Kapitel 18 Richard
Nicht ihn! Nicht meinen Evan
. Blut pumpte im hohen Tempo durch Richards Halsschlagader. Fest umklammerte er das Lenkrad, raste hinter dem weißen Lieferwagen her. Und ausgerechnet das verdammte Frettchen hatte ihm den Weg gewiesen. Wenn er Evan nur retten konnte, dann würde er dem Minihund lebenslang Leberwurst beim besten Metzger der Stadt besorgen.
Gerade rechtzeitig war er angekommen und aus dem Wagen gestiegen, als er Bonsai heulen hörte. Die Winzbestie gab aber auch unverkennbare Geräusche von sich. Und die Kerle im Overall hatten etwas in den Transporter gehievt. Im letzten Moment hatte er Evans rote Sneakers erkannt. Zusammen mit Bonsais Gejaule hatte sich ein schreckliches Bild gezeigt – jemand war im Begriff, Evan zu entführen.
Wie war er danach in seinen Wagen gekommen? Richard erinnerte sich nicht mehr. Den Blick auf den verfluchten Lieferwagen gerichtet, fuhr er durch Queens, bemerkte die Umgebung nicht. Endlich bog der kleine Transporter in einen Hof ab.
Richard parkte in einiger Entfernung auf dem Seitenstreifen. Hoffentlich hatten diese Idioten die Verfolgung nicht bemerkt. Angespannt griff er nach seiner Pistole, ließ sie aber im Holster stecken. Die Gegend wirkte heruntergekommen, bestand aus alten Lagerhallen und ein paar abbruchreifen Mietshäusern. Er lehnte sich vor, konnte einen Blick in den Hof erhaschen.
Plötzlich rissen die Männer die Ladeklappen auf und beförderten Evan auf die Straße. Richard schluckte hart. Evan trug seinen Mantel! Bonsai hielt er in seinen Armen.
Richards Herz setzte einen Schlag aus. Niemand fasste seinen Jungen an und kam ungestraft davon! Aber mit Sicherheit waren die Typen bewaffnet. Er musste vorsichtig vorgehen.
Vor dem Eingang einer Halle lungerten zwei weitere Kerle herum. Sie trugen die gleichen unauffälligen Overalls wie die Entführer. Wahrscheinlich wurde auch der Hintereingang bewacht. Egal. Es musste einen Weg geben.
Richard startete den Wagen, fuhr im gemäßigten Tempo an der Halle vorbei und parkte in einer Seitenstraße. Weit genug entfernt, um nicht aufzufallen. Aber nah genug, um bei Bedarf schnell fliehen zu können. Langsam lief er auf die Kreuzung zu, spähte um die Ecke.
„Ihr fühlt euch wohl sehr sicher“, brummte er und warf einen Blick auf die Rückseite des niedrigen Gebäudes. Graffiti zierten die Wand, aber niemand war dort positioniert. Sie hatten wohl nur auf den Lieferwagen und seine Fracht gewartet.
Aber wer waren diese Leute? Standen sie im Zusammenhang mit der Information, die Evan ihm nur persönlich sagen wollte? Bei dem Gedanken an Evan verengte sich seine Brust.
„Ich hole dich da raus, Sweetheart“, murmelte er und dachte an all die Worte, die er Evan nicht gesagt hatte. Worte, die er nie hatte aussprechen wollen. Aber in diesem Augenblick wollte er sie in die Welt rufen. Nein. Zuerst sollte er die Polizei informieren. Die Cops nicht sofort anzurufen, war wohl eine alte FBI-Krankheit.
Da! Aus einem Wagen vor der Halle stieg eine Frau um die vierzig. Sie trug ebenfalls einen Overall und schien zu den anderen zu gehören. Richard verengte die Augen zu Schlitzen. Verdammt. Er kannte dieses Gesicht. Noch einmal sah er hin, scannte die Züge der Frau. Eindeutig. Es handelte sich um Theresa Miller! Ephraim Millers Schwester und seine glühende Anhängerin. Im Zuge der Ermittlungen gegen Ephraim war ein gutes Dutzend seiner Jünger aufgeflogen und ebenfalls in den
Knast gewandert. Nur Theresa und eine Handvoll Leute hatten fliehen können. Aber wieso entführten sie Evan? Das ergab doch keinen Sinn.
