Kapitel 21
J
ulius ist wieder zu Hause. Marion bemuttert ihn tüchtig und besteht darauf, dass er sich noch schont. Das lässt er sich nicht zweimal sagen, denn das Laufen fällt ihm immer noch etwas schwer.
Da ja Ferien sind, verbringt Florian viel Zeit im Zimmer seines neuen Freundes. Er hat mehrere Science-Fiction-Bücher, die er auf dem Boden vor dem Bett verteilt hat. Wie ein Schwamm saugt Julius die erfundenen Geschichten von der Zukunft in sich auf. Es will ihm nicht in den Kopf, wie man sich so etwas ausdenken kann.
Krieg der Sterne
ist der Lieblingsfilm von Florian. „Weißt du was?“, sagt er zu Julius. „Ich frage Papa, ob er für uns den Film in der Videothek ausleiht. Dann können wir ihn gemeinsam anschauen.“
Julius ist begeistert und sie haben ihren Plan schon bald in die Tat umgesetzt, nachdem Florians Vater grünes Licht dazu gegeben hat.
Es ist alles andere als leicht, dem Mann aus der Vergangenheit zu erklären, wie so ein Film zustande kommt. Julius hat viele Fragen und ist außerordentlich erstaunt, was der Junge ihm alles erklärt. Florian scheint ein sehr intelligenter Junge zu sein. Er weiß Details zu den Raumschiffen, den Waffen, den Uniformen und kennt die Namen jeder einzelnen Figur.
All das schreibt sich Julius von Froschhausen auf; er möchte nichts davon vergessen. Er weiß, dass diese geschriebenen Erinnerungen für ihn einmal sehr wertvoll sein könnten.
Es klingelt an der Haustür. Florian wird zum Öffnen geschickt. Kurz darauf ruft er: „Papa, komm mal schnell, hier ist die Polizei.“
Verwundert erhebt sich der Vater und geht ebenfalls zur Tür. „Guten Morgen, meine Herren, was kann ich für Sie tun?“, sagt er und steht etwas unschlüssig vor den Beamten.
„Entschuldigen Sie bitte die Störung, Herr Meininger, aber die Krankenhausverwaltung in Schotten hat uns zugetragen, dass Sie einem illegal zugewanderten Herrn Asyl gewähren und die Behörde davon nicht in Kenntnis gesetzt haben. Außerdem konnte bisher nicht geklärt werden, wer die Operationskosten für ihn übernimmt. Ist Herr …“, der Beamte muss erst in seinen Papieren nach dem Namen suchen und setzt erneut an. „Ist Herr von Froschhausen da? Wir müssen seine Papiere prüfen und gegebenenfalls seine Personalien aufnehmen.“
„Bitte kommen Sie herein, wir essen gerade zu Mittag.“
Im Hintergrund hat die Familie das Gespräch mit angehört und Julius blickt ängstlich in die Runde. Marion ergreift seine Hand und versucht, ihn dadurch zu beruhigen.
Die Beamten treten näher und stellen sich vor Julius, der sich mittlerweile von seinem Platz erhoben hat. „Herr von Froschhausen, wir müssen mit Ihnen sprechen. Können wir uns irgendwo ungestört unterhalten?“
„Ich weiß nicht“, stottert er und schaut sich Hilfe suchend nach Thomas Meininger um.
Herr Meininger stellt sich neben seinen Gast und sagt: „Ich werde bei dem Gespräch mit dabei sein, ich lasse unseren jungen Freund nicht alleine!“
Dankbar schaut ihn Julius an, dem bereits die Knie schlottern. Noch nie hat er es mit der Polizei zu tun gehabt, das macht ihm Angst. Auch weiß er, dass nicht jeder ihm seine unglaubliche Geschichte abnehmen wird. Und die Polizei schon gar nicht. Schweißtropfen bilden sich auf seiner Stirn und er sucht vergeblich in seiner Hosentasche nach einem Taschentuch. Marion Meininger kommt ihm zu Hilfe. Sie sieht seine Situation und gibt ihm ein Tempo in die Hand, das er dankbar nimmt, um sich damit über die Stirn zu wischen.
„Kommen Sie, wir gehen in mein Büro, da sind wir ungestört“, sagt Herr Meininger zu den Beamten und geht voran.
