Marie & Victor
Paris, Hôtel de Rohan-Guémené, Place des Vosges, Juli 1845
Ich danke Ihnen …« Marie saß in Victor Hugos Arbeitszimmer und drückte ihm beide Hände. »… ich danke Ihnen von ganzem Herzen. Wenn Sie mich damals nicht auf den richtigen Weg gebracht hätten …«
»Ich habe Sie nicht auf den richtigen Weg gebracht«, wehrte er ab. »Ich habe Ihnen nur gesagt, dass es Alternativen gibt, wenn der eine Weg nicht zum Ziel führt. Aber manchmal sind diese Wege auch eher Fluchten.«
Er sagte das sehr leise und wirkte ausgesprochen traurig. Sie legte ihre Hand auf die seine. Sie wusste, dass er von Léopoldine sprach, seiner ältesten Tochter, die 1843 bei einem tragischen Bootsunfall ertrunken war. Marie wusste auch, dass er seit ihrem Tod im Grunde alles tat, um diesen Schmerz zu überwinden. Er lächelte traurig, dann sagte er: »Ich bewundere Sie wirklich für Ihre Ausdauer, die Sie bei der Suche nach den Köpfen an den Tag legen. Dass Sie nun Steinbildhauerin geworden sind und mit Viollet-le-Duc gemeinsam an der Wiederherstellung der Königsgalerie arbeiten, ist wirklich phänomenal.«
Marie nickte. Sie hatte in den Jahren nach dem Tod ihrer Mutter wirklich jeden Stein auf der Suche nach der Maria auf der Mondsichel umgedreht.
»Ohne Ihre Empfehlung hätte mich Viollet-le-Duc nie ernstgenommen«, sagte sie nun und lächelte dem Freund zu. »Sie sind ein wichtiger und bedeutender Mann geworden – ein Mann von Weltruhm. Und ein Pair. Und obendrein Mitglied der Académie Française. Kein Wunder, wer wäre besser geeignet als Sie, um sich der Pflege der französischen Sprache zu widmen?«
»Sie hätten es auch ohne mich geschafft, da bin ich sicher«, sagte Victor und drückte ihr beide Hände. »Ich bin sehr stolz auf Sie. Und Ihre Mutter wäre es auch.«
Sie wollte ihm gerade ein gemeinsames Mittagessen vorschlagen, als er sagte: »Marie, bitte sehen Sie es mir nach – aber ich muss unser Zusammensein nun beenden.«
Sie nickte. »Sicher. Dann statte ich Ihrer Frau noch einen Besuch ab. Geht es ihr denn inzwischen etwas besser?«
Er zuckte die Achseln. »Eine Mutter, die ihr Kind verliert, kann sich davon nie wieder ganz erholen. Und Adèle musste dieses Schicksal gleich zweimal erleiden. Aber sie hat schon immer Kraft in ihrem Glauben gefunden.«
Marie nickte. »Gut. Ich werde mal nach ihr sehen.«