Der Mantel! Verdammt. Richard verzog den Mund. Sie hatten ihn entführen wollen. Natürlich hasste Miller ihn. Und nur wegen des bescheuerten Mantels befand sich jetzt Evan in ihrer Gewalt. War es am Ende immer um ihn gegangen? Miller liebte Verwirrung und Chaos. Es war nicht auszuschließen, dass er erst ein Schauspiel inszenierte, alle von sich ablenkte und plötzlich zuschlug.
Das Telefon in Richards Hand schien plötzlich Tonnen zu wiegen. Aber er musste Hilfe anfordern. Mindestens drei bewaffnete Gegner und der schutzlose Evan. Hier brauchte er Unterstützung. Mit klammen Fingern wählte er die Nummer.
„Terrance? Hier ist Richard Declan.“
„Fuck, Declan. Wieso meldest du dich jetzt erst, wir …“
„Hör zu, T. Ich bin in Queens, in der Blueberry Street. Track diese Nummer für meinen genauen Standort. Und schick mir ein Einsatzkommando. Sie werden Ephraim Millers Schwester und den Rest seiner Gefolgsleute in der Halle finden, in deren Nähe ich gerade stehe. Aber sie haben eine Geisel in ihrer Gewalt.“
„Wow“, erwiderte Terrance überwältigt. Richard hoffte inständig, dass sein ehemaliger Kollege keine weiteren Fragen stellen würde. Vertraute der ihm überhaupt noch? Für einen endlos langen Augenblick herrschte Stille. „Alles klar“, erwiderte Terrance endlich. „Wir holen die Geisel da raus“, sagte er ernst. „Aber Declan, geh in Deckung! Diese religiösen Fanatiker sind zu allem fähig. Wir reden später. Du wirst aussagen müssen.“
„Jederzeit“, erklärte Richard und straffte den Rücken.
„Okay, ich habe deine Position. Verdammt, das ist weit draußen. Gib uns dreißig Minuten.“
„Verstehe“, antwortete Richard.
„Bis gleich und pass auf dich auf!“ Terrance beendete das Gespräch.
Richard atmete flach. Ein Einsatzkommando war unterwegs. Aber dreißig Minuten? In der Zeit konnten diese Irren Evan foltern oder töten. Und das FBI würde mit diesen Terroristen nicht zimperlich umgehen. Sie aus dem Verkehr zu ziehen war wichtiger, als eine Geisel zu befreien.
Er konnte auf seine ehemaligen Kollegen warten und in Sicherheit bleiben. Oder er handelte und sorgte dafür, dass Evan unbeschadet überlebte. Er lachte leise. Diese Frage stellte sich nicht einmal. Mit langsamen Schritten näherte er sich der Halle, achtete auf Passanten und weitere Täter in Overalls.
Mit einem kurzen Blick sondierte er die Umgebung. Die gegenüberliegenden Häuser schienen unbewohnt zu sein. Natürlich hatten diese Fanatiker eine isolierte Halle ausgesucht. Umso besser. So fragte niemand, warum ein Mann im schwarzen Businessanzug herumschlich.
Mit einem Griff zog er seine Waffe aus dem Holster, hielt sie versteckt an seinem Körper. Vorsichtig schlich er an der Außenwand entlang in Richtung des Hintereingangs. Wieso hatten sie keine Wache dort positioniert? Rechneten sie nicht mit Angriffen? Nun, wenn sie ihn, statt Evan, in den Wagen gezogen hätten, wer wäre ihnen dann gefolgt?
