Ein gesundes Auge muss jeden Anblick ertragen können und darf nicht immer nur Grünes sehen wollen. Gesunde Ohren, gesunde Nasen sind auf jeden Klang und Geruch gefasst. Ein gesunder Magen verhält sich jeder Speise gegenüber gleich: wie die Mühle alles mahlt, was zu mahlen ist. So muss auch eine gesunde Seele für jedes Schicksal bereit sein. Wer aber sagt: »Meine Kinder müssen am Leben bleiben« oder: »Die Menschen sollen immer gutheißen, was ich tue« – dessen Seele gleicht Augen, die nur Grünes, oder Zähnen, die nur Weiches wollen.

MARCUS AURELIUS X 35

Alcimus wirkte nicht besonders munter. Er war unrasiert und hatte sich in einen schmierigen Umhang gewickelt; auf dem Wagen lagen ein paar Hacken, Körbe und Stricke.

»Sehe ich aus wie ein Krieger oder Wächter?«, knurrte er. »Nein, wie ein Bauernlump. Damit man mich nicht erkennt und euch nicht gleich verdächtigt. Bah.« Er schnalzte; das Gespann nahm den Laut als Aufforderung, langsamer zu gehen.

»Du riechst aber nicht wie ein Bauer.« Korinna warf ihm einen scheelen Blick zu; dann schaute sie wieder geradeaus. Vor der Porta Portuensis staute sich der Morgenverkehr: Karren, Handkarren, Wagen mit einem oder zwei Pferden, Ochsenkarren, einzelne bepackte Maultiere, Esel und Ochsen mit ihren Treibern oder Besitzern. Händler waren dabei, ganze Bauernfamilien, die in der Stadt wohnten und hinaus zu den Marktgärten wollten, zur Arbeit. Wahrscheinlich sah es an der Außenseite des Tors ähnlich aus. Die Wächter schienen gründlich zu prüfen, Namen auf ihre Wachstafeln zu schreiben, Karrenladungen zu untersuchen.

»Nein? Wie rieche ich denn?« Alcimus ließ die Zügel hängen; sie hatten den Stau erreicht und mussten warten.

»Du riechst, als ob die Frau, an der du dich gerieben hast, genug Geld für Duftwässer besäße. Und einen schäbigen Geschmack.«

Alcimus grunzte leise. »Nicht ganz falsch. Und immer dieses eilige Gefummel unter Torbögen, während der edle Gemahl zwanzig Schritte entfernt Geschäfte bespricht. Glitschige Sache.«

Korinna warf einen Blick auf die Ladefläche, wo Batrax sich zusammengerollt hatte und eingeschlummert war. Der Kormoran pickte an einem der Körbe herum.

»Glitschig?«, sagte sie. »Hast du es lieber trocken?«

»Unsinn. Ich meine das da.«

Sie sah nach vorn. Aus dem vorspringenden Obergeschoss eines der Häuser an der rechten Seite, kurz vor dem Tor, hatte offenbar eben jemand ein Nachtgeschirr geleert. Der Mann auf dem Bock des Wagens, der unmittelbar vor dem Haus stand, musterte Spritzer auf seinem Obergewand und brüllte unverständliche Verwünschungen hinauf.

Ob aus Anteilnahme der Umstehenden oder aus Zufall, flaute der Stimmenlärm ein wenig ab, sodass man hören konnte, was die Alte sagte, die oben den Kopf aus der Fensteröffnung reckte: »Soll ich runterkommen und dir zur Entschädigung zwischen die Beine greifen?« Dabei bleckte sie zahnlose Gaumen.

Der besprenkelte Mann schüttelte sich. »Ah nein, dann lieber noch einen Topf Pisse.«

»Komm morgen früh wieder.« Die Alte keckerte und verschwand. 

»Wieso eigentlich du?«, sagte Korinna. »Es sollte doch ein anderer mit uns fahren.«

Alcimus stöhnte übertrieben. »Pacuvius hat seine Pläne geändert und mich angewiesen, die Reise zu unternehmen.«

»Ich stelle mir vor«, sagte sie beinahe genießerisch, »wie ihr zwei euch unter Torbögen vergnügt und dabei den nächsten Tag beredet.«

»Das mit dem Torbogen war später, und da war Gaius nicht anwesend.« Alcimus grinste breit. »Ich werde ihm aber von deinen Überlegungen berichten.«

Korinna schwieg.

»Er wird es gern hören, dass du dich nach seinen Nächten erkundigst. Die er, wenn ich ihn richtig verstanden habe, sehr gern mit dir verbrächte, aber nicht unter einem Torbogen, sondern auf erhabenem Pfühl.«

»O die geflügelten Worte im Gehege deiner Zähne«, sagte sie. »Aber warum diese Änderung?« Ein wenig verärgert über den eigenen Körper, stellte sie fest, dass ihr Herz schneller schlug, und sie nahm an, dass die Oberkanten ihrer Ohrmuscheln sich färbten. »Gut, dass ich nicht nach einem ablenkenden Gespräch suchen muss«, dachte sie; dann tat sie den ablenkenden Griff in ihren großen Tragbeutel und nahm das Messer und die begonnene Schnitzerei heraus.

