Es gibt vier Verirrungen des Geistes, vor denen man immer auf der Hut sein muss, und sobald sie als solche erkannt sind, hat man ihnen auszuweichen, indem man sich bewusst macht: Dies ist ein Gedanke, zu dem dich nichts zwingt; dies ist etwas, wodurch die menschliche Gesellschaft aufgelöst wird; dies sagst du nicht aus dir heraus (und es gibt nichts Törichteres, als nicht aus sich selbst heraus zu sprechen); und schließlich: Du fügst dir selbst eine Schmach zu, sooft der göttlichere Teil deines Wesens erniedrigt und herabgewürdigt wird durch den minderen, sterblichen, und dessen grobe Lüste.

MARCUS AURELIUS XI 19

Als die Verstümmelten, Geächteten und Ausgestoßenen unter dem Vorhang, aus Falten und Schatten quollen, hätte Korinna am liebsten gekreischt. Sie presste die Hände vor den Mund und starrte in den Strudel aus Gestalten und blinkenden Waffen. Hier und da klirrten Klingen aufeinander; der Speer eines Prätorianers, von der abgetrennten Hand umklammert, färbte sich rot im Sturzbach aus dem Arm.

Bis Ruhe einkehrte, verging kaum mehr als die Zeit zweier oder dreier Atemzüge. »Zu überraschend«, sagte Korinna sich später, »und zu viele.« Drei Tote – ein Stadtwächter, ein Prätorianer, einer der Geächteten – und mehrere Verwundete kostete es, bis die Befehle der Präfekten, von brüllenden Unteroffizieren wiederholt, dafür sorgten, dass die Männer den sinnlosen Widerstand einstellten. Sinnlos, da sie von einer Übermacht umringt waren und die Geächteten keineswegs angriffen, sondern lediglich sicherten. Und sie schickten sich an, die wichtigsten Leute voneinander zu trennen. 

Einige Krieger legten die Waffen beiseite und kümmerten sich um die verwundeten Kameraden.

Rusticus trat ein paar Schritte vor. Er wechselte Blicke mit den anderen Präfekten und dem fraglichen Kaiser; dann wandte er sich an Pacuvius.

»Was soll das? Ist hier nicht genug Wahnsinn und Gewirr?«

Pacuvius war blass, schien aber zu irgendetwas entschlossen. Korinna spürte, wie nach der Erstarrung ihr Blut wieder zu pochen begann; sie drückte die Handflächen gegen die Schläfen, die bersten wollten.

»Ebendarum, Herr«, sagte Pacuvius. »Auf welcher Seite stehen die Stadtkohorten? Auf welcher die vigiles und die Prätorianer? Diese hier, die Ausgestoßenen, stehen auf keiner Seite; deshalb sollen sie für Ruhe sorgen, bis wir alles geklärt haben.«

»Im Palast«, sagte Umbricius, »sind noch einige Kämpfer. Ich könnte sie mit einem Pfiff herbeiholen.«

»Bei den Löwengehegen, edler Umbricius, sind noch einige der Ausgestoßenen. Wenn sie das vereinbarte Zeichen erhalten, werden sie die Gitter öffnen.«

Der mutmaßliche Augustus hob die Hände; scheinbar gelassen, mit beherrschter Stimme sagte er: »Diese gegenseitigen Drohungen führen zu nichts. Was hast du vor, Wächter?«

»Ein ordentliches Verfahren.«

Mehrere Männer lachten; jemand – Korinna hielt ihn für einen der angereisten Legaten oder Prokuratoren – sagte mit nicht zu überhörendem Hohn: »Ordentliches Verfahren? Hier? Wie soll das aussehen?«

Pacuvius wies auf einen alten Mann, der die senatorische Toga trug, und deutete eine Verbeugung an. »Der Älteste und Sprecher des Senats, der ehrwürdige Publius Sempronius Cornelianus Nasica«, sagte er, »ist sicher über jeden Zweifel erhaben. Ich bitte ihn, vorzutreten und mich zu beraten. Er möge die Anmaßung vergeben, die in diesem Ansinnen liegt und für die ich später den Kopf hinhalten werde.«

»Darüber wird zu reden sein.« Der Greis trat neben Pacuvius; er stützte sich auf eine Krücke, deren Griff silbern glitzerte. »Soweit das Recht anwendbar ist in diesem Wahnsinn, will ich es hochhalten. Was willst du?«

»Zuerst, Herr, sollten wir sehen, ob wir einen Princeps haben.«

Cornelianus ließ ein knarrendes Grunzen hören. »Wie?«

Sehr zu ihrer Verblüffung sah Korinna, wie Pacuvius den Arm hob und auf sie deutete.

»Die Mimin Korinna«, sagte er, »könnte uns erhellen.«

»Eine Mimin?« Cornelianus spuckte aus. »Nicht genug, dass sie und die anderen uns mit Unflat belästigt haben?«

»Komm her – bitte.«

Fast gegen ihren Willen ging sie zu ihm, langsam, stolpernd; diese Bühne, von der Welt abgetrennt durch einen dicken schwarzen Vorhang, hatte sie sich ebenso wenig gewünscht wie diese Zuschauer. Und sie wusste nicht, welche Rolle sie nun spielen sollte. 

Pacuvius berührte ihren Arm; sie sah die Anspannung auf seinem Gesicht und glaubte, etwas wie Ergebung zu lesen. Ergebung, Ergebenheit, Hingabe? Hatte er sich damit abgefunden, dass am Ende des Irrsinns nur sein Tod stehen konnte?

»Kennst du diesen Mann?«, sagte er; mit dem Fuß deutete er auf den Leichnam des Mannes, der vielleicht Marcus Aurelius gewesen war, vielleicht aber ein dreister Hochstapler.

»Wie sollte ich ihn kennen?«, sagte sie mit brüchiger Stimme. »Ist er der Kaiser? Oder nicht?«

»Sieh ihn dir genauer an.«

Korinna schloss die Augen, holte tief Luft und schluckte mehrmals, um das Würgen in der Kehle zu bekämpfen. Sie kniete neben dem Toten nieder. Neben einem Stück Fleisch, neben blutgetränkten Kleidern, neben stinkenden Gedärmen, die aus der Bauchwunde wie widerliche, verknäuelte Schlangen gekrochen waren.

»Kennst du ihn?«

Korinna musterte das Gesicht, das bald wie fahles Wachs sein würde, den schütteren Bartkranz, die eine sichtbare Hand – die zweite war von verrutschten Kleidern bedeckt – und den Hals, der gut zu sehen war, da der Mann im Todeskampf den Kopf weit nach hinten gebogen hatte.

Plötzlich begriff sie, und sie fragte sich, wieso sie nicht längst begriffen hatte. Alles war doch so offensichtlich – jetzt, da sie sah. 

»Ich kenne ihn«, sagte sie heiser.

»Lauter bitte, Korinna.«

Sie erhob sich. »Ja, ich kenne ihn«, wiederholte sie. »Es ist der Schauspieler Arkesilaos.« Als das Murmeln, die Ausrufe und die Bemerkungen endeten, setzte sie hinzu: »Früher Mimystiker von der Truppe des Catulus, zuletzt, wie ich hörte, bei den Agoraphoniern. Er war einmal fett. Und er war bekannt dafür, bedeutende Männer nachahmen zu können.«

Cornelianus schaute sie nicht an, als er sagte: »Bist du sicher?«

»Ja, Herr. Schau, die Wangen und der Hals. Die Falten eines dicken Mannes, der sehr schnell sehr viel abgenommen hat. Sicher kann einer von euch Herren bezeugen, dass der wahre Augustus nicht solche Falten hat.«

Cornelianus blinzelte schnell. Mit schlurfenden Schritten ging er zum Leichnam, bückte sich und zupfte an der faltigen Haut des Halses. Dann richtete er sich auf, nur um sich sogleich vor dem lebenden Marcus Aurelius zu verneigen.

»Ave Augustus!«, sagte er.

Ein Teil der entsetzlichen Spannung ringsum war gewichen, aber Korinna fühlte sich noch nicht befreit oder gar sicher. Sie sah, dass Pacuvius keineswegs erleichtert wirkte, und sagte sich, dass alles noch immer in einer Katastrophe enden konnte. Umbricius, Vel Kuruna, Philippus, wahrscheinlich mindestens einer der Präfekten … sie alle konnten durchaus noch etwas in der Hand haben. Während des Gemenges hatten sie nichts tun können, und nun standen sie alle, durch Geächtete getrennt, waffenlos auf der Terrasse oder in der Vorhalle des Palasts. Aber sie schienen allesamt unbekümmert; was konnten sie noch ausrichten?

Korinna seufzte lautlos. Sie würde sich erst sicher fühlen, wenn der Vorhang diese seltsamste aller Bühnen nicht mehr von der Welt trennte; wenn sie mit den anderen durch die Gärten, durch die Stadt gehen, wenn sie Pacuvius an der Hand nehmen konnte. Daran war jetzt nicht zu denken; Pacuvius hatte ihr kurz, fast verzweifelt zugelächelt und sich dann in die unmittelbare Nähe des Kaisers begeben.

Marcus Aurelius, scheinbar oder wirklich gelassen, befahl allen Waffenruhe; als Leute, die er in den Palast geschickt hatte, mit der Nachricht zurückkamen, dass die Familie des Kaisers wohlauf sei, klatschte er einmal in die Hände.

