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»Auf Mags und Gulliver!«

Mags hob zusammen mit den anderen ihr Glas und spürte, wie sich ein breites Grinsen über ihr Gesicht legte. Die offizielle Eröffnung war vorbei, und sie war wieder zu Hause bei Sam in ihrem neuen, wunderbaren Cottage. Sam hatte in einem der leeren Zimmer eine der Zimmertüren ausgehängt und auf zwei Tischblöcke gestellt, und rings um den so entstandenen Tisch saßen nun ihre Freunde und prosteten ihr zu.

Als sie und Gulliver das Gelände in Drabstock betreten hatten, war Mags gerührt gewesen, ihre Freunde unter den Besuchern zu sehen. Jim war mit Wendy Adams gekommen. Wendy musste all ihren Einfluss genutzt haben, denn Jim trug statt des üblichen T-Shirts sogar ein Hemd, wenn auch eines, das mit seinem fröhlichen Muster aus tropischen Blumen und surfenden Koalabären mit Gullivers Weste locker mithalten konnte. Neben Jim standen Sam und Eric Johnson. Sogar Mags’ Freundin und Eric Johnsons rechte Hand Mary Shifter hatte es sich nicht nehmen lassen, zur Eröffnungsfeier zu kommen. Die junge Polizistin hatte in den letzten Monaten wenig Zeit gehabt, da sie in London an einer Weiterbildung teilnahm. Mags wusste, dass sie den Ehrgeiz hatte, die jüngste Chief Inspector zu werden, die die Polizei in Cornwall je hatte – und so wie es aussah, war sie auf dem besten Weg dahin. Auch Tim Robinson, der Pilot, der seit dem letzten Jahr den kleinen Flugplatz unweit von Rosehaven übernommen hatte, war gekommen und stand neben Mary. Sie schienen sich viel zu erzählen zu haben. Mags hoffte insgeheim, dass die beiden nach ihrem etwas holprigen Start im letzten Sommer vielleicht doch zueinander finden würden.

Nur Miss Clara hatte in Drabstock gefehlt, war aber zu Mags’ großer Erleichterung zur Feier ins Cottage gekommen.

Und so saßen sie und Gulliver nun mit ihren Freunden beieinander und stießen auf ihren Erfolg an. Ihr neues Zuhause war mit Lachen und Freude gefüllt, und Mags hatte das Gefühl, dass das Cottage froh war über das neue Leben, das mit ihnen eingezogen war.

Die Fenster des Zimmers waren weit geöffnet, und in den blühenden Stockrosen, die sich neugierig in den Raum hereinbogen, summten Hummeln auf ihrem letzten Abendflug. Gulliver hatte aus dem Kofferraum seines Wagens eine Kiste mit Champagner hervorgezaubert und nur ein ganz klein wenig gezuckt, als Sam und Eric die perlende Flüssigkeit großzügig und ohne zu zögern in das bunte Sammelsurium aus alten Teetassen, Bechern und Wassergläsern verteilten.

Sam, Eric und Tim saßen zusammen und diskutierten lebhaft über die Pläne für das neue Besucherzentrum in Leon House. Mags dachte an das verfallene Herrenhaus unweit von Rosehaven mit seinem großen Grundstück an den Klippen. Sie hatte gemischte Gefühle dem Ort und seiner Geschichte gegenüber. Zum einen fand sie die Idee eines Infozentrums zur mittelalterlichen Geschichte Cornwalls auf dem Anwesen gut. Sie selbst hatte dort zusammen mit Sam und Mary im letzten Jahr eine kreisförmige Anpflanzung von sehr, sehr alten Eiben gefunden – und den Weg zu weiteren Grabungen eröffnet. Es würde, mit den subtilen Hinweisen auf König Artus und Camelot, viele Touristen anziehen und Geld nach Rosehaven bringen. Gleichzeitig aber hatten damals eben jene Geschichten und der hohe Wert von Leon House als Bauland indirekt dafür gesorgt, dass eine Frau ermordet worden war. Mags glaubte nicht wirklich an so etwas wie schlechtes Karma, aber trotzdem würde sie den Ort am liebsten einfach den Eiben und dem alles überwuchernden Efeu überlassen.

Sam hatte andere Bedenken wegen der Pläne für Leon House – er pflegte einen langen Streit mit dem zukünftigen Kurator der Einrichtung über die Vermischung von Fakten und Fiktion. Mags schmunzelte, immerhin war ihr Mann doch derjenige, der wilde Geschichten über Zeitreisen erfand. Aber wenn es um Wissenschaft ging, konnte er sehr empfindlich werden.