»Warum? Ich weiß es nicht; er hat mir keinen Grund genannt.«

»Kennt ihr euch gut?«

»Wie Brüder.« Er lachte leise. »Stiefzwillinge aus Bononia, die es nach Rom verschlagen hat. Er ist mein ältester Freund.«

Sie zögerte. Alcimus hatte in der Wachstube des vierzehnten Bezirks auf sie und Batrax gewartet; am Vortag hatte sie ihn dort gesehen und Fetzen des Gesprächs zwischen ihm und Pacuvius gehört. Spöttischer Austausch zwischen alten Freunden … Es mochte so sein. Andererseits war Alcimus vielleicht doch nur ein Mitarbeiter, der jetzt die Freundschaft erfand, um sie in Sicherheit zu wiegen, ihr Dinge zu entlocken. Sie dachte an die vergangenen Tage, an die Vorgänge, Gerüchte und Andeutungen; dann sagte sie sich, dass ihr diese Art des Misstrauens eigentlich fremd sei – Vorsicht, Umsicht, Zweifel ja, aber das Bedürfnis, hinter jedem Wort einen Dolch zu suchen und erst weiterzusprechen, wenn sie sicher sein konnte, dass es keinen Dolch gab? Abgesehen von dem Schnitzmesser, das wie selbstständig begonnen hatte, in dem Holzstück nach Einzelheiten eines Esels zu suchen. Sollte sie Alcimus berichten, was ihr in der vergangenen Nacht Protesilaos, der nubische Sklave des toten Manlius, erzählt hatte? Dass ein Mann namens Cornelius Longus nicht nur das Haus gekauft hatte, in dem die Mimen noch ein paar Tage würden leben können, sondern gleich auch das des Manlius nebenan? Das Haus, das Manlius – Protesilaos zufolge – vor ein paar Tagen noch um keinen Preis hatte verkaufen wollen? 

Sie plagte sich mit ihrem Misstrauen und dem Wunsch, Alcimus so zu nehmen, wie er offenbar war, bis sie das Tor erreicht hatten. Rechts und links des gemauerten Bogens erstreckte sich Trans Tiberims Befestigung: ein Erdwall mit Palisaden, von den ersten Häusern durch einen schmalen Weg getrennt, auf dem bestenfalls ein Karren fahren konnte.

Der Posten schien Alcimus zu kennen, aber der junge Offizier verkündete (nach heftigem Zwinkern), er sei der Bauer Lucius Macrobius und wolle mit Frau und Sohn auf den Acker fahren. Der Posten schrieb etwas auf seine Wachstafel und winkte.

»Weiterfahren. Und munteres Hacken!«

Jenseits des Tors trieb Alcimus die Pferde an und jagte das Gespann durch einige Nebengassen der Vorstadt, um die auf der richtigen Straße langsam dahinrollenden Wagen zu überholen. Vor dem Mauerwerk mit Toren, hinter denen die Gärten des Gaius Iulius Caesar lagen, reihte er sich wieder in die Prozession der Karren ein.

»Was war das?« Korinna deutete auf die Mauern. Dahinter war zwischen Wipfeln das Dach eines Palasts zu erkennen.

»Was denn?«

»Das Geräusch.«

Alcimus hob die Schultern. »Ich habe nichts gehört. Aber da drin gibt es Löwen – vielleicht hat einer gebrüllt.« Er lenkte sein Gefährt unter den Flüchen etlicher Bauern über zwei Felder, überholte weitere Wagen und steuerte das Gefährt schließlich unter Rumpeln und Schlingern wieder in die Rillen der Via Portuensis nach Westen.

»Oi«, sagte Batrax. Der Junge war bei dem Geholper aufgewacht und klammerte sich an den Karrenrand, um nicht hin und her geschleudert zu werden. »Fährst du immer so?«

»Nur, wenn es auch anders ginge.« Alcimus wandte den Kopf und lächelte. »Jetzt geht es nicht mehr anders – vorläufig jedenfalls. Schlaf weiter.«

Batrax murmelte irgendetwas; der Kormoran hüpfte auf den Rand eines Korbs, der nicht umgefallen war, torkelte und verschwand in der Tiefe. Batrax zupfte an der Schnur, die sein Handgelenk mit Epulos Hals verband; aus dem Korb erklang ein giftiges Geräusch, etwas zwischen Schnattern und Zischen.

»Hast du dich entschlossen?«, sagte Alcimus, ohne Korinna anzusehen.

»Wozu?«

»Mir halbwegs zu vertrauen.«

Sie seufzte. »Halbwegs entschlossen, dir zu einem Viertel zu vertrauen.«

»Für Rom ist das schon weit über dem Durchschnitt.«

Er spähte voraus; ein paar Hundert Schritte weiter verbreiterte sich die Straße. Dort kamen Feldwege von kleineren Gehöften zusammen. Da es keinen bedeutenden Gegenverkehr gab, setzte Alcimus wieder zu einem halsbrecherischen Überholen an.

»Vorsicht«, sagte er. »Pass auf mit deinem Messer.«

»Oi«, sagte Korinna, als sie mehrere Dutzend langsamer Karren hinter sich gelassen hatten und ein größeres Stück freier Strecke vor ihnen lag. »Ist es eilig?«

»Wenn es möglich ist, sollen wir nachts wieder in der Stadt sein. Anweisung des befehlenden Herrn.«

»Wenn auch du dich entschlossen hättest, mir zu einem Fünftel zu vertrauen, könntest du mir sagen, warum?«