»Ehrwürdiger Cornelianus Nasica – Gaius Pacuvius – ihr habt gut begonnen; so vollendet es denn.«

»Was?«, sagte der Senator. »Diesen Unsinn über Verschwörungen und Gegenverschwörungen? Du weißt, Augustus, wie jene, die mit dem Schwert das Reich geschaffen haben, nur verfahren würden, nicht wahr?«

»Hundert Hinrichtungen.« Marcus Aurelius nickte, die Andeutung eines Lächelns um den Mund. »Ich ziehe es vor, die Wahrheit zu erfahren. Falls es eine eindeutige Wahrheit gibt.«

Genau dies, befürchtete Korinna, würde es nicht geben. Vielleicht eine fast eindeutige Wahrheit, aber an den entscheidenden Stellen keine ausreichenden Beweise. Langsam, mit winzigen Schritten, zog sie sich wieder zu den übrigen Mimen zurück, an den Rand der Ereignisse. Was auch immer geschehen mochte, würde sie von dort ebenso gut verfolgen können, und vielleicht gäben wenige Schritte Abstand ihr später eine Meile mehr Sicherheit. Und während Pacuvius zu sprechen begann, schaute sie sich nach dem Führer der Geächteten um, die noch immer alles unauffällig beaufsichtigten. Aber sie konnte den Mann mit der Vogelmaske nirgendwo sehen.

Pacuvius redete knapp und ohne Abschweifungen: ein militärischer Bericht. Nach und nach wurde das Bild, das Korinna zu sehen begonnen hatte, deutlicher, der Rahmen füllte sich mit Einzelheiten.

Die eigentliche Geschichte, sagte er, habe angefangen, als der Kaiser alle Verfassungsschriften aus den Archiven zusammentragen ließ und an der Ausführung seines alten Wunsches zu arbeiten begann: eine republikanische Verfassung für das Imperium. Es habe vermutlich unter seinen Beratern und Helfern nicht nur Zustimmung, sondern auch Widerspruch gegeben – vor allem von jenen, deren Stellung mit dem Amt des Kaisers verbunden sei. Reiche und mächtige Männer, die befürchten mussten, Macht und Reichtum zu verlieren, wenn der Bau des Staats verändert würde.

Hier und da sah Korinna jemanden nicken; andere blickten empört oder gleichgültig drein. Vielen war anzusehen, dass sie ein schnelles Ende wünschten, um sich endlich irgendwo setzen zu können. Cornelianus schien angewidert, ließ aber Pacuvius weitersprechen. Umbricius zeigte ein verhaltenes Lächeln, Vel Kuruna fasste sich zwischendurch an den schmerzenden Kopf und schnitt Grimassen, der Gladiator Philippus stand reglos, und Marcus Aurelius hatte die Arme verschränkt. Sie konnte nicht sehen, wen er betrachtete oder beobachtete; möglicherweise niemanden oder alle oder stoische Gedanken im eigenen Geist. Lukianos hielt sich in der Nähe von Septimius Severus und seinen Leibwächtern auf, Apuleius war vermutlich hinter ihr, bei den Mimen und den Fremden mit den Schlitzaugen. Der dicke Händler Fufius Ripa, die Fäuste in die Hüften gestemmt, lehnte mit dem Rücken an einer Säule, und Quirinus stand mit Alcimus in einer Gruppe von Wächtern und Ausgestoßenen. Sein Gesichtsausdruck wechselte zwischen Schmerz und – Überdruss?

Korinna musterte Gesichter, Mienen, Haltungen; während Pacuvius redete, versuchte sie zu erraten, was die Männer, über die er sprach, nun denken oder planen mochten.

Umbricius hob eine Braue, als Pacuvius die ihn betreffenden Teile zusammenfasste: »Marcus Umbricius, besonderer Hüter des Kaisers, wird nichts mehr zu hüten haben, wenn es eine Republik nach den Wünschen des Marcus Aurelius gibt. Er hat die Mimentruppe der Agoraphonier für seine Feste angeheuert. Und er hat dafür gesorgt, dass sie um den Imitator Arkesilaos verstärkt wird. Diesen hat er auf dem Landgut zwischen Rom und Portus auf seine größte Rolle vorbereitet, die des Kaisers. Dafür musste Arkesilaos vor allem eines tun: fasten. Umbricius wusste natürlich, dass heute Abend in Caesars Gärten ein Fest vorgesehen war, und dabei sollte der echte Marcus Aurelius beseitigt und gegen den falschen ausgetauscht werden – wie wir gesehen haben. Ich nehme an, dass nach der Abreise all der edlen und bedeutenden Zuschauer der falsche Kaiser bald krank geworden wäre und ein Testament gemacht hätte. Und zwar hätte er den Gladiator Philippus adoptiert, der tatsächlich Romulus Annaeus Ulpius Flavius heißt. Verwandt mit den Kaisern Vespasianus, Titus und Traianus. Philippus beziehungsweise Ulpius Flavius ist nach dem bedauerlichen Tod des falschen Kaisers nicht nur der neue Princeps, den Umbricius hüten kann, sondern er ist auch Schwager von Marcus Umbricius – der Bruder seiner Frau Rema Ulpia Flavia. Im nächsten Sommer, wenn der Mit-Kaiser Lucius Verus siegreich aus dem Partherkrieg heimkehrt, wird dieser entweder Mit-Kaiser bleiben oder, vielleicht, einen bedauernswerten Unfall erleiden. Es sollen auch schon Schiffe gesunken sein auf dem Weg von Asien nach Rom.« 

Als Pacuvius endete, hob Umbricius auch die zweite Braue. »Ein wunderbares Märchen«, sagte er. »Darf ich etwas dazu bemerken?«

Marcus Aurelius nickte flüchtig und blickte Cornelianus an. Der Sprecher der Senatoren räusperte sich.

»Ein Märchen, in dem gewisse Teile unbehaglich echt scheinen. Was hast du dazu zu sagen, Umbricius?«

Umbricius neigte das Haupt vor dem Greis. »Danke, edler Cornelianus Nasica. Wir alle haben gehört, welch tückische Pläne ich angeblich geschmiedet habe. Dumme Zufälle, sage ich. Diese Mimen, die Agoraphonier, habe ich für einige kleine Festlichkeiten gemietet und bezahlt; von diesem – wie heißt er? Arkesilaos? – habe ich nichts gewusst. Ich tadle mich, dass ich mich heute Abend von seiner Ähnlichkeit mit dem Augustus habe täuschen lassen; aber ich war ja nicht der Einzige. Nein, edler Cornelianus, nein, erhabener Fürst – ich habe all die Tage das getan, was ich seit Jahren tue: die Sicherheit des Augustus und seiner Familie gehütet. Daher wusste ich, dass ruchlose Schurken einen Anschlag vorbereitet hatten, und alle Maßnahmen, die ich ergriffen habe, dienten dazu, diese Schufte zu beobachten und im richtigen Augenblick zuzugreifen. Ich fürchte, Pacuvius hat uns ein Märchen erzählt, um zu verschleiern, dass er selbst Teil der Verschwörung ist.«

Korinna hörte draußen, jenseits des dicken Vorhangs, Geräusche wie von einer erregten Menge, die in Bewegung gerät. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf das seltsame Gerichtsverfahren und sah, dass Pacuvius etwas sagen wollte, aber Umbricius sprach schnell und laut weiter.

»Weil ich genau dies befürchtet hatte, habe ich ihm gewisse Aufgaben zugewiesen – in Portus und Trans Tiberim; und die Weise, in der er es vorzog, die Aufträge nicht auszuführen, hat mein Misstrauen vermehrt und, nun ja, bestätigt.«

Korinna sah Fufius grinsen; mit den Augen suchte sie Alcimus, aber der betrachtete sein Schwert.

Cornelianus starrte Pacuvius an. »Kannst du das entkräften, Mann?«

Pacuvius nickte; aber ehe er sprechen konnte, schrie Philippus Romulus Annaeus, der ehemalige Gladiator: »Warum hast du meine Schwester ermordet, du Dreck?«

»Ist das denn wahr?« Vel Kuruna hörte auf, an seinem Kopf herumzutasten, und starrte von Pacuvius zu Umbricius und zurück. »Hat er sie wirklich getötet?«

»Meine schöne Frau, die edle und kluge Rema Anaia Ulpia Flavia«, sagte Umbricius dumpf. »Deine Schwester, Romulus – und, ja, deine Nichte, Vel Kuruna.« Er seufzte und rieb sich die Augen. »Aber warum? Ich weiß es nicht; vielleicht hatte sie begriffen, welches üble Spiel er spielt.«

Der Lärm in den Gärten nahm zu; man hörte einzelne Schreie, dazwischen fernes Löwengebrüll und ein durchdringendes Schnauben oder Schnaufen. Korinna bemerkte, dass trotz aller Spannung einige der Männer auf der Palastterrasse zum Vorhang blickten. Gleichzeitig krampfte sich eine kalte Faust um ihre Leber. Angst, eisige Angst. Sie wusste, dass sie nun sprechen musste, um Pacuvius zu retten. Sie wusste aber auch, dass ihre Worte für jemanden den Tod bedeuten würden. Wahrscheinlich für sie selbst; was sie zu sagen hatte, würde ihr die tödliche Feindschaft zumindest von Marcus Umbricius eintragen. Und ihm traute sie inzwischen alles zu – auch, dass er sich aus allem herauswinden würde.

Sie fing einen Blick von Lukianos auf; er nickte und wies mit dem Kinn auf Pacuvius. Pacuvius, der schwieg, weil er sich sagen musste, alle würden annehmen, die Behauptung, Umbricius selbst habe Rema getötet, sei nur die verzweifelte Lüge eines Verschwörers.