Endlich erreichte er die weiße Metalltür, von der Farbe abblätterte. Er tippte sie leicht mit dem Finger an. Sie war nur angelehnt. Was für ein Anfängerfehler. Wachsam schielte er durch den schmalen Schlitz zwischen Rahmen und Tür. Ein Lichtschein flackerte über seine Iris. Dann erkannte er hohe Metallregale und Boxen, die den Weg verstellten. Daher bewachten sie diesen Eingang nicht. Es gab kaum
ein Durchkommen. Richard öffnete die Tür ein Stück weiter, schlüpfte hinein.
Vor ihm tat sich eine Wand voller Regale und Boxen auf. Aber links und rechts von ihm konnte er einen schmalen Pfad in all dem Chaos erkennen. Er entschied sich für den rechten Weg, presste sich an der Wand entlang weiter.
Stimmen wurden hörbar, und sie schienen aus einem elektronischen Gerät zu stammen. Jetzt hatte er das Ende des Pfades und somit des Gebäudes erreicht. Er blickte vorsichtig um die Ecke. Sofort nahm Richard den Kopf zurück, krampfte die Finger um seine Waffe.
Kaum einen Meter von ihm entfernt lehnte ein Mann an der Wand und lauschte der Übertragung. Diese schien aus einem Raum daneben zu kommen, dessen Fenster ins Innere zeigten. Wahrscheinlich war es einmal eine Durchreiche gewesen. Dort hindurch sah der Mann. Und dann erkannte Richard die Stimme. Ephraim Miller selbst sprach. Nutzten sie etwa ein Handy dafür? Jetzt durfte er keine Zeit verlieren.
Er taxierte den Mann. Der trug in der einen Hand eine Waffe, in der anderen ein dickes Buch. Zweifelsohne die Bibel. Diese Verbrecher hielten sich ja für Auserwählte. Miller dröhnte aber nicht in seiner üblichen Predigerstimme, sondern schimpfte laut. Nun, solange er seine Leute anschrie, konnten die Evan nichts tun. Unter Millers Schimpftirade mischte sich ein vertrautes Geräusch. Bonsai jaulte und japste unentwegt.
Richard überlegte für einen Augenblick. Bibel oder Knarre? Er würde diesen Mann entwaffnen können, daran bestand kein Zweifel. Aber wenn sich dabei ein Schuss löste, machte er auf sich aufmerksam. Nein, er brauchte einen anderen Plan.
Blitzschnell griff er nach seiner Waffe und schlug sie dem Mann von hinten auf den Kopf, nutzte den Moment der Überraschung. Bevor der Mann um Hilfe rufen konnte,
begann er ihn mit seinem Arm zu würgen, bis er schließlich zusammensackte. Der war für eine Weile außer Gefecht. Richard sank in die Hocke, fühlte den Puls des Kerls. Gut – der schlief nur. Er nahm die Bibel vom Boden, warf ihm auf die Brust. Liebe deinen Nächsten – nicht knall deinen Nächsten ab, du Held der Schrift
, dachte er.
Vorsichtig spähte er um die Ecke und durch die Durchreiche. Ein weiterer Lagerraum zeigte sich dahinter, ebenfalls vollgestellt mit Kisten, Werkzeug und Regalen. Richard hielt die Luft an. Zwischen zwei Regalen konnte er einen Plastikstuhl erkennen und darauf saß – Evan.
Die Hände hatten sie ihm mit Kabelbinder hinter der Lehne zusammengebunden, ebenso die Füße. Und wahrscheinlich war sein Mund mit Tape bedeckt. Unter dem Stuhl kauerte ein zitternder Bonsai und rührte sich nicht. Dem kleinen Hund hatten sie die Schnauze mit silbernem Tape zugeklebt.
Zorn durchzuckte Richard. Doch niemand wurde Special Agent beim FBI, wenn er seine Emotionen nicht unter Kontrolle hatte. Er musste Evan aus der Schusslinie schaffen. Dieses Mal rettet er seinen
Menschen vor diesen Verbrechern. Vorsichtig sah er an Evans Schulter vorbei.