Alcimus pfiff misstönend vor sich hin; dann sagte er: »So lausche und vernimm denn, o Tochter des Thespis. Gestern Abend waren wir bei einem … ach, sagen wir, vornehmen Herrn, dem wir Gehorsam schulden. Ich habe mit Männern von der Prätorianerkohorte gesprochen, die auch dort waren, und Gaius hat mit gewissen höheren Menschen geredet. Ich weiß nicht, was dabei beredet wurde, aber hinterher war er verwirrt? Bedrückt? Niedergeschlagen? Ich weiß es nicht. Er wollte mir auch nicht sagen, was vorgefallen ist. Er hatte aber vorher schon beschlossen, dass es besser wäre, wenn statt seiner oder eines beliebigen anderen Wächters der dumme Alcanor Alcimus dich begleitete und über dich und den Jungen wachte.«

»Was macht er heute?«

»Pacuvius? Der wird vielleicht einen lästigen Aufwiegler festnehmen und beim Präfekten der Stadt abliefern. Das ist aber nicht der Grund für seinen Trübsinn.«

Korinna schaute geradeaus, wo eben ein paar kriechende Karren eine Gruppe von Fußgängern überholten, die am Straßenrand gingen. Ein Stückchen weiter zweigte die Nebenstraße ab, die in die Hügel und zu einem kleinen Heiligtum führte und später wieder auf die Via Portuensis stieß. Blasse Wolken unterbrachen das milde Blau des Himmels, und darunter erstreckte sich das grüne Ackerland. Wo das andere Grün begann, das der Baumgruppen und der bewaldeten Hügel, sah sie bunte Punkte – Bauern wahrscheinlich, die ihre erste kleine Morgenrast einlegten.

»Gestern«, sagte sie, »war er … anders als draußen am Leuchtturm. Verwirrt? Ich weiß nicht; er kam mir eher ein wenig ratlos vor.«

Alcimus klackte mit der Zunge. »Die Ratlosigkeit des Knaben Pacuvius gegenüber einer schönen Frau, die er begehrt?«

»Unsinn. Dass er vielleicht zwischen meinen Beinen etwas suchen will, was er nie verloren hat und dort kaum finden kann, macht mich nicht zur schönen Frau. Nein, das hatte nichts mit mir zu tun. Ich glaube eher, dass er nicht weiß, was er wirklich für eine Aufgabe hat. Oder nicht wusste – vielleicht weiß er es ja jetzt und war deswegen niedergeschlagen oder betrübt, in der Nacht.«

Alcimus blickte sie von der Seite an; dabei ließ er die Zügel hängen, und die Pferde wurden sofort langsamer. Er sah wieder nach vorn, ruckte an den Zügeln und sagte: »Nein, du hast das nicht gesagt, damit ich jetzt bekräftige, dass du ersprießlich zu betrachten und lieblich gelegen bist. Eine kluge Frau mit kluger Rede. Ich kann Pacuvius verstehen. Aber – du könntest recht haben. Es muss gestern Abend etwas geschehen sein. Und ihm liegt an deiner Sicherheit.«

»Das heißt, er hat etwas erfahren, was ihn daran zweifeln lässt, dass Batrax und ich unbehelligt in Portus herumschnüffeln können.«

»So sieht es wohl aus.«

»Und deshalb auch die schnelle Rückkehr?«

Alcimus hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Vielleicht meint er, dass die Nächte in Portus von Dolchen starren. Es kann aber auch sein, dass in Rom die Dinge in Bewegung geraten.«

»Kommt der Kaiser zurück?«

»Man erwartet ihn heute, gegen Abend.«

»Das heißt«, sagte sie langsam, »dass jene, die Marcus Aurelius ermorden wollen, nicht länger auf ihn warten müssen.«

Alcimus ächzte. »Sie hätten ihn ja auch in Alsium … Aber da ist er sehr gut bewacht, nicht so viele Menschen wie in der Stadt. Und nirgends kann man sich besser verstecken als unter einigen Hunderttausend Leuten.«

Korinna schwieg. Manchmal schaute sie von der Schnitzerei auf, senkte dann wieder den Blick und versuchte zu ergründen, ob das, was die Messerspitze gerade zum Vorschein bringen wollte, irgendwann einmal das linke Vorderbein des Esels werden konnte.

Alcimus räusperte sich. »Schauspielerin und Schnitzerin?«, sagte er. »Viele Begabungen.«

»Es gibt Leute, die nicht damit zufrieden sind, nur auf einem Gebiet zu versagen.«

Er lachte. »Und was soll das werden?«

Sie hielt das Holz hoch. »Wahrscheinlich ein Esel.«

»Ein Esel? Bildnis des Gaius Pacuvius Lentulus?«

Sie trödelten hinter einer langen Karrenreihe her. Plötzlich stieß Alcimus eine Verwünschung aus und lenkte den Wagen nach rechts, auf die Nebenstraße in die Hügel.

»Ein Umweg«, knurrte er, »aber vielleicht weniger befahren. Manchmal sind die langen Wege kürzer.«

»Ob sie, wer auch immer ›sie‹ sind, den Anschlag auf den Kaiser nicht in Alsium, sondern in Rom planen, weil es ja nicht genügt, den Kaiser zu töten?«

Er runzelte die Stirn. »Hm.«

»Was heißt ›hm‹ in diesem Fall?«

»Ich überlege.«

Korinna wartete. Die Straße durch die Hügel schien tatsächlich frei zu sein, jedenfalls sah sie keine Karren und nur wenige Wanderer.