Eric und Tim hatten es nach einigen Versuchen geschafft, das Thema zu wechseln, und Mags ließ ihren Blick weiter durch den Raum und über ihre Freunde schweifen.

Auch Miss Clara war wie immer nicht ohne Mitbringsel gekommen und hatte zwei große Pie-Formen in die Mitte des Tisches gestellt. Es duftete nach warmem buttrigem Teig und Käse.

»Ich habe Sie heute vermisst.«

Mags sank neben Miss Clara auf das grüne Sofa, eine angeschlagene Tasse Champagner in der Hand. Die seufzte auf und blickte aus dem Fenster in die langsam einsetzende Dämmerung.

»Ich hatte einen Termin.«

»Oh. Natürlich. Ich wollte nicht …«

Mags wusste nicht genau, was sie sagen sollte.

»Sie haben mir gefehlt.«

Miss Clara sah sie an. Mags konnte dunkle Ringe unter den Augen ihrer ehemaligen Vermieterin erkennen, die auch das sorgfältig aufgetragene Make-up nicht zu überdecken vermochte.

»Es war sicherlich eine schöne Feier.«

Irgendetwas stimmte nicht. Es gab keine Nachfragen, wer sonst noch da gewesen wäre, keine Erklärung, was sie abgehalten hatte zu kommen.

»Ja, das war es. Ich habe wahrscheinlich mehrere neue Aufträge. Das ist wirklich gut, keine Frage, aber der ganze Bürokram … Und wenn ich jetzt noch eine weitere Person einstelle, kommen noch die Verwaltung, die Abrechnungen und das alles dazu.«

Mags hoffte, dass Miss Clara, die ja immerhin über Jahre genau das beruflich gemacht hatte, auf ihre Hinweise eingehen würde. Aber sie nickte nur abwesend und hatte ihren Blick wieder zum offenen Fenster wandern lassen.

»Ich schaffe das einfach nicht mehr allein.«

Keine Reaktion.

»Es wäre traumhaft, jemanden zu finden, der im neuen Büro das Zepter übernehmen würde. Jemand, dem ich vertrauen kann.«

Und endlich drehte sich Miss Clara wieder zu ihr um.

»Und an wen hattest du da gedacht?«

»Na, an Sie natürlich! Wissen Sie, Sie könnten sich ihre Zeiten frei einteilen, ich meine, es wäre ja keine Vollzeitstelle. Sie würden hier im Büro arbeiten können, wenn es fertig gebaut ist, oder auch zu Hause. Ich richte alles so ein, wie Sie es wollen, und es wäre einfach phantastisch, wenn Sie diejenige wären, die die Papiere macht und die Firma auf Kurs hält, und ich selbst könnte dann …«

Sie merkte, dass sie immer schneller gesprochen hatte, da sie in Miss Claras Gesicht nicht ablesen konnte, was sie über ihren Vorschlag dachte.

»Miss Clara?«

»Ach, Mags. Das wird nicht gehen.«

»Aber …«

Bevor Mags reagieren konnte, klopfte es laut an der Haustür.

Sam stand auf.

»Erwarten wir noch jemanden?«

Sam zuckte mit den Schultern und ging aus dem Raum. Wenige Minuten später kam er mit einer Frau zurück, die Mags noch nie zuvor gesehen hatte.

Sams Gesicht trug einen schwer zu lesenden Ausdruck. Doch bevor er die Besucherin vorstellen konnte, zog Eric Johnson scharf die Luft ein und sprang auf.

»Phyllis?«

»Ah, Eric! So sieht man sich wieder.«

Die Frau schien den fast entsetzten Ausdruck in der Stimme des Chief Inspectors nicht zu hören oder nicht hören zu wollen und sah sich mit einem schmalen Lächeln im Raum um.

Sie hatte ihre langen, fast schwarzen Haare zu einem straffen Zopf nach hinten geflochten. Ihr Gesicht war braun gebrannt und kaum geschminkt, nur die Lippen hatte sie rot nachgezogen. Sie trug eine dunkle Jeans und trotz des warmen Wetters eine schwere Lederjacke. Mags wusste nicht, warum, aber irgendetwas an ihrer Haltung flößte ihr Angst ein.

Die Frau hatte ihre Musterung der Anwesenden abgeschlossen und zog dann mit einem Nicken in Erics Richtung einen Ausweis aus ihrer Tasche.

»Guten Abend. Ich bin Chief Inspector Phyllis Armstrong. Ich habe einige Fragen an Miss Adams.«