Korinna hob den Arm, der so schwer war, als hinge ein Elefant daran. »Augustus«, sagte sie, »und ehrwürdiger Cornelianus – Umbricius lügt. Ich war im Garten seines Hauses und habe durchs Fenster gesehen, wie er selbst seiner Frau das Schwert in den Hals gestoßen hat.«

Sie sah Gesichter, die sich zu ihr wandten, ungläubige Mienen. Aus den Augenwinkeln nahm sie eine Bewegung des schweren Vorhangs wahr. Sie hörte die Ausrufe einiger Männer – Zweifel, Verblüffung – und die unter dem angehobenen Vorhang hereinschwappende Woge aus Schreien, Tiergebrüll und den Schritten rennender Menschen. Septimius Severus, kaum fünfzehn Schritte von ihr entfernt, hatte zwei Speere aufgehoben, die Wächtern oder Prätorianern gehörten; sie sah, wie er die handlangen, nadelfeinen Eisenspitzen musterte.

Cornelianus wandte sich zum Vorhang. »Was …«, sagte er.

Umbricius starrte sie an; seine Augen waren Schlitze, und sie bildete sich ein, darin mörderischen Hass zu sehen.

Vel Kuruna rang die Hände; er machte ein paar Schritte hin zu Umbricius und schrie: »So ist es – so ist es – so muss es sein! Was die Mimin sagt, erklärt alles! Mörder! Gattenmörder!«

Philippus stieß den Etrusker beiseite. »Unsinn! Das kann nicht sein! Wozu sollte er meine Schwester umbringen?«

»Wozu? Wozu nicht?«, sagte Fufius mit einer Grimasse.

Dort, wo Korinna die Bewegung gesehen hatte, tauchte aus den Falten des Vorhangs der Mann mit der Vogelmaske auf. Er lief über die Terrasse, bis er zwischen Marcus Aurelius, dem Gladiator, Umbricius, Vel Kuruna und Pacuvius stand.

»Vielleicht hat er seine Frau umgebracht – aber nicht deine Schwester! Meine Schwester! Ich bin Romulus Anaius Ulpius Flavius.« Er zerriss mit beiden Händen die Tunika vor seiner Brust und drehte sich einmal um sich selbst. Unter der linken Brustwarze war ein halbmondförmiges Mal zu erkennen. Das Mal, das Korinna unter Remas linker Brust gesehen hatte, an jenem frühen furchtbaren Morgen.

»Kennst du das Mal, Onkel?«, rief er. »Und du, Umbricius?«

»Aber … wer ist er?« Zum ersten Mal verlor Umbricius die Beherrschung; mit weit aufgerissenen Augen schaute er abwechselnd den Mann mit der Vogelmaske, den Gladiator und Vel Kuruna an.

»Remas Liebhaber, vermutlich.« Der Maskierte verzog die Unterlippe; wahrscheinlich sollte es ein hässliches Grinsen sein, aber die Bronzemaske, die Nase und Oberlippe bedeckte, machte eine scheußliche Grimasse daraus.

»Also deshalb habe ich ihn zuerst nicht als Neffen erkannt!« Vel Kuruna hob die Hände, als ob er den Mann mit der Vogelmaske umarmen wolle. Dann ließ er sie wieder sinken und sagte: »Aber die Schriften …«

Draußen, in der richtigen Welt, sagte sich Korinna, wäre dieser Irrsinn schlimmstenfalls ein Angsttraum, aus dem sie bald erwachen würde. Aber in der richtigen Welt, vor dem Vorhang, nahm der Lärm noch weiter zu. Löwengebrüll, kreischende Menschen, tausend hastige Schritte, ein dumpfes Grollen und Stampfen. Dann schnappte sie nach Luft, als der Fürst der Ausgestoßenen an die Lederbänder griff, die seine Maske hielten.

»Die Schriften?«, sagte er. »Lebensunterhalt – ein Scherz – ein bisschen Rache. Dafür.« Er nahm die Maske ab. Darunter umgab ein grässlich vernarbter Schartenrand eine Höhlung; Nase und Oberlippe fehlten.

Der Vorhang ruckte, beulte sich aus; ein Schnaufen war zu hören, dann schien der schwere dunkle Stoff zu tanzen. Köpfe fuhren herum, richteten sich auf den Vorhang, die Beulungen, die Kante des Giebelvorsprungs, wo ein Knirschen und Ächzen ertönte. Putz und Steinbröckchen rieselten herab. Noch ein Rucken und Schnauben, der Vorhang gab nach, sackte und riss. Führstange und Halteringe kamen mit, stürzten nach außen, die Stufen hinab und auf die Fläche vor der Terrasse. Ein paar weingefüllte Amphoren zerbrachen; Lachen breiteten sich aus.

In den Gärten, im zuckenden Licht der Fackeln näherten sich Gestalten, einige mit blanken Waffen, andere mit Stangen und Seilen.

Unter dem Hügel aus schwarzem Stoff, der Licht zu schlucken und die Blicke aufzusaugen schien, bewegte sich etwas, stieß unheimliche Geräusche aus, wühlte zur Seite und nach vorn. Dann glitt der Stoff endgültig die Stufen hinab.

Das Nashorn schaukelte mit dem Kopf. Beide Vorderfüße waren schon auf der Terrasse des Palasts. Die kleinen Augen wirkten tückisch, bösartig. Es schien zu zögern; Korinna hatte jedoch das Gefühl, das Tier zaudere keineswegs, sondern könne sich nicht entscheiden, wen es angreifen solle. Ein Schnaufen, die Hinterbeine hoben sich, standen auf der Terrasse.

Die Erstarrung fiel von den dicht gedrängten Menschen. Die meisten schrien auf und versuchten zu fliehen: tiefer in den Palast oder am Ungeheuer vorbei in die Gärten. Das Tier schob die spitze Schnauze in eine halb zerbrochene Amphore und schlürfte Wein. Ein Centurio der Prätorianer bellte Befehle; die Kämpfer griffen zu den Waffen und schickten sich an, eine von Lanzen starrende Wand vor dem Kaiser zu bilden.

Marcus Aurelius stand ruhig da, mit seinem seltsamen Lächeln. Cornelianus Nasica richtete sich auf; sie glaubte, Verachtung auf seinen Zügen zu sehen – Verachtung für die Kreischenden, deren die römischen Ahnen sich geschämt hätten. Sie suchte Pacuvius, sah ihn aber im dem Gedränge nicht; vielleicht versuchte auch er, den Kaiser zu schützen.

Lukianos rief ihr etwas Unverständliches zu. Die Leibwächter von Septimius Severus bauten sich zwischen ihrem Herrn und dem Nashorn auf, das eine weitere Amphore leerte und dabei alles zu beobachten schien. Die beiden Fremden mit den schrägen Augen kletterten auf die erhöhte Bühne.

Remas Bruder, die Vogelmaske in der Hand, zog sich mit anderen Ausgestoßenen weiter in den Palast zurück. Der Gladiator, der nicht Remas Bruder war, hielt ein Schwert in der Rechten und schien zu schwanken, ob er fliehen oder sich auf das Tier, den Kaiser, Vel Kuruna oder sonst jemanden stürzen sollte, vielleicht Pacuvius. Er entschloss sich offenbar zur Flucht, machte ein paar Schritte zur rechten Seite der Terrasse, um hinter den Säulen zum Garten zu laufen.

Umbricius bewegte die Lippen; es mochte ein Befehl sein. Alcimus schnitt Philippus den Weg ab und stieß dem Überraschten das Schwert in den Bauch. Umbricius nickte, wandte sich zur linken Seite der Terrasse; seine Augen suchten und fanden Korinna. Er nickte abermals und zog einen Krummdolch aus dem Gürtel. 

Sie hörte Severus laut lachen und sagen: »Nichts da; so kommst du nicht davon!« Als sie die Augen von Umbricius löste, sah sie die Lanze, die Severus’ Hand verließ und sich in Umbricius’ Hals bohrte.

Das Nashorn hob den Kopf, grunzte und wandte sich halb um, zu den Tierpflegern und Treibern, die mit ihren Seilen endlich den Palast erreichten. Der Anblick schien ihm zu missfallen; plötzlich warf es sich herum und wollte sich auf die Gruppe stürzen, zu der Korinna gehörte.

Vel Kuruna hatte sich auf den Weg zu den Stufen gemacht, um hinter dem Rhinozeros in die Gärten zu fliehen. Als es herumfuhr, war er kaum zwei Schritte von dem Tier entfernt, blieb wie gelähmt stehen und begann, eine Hand zu heben, zur Wehr. Aber diese Bewegung vollendete er nicht.

Korinna schloss die Augen; sie hörte den Schrei, den dumpfen Fall und etwas wie ein unendlich aufgeblähtes Schmatzen. Dann zerrte eine Hand, die von Bagoas, sie die Stufen hinab. Sie wollte nicht rennen, wollte stehen bleiben und sich nach Pacuvius umschauen; die Masse der Flüchtenden schob sie in die Gärten, wie Brandung Treibholz verspült.

Aber sie flohen nicht weit, nur bis zu den ersten stärkeren Hecken. Als sie in dieser ungewissen Deckung anhielten und zurück zum Palast blickten, sahen sie die Phalanx der Prätorianer auf der Terrasse, vor ihnen das Rhinozeros, das eine weitere Amphore leer soff und seine Möglichkeiten durchzurechnen schien; hinter ihm Tierwärter, die Seile warfen. Einer der Männer hatte einen Schwamm in eine heile Amphore getaucht und wrang ihn ins Maul des Nashorns aus.

Plötzlich bewegten sich die Prätorianer, im Laufschritt; vorbei an denen, die sich zwischen Hecken und Gesträuch aufhielten. Offenbar hatten sie den Auftrag, alles, was noch in den Gärten oder in unmittelbarer Nähe war, zusammenzutreiben und zum Palast zu bringen. Nach kurzem Entsetzen sagte sich Korinna, dass es kaum darum gehen konnte, alle Zeugen der Vorgänge zu töten. Jedenfalls hoffte sie es; nach den wirren Ereignissen war sie nicht mehr in der Lage, zu fliehen oder sich auch nur gegen ein düsteres Schicksal aufzulehnen.