»Du meinst«, sagte Alcimus nach einer Weile, »wer den Kaiser tötet, muss auch die Berater und Vertrauten töten, weil sich sonst nichts ändert?«

»Die Berater und all jene, die wichtige Stellen einnehmen. Aber warum?«

Alcimus nickte. »Das fragen wir uns auch. Es gibt nur wenige Gründe. Man hasst den Kaiser und will ihn loswerden. Oder man will ihn, ob man ihn hasst oder nicht, durch einen anderen ersetzen, von dem man sich mehr verspricht. Oder … man will selbst Kaiser werden.«

»Wer hätte Grund, Marcus Aurelius zu hassen?«

»Niemand, außer denen, die unter Rom leiden. Parther, Mauretanier, der eine oder andere Germanenfürst, ein paar Daker … Aber so, wie die Dinge liegen, scheint es sich nicht um einen Angriff von außen zu handeln. Eher um eine innere Sache. Eine Verschwörung.«

»Und Daker oder Germanen scheiden aus?«

»Vermutlich.« Er schüttelte den Kopf. »Wir wissen jedenfalls nichts von Barbarenherrschern, die so gute Beziehungen innerhalb des Imperiums hätten, dass sie in der Stadt eine Verschwörung anzetteln könnten.«

Korinna schloss die Augen halb, bis die Landschaft verschwamm. Sie bildete sich ein, so klarer nach innen schauen zu können. »Das hieße, es müsste jemand aus den wichtigeren Kreisen der Stadt sein. Aber wer könnte den Kaiser hassen? Ausreichend hassen, um solch ein Wagnis einzugehen?«

»Marcus Aurelius Antoninus«, sagte Alcimus langsam, »hat so viele gute Eigenschaften, dass jeder, dem diese fehlen, sein Feind ist.«

»Was sind gute Eigenschaften?«

»Frömmigkeit. Zuverlässigkeit. Bescheidenheit. Fleiß. Gesetzestreue. Gerechtigkeit.«

Korinna rieb den rechten Handrücken mit ihrer Nasenspitze. »Manche werden zweifellos sagen, es handle sich um schlechte Eigenschaften. Die du gut nennst. Und umgekehrt.«

»Wie meinst du das?«

»Er hält, soviel ich weiß, nichts von den Schauspielen in der Arena, im Zirkus, auf der Rennbahn. Auch nicht vom Theater. Er ist … ernst? Nennen wir es so. Vielleicht hat er angedeutet, dass er die Gladiatorenspiele verbieten will; dann sind alle gegen ihn, die bei den Gladiatorenkämpfen etwas zu verlieren oder zu gewinnen haben. Vielleicht will er das Colosseum den Vestalinnen schenken.«

Alcimus lachte laut. »Fürwahr, ein trefflicher Gedanke. Die Hüterinnen des keuschen Feuers …«

Nach kurzem Überlegen sagte Korinna: »Wahrung der Gesetze schadet den Gesetzlosen, Frömmigkeit den Unfrommen. Keuschheit belästigt die Sinnlichen. Wenn Marcus Aurelius ein sehr guter Mensch ist, hassen ihn alle schlechten.«

»Das ist die Mehrheit.« Alcimus schnaubte. »Aber ich sehe, worauf du hinauswillst. Wir suchen nicht gründlich genug.«

»Ich dachte, die Spitzel des Imperiums seien überall.«

»Ja und nein.« Er klang beinahe nachdenklich. »Wenn es so wäre – wenn es noch so wäre, hätte ich wohl eine andere Arbeit. Pacuvius auch.«

»Bist du sicher, dass es nicht mehr so ist wie früher? Und bist du so sicher, was euch beide angeht?«

»Du wohlgeformtes Gefäß des Misstrauens!« Er lachte. »Das sage ich Pacuvius! Ah, warte bitte ein kleines Weilchen. Entwässerung. Noch jemand? Nein? Gut.«

Die Straße führte über die bewaldeten Hügel. An der Stelle, die sie eben erreicht hatten, zweigte eine Art Waldweg ab. Alcimus lenkte den Wagen an die Seite, gab Korinna die Zügel und verschwand im Gebüsch. Von irgendwo tauchte auf dem Waldweg ein bewaffneter Posten auf, der den Wagen misstrauisch beobachtete. Als Alcimus seine Geschäfte im Gesträuch erledigt hatte, ging er zu dem Mann, wechselte leise einige Worte mit ihm und kam schließlich zurück.

»Weiter!«, sagte er, als er die Pferde antrieb. »Wir waren eben bei den Spitzeln, oder?«

»War das da einer?«

»Ah, nein, der hütet nur den Zugang zum Tempel und zu einigen Landgütern – die misstrauischen Reichen, weißt du. Was wolltest du sagen?«

Sie begann, Geschichten wiederzugeben und Verse zu zitieren: über die Spitzel der Kaiser, die jedes Wort hören; über Krieger in Alltagskleidern, die sich neben einen Bürger setzen und im Gespräch, das sich entwickelt, den Kaiser lästern, um dann jedes Nicken oder sogar ein Schweigen als Zustimmung zu nehmen und den Bürger Schergen auszuliefern; über die alles durchdringende Bespitzelung und die Unmöglichkeit, in Rom einen freien Gedanken zu denken oder gar ein freies Wort zu sagen.