Vor Evan standen zwei Männer und Millers Schwester. Ihr Anführer plärrte über eine Videoübertragung aus einem Smartphone. Erkennbar in Gefängniskleidung. Er musste sich in einem der Waschräume befinden.
„Wieso bringt ihr mir den Jungen an? Ihr Idioten!“, rief Miller gerade und gestikulierte dabei heftig.
„Es tut uns so leid“, erklärte einer der Männer bedrückt. „Es war nur ein Versehen.“
„Und wie oft willst du mir das noch erklären? Du Dummkopf“, knurrte Miller hörbar. „Ich wollte Declan. Sein Spielzeug war nur gut, um ihn zu verwirren und mürbe zu machen.“ Richard
ballte eine Hand zur Faust. Miller seufzte theatralisch. „Aber jetzt ist er alles, was wir haben. Vielleicht ist Declan bereit, sich gegen ihn eintauschen zu lassen. Wir müssen schnell handeln, bevor er seine FBI Leute aktiviert.“ Er verdrehte die Augen. „Ich werde meinen Lockvogel wieder einsetzen. Er soll Declan eine Mail schreiben, ihn zur Halle bringen.“
„Der Hacker?“, fragte Theresa skeptisch.
„Dirk hat sich dem rechten Weg zugewandt und gehört jetzt zu uns. Er ist nun ein Hacker im Namen des Herren. Und er weiß, dass ich hier raus muss, um die Botschaft Gottes zu predigen.“
Sie zuckte mit einer Schulter. „Solange du ihm vertraust. Was machen wir mit dem Jungen?“ Jetzt deutete sie auf Evan.
„Versteckt ihn. Niemand darf ihn bemerken. Sobald Declan kommt, um sich austauschen zu lassen – erschießt ihn. Und sollte der feine Herr FBI-Agent nicht auftauchen – richtet ihn nach zwei Tagen hin. Er ist nur ein wertloser Sünder. Satan wartet schon auf ihn.“
Genug! Zum Glück hörte Miller sich so gerne reden. Während der selbsternannte Prophet weiter schwadronierte, nutzte Richard den Moment und sprang lautlos durch die Durchreiche in den Raum. Augenblicklich duckte er sich hinter einem Regal. In der Hocke schlich er nach vorne, bis er Evans Hände berühren konnte. Der zuckte zusammen, bliebt zum Glück ansonsten still.
Richard überlegte einen Augenblick. Dann berührte er mit dem Finger Evans Handrücken. Sweetheart
schrieb er und hoffte. Evan blieb steif sitzen. Verstand er etwa nicht?
Doch plötzlich streckte er einen Finger aus, strich sanft über Richards Hand. Erleichtert atmete Richard aus. Schließlich sah er sich um. Ein Hammer lag achtlos auf einem Regal. Er griff danach, legte ihn in Evans Hand.
Jeder gesunde erwachsene Mann konnte sich aus einer Kabelbinderfesselung befreien. Man musste nur wissen, wie. Aber er hatte keine Möglichkeit, Evan das Vorgehen zu erklären und vor allem keine Zeit. Noch sprach Miller auf seine Anhänger ein. Aber jeden Augenblick konnte ein Gefängniswärter kommen und ihn unterbrechen.
Die Gedanken rasten durch Richards Kopf. Flüstern? Nein, viel zu gefährlich. Die drei Miller-Leute standen kaum zwei Schritte von Evan entfernt und ihr gestörter Anführer würde ihn ebenfalls über die Kamera sehen können. Es half nichts. Er musste auf Evans schnelle Auffassungsgabe vertrauen.
Geduckt hinter einem Regal, streckte er eine Hand aus, schlug leise gegen Evans und presste sie vor. Dann umfasste er dessen Handgelenk, drückte es ein wenig zur Seite. Das wiederholte er noch drei Mal, schrieb schließlich los
auf Evans Handrücken.
