Kapitel 2 Evan
Im nächsten Augenblick schüttelte er den Kopf. Das ist alles so unwirklich. Richard bestellte zwei Tonic und ging in Richtung der Sessel. Nein, er schritt mit geradem Rücken. Ein eleganter Gentleman im Anzug, der in diesem drittklassigen SM-Club wie ein Schwan unter Sumpfhühnern wirkte. Evan folgte zwei Schritte hinter ihm.
Zwei junge Männer unterbrachen ihr Gespräch, reckten die Köpfe nach Richard. Evan starrte sie feindselig an. Die Jungs sahen nur einen schönen Dom, gepflegt und mit erhabener Haltung. Natürlich sabberten sie. Aber was unterschied ihn von den beiden? Der Wunsch, diesen Mann wirklich kennenzulernen, zu erfahren, was unter der unnahbaren Fassade lag?
„Lust auf ein Spiel, hübscher Junge?“
Evan stoppte, sah auf und direkt in die Augen eines großen Mannes, den er hier noch nie gesehen hatte. Er trug die übliche Lederhose, ein schwarzes Hemd darüber. Silberne Ringe funkelten an seinen Fingern. Ein junger Mann, etwa Ende zwanzig. Viel zu jung für meinen Geschmack .
Evan lächelte freundlich. Die Fünfundzwanzig sah man ihm nicht an, meist wurde er jünger geschätzt. Aber sein Feuer wurde nun einmal von erfahrenen Männern angefacht, unter fünfunddreißig interessierten sie ihn nicht. Und wirklich hungrig wurde er erst, wenn sein Gegenüber die vierzig erreicht hatte. Der junge Dom hatte ein markantes Gesicht, aber Evans Blick haftete auf Richards Rücken.
„Na?“, fragte der Mann, blickte in Richtung des Lustlabyrinths und legte eine Hand an Evans Hüfte.
„Na, du ziehst jetzt brav deine Hand zurück, Junge.“ Verwirrt drehte Evan den Kopf. Richard stand neben ihm und sah dem jungen Dom in die Augen. Unvermittelt legte er seine Hand auf Evans Schulter.
Kopfschüttelnd trat der andere Mann einen Schritt zurück und hob eine Hand. „Schon gut“, sagte er beschwichtigend. „Wenn du nicht willst, dass jemand dein Eigentum anfasst, dann lass ihn nicht in so einem T-Shirt rumlaufen.“
Richard verengte die Augen zu einem gefährlichen Blick, drehte den Kopf etwas und schnaufte. Ah, die Schrift war ihm wohl noch nicht aufgefallen. Dein Eigentum. Die Worte hallten wie Musik in Evans Kopf, hüllten ihn ein und versprachen so viel.
Aber Richard reagierte nicht auf die Aussage. Vielmehr drehte er Evan um, schob ihn zu einem der freien Tische.
Unter einem erwartungsvollen Schnaufen setzte Evan sich und spürte den plüschigen Flausch an seinen nackten Unterarmen. Er lachte leise. Noch nie hatte er auf einem dieser Sessel Platz genommen. Entweder saß er auf jemandes Schoß oder spielte im Lustlabyrinth. Hier brauchte er Körperkontakt, wollte die Wärme eines anderen Menschen spüren. Aber die Sitzgelegenheit schmiegte sich einladend gegen seinen Rücken, ließ seine Muskeln ein wenig entspannen.
Richard saß gerade, lehnte sich nur leicht an und scannte die Umgebung, als würde er hinter den Lederkerlen und Bondagefans einen Feind vermuten.
Bruce kam an den Tisch, stellte zwei Gläser und die Tonicflaschen darauf ab. Er lehnte sich zu Richard. „Sei lieb zu ihm. Er ist ein guter Junge“, sagte er in einem väterlichen Tonfall und schon bewegte er sich wieder in Richtung Bar.
Evan nickte nur, goss die klare Flüssigkeit in sein Glas und nippte daran. Das bittere Getränk klärte seine Gedanken ein wenig. „Also. Was kann ich für dich tun“, sagte er so neutral wie möglich.
„Für mich? Nichts“, erwiderte Richard knapp und seine eisblauen Augen ließen kein Gefühl erkennen. „Du sollst etwas für Jack tun.“
„Natürlich.“ Das Wort rutschte einfach aus Evans Mund und er war froh, dass es kein Fluch gewesen war. „Eine neue Party?“, fragte er ruhig. Diese verdammte Enttäuschung. Sicher spiegelte sie sich in seinem Gesicht wider. Er zog seine Mundwinkel in einem verkrampften Versuch zu lächeln nach oben.