Alcimus widersprach. Dies sei, sagte er, unter früheren Kaisern so gewesen, besonders schlimm unter Nero und Domitianus, aber auch noch unter Traianus und Hadrianus; Antoninus Pius habe die geheimen Dienste verkleinert und vor allem das System des Belohnens abgeschafft, damit Spitzel und Verräter keinen Anreiz mehr hätten, Lügen auszuhecken, um jemanden ins Unheil zu stürzen, der nichts Unziemliches getan habe. Marcus Aurelius, sagte er, habe zwar überall Augen und Ohren – Augen namens Pacuvius, Ohren namens Alcimus, zum Beispiel –, aber diese seien nicht dazu da, Nase zu werden und gewöhnliche Bürger zu beschnüffeln. Für das öffentliche Wohl sei es unerheblich, ob jemand einen guten Witz mache, den Kaiser einen Trottel nenne oder mit der falschen Frau schlafe. Nur das, was die Sicherheit des Kaisers, seiner Berater und ganz allgemein des Reichs bedrohe: derlei zu ermitteln und die Durchführung entsprechender Pläne zu verhindern, sei die Aufgabe der guten Männer, für die Begriffe wie Spitzel oder Schnüffler Beleidigungen seien.

Korinna beschloss, ihm vorläufig zu glauben oder jedenfalls davon auszugehen, dass er und Pacuvius von der Rechtschaffenheit ihres Dienstes überzeugt seien. Alcimus stellte ein paar Fragen über das Leben mit einer reisenden Schauspieltruppe und erzählte seinerseits vom Leben im Palast und in den Unterkünften der Kaiserwächter. Eigentlich, sagte er, habe er in der Nacht, als die schwierige Arbeit unter dem Torbogen getan war, dorthin zurückkehren wollen, sich dann aber gesagt, dass es besser sei, gleich den Tiber zu überqueren. Morgens, schon vor Sonnenaufgang, »noch bevor sie ihren Morgenschiss erledigt haben«, drängten sich alle, gleich ob mit Rang oder ohne Namen, in Toga und Anmaßung gewickelt, um das Atrium bedeutender Männer zu füllen, Bitten vorzubringen, Schmeicheleien abzusondern, das Gefolge der jeweiligen Herren aufschwellen zu lassen oder ganz einfach die mehr oder minder schäbigen Gesichter zu zeigen. Es sei dann ein langwieriges Unterfangen, die Stadt zu durchqueren.

Korinna hätte gern ein paar Fragen über Pacuvius gestellt, unterließ dies aber, um sich keine Blöße zu geben. Allerdings hatte sie das Gefühl, dass Alcimus ohnehin alles durchschaute, was sie an Maske oder Tarnung aufwand. Er plauderte scheinbar ziellos über gemeinsame Erlebnisse aus den letzten Jahren. Keine Heldentaten, sondern vor allem alltägliche Arbeit, hin und wieder unterbrochen von witzigen Geschichten. Am Ende hatte sie den Eindruck, Alcimus sei ein anständiger junger Offizier, der seine Kräfte und seinen nicht unbeträchtlichen Scharfsinn dem Wohl von Volk, Senat und Kaiser weihte. Und Pacuvius – nun, Pacuvius war ein Gefäß makellosen Edelmuts, ein Bündel von Tugenden und Vortrefflichkeit, und vermutlich wäre er unerträglich, wenn ihn nicht seine Neigung zu einer gewissen Schauspielerin und der eine oder andere Scherz daran hinderten, den Göttern gleich die Welt anzuöden. Sie sagte sich, dass dieses Bild hier und da angenehm besudelter Lauterkeit sie reizte, dass Alcimus vermutlich genau dies beabsichtigte, und dass sie ihm kein Wort glauben sollte.

Ein seltsamer Anblick zerriss den Faden ihrer Gedanken; Alcimus war gezwungen, den Karren von der Straße über ein besonders unebenes Stück Feld zu lenken. Eine Gruppe von Männern, mit Stangen und Lanzen bewaffnet, kam ihnen entgegen; ein Karren fuhr vorneweg, zwei weitere folgten den Leuten und dem anderen Gefährt, das sie begleiteten: ein großer Käfig aus Balken und Eisenstangen, der auf kleinen Rädern dahinrollte, gezogen von Maultieren. Im Käfig ging das Rhinozeros. Korinna nahm an, dass es manchmal stehen blieb oder grimme Lust verspürte, zur Seite zu schlendern; dann würden die Männer Stangen und Lanzen einsetzen. Auf den Karren standen große Behälter, die wohl Futter enthielten, außerdem alles, was die Männer und die Reit- und Zugtiere brauchten. Das Rhinozeros warf dem Karren einen schrägen Blick zu und reckte dann den Kopf wie eine Fürstin, die sich von Gesindel beobachtet fühlt.

Kurz bevor sie den Hafen erreichten, sprachen sie noch einmal über die geheimnisvolle Verschwörung.

»Es ist angenehm, mit dir Mutmaßungen anzustellen«, sagte Alcimus. »Aber klüger sind wir dadurch nicht geworden.«

»Immerhin wissen wir eines.«

»Was denn?«

»Wer auch immer den Kaiser beseitigen will, braucht dazu, wenn er es gründlich erledigen möchte, ungeheure Hilfsmittel, wie sie nur einem Mann verfügbar sind.«

»Wen meinst du?« Alcimus blickte sie von der Seite an.

Sie lachte. »Der Einzige, der über die nötigen Leute verfügt, ist – der Kaiser.«

»Weißt du was?« Alcimus schnaubte. »Ich glaube, du bist verrückt. Oder du hast recht.«

»Oder beides.«

Es war kurz vor Mittag, als sie die wichtigsten Dinge besprochen hatten und sich trennten. Batrax musste versprechen, keine der ausgetüftelten Fragen zu vergessen und immer in Sichtweite Korinnas zu bleiben, die wiederum zusagte, keine unüberlegten Schritte zu tun und sowohl Batrax als auch Alcimus im Auge zu behalten. Korinna und der Junge warteten zwischen den ersten Häusern, bis sie sahen, wie Alcimus mit drei Wächtern aus dem Haus am Kanal kam, wo er den Wagen ließ.