Evan nickte kaum merklich und ballte die gefesselten Hände zu Fäusten, spannte alle Muskeln sichtbar an. Dann zog er die Hände schnell zur Lehne und auseinander. Richard hielt die Luft an. Aber die Fesseln saßen immer noch fest um Evans Handgelenke.
„Was treibt der Junge da?“, fragte Miller aus dem Smartphone heraus.
Theresa drehte sich um, starrte Evan an. Richards Puls raste, presste Blut in hohem Tempo durch seine Adern. Er krampfte die Finger um seine Waffe. Alle drei trugen Knarren. Und womöglich befanden sich weitere Waffen versteckt an ihren Körpern.
Wenn er schnell war, konnte er zwei erledigen, bevor sie ihn niederschossen. Und dann war Evan auf sich gestellt. Miller hatte ihn schon für tot erklärt – sie würden nicht zögern. Richards Magen wollte Übelkeit nach oben schicken. Doch er
schluckte hart, schob die Spitze der Waffe um das Regal, bereit, Evan zu verteidigen.
„Musst du mal?“, fragte Theresa in neutralem Tonfall.
Solange sie Evan gegen ihn eintauschen konnten, war er wohl wertvoll für diese Idioten.
Evan nickte.
„Moment. Wir sprechen noch ein Gebet mit Ephraim“, sagte Theresa mit strenger Miene und drehte sich erneut um.
Evan wiederholte den Versuch, aber auch dieses Mal saßen die Fesseln fest. Da drehte sich Theresa erneut zu ihm um. Betrachtete ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen und hob die Waffe.
Richard entsicherte seine eigene Pistole. In diesem Augenblick platzierte Evan den Griff des Hammers zwischen seinem Handgelenk und dem Kabelbinder, verstärkte so sein Gelenk. Das Metallteil behielt er dabei in der Handfläche. Blitzschnell zog er die Arme zur Lehne und auseinander. Mit einem leisen Knall platzte der Kabelbinder auf. Theresas Waffe klickte zuerst. Geistesgegenwärtig schwang Evan den Hammer und schlug ihr die Pistole aus der Hand. Ihre Begleiter schnellten herum, die Waffen im Anschlag. „Verdammt! Wo sind sie?“, rief einer von ihnen. Sie blieben stehen, suchten den Raum mit Blicken ab.
Evan ließ sich nach hinten fallen und landete im letzten Augenblick in Richards Armen. Sein Mund war mit silberfarbenem Tape verdeckt. Nur seine Augen erzählten von seiner Angst. Mit einem Finger deutete er auf Bonsai, der sich unter dem Stuhl wie eine Katze zusammengerollt hatte. Aber die Kerle hatten ihn wohl vergessen. Mit gefesselten Füßen kam Evan jedenfalls nicht weit.
Richard ließ ihn im Seitengang auf den Boden gleiten, während die ersten Schüsse fielen. Evan deutete nach vorne und Richard nickte.
Mit dem Fuß brachte er eines der Regale zum Schwanken, lehnte sich dagegen und schon stürzte es vor. Augenblicklich verstummten die Schüsse und Rufe, ein Mann stöhnte auf. Und jetzt konnte er Theresas Pistole auf dem Boden erkennen.
Gut fünf Schritte von ihm entfernt lag sie an der Wand. Theresa war also noch unbewaffnet. Evan musste Millers Schwester an der Hand getroffen haben. Mit schmerzverzerrtem Gesicht sah sie sich um.
Da. Der zweite Mann schoss auf Richard. Verdammt, er spürte keinen Schmerz. Der Schuss musste ihn verfehlt haben. Er hob seine Pistole, zielte auf das Bein des Kerls und schoss. Der schrie auf, sein nächster Schuss landete in der Decke.
In diesem Augenblick presste sich der kalte Lauf einer Waffe fest gegen Richards Schläfe. „Du bist zu spät zur Party, Declan. Gib mir deine Waffe“, sagte Theresa zynisch. „Als Entschuldigung wirst du deine Aussage widerrufen und dafür sorgen, dass Ephraim entlassen wird.“ Verdammt. Einen Augenblick war er unaufmerksam gewesen. Und genau dann hatte Therese ihre Pistole aufgehoben.