„In knapp drei Wochen, ja. Aber deshalb bin ich nicht hier“, erklärte Richard kühl. „Seit einiger Zeit stellen wir Angriffe auf Jacks privates Netzwerk fest. Jemand versucht, Daten abzugreifen. Bisher konnten wir die Attacken abblocken und das System abschirmen. Aber die Angriffe kommen immer häufiger und geschickter.“
Evans Mund trocknete mit jeder Sekunde mehr aus, so als würde ihn jemand mit Saharastaub füllen. Richard war nicht seinetwegen hier. Wie hatte er das nur annehmen können. Er wollte ihn schon wieder für eine Dienstleistung anheuern.
„Und ihr glaubt, dass ich helfen kann?“, fragte er mit rauer Stimme.
„Jack ist überzeugt davon.“ Richard wirkte nicht ganz so sicher. „Ich habe dich vor der Party in Las Vegas überprüft. Jack weiß, dass du Loveless , der berüchtigte Hacker, bist.“
„Falsch“, erwiderte Evan schnell. „Das war ich. Ich arbeite seit zwei Jahren legal und spüre im Auftrag von Firmen Sicherheitslücken auf.“
Richard nickte, sein Gesichtsausdruck war unlesbar. „Ich weiß. Jack will dich im Team haben. Weil man einen Hacker am besten mit einem noch begabteren Hacker erledigen kann, glaubt er.“ Und was glaubst du? Evan lächelte traurig. Hier waren seine beruflichen Fähigkeiten gefragt, und er selbst blieb unwichtig.
„Jack wird deine Dienste gut bezahlen.“ Richard räusperte sich. „Außerdem hast du deinen Dank für die Partybegleitung in Las Vegas noch nicht erhalten.“
„Das ging aufs Haus“, sagte Evan leise und starrte in sein Glas. Die klare Flüssigkeit schwappte gegen den Rand, kleine Blasen stiegen daraus hervor. „Jack überschätzt mich“, sagte er schließlich.
„Er will dich und ist nicht vom Gegenteil zu überzeugen. Ich mache nur meinen Job.“ Richard sah an ihm vorbei, sein Blick verlor sich zwischen den Sesseln und der dunklen Wand.
Evan atmete die sauerstoffarme Luft des Clubs tief in seine Lungen, sog Richards männlichen Duft in seine Nase. Er will mich. Aber du willst mich nicht. Nun, er könnte den Job annehmen und immerhin wollte Jack ihm die Partybegleitung mit fünftausend Dollar vergüten. Geld, das er nie genommen hatte. Aber er arbeitete derzeit an drei Aufträgen, zwei weitere in der Pipeline. Seine Dienste waren gefragt. Für ein paar Tage könnte er sich um Jacks Daten kümmern, Richard häufiger sehen. Aber wohin würde das führen? Ein Film startete in Evans Kopf. Und plötzlich sah er sich wieder vor vier Monaten in Jacks Privatjet. Sie hatten den Weg von Las Vegas zurück nach New York angetreten.
***
Jack hatte sich mit Liam in den hinteren Teil der Maschine verzogen, die mit einer Tür vom Rest abgetrennt war. Davor saßen sein Sekretär und ein paar Sicherheitsleute.
Weiter vorne, außer Hörweite der anderen, hatte Richard Platz genommen. Während die übrigen Passagiere an Laptops arbeiteten, las er in einer Zeitung, die seinen gesamten Oberkörper und den Kopf verdeckte. Evan saß neben ihm am Fenster, betrachtete die Wolkenformationen, die vorbei flogen.
„Von wegen Hölle. Jetzt bin ich doch im Himmel“, sprach er einen Gedanken laut aus und wusste nicht warum. Er lachte leise. Nebenan gab Richard ein Geräusch von sich. Verwundert drehte Evan den Kopf.
Richard schmunzelte, sah nur aus den Augenwinkeln zu ihm, dann an ihm vorbei aus dem Fenster. „Allerdings“, bestätigte er und lachte. Schon wandte er den Blick wieder zu seiner Zeitung. „Nicht nur deine Hutterer-Verwandten sehen dich in der Hölle braten“, brummte er durch die Seiten. „Die Katholiken sind nicht besser. Ich wette, meine Mutter lässt Messen für mein Seelenheil lesen.“
„Wir sollten einen Sünderclub gründen“, schlug Evan vor. „Ah, Moment. Ihr habt ja schon einen.“
Richard grinste breiter. Vier Tage hatten sie zusammen verbracht. Vier Tage, zwei Schachpartien und eine Rundfahrt in einer Limousine durch Las Vegas. Und als Evan vor der Party von der Aufregung übel wurde, hatte Richard den Wagen kurzerhand vor einem Diner parken lassen.