Auf dem Weg zum Palast begegnete sie dem Nashorn. Die Pfleger hatten den rollenden Käfig notdürftig instand gesetzt und das Tier hineingezerrt; nun waren sie damit beschäftigt, das rülpsende, torkelnde Ungeheuer in eines der großen Gehege zu befördern.

Als alle wieder vor und auf der Terrasse waren, erschien der Kaiser. Marcus Aurelius trug den Umhang des Pontifex Maximus. Er ging zum Altar des Iuppiter, vor dem er beinahe geopfert worden wäre. Dort, neben dem Altar, zwischen den Säulen, die das Vordach trugen, hatte man die Leichen zusammengetragen. Korinna war nicht in der Stimmung, sie zu zählen oder auch nur nachzusehen, ob noch jemand gestorben war, als sie sich schon im Park aufgehalten hatte.

Marcus Aurelius wandte sich an die Versammelten.

»Das Leben des Philosophen«, sagte er, »ist Suche nach der Wahrheit; deshalb steht es ihm nicht zu, sich der Lüge zu bedienen. Auch dann nicht, wenn sie das Leben vorübergehend erleichtern könnte. Manchmal sieht man aber nicht die ganze Wahrheit und muss sich mit einem Teil bescheiden.« Er hielt inne und schaute langsam, eindringlich in die Gesichter. Es waren viele Gesichter.

»Wir wissen, dass heute Abend einige Verwirrte mit Waffen gespielt haben; dabei sind Menschen gestorben. Wir wissen, dass heute Abend ein Rhinozeros seinen Käfig gesprengt und Unheil angerichtet hat. Diese beiden Wahrheiten kennen wir. Weitere Wahrheiten hoffe ich, im Verlauf der Nacht herauszufinden, und allen, die etwas wissen, was dabei helfen könnte, befehle ich, hierzubleiben.«

Wieder blickte er die Versammelten eindringlich an; dann wies er auf einen Kübel und das Feuerbecken des Altars.

»Waffen und ein Rhinozeros, sagte ich. Von anderen Dingen wie Verschwörungen wissen wir nichts, und Gerüchte sind nicht besser als Lügen. Der Kübel enthält Weihrauch. Wir werden nun alle Weihrauch auf das Brandbecken streuen und bei Roms Göttern schwören, über diesen Abend keine Gerüchte oder Lügen zu verbreiten. Den Edlen des Reichs und den Kriegern brauche ich nicht zu sagen, dass Eidbrüchige mit dem Tode bestraft werden. Alle anderen fordere ich auf, dies zu bedenken.«

Im Gedränge vor dem Altar war plötzlich Pacuvius neben ihr. Sie hätte vor Erleichterung am liebsten geweint.

Er musterte ihr Gesicht und fasste nach ihrer Hand. »Sag, dass du dich um mich sorgst«, flüsterte er.

»Ich sorge mich um dich«, sagte sie. »Was geschieht nachher?«

Er lächelte mühsam; Anspannung und Müdigkeit schienen längst noch nicht gewichen. »Der Augustus will der Sache auf den Grund gehen; er hat aber schon gesagt, es sei mehr als genug Blut geflossen. Ihr könnt gleich alle gehen; nur die, die mehr oder minder verwickelt sind, haben hierzubleiben.«

»Wann sehe ich dich? Wo?«

Er runzelte die Stirn. »Morgen? Gegen Mittag, im Gästehaus des Präfekten? Oder lieber in Trans Tiberim?«

Sie legte eine Hand an seine Wange. »Warum im Gästehaus?«

»Ich glaube, Alcimus will dir noch etwas sagen.« Er beugte sich vor, streifte ihren Mund mit den Lippen und murmelte: »Er ist ein guter Mann, Lukianos; aber … geh nicht zu nah an ihn heran, diese Nacht.«

Ehe sie etwas sagen konnte, tauchte er im Gedränge unter. Sie zerbrach sich den Kopf über das, was Alcimus ihr sagen könnte; und über die Rolle, die er gespielt hatte oder weiter spielen musste.

Als sie Weihrauch auf das Becken gestreut und den Göttern geschworen hatte, keine Lügen oder Gerüchte zu verbreiten, wollte sie den Palast verlassen. Jemand zupfte an ihrer Tunika. Sie wandte den Kopf und schaute in Alcimus’ Gesicht. Er schien von den Ereignissen nicht besonders mitgenommen oder beeindruckt und lächelte flüchtig.

»Gehst du?«, sagte er.

Sie nickte.

»Kennst du die Gegend östlich der Festung der städtischen Kohorten? Gut. Pass auf.«

Er beschrieb ihr zwei Straßenzüge und ein bestimmtes Haus. »Im Hinterhof wohnen Freigelassene. Sag ihnen, du kommst von mir. Sie, eh, hüten Batrax.«

»O Alcimus!« Sie schüttelte den Kopf; Empörung und Erleichterung raubten ihr einen Atemzug lang die Sprache. »Warum? Und … was sollte mit ihm geschehen?«

»Er hat den richtigen Philippus gesehen, als das noch der Kampfname von Romulus Annaeus war. Er hätte zur falschen Zeit etwas sagen können. Ich wollte ihm nichts tun, aber möglicherweise wäre es …« Er sprach nicht weiter, hob nur die Schultern und wandte sich ab.

Auf dem Weg aus den Gärten fand sie Lukianos, Apuleius und Bagoas, die auf sie gewartet hatten. Sie begleiteten sie durch die nächtliche Stadt, in die Gegend östlich des Marsfelds.

Die Freigelassenen – zwei alte Männer und eine Frau – führten sie wortlos zu einem abgesperrten Raum und öffneten die Tür. Als Batrax den Kopf hob und sie sah, sagte er nur »ah«, blinzelte und wischte sich die Augen; vielleicht, weil das Fackellicht ihn blendete. Zum ersten Mal hatte sie das Gefühl, dass er sich wirklich nicht wehrte, als sie ihn umarmte, sondern die Umarmung erwiderte.

Sie konnte ein trockenes Schluchzen nicht unterdrücken. Lukianos klopfte ihr auf die Schulter.

»Ihr zwei kommt am besten mit ins Gästehaus des Präfekten. Da ist Platz genug, und ich finde, ihr solltet nicht durch die Nacht bis Trans Tiberim wandern.« Dann lachte er, als der Kormoran sich mit klapperndem Schnabel auf Batrax’ Schulter niederließ. »Na gut – ihr drei, sollte ich sagen.«

Pacuvius erschien gegen Mittag. Er war ausgehungert und hatte nicht geschlafen. Der Küchensklave des Gästehauses, ein feister Gallier, brachte ihm eine Platte, auf der sich gebratenes Fleisch, Lauch, Bohnenmus und Teigstreifen türmten, dazu einen großen Becher mit heißer Brühe.

Batrax hatte nach den Tagen der Haft Bewegungsdrang verspürt; kurz vor Pacuvius’ Eintreffen war er losgezogen, um sich, wie er sagte, »die Steifheit aus den Beinen zu latschen«. Korinna, die in einem der zahlreichen unbenutzten Gasträume geschlafen hatte, Apuleius und Lukianos sahen Pacuvius beim Essen zu. Einer der fremden Händler, Hu, tauchte auf, als Pacuvius aufseufzend die leere Platte von sich schob.

»Sättigung glückhaft?« Er grinste breit. »Und überlebend?«

»Danke der Nachfrage.« Pacuvius leckte sich die Finger. »Wo ist dein Freund?«

»Gefährte Chi? Nützlich Frau getroffen; erleichternd Schieben vor und rück. Kommen, wenn gekommen.«

»Der Kaiser will euch sehen, morgen Mittag, im Palast. Er möchte mehr über euch und eure Heimat wissen.«

»Ehrung gewaltig.« Hu strahlte und nickte heftig. »Chi suchen und vorbereiten Geschenk etwa. Angemesslichkeit für Kaiser. Später sehen.«

Als er gegangen war, schüttelte Pacuvius den Kopf. »Gestern, bei eurem Auftritt, konnte er doch richtig sprechen.«

»Das hatte er auswendig gelernt.« Lukianos füllte vier Becher mit Wasser und wenig Wein. »Kannst du jetzt richtig sprechen, auswendig oder nicht? Wir möchten wissen, was noch geschehen ist. Und vielleicht gibt es ja jetzt eine vollständige Geschichte.«

Pacuvius blickte zur Türöffnung. »Wir haben etwas geschworen. Kann uns hier jemand belauschen?«

Apuleius hüstelte. »Außer uns und dem fetten Gallier ist niemand hier, jedenfalls nicht in diesem Teil des Hauses. Und wenn einer kommt … da vorne, am Durchgang, knirschen die Fliesen; das hören wir.«

»Nun denn.« Pacuvius lehnte sich im Scherensessel zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Die ganze Geschichte?«, sagte er. »Ausführlich? Oder nur das Ende?«

»Zuerst das Ende.« Apuleius grinste. »Dienen wir hinfort einem Kaiser oder einer Republik?«

»Dem Kaiser Marcus Aurelius.«

»Gut. Also, was ist geschehen?«

»Wir haben in der Nacht Fäden entwirrt. Nicht alles war zu klären; Umbricius, Kuruna und Philippus konnten wir ja nicht mehr befragen. Andere wie Marullus und seine Leute haben alles Blut und Wissen abgesondert, bevor sie …«

Lukianos beugte sich vor. »Wolle, o edler Mann, zunächst den Knoten schürzen, ehe du uns von einzelnen Fäden redest.«

»Wer gegen wen? Jeder gegen jeden.«

»Inwiefern?«

Pacuvius schnitt eine Grimasse. »Erstens: Marcus Aurelius will eine Republik vorbereiten. Zweitens: Vel Kuruna will eine andere Republik. Drittens: Umbricius will einen anderen Kaiser, den er lenken und schützen kann. Viertens: Rema und Philippus helfen Vel Kuruna, aber sie helfen auch Umbricius, der Vel Kuruna zu helfen scheint. Fünftens: Am Ende wollen alle die jeweiligen Helfer, soweit möglich, beseitigen und ihre eigenen Pläne durchsetzen. Sechstens: Alle halten sich zugleich die Möglichkeit offen, hinterher so zu tun, als seien sie folgsame Bürger gewesen und treffliche Mitarbeiter an dem Plan, der schließlich durchgeführt wird.«

»Oi«, sagte Apuleius. »Nun ja, und zweifellos auch o nein.«

Korinna stöhnte nur.