Richard händigte seine Waffe aus und suchte unauffällig nach Evan. Aber der lag nicht mehr auf dem Steinboden. Verdammt. Hoffentlich tat er nichts Dummes. Er musste Theresa ablenken.
„Deshalb veranstaltet Ephraim also so ein Theater? Hatte er gegen mich Sünder nichts anderes in der Hand?“, fragte er im Plauderton und hob langsam die Hände.
„Sieht so aus, als hättest du ein erstaunlich ruhiges Leben geführt. Nicht mal mit deinen Besuchen in Clubs konnten wir etwas anfangen. Wir wollten dir ja Minderjährige unterjubeln, aber du vögelst nie.“
„Charmant.“ Die Panik kroch in Richard nach oben. Aber er durfte sich nichts anmerken lassen. „Wie lange beschattet ihr mich schon?“
„Seit vier verdammten Jahren“, bellte Theresa. „Wir kennen alle deine Kontakte. Aber erst als du den kleinen Hacker kennengelernt hast, wurde es interessant. Und sein simpler Kumpel hat sich auch noch mit diesem Geschäftsmann eingelassen. Wunderbar. Wir brauchten nur noch einen Schlüssel, um diese Tür zu öffnen.“
„Und den hat Ephraim im Knast gefunden, nehme ich an?“
„Der Junge war verzweifelt. Brauchte Führung. Und Ephraim konnte sie ihm bieten. Er tut alles für ihn. Dirk kam selbst auf die Idee mit dem Handy. Und sie hat funktioniert. So konnte er die Veränderung im Programm so aussehen lassen, als käme sie von innen. Mit den Daten hätten wir dich erpressen können. Aber dann kam ja dein Junge ins Spiel und hat unser kleines Mauseloch verschlossen.“
Ein verzweifelter Junge? Vom wem sprach sie? Jetzt war nicht die Zeit, sich unwissend zu stellen. Hauptsache, sie ließ von Evan ab. Wo blieben eigentlich die beiden Kerle, die den Eingang bewachten?
„Ihr habt Liam also doch angeheuert?“, fragte er ins Blaue hinein.
„Den naiven Jungen, den dein Arbeitgeber vögelt?“ Sie lachte laut. „Den mussten wir nicht anheuern. Der hat uns einfach geglaubt. Ephraims neuer Freund war schließlich schon mit ihm im Bett.“ Räder setzten sich in Richards Kopf in Bewegung. Sie sprach von diesem Cyber, oder? Dem Kerl aus Evans ehemaliger Hackergruppe. Saß der etwa zusammen mit Ephraim Miller ein? „Wir haben so lange auf einen guten Kontakt gewartet. Und mit deinem Jungen ist er uns einfach in den Schoß gefallen.“
Ein Knacken ließ Richard aufschrecken. Und dann begann Theresa zu schreien. Richard duckte sich weg, erwartete einen Schuss. War das sein Ende? Aber Theresa heulte weiter auf, es folgte ein dumpfer Schlag, das Geräusch einer Waffe, die auf den
Boden fiel. Theresa beugte sich vorn über, jaulte so laut, wie es sonst nur Bonsai konnte.
Plötzlich stand Evan vor ihr. Den Kabelbinder um seine Fußgelenke hatte er wohl mit dem gleichen Trick entfernen können. In der zitternden Hand hielt er Richards Pistole, die Therese gerade hatte fallen lassen und zielte auf die jammernde Frau. Die hielt sich den Ellbogen.
„Gebrochen“, rief sie unter ihrem Heulen.
„Hoffentlich“, raunte Evan. Richard näherte sich schnell, wollte ihm die Pistole aus der Hand nehmen. „Ihr wolltet Richard töten und habt meinen Hund verletzt. Ihr ...“ Die Worte schienen ihm in der Kehle zu stecken, wollten nicht herauskommen.