Die cremegefüllten Donuts schmeckten nach purer Sünde. Richard hatte über wichtigen Unsinn mit ihm geplaudert, bis Evans Magen sich beruhigt hatte. Dann erst hatten sie Jack und Liam im Hotel abgeholt. Wärme breitete sich in Evans Brust aus. Und da pochte dieser Wunsch in ihm. Seit Tagen hatte er ihn nicht zuordnen können, wie die meisten Gefühle, die ihn seit sieben Jahren verwirrten. Aber in diesem Augenblick wusste er, was er wollte. Mehr Zeit mit Richard.
Vorsichtig bog er den Rand der Zeitung ein wenig zur Seite, bis Richard ihn ansehen musste.
„Wenn wir schon in der Hölle landen, sollten wir vorher zusammen sündigen“, sagte er entschlossen und grinste. Nein, ein Flirtmeister würde aus ihm in diesem Leben nicht mehr werden. Aber er hätte fast in die teure Limousine gekotzt. Was konnte schlimmer sein?
Richards geschocktes Gesicht brannte sich in Evans Blick. Was sollte das? Der Mann hatte ihn in einem SM-Club für eine ausschweifende Party angeheuert. Wieso wirkte er so aufgebracht?
„Mit Donuts“, fügte Evan rasch an. „In Williamsburg gibt es ein paar geniale Läden. Du hast noch etwas gut bei mir.“
Richard starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an, die Lippen zu einem Strich zusammengepresst. Evan sank tiefer in seinen Sitz.
Anstatt zu antworten, beugte Richard sich über den Gang und griff nach seinem Jackett, das er auf einen der Sitze gelegt hatte. Er streckte die Hand hinein und zog einen Umschlag heraus.
Evan stand in einer schönen Handschrift darauf. „Als Dankeschön, dass du Gast im House of Paradise warst“, sagte er steif. „Jack war sehr zufrieden mit dir.“
Evan starrte auf den Umschlag. „Und du? Warst du auch zufrieden mit mir?“
„Das spielt keine Rolle.“ Richard strich die Zeitung glatt, wollte sie anheben.
Ohne nachzudenken, legte Evan seine Hand darauf. „Mich hat noch nie jemand im richtigen Leben geghostet“, sagte er. Mist. Es sollte heiter klingen und kam doch vorwurfsvoll aus seinem Mund. „Einen Kontaktversuch einfach ignoriert“, erklärte er, nicht sicher, ob Richard den Begriff kannte. Der strenge Mann wirkte nicht, als würde er sich oft auf Datingplattformen oder Apps herumtreiben.
Richard sah ihn nicht an. Sein Blick verlor sich in der Mitte des Gangs und er schien etwas zu sehen, was jedem anderen verborgen blieb. Mit einer Hand hielt er die Zeitung fest, mit der anderen umfasste er immer noch den Umschlag mit dem Geld.
„Es ist mein Job, mich um Jacks Jungs zu kümmern“, sagte er leise mit tonloser Stimme. „Darüber hinaus habe ich kein Interesse an einem Kontakt.“
„Ich bin keiner von Jacks Jungs“, verbesserte Evan ungehalten. Eine Mischung aus Scham und Enttäuschung lastete auf seiner Brust. Vier Tage lang hatte Richard ihn freundlich behandelt, hatte seine menschliche Seite gezeigt. Wie hatte er das nur so falsch verstehen können? „Du hast mich eingeladen. Mit Jack habe ich höchstens zehn Sätze gewechselt.“
Richard schnaufte, legte den Umschlag mit spitzen Fingern auf Evans Unterschenkel und hob die Zeitung wieder an.
„Englisch ist nicht deine Muttersprache, ja? Daran muss es liegen, dass du Schwierigkeiten hast, den Ausdruck kein Interesse einzuordnen.“
Evan blieb eine Weile sitzen, einen Oberschenkel angespannt, damit er damit nicht Richards berührte. Seine Wangen glühten, seine Finger krampften sich zu Fäusten. Fuck, dachte er und das Schimpfwort dröhnte in seinem Kopf. Achtzehnjahre lang hatte er sich eine Ohrfeige fürs Fluchen eingefangen. Aber kein anderes Wort passte zu dieser Situation.