Lukianos kicherte. »Ei. Und die einzelnen Fäden?«

Pacuvius hob die Hand. »Tut mir einen Gefallen, ja? Lasst mich diese Geschichte am Stück erzählen; schiebt eure Fragen oder Einwürfe auf bis hinterher. Sonst verliere ich den Faden.

Also: Marcus Aurelius beginnt, Schriften zu sammeln, um eine republikanische Verfassung vorzubereiten. Seine engsten Berater wissen Bescheid. Dazu gehört Umbricius, der alles wissen muss, um den Kaiser schützen zu können. Und natürlich sind viele dagegen – die nämlich, deren Amt und Macht und Geld vom Prinzipat abhängen.

Einige der Schriften, die Marcus Aurelius braucht, liefert Vel Kuruna. Die beiden unterhalten sich, und Kuruna errät, was der Kaiser plant. Zufällig ist er in den Besitz einiger Aufzeichnungen von Caesar geraten, die ebenfalls eine republikanische Verfassung für das große Reich vorsehen, nur viel umwälzender und, ja, umstürzlerischer. Er versucht, Caesars Pläne dem Kaiser näherzubringen, aber dem geht das zu weit. Und es ist kaum ohne großes Blutvergießen durchzusetzen.«

Apuleius klatschte in die Hände. »So geht das nicht. Was will der Kaiser? Was ist an Vel Kurunas Ideen so verstörend?«

»Der Kaiser hat sich kaum geäußert«, sagte Pacuvius. »Es gab ja anderes zu bereden. Ich glaube, es lief auf eine neue Fassung der alten Republik hinaus, mit zwei jährlich wechselnden Konsuln. Und Selbstverwaltung der Provinzen.«

»Hm.« Lukianos runzelte die Stirn. »Ist das durchführbar? Ist nicht das Imperium zu groß, um so geleitet zu werden? Glaubt er, die Schwierigkeiten damit beseitigen zu können?«

»Ich weiß es nicht.« Pacuvius knurrte leise. »Jetzt müssen wir doch über Einzelheiten reden; dabei wollte ich zuerst … Na gut. Also, in Vel Kurunas Republik, nach diesem angeblichen Testament Caesars, sollen der Senat und der Fürst gewählt werden, und zwar von den Bewohnern des ganzen Reichs. Der Fürst für zehn Jahre; er darf nicht wiedergewählt werden, aber der Senat kann ihn absetzen, wenn er schlecht ist. Und alles beginnt mit Enteignung der großen Grundherren, Abschaffung der Sklavenwirtschaft, damit die Bauern und Handwerker wieder von ihrer Arbeit leben können.« 

»Ha.« Lukianos nickte. »Das wäre vielleicht …«

Apuleius unterbrach. »Lass ihn ausreden, Mann; erörtern können wir das später.«

Pacuvius rieb sich die Augen. »Danke. Es gibt da noch feine Einzelheiten – die Dauer der Ämter, Beteiligung der Provinzen an der Verteidigung des Reichs und derlei, aber dazu später.

Also: Vel Kuruna wendet sich an seine Nichte, Rema, und über sie an Umbricius. Sie hecken einen Plan aus: Der Kaiser wird beseitigt und vorübergehend durch einen Doppelgänger ersetzt. Dieser tritt schnell zurück oder stirbt, und er hinterlässt ein Testament, in dem ein echter Ulpius Flavius, Urgroßneffe mehrerer Kaiser, zum Nachfolger ernannt wird – zusammen mit dem bisherigen Mit-Kaiser Lucius Verus. Vielleicht soll dessen Schiff untergehen, auf der Rückfahrt vom Partherkrieg, oder sie rechnen damit, dass er mitspielt, solange er tun darf, was er will – zunächst. Dieser ulpisch-flavische Kaiser soll dann den Übergang zur richtigen Republik bewältigen und zurücktreten.«

»Woher wisst ihr das so genau?«, sagte Lukianos.

»Ein paar Dinge hat Kuruna ja mit seinen Ausrufen angedeutet.« Pacuvius blinzelte. »Habt ihr doch gehört. Und wir haben in der Nacht Leute losgeschickt, um seine beiden Helfer aus dem Bett zu holen. Atilius und wie heißt der andere?«

»Charinus«, sagte Korinna. »Und?«

»Sie haben, unter Aufsicht, das Archiv durchgewühlt. Gegen Sonnenaufgang kam Atilius mit zwei Schriftstücken. Auf gegerbter Menschenhaut übrigens – Menschenpergament, angeblich die Haut von Brutus.«

»Sehr geschmackvoll.« Lukianos schnalzte.

»Ja, nicht wahr? Das größere Stück enthält die vorgesehene Verfassung, das kleinere eitle Gedanken von Vel Kuruna.«

»Und weiter?«

»Vel Kurunas Plan ist aber nicht der von Umbricius. Umbricius will keine Republik; er will seine Macht und Stellung behalten und den Ulpier, seinen Schwager, lenken und schützen. Umbricius und Rema werden also irgendwann Vel Kuruna aus dem Boot werfen.

Aber Umbricius hält sich alle Möglichkeiten offen. Für Marcus Aurelius beteiligt er sich an Vorbereitungen; mit Vel Kuruna plant er gegen Marcus Aurelius, mit Rema wahrscheinlich gegen alle. Ganz gleich, wer gewinnt, wessen Plan aufgeht – Umbricius wird oben bleiben.

Dazu ist aber der Ulpier nötig; Remas verschollener Bruder. Rema verkauft ihren Liebhaber Philippus als Bruder – Umbricius hat den echten nie gekannt, Vel Kuruna hat seinen Neffen ewig nicht gesehen. Die beiden, Rema und Philippus, haben vermutlich etwas anderes vor: Sobald Umbricius Vel Kuruna beseitigt hat, werden sie Umbricius erledigen, um nicht von ihm gegängelt zu werden.

Rusticus lädt wichtige Leute aus dem Reich ein, zur Vorbereitung des Triumphs im nächsten Jahr und als Auditorium für die vom Kaiser vorgesehenen Ankündigungen. Umbricius schickt einen Boten, vielleicht mehrere, zu Männern, deren Unterstützung er braucht, die er für geeignete Mitverschwörer hält; der Bote muss natürlich am Schluss schweigen.

Deshalb soll Pacuvius, der Dumme, den heimkehrenden Boten in Portus abfangen, abschirmen und sofort zu Umbricius bringen.

Am besten für den Kaisertausch geeignet ist der Tag, an dem Marcus Aurelius seine Absichten verkünden will. Aber Umbricius denkt an alles; er sorgt dafür, dass Pacuvius, dem er dunkle Andeutungen gemacht hat, die Verschwörung gewissermaßen von außen überprüft – um zu sehen, ob es Lücken gibt. Am Ende wird ein ägyptischer Magier Pacuvius in eine Art Halbschlaf versetzen und ihm befehlen, jede Anweisung auszuführen. Wenn alles gelingt, siegt Umbricius; wenn es fehlschlägt, ist Umbricius der umsichtige Hüter und Pacuvius der blöde Verschwörer.

Rema und Philippus beschließen, Pacuvius eine dritte Rolle zu geben. Rema sagt ihm, er werde den Kaiser töten – falls Pacuvius daraufhin neu ermittelt und etwas findet, wird er Umbricius finden und ausschalten, dann ist Umbricius nicht mehr im Weg; falls Pacuvius ausfällt, wird ein anderer die Sache erledigen – Philippus selbst, auf diese Weise besonders qualifiziert fürs Prinzipat, oder Alcimus oder sonst jemand.

Als Pacuvius vor Rusticus aussagt, jemand habe gesagt, er werde den Kaiser töten, wird Umbricius misstrauisch. Wer außer Rema kann das denn gesagt haben? Also muss sie weg, Philippus jedoch muss leben, da er benötigt wird. Umbricius nutzt Pacuvius’ Eindringen aus, um Rema zu töten und Pacuvius den Mord anzuhängen.«

Nach kurzem Schweigen sagte Korinna: »Aber da fehlt etwas. Einiges. Was ist zum Beispiel mit Ulpius?«

»Romulus Anaius Ulpius Flavius Glabro, Remas älterer Bruder«, sagte Pacuvius. »Der verwirrte Vater begeht Selbstmord, sein verwitweter Bruder nimmt sich der Familie an, vermählt sich mit der Schwägerin und erzieht die Kinder streng altrömisch. Mit fünfzehn ist Romulus geflohen; er hat sich jahrelang in den Provinzen herumgetrieben und kam vor sechs Jahren, mit fünfundzwanzig, unter dem Namen Philippus als ruhmreicher Wagenlenker aus Antiochia zurück. Nach etlichen gewonnenen Rennen langweilt ihn dieses Leben; da er ein guter Schwertkämpfer ist, schließt er sich Freigelassenen an, die Schaukämpfe bestreiten, bei denen gelegentlich Blut fließt. Auch dabei erringt er Ruhm und das, was damit zusammenhängt: Geld und Feinde. Bei einem der Schaukämpfe tun sich zwei seiner vermeintlichen Gefährten zusammen; der Kampf endet, als Philippus nach einem tückischen Angriff mit einem langen Schwert Nase und Oberlippe verliert und einen der Gegner tötet, ehe er zusammenbricht.«

»Familie und Erbe hat er aufgegeben, schafft sich ein neues Leben und verliert schließlich alles?« Korinna schüttelte langsam den Kopf.