„Terroristen“, ergänzte Richard und jetzt nahm er Evan endlich die Waffe aus den Fingern, hielt sie an Theresas Kopf. „Falls eure Wachmänner getürmt sind, werden sie nicht weit kommen.“ Mit einem Mal sah er das Handy, das im Chaos auf die Erde gefallen war. Miller in seinem Gefängnisoutfit war immer noch darauf zu sehen. Fassungslos starrte er Richard an. „Verrecke, du Mörder“, sagte Richard voller Inbrunst. Es fühlte sich so gut an, diesem Schwein endlich die Meinung zu sagen.
„FBI“, rief plötzlich jemand vom Eingang her. „Keine Bewegung!“
„Die meisten hier können sich nicht mehr bewegen“, antwortete Richard.
„Declan!“ Terrence Stimme war unverkennbar. „Bleib ruhig. Wir kommen.“
„Wenn ihr die zwei Deppen am Eingang gesichert habt, könnt ihr den Rest vom Boden aufkehren“, rief Richard ihm zu. Feindselig starrte Theresa ihn an. „Bis auf Miss Miller hier. Aber sie freut sich schon auf eine Fahrt in den Knast. Und hier ist ein
Handy, das sichergestellt werden muss. So könnt ihr die Bande direkt zu ihrem Guru verfolgen.“
Vor ihm tauchten drei Männer in Einsatzmontur und verdeckten Gesichtern auf. Einer nickte ihnen zu und sie schwärmten aus, durchsuchten das Gebäude. Jemand stöhnte unter dem Regal hervor.
„Eins“, zählte Richard und zeigte mit dem Daumen auf die Metalltrümmer. „Zwei“, fügte er an und deutete in Richtung des Kerls, der den Hintereingang so glorreich nicht bewacht hatte. „Drei.“ Mit dem Kinn zeigte er auf Theresa.
„Und wir haben vier und fünf draußen gesichert“, sagte Terrence und zog sich endlich den Helm vom Gesicht. Ungläubig sah er sich um. Evan trat zu Richard, Bonsai in seinem Arm. Dessen Schnauze war immer noch mit Tape zugeklebt, das Evan gerade vorsichtig löste.
„Ich brauche ein Messer, oder eine Schere“, murmelte er besorgt.
„Wir haben alle, Boss“, rief eine weibliche Stimme und Terrence nickte. Er griff in eine seiner vielen Jackentaschen und zog ein Messer heraus, gab es Evan.
Richard schob seinen Arm um Evan, küsste ihn auf die Wange und Bonsai auf den Kopf. „Danke“, sagte er zu Terrence, der ihn ungläubig anstarrte. „Ja“, bestätigte Richard. „Sie gehören beide zu mir.“
Noch während er das Tape löste, lächelte Evan.
Selbst Terrence verzog seine Lippen ein wenig. „Wir brauchen eure Aussagen“, sagte er milde.
Richard nickte. „Gib uns drei Stunden, okay?“
Terrence strich sich durch das blonde Haar, schien zu überlegen. „Ihr seid unsere wichtigsten Zeugen“, begann er.
Aber Richard hob eine Hand. „Drei Stunden, Christopher. Wir werden da sein und eine umfassende Aussage machen. Aber wir
beide brauchen eine Dusche und der Hund einen Tierarzt. Oder soll er auch aussagen?“
Geschlagen hob Terrence beide Hände. Seine Leute schafften derweil die Terroristen aus dem Gebäude. „Okay, Declan. Zehn Minuten in unserem Einsatzwagen. Ihr macht eine kurze Aussage und dann kümmerst du dich um deine Familie. Morgen früh um zehn will ich euch beide im Büro sehen.“
„Danke“, brummte Evan zuerst und Bonsai japste nach Luft. Noch war nicht das gesamte Tape entfernt, aber er konnte zumindest die Schnauze wieder öffnen.
„Ja, danke“, bemerkte Richard und zwinkerte Terrence zu. „Dann lass uns aussagen.“