Seine Frau folgt ihnen leise und stellt Gläser und eine Flasche Wasser auf den Tisch. Es ist heiß draußen und alle brauchen eine Erfrischung. Im Glas von Herrn von Froschhausen befindet sich bereits Leitungswasser, da er Kohlensäure nicht mag.
Nach einer kurzen Pause ergreift einer der Polizisten das Wort: „Herr von Froschhausen, ich muss Sie bitten, mir Ihre Papiere zu zeigen.“
„Ich habe meine Papiere nicht bei mir.“
„Dann erklären Sie mir bitte, von wo Sie kommen und was Sie hier machen!“
„Ich komme hier aus Ulfa.“
„Okay, aber warum wohnen Sie dann nicht bei sich zu Hause? Bitte nennen Sie mir Ihre Adresse, damit wir das überprüfen können.“
„Diese Adresse gibt es nicht mehr. Ich habe dort bis 1866 gelebt.“
„Es kann sich ja wohl nur um einen üblen Scherz handeln, dass Sie aus dem Jahre 1866 kommen.“
„Nein, das ist kein Scherz!“
„Bitte unterlassen Sie es, uns zu belügen, Herr von Froschhausen!“, sagt der größere der beiden Beamten und geht demonstrativ einen Schritt auf ihn zu. „Wir sind hier nicht aus Jux und Tollerei, wir tun unsere Pflicht!“
Herr Meininger, der sich bis jetzt diskret zurückgehalten hat, mischt sich in das Gespräch ein: „Meine Herren, bitte hören Sie sich die Geschichte unseres Gastes an. Danach können Sie entscheiden, was zu tun ist. Ich erzähle Ihnen alles aus meiner Sicht, dann wird Ihnen Herr von Froschhausen schildern, was er ohne seinen Willen erleben musste.“
„Wir hören.“
Alle vier setzen sich und Herr Meininger legt seine Sicht der Dinge dar.
Danach erzählt der junge Lehrer: „Es war ein heißer Julitag im Jahre 1866. Meine Klasse war ungewöhnlich unruhig …
Nach Beendigung der Berichte herrscht betroffenes Schweigen. Die Beamten können nicht zugeben, was sie menschlich empfinden, für sie zählen Fakten. Und diese Fakten gibt es nicht. „Bitte verstehen Sie uns nicht falsch, Herr von Froschhausen, was Sie uns erzählt haben klingt nach einer Tragödie. Doch es ist uns unmöglich, solch eine Story zu glauben. Wir müssen Sie bitten, uns aufs Revier zu begleiten. Richten Sie sich auf eine längere Zeit ein, denn Sie werden von Sicherheitsbeamten befragt.“
„Geben Sie mir bitte ein paar Minuten Zeit, ich möchte nur noch etwas aus meinem Zimmer holen.“
„Verstehen Sie es bitte nicht falsch, Herr von Froschhausen, aber mein Kollege wird Sie begleiten. Es besteht der Verdacht, dass Sie flüchten könnten.“
„Ich habe nichts zu verbergen. Kommen Sie bitte!“
In seinem Zimmer nimmt Julius nur seine Aufzeichnungen mit sich und die Fotos, die ihm die Familie geschenkt hat. Die Sachen hütet er wie ein oberhessischer Bauer seine Tabakspfeife und möchte sich nicht davon trennen.
Danach geht er zu der versammelten Familie und verabschiedet sich. Er spürt in seinem Inneren, dass etwas passieren wird. Egal in welche Richtung. Darum fällt sein Abschied so aus, als würden sie sich nicht mehr wiedersehen. Jedes einzelne Familienmitglied nimmt er in den Arm. „Ganz herzlich danke ich euch für alles, was ihr für mich getan habt. Ich habe hier eine neue Sicht der Dinge bekommen und werde sie, falls es denn einmal so kommen wird, mitnehmen in mein Ulfa. Nie vergesse ich euch.“
„Bitte Julius, sei nicht so melancholisch. Du kommst zu uns zurück, da bin ich ganz sicher“, sagt Marion.
Florian klammert sich an Julius fest und weint bitterlich. Auch Jessi hat Tränen in den Augen.
„Bitte, Herr von Froschhausen, kommen Sie, es wird Zeit.“
Gehorsam geht Julius mit den Beamten und steigt in das Polizeiauto. Hinter den Nachbarfenstern werden diskret die Gardinen beiseitegeschoben. So etwas darf man sich natürlich nicht entgehen lassen.