Irgendwie kam Korinna die Luft freier vor als in Rom. Sie nahm an, dass es sich dabei um eine Illusion handelte, gezeugt von dem Gerede über Spitzel und die Schnüffeldienste.

Der Junge überraschte sie: Er hielt sich wirklich an die Absprachen. Mit dem Kormoran auf der Schulter – abgesehen von einer Pause, in der Epulo zum Fischen freigelassen wurde – schlenderte er durch das Gedränge, begrüßte alte Freunde, die ihn nicht vermisst hatten, und stellte eine Reihe unverfänglicher Fragen.

Zu einem Stauer: »Sag mal, du kennst doch Fufius. Der will mich in sein Haus holen, kannst du dir das vorstellen? Ob der einen Lustknaben sucht? Womit handelt er eigentlich?«

Zu einem Schmuckverkäufer: »Hör mal, ein Freund hat einen teuren Ring gefunden. Jedenfalls nimmt er an, dass er teuer ist. Ich finde, er sieht teuer aus. Kann er ihn dir mal zeigen?«

Zu einem Trödler: »Ich soll dich von Vel fragen, ob du jemanden weißt, der Finger oder vollständige Fingernägel sammelt.«

Zu einem Seilschläger im Schwertfisch: »Du, ich war ein paar Tage krank. Deshalb hab ich einen Onkel verpasst, der aus Elba oder Sardinien kommen wollte. Hast du den zufällig gesehen? Kräftig, Halbglatze, und normalerweise hat er einen Ring am linken kleinen Finger. Nein? Na ja, macht nichts.«

Zum Hüter der Latrinen hinter dem Schwertfisch: »Du, Fufius hat wieder was zu erledigen, will aber zur Abwechslung mal nicht Marullus nehmen. Meinst du, Mucius könnte das machen?«

Zur Schankmagd im Schwertfisch: »Wieso treiben sich in letzter Zeit eigentlich so viele Reiche hier herum?«

Korinna hielt sich immer so weit zurück, dass sie manchmal die Fragen und Antworten hören, ansonsten wenigstens die Mundbewegungen von Batrax sehen konnte. Zwischendurch plauderte sie mit der jungen Frau, die am Hexagon Hühner briet und verkaufte. Bei ihr aß und trank sie auch ein wenig; danach schlenderte sie bis zu jener Schenke, in der vor ein paar Tagen Lukianos und Apuleius gesessen hatten.

Die ganze Zeit war Alcimus mit den drei Wächtern in der Nähe, manchmal hinter dem nächsten Verkaufsstand verborgen, manchmal unmittelbar neben ihr oder dem Jungen. Dann hielten die Wächter Abstand, und tatsächlich gelang es Alcimus in seinem schmutzigen Zeug, mit unrasierten Wangen und stoppliger Sprache, sich als Bauer auszugeben und zwei- oder dreimal an einem Gespräch teilzunehmen. Weder Batrax noch Korinna gerieten in Bedrängnis, sodass die immer ausreichend weit entfernten Wächter nie eingreifen mussten.

Etwa zwei Stunden vor Sonnenuntergang stiegen Korinna und der Junge westlich des Hauses am Kanal auf den Karren des unrasierten Mannes, der zufällig vorbeikam.

»Man könnte meinen, die Fragen, die Pacuvius ausgeheckt hat, seien nicht völlig dämlich gewesen.« Alcimus schnalzte, um die Pferde zu schnellerem Gang zu bringen.

»Vielleicht sollten wir die kluge Art preisen, in der Batrax diese dummen Fragen gestellt hat«, sagte Korinna.

Der Junge saß hinter ihnen auf der Ladefläche, den Rücken an den Bock gelehnt; er blickte zurück auf die dämmerige Straße. Der Kormoran kaute auf einem Stück Tintenfisch herum, als wolle er seine Kopfmuskeln stärken und zugleich den Schnabel abstumpfen.

»So dumm waren die Fragen nicht«, sagte Batrax. »Aber meint ihr wirklich, Pacuvius kann mit den Antworten etwas anfangen?«

Alcimus zählte die einzelnen Punkte an den Fingern der linken Hand ab, ohne die Zügel loszulassen. »Erstens Fufius. Wir wissen jetzt, dass er einen Hang zu flaumhaarigen arabischen Lustknaben hat, daneben auch Mädchen mit üppiger Körperbehaarung mag, mit beidem handelt, und dass er seltsame Dinge mitgebracht hat – eine ganze Schiffsladung seltsamer Dinge. Außerdem hatte er Gäste, als er selbst bei einem Gastfreund geblieben ist. Zweitens: Offenbar gibt es in Portus und in Rom mehrere Dutzend … wie soll man sie nennen? Verdrehte Schweine? Leute, die Geld für abgeschnittene Körperteile von Menschen ausgeben. Drittens hat entweder niemand diesen Mann gesehen, dem angeblich ein Finger fehlt, oder es gibt ihn nicht, oder man hat verabredet, ihn nicht gesehen haben zu wollen. Viertens: Niemand war im Geringsten überrascht davon, dass Fufius den Herren der Wächter des Hafens gelegentlich für gewisse Erledigungen bezahlt. Fünftens: Mucius hat nicht unbedingt den Ruf, den ein ehrenwerter Centurio haben sollte; man traut ihm einiges zu. Und sechstens: Man sollte wohl die schmierigen Sonderdienste einmal untersuchen, die der Schwertfisch reichen Kunden bietet.«