»Der Sturz in die Unterwelt«, murmelte Apuleius. »Edle Sippen … Verliert man nicht sogar das Bürgerrecht, wenn man als Schauspieler oder derlei arbeitet?«

»Man darf Römer unterhalten«, sagte Pacuvius, »solange man unterhaltsam aussieht. Richtige Römer – ich bin ja aus der Provinz und darf das sagen –, richtige Römer wollen in der Arena schöne Menschen sterben sehen. Verstümmelte, die überleben, machen einen schlimmen Fehler.

Alte Freunde pflegen ihn, besorgen ihm die Maske und bringen ihn in die Unterwelt. Dank seiner Kenntnisse und Fertigkeiten ist es ihm bald gelungen, zum Fürsten des Abschaums aufzusteigen.«

»Wovon leben die eigentlich?«, sagte Apuleius.

»Bettelei und Drecksarbeiten«, sagte Pacuvius. »Diebstähle, Überfälle, wobei sie nicht nur die vigiles, sondern auch die Räuberbanden gegen sich haben. Aber er hatte ja gute Lehrer gehabt, unter anderem seinen Onkel mütterlicherseits, Vel Kuruna, also hat er einiges ausgeheckt, worauf andere nicht gekommen wären. Da unten gibt es Leute aus allen möglichen Berufen, und er hat zum Beispiel die Handwerker dazu gebracht, Roms Abfälle nachts zu durchwühlen und aus verwendbaren Resten neue Dinge zu machen, die sie dann selbst, in den Dämmerungen, oder mithilfe anderer verkauft haben. Dann kam er auf einen neuen Gedanken.

Vel Kuruna hatte ihn den Umgang mit alten Schriften gelehrt, und er wusste, dass manche Leute viel Geld für beschriebene Fetzen ausgeben, wenn man sie an der richtigen Stelle kitzelt. Wenn einer sich jahrelang mit den Kürzeln und Verschleifungen beschäftigt hat, die für einen bestimmten Autor typisch sind, wird er jeden halbwegs glaubwürdigen Text für echt halten, der diese Eigenarten aufweist. Also hat Philippus, ah, nennen wir ihn Flavius, beschriebenen Papyrus gehortet und Versuche mit Tinten und Schreibhalmen angestellt, bis ihn die Ergebnisse befriedigten. Auf die Weise konnte er Geld für sein Fürstentum verdienen und ›die da oben‹ foppen, die ihn ausgestoßen hatten.«

Korinna schnappte nach Luft. »Dann hat er seinem Onkel, der ihn nicht erkannte, Dinge verkauft, die …«

Pacuvius hob die Schultern. »Er hat nicht viel gesagt, wahrscheinlich, um niemanden zu belasten. Vielleicht war alles nur ein Scherz; vielleicht fand er, dass eine gründlich erarbeitete republikanische Verfassung Probleme lösen und ein neuer Weg sein kann. Aber er kannte ja Vel Kurunas Vorlieben, also lag Caesars als zu fälschender Autor nahe. Und er konnte davon ausgehen, dass Kuruna sich mit Umbricius verständigt.«

»Und die Kostbarkeiten im Archiv?«, sagte Lukianos mit einem schrägen Lächeln.

»Das meiste ist sicher echt. Aber vielleicht hat er Kuruna diesen Fetzen verkauft, dieses Ding aus Alexandria. Er kennt ja das Archiv und weiß, dass Sophokles, Aischylos und Euripides sich darin befinden. Deshalb die griechischen Anfangsbuchstaben.«

»Aber«, sagte Korinna, »wie ist er auf das Beta gekommen, basileus, und das Schwert des Spartacus?«

Pacuvius lächelte schwach. »Ich bin, auf dem Weg in die Unterwelt, noch einmal bei diesem Waffenschmied gewesen, in dessen Hof der Zugang ist. Als wir dort waren, hatte er das Schwert kurz untersucht und ›nette Arbeit‹ gesagt. Ich war ja nicht ganz bei mir, deshalb habe ich nicht eher daran gedacht, ihn zu fragen, was er damit meint. Er sagt, alle guten Waffenschmiede haben ihre eigene Handschrift, und dieses Schwert stammt von einem Meister aus Capua, der die Gladiatorenschulen dort mit Waffen versorgt. Es ist nicht älter als vier oder fünf Jahre.«

»Das weißt du – aber der Kaiser weiß es nicht?«, sagte Korinna.

»So ist es. Ich habe auch einen Verdacht, wie das Schwert nach Rom gekommen ist; aber das wäre, sagen wir mal, die dritte Fassung.«

Lukianos hob die Brauen.

»Die erste«, sagte Pacuvius, »beginnt mit Marcus Aurelius und dem Etrusker. Die zweite beginnt nicht mit Vel Kuruna, sondern mit Ulpius. Die dritte? Mit dem Einzigen, der wirklich etwas gewonnen hat bei diesem Durcheinander.

Aber bleiben wir noch einen Augenblick bei Ulpius. Ich habe« – er räusperte sich – »heute früh noch mit ihm unter vier Augen gesprochen, und da hat er ein paar Andeutungen gemacht. Er konnte sich darauf verlassen, dass Kuruna Umbricius hinzuzieht, des Kaisers Beschützer, Gemahl von Ulpius’ Schwester, der Nichte des Kuruna. Erste und beste Wahl. Er wollte seine Schwester einweihen und hat sie nachts einmal aufgesucht, sie hat ihn aber nicht angehört, nur entsetzt angestarrt, verflucht und nach den Dienern gerufen. Seitdem hat sie wohl immer wieder versucht, Umbricius zu einer Art Feldzug gegen die Leute in der Unterwelt zu bringen.«

»Bleib bei der Sache!«, sagte Apuleius.

»Jetzt wird alles wieder ziemlich verschwommen«, sagte Pacuvius. »Der Etrusker und Umbricius sagen nichts mehr, und ein paar andere, die vermutlich verwickelt sind, hüten sich, den Mund aufzumachen.«

»Wen meinst du?«

»Ich habe keine Beweise, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Plan ohne Mitwirkung der Prätorianer und der Stadtkohorten durchführbar gewesen wäre. Umbricius wird die beiden Präfekten zugezogen haben, Varro und Pictor. Marcus Aurelius wird sich seinen Teil denken; vielleicht gibt es demnächst neue Präfekten, und die beiden erhalten ehrenhafte Aufgaben in der Provinz. Vielleicht kümmert sich Varro bald um Weinpanscher in Germanien, und Pictor sucht in Arabien neue Naphthaquellen.«

Sie schwiegen, bis Apuleius irgendwann den Kopf schüttelte und sagte: »Also, Kuruna und Umbricius ersetzen den Kaiser durch einen Schauspieler, dann diesen durch einen ulpischen Flavier. Der soll nach dem Wunsch von Kuruna die neue Verfassung durchsetzen und abtreten. Nach dem Willen von Umbricius soll er das nicht, sondern an der Macht bleiben und damit die Macht von Umbricius sichern. So etwa? Und wie geht es weiter?«

»Eine Mutmaßung. Rema und Philippus beschließen, das Leben sei viel interessanter, wenn sie, statt von Umbricius gesteuert zu werden, selber steuern. Wie soll man es nennen? Verschiedene Wagen auf der gleichen Rennbahn? Ein Wagen mit mehreren Lenkern, die zum gleichen Ziel wollen, sich aber jeweils eine andere Siegesfeier wünschen?«

»Darauf läuft es wohl hinaus.« Apuleius rümpfte die Nase und warf Lukianos einen schrägen Blick zu. »Der da, dieser Verfasser unlesbarer Hohnprosa, könnte es vielleicht schlechter ausdrücken. Philippus … was er will, kann ich verstehen. Aber was hat Rema davon? Außer einem kaiserlichen Liebhaber?«

Pacuvius hob die Schultern. »Vielleicht ist sie die Hohe Priesterin im Hintergrund? Oder sie beseitigt Philippus und wird Kaiserin, eine echte Ulpierin und Flavierin?«

»Es gibt viel zu tun«, knurrte Lukianos; »fangt schon mal an. Ohne mich, bitte.«

»Und Rusticus?«, sagte Korinna. »Und Quirinus?«

»Rusticus steht treu zu Marcus Aurelius, auch wenn er dessen republikanische Träume nicht mitträumen mag. Quirinus? Ich weiß nicht. Vielleicht war er auf beiden Seiten. Nicht aktiv, aber um sich alle Möglichkeiten offenzuhalten.«

»Alcimus hat ihn ›zuverlässig‹ genannt.« Korinna wiegte den Kopf. »Zuverlässig wem gegenüber?«

»Im Zweifel gegenüber sich selbst.«

»Irrsinnig verwickelt«, sagte Lukianos.