Ich wollte nur einen verdammten Donut mit dir essen, ein bisschen plaudern. Kein Grund, beleidigend zu werden. Und vielleicht, ja vielleicht hatte er mehr gewollt. Dabei konnte er Richard nicht einmal einschätzen.
Im Labyrinth hatte er angezogen mit einem der Subs gespielt, dabei einen Flogger und Augenbinde genutzt. Mehr war nicht zwischen den beiden passiert. Und auf der Party übte Richard seinen Job als Chef der Sicherheit gewissenhaft aus. Aber du hast mich nicht aus den Augen gelasse n.
Evan atmete tief durch, stand auf und setzte sich zwei Reihen nach hinten, den Umschlag ließ er auf seinem Sitzplatz liegen. Unruhig bohrte er seine Nägel abwechselnd in den Daumen, bis der Jet endlich zur Landung ansetzte.
Als der Kapitän den Ausstieg freigab, stand er auf, nahm seinen Rucksack und lief zum nächsten Ausgang. Zwei Limousinen warteten schon im New Yorker Nieselregen. Evan schob die Kapuze seines Hoodies über den Kopf und begann zu rennen.
***
„Hast du etwas eingeworfen?“ Richards Stimme riss Evan aus der Erinnerung. „Ich habe dich gerade drei Mal angesprochen. Wieso wirkst du so abwesend?“
Evan blinzelte. „Keine Drogen, kein Alkohol“, murmelte er das, was er Richard schon mehrmals versichert hatte. Für die Party hatte der ihn solche Dinge gefragt und ermahnt, nicht zu viel zu trinken.
Aber Evan hatte noch nie einen Tropfen Alkohol getrunken. Die Hutterer verboten den Konsum und so sehr er auch gegen andere verstieß – diese Regel begleitete ihn bis heute. Drogen interessierten ihn nicht. Er brauchte etwas anderes, um seine Verwirrung über die Welt zu vergessen.
„Was ist? Jack will heute noch wissen, ob du an Bord bist.“ Richard wirkte ungeduldig, fast ein wenig nervös. Sonderbar.
Evan sah sich um. Der junge Dom lehnte lässig an der Bar, tat so, als würde er ihn nicht die ganze Zeit beobachten. Evan nickte ihm zu und die ersten Steine fielen von seiner Brust. Kein Interesse. Doch, er hatte sehr gut verstanden, konnte es sogar in zwei Sprachen wiederholen.
Der Kerl an der Bar hob abwehrend die Hände. Natürlich wollte er Richard nicht in die Quere kommen. Evan schüttelte den Kopf. Nein, er gehörte nicht zu Richard, würde es nie tun. Und jetzt musste er dessen Duft mit einem anderen überdecken, auf einer Welle reiten, die ihn weit wegbrachte. Auffordernd blickte er zum Eingang ins Lustlabyrinth. Der Mann an der Bar nickte und grinste erfreut.
Evan zögerte für einen Moment. Vielleicht hatte Richard längst einen Lover und nein, er wollte ihn nicht mit einem anderen Mann sehen. Ein eigenartiger Gedanke in einem Club. Er schnaufte ein Lachen und stand auf.
„Du hast meine Nummer. Ich kann euch ein halbes Dutzend guter Hacker vermitteln, die sich über den Job freuen.“ Überrascht sah Richard ihn an. Ich habe kein Interesse. Die Lüge hing in seiner Kehle, fand den Weg nicht hinaus. „Ich habe keine Zeit“, sagte er stattdessen. „Good Bye, Special Agent Declan.“ Er wartete nicht auf eine Antwort. Richard musste damit gerechnet haben, dass auch Evan Erkundigungen einholte, bevor er mit Fremden zu einer Party nach Las Vegas flog. Daten waren immerhin sein Geschäft.
Der junge Dom stand am Übergang zum Lustlabyrinth und machte eine einladende Geste. Noch einmal sah Evan sich selbst an dem Tisch im Diner, Richard in seinem schicken Anzug gegenüber und sie lachten zusammen. Später, im Haus der beiden Kasinobetreiber, hatte er den ganzen Abend sein Steingesicht gezeigt. Dein Lachen reicht mir als Dankeschön.
Entschlossen folgte Evan dem Dom.