Korinna schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob ich das so genau wissen möchte.«

»Ich wohl.« Batrax kicherte. »Man könnte da etwas lernen.«

»Du solltest besser lesen und schreiben lernen als bisher«, sagte Korinna; »und rechnen, aber von dem, was im Schwertfisch vor sich geht, weißt du ohnehin zu viel.«

Die Straße war kaum noch befahren; sie kamen gut voran. Alcimus schaute meistens mit zusammengekniffenen Augen geradeaus – nur einmal nicht; das war, als sie unterhalb eines Hügels entlangfuhren und am Hang, vielleicht fünfzig Schritte entfernt, den beweglichen Käfig sahen und die Männer, die ihr Nachtlager aufschlugen. Das Rhinozeros stieß merkwürdige Schnaufer und Quäklaute aus.

Alcimus schüttelte den Kopf, schwieg aber weiter. Ein beinahe heftiges Schweigen, fand Korinna, und fragte sich, ob der Offizier vielleicht die Schritte der Pferde zählte oder eine Schätzung vornahm, die Anzahl der Haare in den Mähnen betreffend, vielleicht, um nicht an gewisse andere Dinge zu denken oder um besser an andere Dinge denken zu können. Und während sie derlei Mutmaßungen anstellte, arbeiteten ihre Hände weiter an der Schnitzerei.

Irgendwann sagte er: »Außerdem wüsste ich doch gern, was Fufius mit diesen sonderbaren Waren anfangen will – ein Leibschurz von Mithradates, ein Stein von Hannibals Grab, die abgeschnittene Nase eines parthischen Satrapen, der Becher, aus dem Sokrates seinen Schierling getrunken hat … Was für ein Unfug!«

»Hast du je von diesem Markt der Träume gehört?«, sagte Korinna.

»Rom ist ein Labyrinth, in dem sogar Daedalus sich verirrt hätte«, sagte Alcimus. »Warum soll es nicht auch einen Markt für Träume geben?«

»Aber wo?«

Er hob die Schultern. »Im Mittelpunkt des Labyrinths? Oder darunter? Wohin gehen die Leute, wenn sie träumen wollen? Oder für Albträume der besonderen Art?«

»Also weißt du es nicht.«

»Ich habe nie etwas davon gehört. Aber das heißt nichts.«

Vor dem Tor gab es das übliche abendliche Gedränge; bis sie die Wachstube erreichten, war die Sonne seit mehr als einer Stunde untergegangen. Auf den Straßen des Viertels waren nicht allzu viele Leute unterwegs.

In der Wachstube erwartete sie eine eilige Botschaft.

»Kurz nach Sonnenuntergang, Herr, von einem Läufer des Präfekten«, sagte der Posten.

Alcimus las halblaut: »Alcimus und Korinna sofort zum Palast, mit Schwert, aber ohne Batrax – Gaius Pacuvius.« Er knurrte etwas; dann sagte er: »Welcher Präfekt? Welcher Palast?«

»Der Präfekt der Stadt.« Der Posten runzelte die Stirn. »Welcher Palast? Das weiß ich nicht.«

»Welches Schwert?«, sagte Korinna.

Alcimus gluckste. »Das weiß ich. Und wenn es der Stadtpräfekt ist, weiß ich auch, um welchen Palast es geht. Aber ich muss suchen.« Er klatschte in die Hände. »Ein schnellerer Wagen, frische Pferde! Los, los!«

Korinna berührte seinen Ellenbogen. »Kann ich den Jungen eben heimbringen?«

»Es wird ein wenig dauern, bis ich das Schwert gefunden habe. Ich fahre dann bei euch vor, aber beeil dich.«

»Kleidung? Duft? Von wegen Palast …«

Alcimus hob die Hände. »Wenn es um Schwerter und Eile geht …« Er grinste. »Kleidung ja. Das, was du trägst.«

Korinna und Batrax legten den Weg zum Haus der Mimen zunächst im Laufschritt zurück. Der Junge war vom langen Tag und dem eben erst überstandenen Fieber geschwächt; Korinna bemerkte, dass er zu keuchen begann, und ging langsamer.

»Werden sie mich ohne dich im Haus dulden?«

»Das hoffe ich – für sie. Sonst werde ich zetern.«

»Kannst du das? Zetern, meine ich?«

Korinna lachte. »Du solltest mich hören, wenn ich eine tobende Dienerin oder eine zürnende Fürstin zu spielen habe.«

Als sie den leeren, dunklen Vorderraum des Hauses betraten, hörten sie aus einem der hinteren Zimmer leise Stimmen. Es roch nach Wein und Fisch, und schwächlich zuckendes Licht schien wie ein wehender Vorhang in der Türöffnung zu hängen.

»Die Abtrünnige, die Treulose.« Mopsos blickte ihnen entgegen; er brachte es fertig, sich gleichzeitig die Finger zu lecken und die Mundwinkel herabzuziehen. Als er weitersprach, benutzte er die Stimme des grollenden Königs.