»Irrsinnig und verwickelt«, sagte Apuleius. »Oder einfach irrsinnig.«

Korinna hatte das Gefühl, dass ihr Kopf gleich bersten würde. Sie legte die Hände an die Wangen und stützte die Ellenbogen auf den Tisch. »Die wichtigsten Leute können nichts mehr sagen«, murmelte sie; »auch Arkesilaos … Musstest du ihn töten?«

»Tut er dir leid? Er hat gewusst, worauf er sich einlässt; er war schuldig. Er könnte uns vielleicht etwas erzählen, aber ich weiß nicht, was geschehen wäre, wenn ich ihn nicht getötet hätte. Mit einem Kaiser, dem richtigen, und seiner Befehlsgewalt war es schwierig genug, die Fäden zu entwirren. Wenn dieser Schauspieler gelebt hätte … Sie hätten Marcus Aurelius und mich umgebracht und den Plan ausgeführt.«

»Du hattest etwas von einer dritten Fassung gesagt.« Lukianos musterte ihn aufmerksam. »Und … das Schwert.«

»Die dritte Fassung. Es gibt einen, der alle Beteiligten kennt und Verbindungen nach überall hat, auch zu den Gladiatorenlagern und Waffenschmieden in Capua. Er handelt mit allem, ist aber kein Großgrundbesitzer. Enteignungen und Abschaffung der Sklavenwirtschaft können ihn nur noch reicher machen; zu seinen Klienten gehören auch verarmte Handwerker, die bisher für ihn gearbeitet haben. Ich nehme an, er hat Geld in die Vorbereitung der Dinge gesteckt. Wenn der Umsturz gelingt, wird er gewinnen. Wenn sie misslingt, ist er nicht unmittelbar beteiligt, bleibt mit allen befreundet und macht weiter.«

»Du sprichst von Fufius Ripa?«, sagte Korinna.

»Fufius hat wahrscheinlich das Schwert beschafft; er hat auf jeden Fall dafür gesorgt, dass ich es in Portus in die Hand bekomme. Mithilfe«, sagte er leise, »von Alcimus.«

Lukianos verschränkte die Arme. »Freundschaft ist eine üppige Schwelgerei, die man sich fast nie leisten kann. Wie schon Caesar feststellen durfte. Geld dagegen, das lehrt uns Fufius, gewinnt immer. Wenn nicht die Politiker sehr klug sind. Oder sehr dumm.«

»Was geschieht mit Alcimus?«, sagte Korinna.

»Nichts. Keine Beweise.« Pacuvius klang bitter. »Er sollte sich aber ein anderes Bad suchen; eines, wo er nicht so nah an meinem Messer ist.« Einen Atemzug lang schloss er die Augen; dann öffnete er sie wieder und sagte: »Übrigens, der ermordete Senator, Balbus, Republikaner – er gehörte zu denen, die Marcus Aurelius eingeweiht hat. Und er war mit Vel Kuruna befreundet. Er hat wohl zu viel gehört und musste deshalb sterben, aber … ich glaube nicht, dass wir je alles erfahren.«

Lukianos kniff ein Auge zu. Langsam, beinahe lauernd sagte er: »Und du glaubst, dass dieser Händler, Fufius, irgendwie am Anfang all der Fäden ist?«

»Ich weiß es nicht. Wer könnte auf den Gedanken mit dem Schwert gekommen sein? Flavius? Fufius? Kuruna? Umbricius?«

»Vel Kuruna«, sagte Apuleius. Er schaute niemanden an.

»Bist du sicher?«

»Erinnert ihr euch an unseren Besuch im Archiv? Er hat doch da aus einem Brief zitiert, aus einem meiner Briefe.«

»Ei«, sagte Lukianos. »Irgendwas mit gordischen Knoten, richtig?«

»Ja. Er hat den Satz nicht vollständig wiedergegeben. Ich hatte dem Freund, der die Briefe dem Archiv vermacht hat, einiges über die Machenschaften von Grundherren im Hinterland geschrieben. Und dass vielleicht nur das Schwert eines neuen Spartacus diesen Knoten zerhauen kann.«

Pacuvius starrte den Mann aus Madaura an; ungläubig, wie es Korinna schien. »Deine Feder«, sagte er, »hat also dieses Schwert hervorgebracht?«

Dann unterbrach er sich; die Fliesen im Gang knirschten, und Batrax erschien mit Epulo. Pacuvius stand auf; Korinna fand, dass er beinahe erleichtert aussah, nicht weiter reden zu müssen. Apuleius pfiff durch die Zähne, und Lukianos schien auf etwas zu kauen – etwas, das er dem Zunftbruder demnächst sagen würde, und etwas wie ein höhnisches Grinsen lag um seinen Mund. Vorfreude? 

»Ich habe noch etwas für euch«, sagte Pacuvius.

»Was denn?«

»Ah, lasst euch überraschen.«

Es sah aus wie ein gewöhnlicher Stadtteilmarkt: Stände mit Obst und Gemüse, Geflügel, Hasen, Bilchen; mit den Erzeugnissen der Handwerker, mit allerlei neuen und gebrauchten Gegenständen. Die Verkaufstische bildeten auf dem kleinen Platz eine Art Rechteck mit vielen Querstreben. Am oberen linken Ende stahl sich eine Gasse durch einen Torbogen und endete in einem Labyrinth von Hinterhöfen, miteinander verbunden durch schmale Gänge.

Pacuvius ging voraus; Batrax und Korinna folgten, die beiden Schriftsteller kamen hinterher, wobei sie sich immer wieder umschauten und einander auf besonders hübsche oder besonders scheußliche Waren und Leute hinwiesen.

Der erste und der zweite Hinterhof waren leer. Im dritten standen drei Tische. Sie waren mit Tüchern bedeckt; Korinna rätselte über die vermeintlichen Decken, bis sie sich sagte, dass die Verkäufer diese Tücher notfalls aufraffen und als Bündel benutzen konnten, um sich und ihre Güter in Sicherheit zu bringen. Falls die Wächter auftauchten; falls etwas mit den Waren nicht in der den Wächtern genehmen Ordnung sein sollte.

Pacuvius schien einen der sechs Männer zu kennen, die eher wie Hüter denn wie Verkäufer wirkten. »Ich hoffe, das Befinden des trefflichen Duilius hat seit vorgestern keinen Schaden gelitten«, sagte er.

Der Mann entblößte verfärbte Zähne; es sollte wohl ein Grinsen sein. »Gestern ging es ihm schlecht«, sagte er. »Er hat zu viel getrunken, aus Trauer über deinen frühen Aufbruch.«

Korinna sah, dass die anderen Männer die Arme sinken ließen; vorher waren sie angewinkelt gewesen, sodass die Hände schneller an die Griffe der krummen Messer gelangen konnten.

»Warum nennt man dies hier den Markt der Träume?«

»Edler Pacuvius, wie soll man es sonst nennen?«

Apuleius räusperte sich. »Den Markt der Hehler vielleicht? Der Schmuggler? Der Diebe?«

Lukianos stieß ihm den Ellenbogen in die Rippen. »Ts, ts, ts. Dann kämen doch die edlen Herren aus den teuren Häusern nicht hierher.«

Korinna betrachtete die Waren. Unterwegs hatte Pacuvius einiges erklärt, sodass sie wussten, was sie hier finden würden: kostbare Gegenstände, aus teuren Häusern entwendet; Dinge, deren Wert für bestimmte Liebhaber so hoch war, dass kein römischer Zöllner sie hatte sehen dürfen, damit sie nicht unerschwinglich wurden; Güter, deren Herstellung und Verkauf das Imperium verboten hatte. Sie stellte sich vor, dass die vigiles auf dem richtigen Markt erschienen, dass die Männer vom Markt der Träume blitzschnell die Tücher zu Bündeln machten und mit diesen im Labyrinth der Gänge, Höfe, Treppen und Dachterrassen verschwanden – bis auf einen oder zwei, die sich damit vergnügten, die Tische im Durchgang vom Markt her zu stapeln und auf Befehl der vigiles die Stapel langsam und gründlich wieder zu zerlegen.

Und während sie sich dies vorstellte, lauschte sie den halblauten Erläuterungen des Mannes und überlegte, wie es wäre, genug Geld für diese Waren zu haben und, vielleicht, einen ausreichend kranken Geist, um das eine oder andere zu erstehen.

Es gab mehrere kleine Flaschen und winzige, mit Wachs versiegelte Krüge, die Gifte enthielten: »Dies hier tötet schnell und schmerzlos. Die Flüssigkeit in der blauen Flasche? Wer sie trinkt, stirbt langsam unter Qualen, mit Schaum vor dem Mund und platzenden Augen. Das da treibt die Leibesfrucht ab, was Kaiser und Senat missbilligen. In dem Krug mit dem grünen Bändchen ist etwas, das Wahnsinn hervorruft, zum Beispiel bei ungebührlich langlebigen Vätern mit zweifelhaftem Testament …«

Sie sah eine kostbare Vase – »aus dem alten Mykene« –, die ohne Zweifel vor Kurzem noch in einem großen Haus gestanden hatte, vielleicht am Hang des Quirinalis, und die nun darauf wartete, dass der Besitzer sich entschied: viel Geld für eine Vase, für die er schon einmal bezahlt hatte, oder viel Lärm, kein Geld, keine Vase; ein anderer würde sie kaufen, früher oder später. Sie sah kurze krause Haare, mit einem schwarzen Faden umwickelt: »Sie wuchsen zwischen Kleopatras Lenden; die Dienerin, die sie ihr ausgezupft hat, als Marcus Antonius nach langer Abwesenheit erwartet wurde, hat sie aufbewahrt.« Sie sah Steinsplitter – angeblich aus Libyssa, von Hannibals Grab – und den Becher, aus dem Sokrates Schierling getrunken habe, und als sie eben etwas betrachtete, das ein gepökeltes oder balsamiertes Gemächt – Scrotum und Glied, von wem? – sein musste, erschien im Hof ein kleiner Junge.

»Sie kommen«, sagte er.

Der Mann, der die Erläuterungen gegeben hatte, nickte und wandte sich an Pacuvius. »Ich fürchte, ich muss euch bitten zu gehen. Die reichen Kunden mögen keine Zeugen.«

Vor dem Gästehaus des Präfekten der Stadt trennten sie sich. Apuleius klopfte Pacuvius auf die Schulter.

