katrin zu Abend zu essen, also war der Anruf sofort auf die Mailbox umgeleitet worden. Verdammt , dachte er. Aber er hatte es Katrin nun mal versprochen, Work-Life-Balance und das alles. Allein, wenn sie wüsste, dass er sein Handy aufs Klo geschmuggelt hatte, um ein weiteres Mal zu versuchen, Felix zu erreichen, würde sie ihm vermutlich mittelschwer den Kopf waschen. Und zu Recht.
Aber das konnte wichtig sein.
»Felix, du blöder Idiot«, sagte Jan leise, dann wählte er die Taste für den Mailboxabruf und presste sich das Telefon ans Ohr. Nach einer Sekunde drang tatsächlich die Stimme von Felix Hübler aus dem Hörer. Seltsamerweise flüsterte er. »Hey Jan, ich bin’s, Felix, hör mal, ich bin gerade im Haus von Helene Seeger und …«, dann ein dumpfes Wummern, das Felix mitten im Satz verstummen ließ, gefolgt von einem Knistern in der Leitung, dann gar nichts mehr. Ein paar Sekunden später wurde der Anruf unterbrochen und die Mailbox schaltete sich ab.
Jan hörte sich den Anruf noch einmal an, dann stürmte er aus dem Badezimmer. Das gemütliche Abendessen zu zweit hatte sich für heute erledigt.