»Schmählich hat sie das Lager der sorgenden Sippe verlassen, spottete wohl in der Ferne unserer prasselnden Zähren; kehret nun heim in nichtiger Nacht mit windigem Sprosse, Nahrung erheischend und Schutz, Willkommen und ha-ja-ba-dah. – Was bildest du dir eigentlich ein?«

Aus einem der anderen Räume war ein zweistimmiges Stöhnen zu hören, das noch des Steigerns und der Besiegelung harrte. Markos und Thesion saßen auf niedrigen Schemeln am Tisch, Sulpicius hatte sich auf dem Boden niedergelassen, den Rücken an eine Wand gelehnt, und Mopsos hockte auf einem viel zu hohen Stapel aus gefalteten Decken. Offenbar hatten sich der Riese Bagoas und die schmächtige Myrina zu einem ihrer verwickelten Beilager zurückgezogen; nun bildete Korinna sich ein, die Stimmen zu erkennen – falls man von Stimmen reden konnte. Batrax stand ganz ruhig neben ihr, nur Epulo bewegte sich auf der Schulter des Jungen, als ob er gleich abfliegen wolle, um nebenan Augenzeuge zu spielen.

»Ich bilde mir ein, dass ich gleich wieder gehen und den Jungen in freundlicher Gesellschaft zurücklassen werde.«

Mopsos knallte die Holzplatte so auf den Tisch, dass einige Fisch- und Brotreste hüpften, herunterkullerten und am Fuß eines Kruges eine Art Abfallhaufen bildeten.

»Am besten bleibst du gleich ganz weg«, schrie er, diesmal mit der Stimme des von seiner Herrin enttäuschten Dieners. »Sie treibt sich herum, während wir fasten und arbeiten; sie fehlt bei unseren Auftritten, und dann sollen wir uns auch noch um diesen hergelaufenen Sohn eines Windgottes kümmern!«

»Genau. Er heißt Batrax. Ich brauche ein paar Münzen.«

Markos und Thesion tauschten ein Zwinkern aus; Sulpicius gähnte, wie um zu sagen: »Erzähl uns mal etwas Neues.«

Mopsos klopfte auf den Deckenstapel; und Korinna begriff, dass dieser deswegen so hoch schien, weil Mopsos darunter die Eisenkiste verbarg, die das Geld der Truppe enthielt.

»Münzen?« Er reckte die Arme und rang die Hände in der Luft. »Sie lässt uns im Stich, aber dann will sie Münzen!«

Korinna seufzte. »Herr der Komödien, Sklave des Mimus – es ist eilig. Die Hüter der Ordnung werden mich in den Kerker werfen, wenn ich den Befehl nicht befolge.«

»Die Hüter der Ordnung? Nicht vielleicht ein bestimmter Hüter mit Namen – wie hieß er noch gleich?«

Von der Straße her hörte sie Alcimus’ Stimme, die ihren Namen rief. Sulpicius stand auf, schob sich an Korinna und dem Jungen vorbei und ging nach vorn.

»Kommt sofort«, sagte er.

Als er wieder zu ihnen kam, schüttelte er den Kopf, streifte Korinna mit einem Blick und wandte sich an Mopsos.

»Es ist ein anderer.«

»Auch das noch! Willst du es mit sämtlichen Hütern der Ordnung von Rom treiben? Und was ist mit mir?«

»Was soll mit dir sein?«

Wieder hob er die Hände. »Eine abtrünnige Schauspielerin, die Truppe unvollständig, mein Lager kalt, mein Glied ungehegt – ach wenn es doch börste!«

Korinna lachte. »Deine geschmeidigen Hände werden Abhilfe schaffen. Aber bevor sie völlig verklebt sind, gib mir ein paar Münzen!«

Mopsos nestelte an seinem Gürtel, öffnete das Geldsäckchen, nahm ein paar Münzen heraus und warf sie ihr zu.

Korinna zählte – vier Sesterzen – und verneigte sich spöttisch. »Deine Großzügigkeit in dieser Sache lässt mich hoffen, dass es auch unserem jungen Gast an nichts fehlen wird. Gebt ihm zu essen und zu trinken; morgen früh bin ich hoffentlich wieder da.«

»Halt! Morgen Abend, bei Sonnenuntergang, haben wir einen teuren Auftritt. Alle. Denk daran!«

Alcimus rief wieder nach ihr; diesmal klang er ungeduldig. Sie berührte die Wange des Jungen und lief hinaus.

Ein schneller Wagen, vor dem zwei Pferde stampften und schnaubten – vermutlich waren auch sie ungeduldig –, stand vor dem Haus. Im matten Licht, das aus einigen Häusern auf die Straße fiel, sah sie Alcimus und einen anderen Mann, der die Zügel hielt.

»Komm endlich«, sagte Alcimus. Er reichte ihr die Hand und zog sie in den engen Wagenkorb.

Sie stieß einen Laut der Überraschung aus, als sie mit den Füßen etwas Weiches berührte.

»Du stehst auf deinem Beutel; den hattest du vergessen.« Alcimus wandte sich an den Fahrer. »Los, schnell, zum Palast! Wir wollen doch die Hinrichtung nicht versäumen.«

»Was für eine Hinrichtung?«

Er grinste. »Irgendeine. Mal sehen. Es wird sich schon etwas finden.«

»Ist das dein Ernst?«

»Iunius Rusticus hält manchmal abends Gerichtsverhandlungen ab, zuweilen mit Gästen, um ihnen die Wirksamkeit der römischen Gesetze zu zeigen. Dabei gibt es oft etwas zu trinken. Ich nehme nicht an, dass Pacuvius dich und mich und das Schwert haben will, um die Klinge in Wein zu tauchen.«