»Ein belehrender Spaziergang«, sagte er, »und vergnügliche Tage, für die wir zu danken haben. Du schuldest uns aber noch eine Auskunft. Werden wir hierbleiben, um den Triumphzug für die Kaiser Marcus Aurelius und Lucius Verus vorzubereiten, oder findet er nicht mehr statt?«

»Er findet statt. Vielleicht wäre aber doppelte Trauer eher angebracht als dieser doppelte Triumph.«

Lukianos musterte ihn; dann legte er ihm beide Hände auf die Schultern. »Mein Freund, sieh dich vor«, sagte er. »Es gibt überall zu wenig gute Männer. Viel Glück und – viel Spaß.« Er wandte sich an Korinna. »Zunftschwester, sehen wir uns? Vielleicht in einem anderen Stück?«

»Wir sehen uns. Ich schulde dir noch einen geschnitzten Esel, als Dank für dies und das. Und was das andere Stück angeht …« Sie lachte. »Lieber unter der Leitung von Mopsos als unter der von Umbricius.« Sie küsste seine Wange und umarmte Apuleius.

Als die beiden Schriftsteller im Gästehaus verschwunden waren, legte sie eine Hand auf Batrax’ Kopf, mit der anderen berührte sie Pacuvius’ Arm. »Und was tun wir?«

Pacuvius gähnte. »Ich würde gern schlafen«, knurrte er, »aber es gibt noch etwas zu erledigen.«

»Was denn?«

»Portus. Noch ein paar lose Fäden.«

Korinna blickte nach dem Stand der Sonne. »Nachmittag«, sagte sie. »Willst du jetzt noch hinausfahren?«

»Ja.«

Batrax tätschelte den Schnabel des Kormorans. »Ich habe dieses Haus noch immer nicht gefunden«, sagte er. »Ich will nicht nach Portus.«

»Wo wirst du schlafen?«

»Hier oder da.« Batrax hob die Schultern und lächelte. »Sorg dich nicht um mich; morgen Abend bei den Mimen?«

»Das wäre gut.« Sie zögerte, dann setzte sie hinzu: »Wir müssen uns über ein paar Dinge unterhalten. Zukunft, Entscheidungen, so etwas.«

Batrax schaute zur Seite, senkte den Blick, hob ihn wieder und sah sie an. »So etwas … Gern. Und – danke.« Dann grinste er. »Ich weiß nicht, wo ihr beide schlafen wollt, aber viel Vergnügen dabei.« 

Diesmal legte Korinna den Weg nach Portus in einem schnellen Wagen zurück statt auf einem langsamen Karren. Und nicht Manlius oder Alcimus, sondern Pacuvius lenkte das Gespann. Sie stand neben ihm, hielt sich am Rand des Wagenkorbes fest und sagte sich, dass er wahrscheinlich einschliefe, wenn er sich setzte oder die Zügel aus der Hand gäbe. Unterwegs erzählte er ihr den Rest der Geschichte, immer wieder von Gähnanfällen unterbrochen.

Marcus Aurelius habe den Ausgestoßenen gedankt und gefragt, ob sie Wünsche hätten hinsichtlich der Form, die sein Dank annehmen solle. »Ich habe ihm gesagt, was ich Flavius versprochen hatte, und der Augustus wird ihnen Geld geben. Wie viel? Ich weiß es noch nicht; es war die Rede von hunderttausend Sesterzen.«

Nach dem Tod von Rema und Umbricius sei es nur gerecht, habe der Kaiser gesagt, wenn das alte Landgut in den Hügeln an Flavius falle, und außerdem sei das sonstige Erbe von Umbricius zu bedenken. »Darauf hat Cornelianus gezetert, weil ein Geächteter nicht erben kann, und Marcus Aurelius hat gesagt, Flavius ist nicht geächtet, sondern in alle Rechte wieder eingesetzt und kann, wenn er will, mit seinen Gefährten aus der Unterwelt in die Hügel ziehen. Oder er soll andere Wünsche äußern.« Pacuvius gähnte und lachte gleichzeitig. »Dann kamen die letzten großen Auftritte. Marcus Aurelius hat offenbar immer noch mit seiner Republik gespielt, in Gedanken. Septimius Severus sagt, in diesem Fall fühlt er sich nicht an den Schwur gebunden, den er geleistet hat, denn dazu ist er vom Kaiser bewegt worden, der auch Pontifex Maximus ist, und wenn Marcus Aurelius beides nicht mehr ist, dann … Als der Augustus ihn fragt, warum er zuerst sein Leben eingesetzt hat und jetzt ungehorsam ist, sagt Severus: ›Wenn man die Laufbahn der höheren Ämter betritt, wäre es unsinnig, nicht alles zu tun, was einem beim Kaiser und den anderen Großen nützen kann, und wenn man dem Kaiser geholfen hat, ist es albern, seiner Abdankung zuzustimmen. Vielleicht adoptiert mich dein Nachfolger, vielleicht adoptierst du mich, und wer die Hoffnung hat, selbst Augustus zu werden, sollte nicht die Republik einführen.‹ Du kannst dir denken, es gab Gelächter und Empörung, gut gemischt; Marcus Aurelius hat ihm versprochen, ihn bei einer der nächsten Ernennungen von Senatoren zu bedenken.«

»Wieso hat Alcimus ihm eigentlich geholfen, dich zu finden?«, sagte Korinna.

Pacuvius hob die Schultern. »Beim ersten Mal mussten sie mich aus dem Gewahrsam von Rusticus befreien, damit ich tun konnte, was vorgesehen war. Beim zweiten Mal? Vielleicht wollte auch Alcimus sich mehrere Möglichkeiten offenhalten; oder Umbricius hat ihm gesagt, er soll Severus helfen, damit alles echt aussieht, damit ich, ohne es zu wissen, weiter den Plan auf Lücken prüfe. Es hatte ja eigentlich keine Bedeutung mehr, weil der Ägypter mich schon … behandelt hatte.«

Korinna sah, dass Pacuvius an etwas anderes dachte – vielleicht, sagte sie sich, an den Freund, den Vertrauten, den Verräter, oder an Freundschaft allgemein.

»War damit klar, dass es keine Republik gibt?«, sagte sie.

»O nein, und dieses senatorische Versprechen kam erst später. Zuerst musste noch einmal Flavius den Mund aufmachen. Er hat Marcus Aurelius gewissermaßen erpresst oder gezwungen, Kaiser zu bleiben. Weil er vom Kaiser eine Zusage erhalten hat, die nur gilt, wenn der Kaiser weiterhin zuständig ist; Leute wie der alte Cornelianus würden in einer Republik alles sofort widerrufen. Also werden die Geächteten im Palast bleiben und die Waffen nicht einstecken, bis Marcus Aurelius seine Träume aufgibt.«

»Und das hat er sich bieten lassen?«

»Das brauchte er nicht; den letzten Grund hat ihm der alte Senator geliefert. Ausgerechnet der. Er sagt, er sei immer Republikaner gewesen, aber nach dem Durcheinander, das entstanden ist, weil der Augustus nicht mehr Augustus sein will, ist sogar Cornelianus für die Monarchie.«

An der Stelle, wo in den Hügeln der Weg zum Schrein der Minerva und den Landhäusern abzweigte, hielt Pacuvius kurz an.

»Hier hat sich Alcimus erleichtert«, sagte Korinna, »und mit einem Wächter gesprochen.«

Pacuvius schwieg; er presste die Lippen zu einem schmalen Doppelstrich zusammen. Als er endlich redete, klang seine Stimme grimmig. »Hieron«, sagte er. »Mein alter Sklave, schon vor meiner Geburt Mitglied der Familie. Er ist zu Fuß von Portus aufgebrochen und wollte durch die Hügel nach Rom. Er hätte längst ankommen müssen. Ich fürchte, irgendwo hier im Wald gibt es ein Grab. Alcimus wusste, dass Hieron diesen Weg nehmen wollte. Vielleicht näher bei den Landhäusern, und da hätte er vielleicht etwas gesehen, was er mir nicht erzählen sollte.«

Korinna seufzte. »Es tut mir leid … Könnte man – kannst du Alcimus nicht fragen?«

»Nur mit dem Schwert, und nur, um ihn zum Schweigen zu bringen.«

»Was geschieht mit ihm?«

Pacuvius schnaubte und trieb die Pferde wieder an. »Was ohne den Speer des Severus mit Umbricius geschehen wäre. Was mit Varro und Quirinus geschieht. Nichts. Schlimmstenfalls eine Versetzung. Keine Beweise. Alcimus wird sagen, er hätte versucht, die Befehle von Umbricius zu befolgen und zugleich dafür zu sorgen, dass kein ernster Schaden entsteht.«

Nach kurzem Schweigen sagte Korinna: »Du hast mir noch nicht gesagt, was du eigentlich in Portus erledigen willst.«

»In der Wachstube in Trans Tiberim hast du mir etwas erzählt, womit ich zunächst nichts anfangen konnte.«

»Was denn?«

»Wie du am Strand mit den anderen Frauen garum vorbereitest«, sagte er. »Die alten Fischer, die Wein mit Meerwasser trinken, dahinter der Schweinekoben. Und der Blutfleck im Wagen von Manlius, bei der Rückfahrt.«

Korinna schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, worauf du hinauswillst.«

Pacuvius lächelte schwach. »Lass dich überraschen. Ich bin auch gar nicht sicher; aber ich möchte es überprüfen.«

Kurz vor Sonnenuntergang betrat Pacuvius mit drei Wächtern den Schweinepferch hinter der schäbigen Schenke am Strand. Korinna blieb vor dem Gatter stehen und sah zu, wie die Männer mit dem halb mürrischen, halb verängstigten Besitzer in dem großen Geviert herumwühlten, Kot und Abfälle verschoben, mit Stangen und Schaufeln an mehreren Stellen den Lehm beseitigten. Es war fast dunkel, als sie im Licht der Fackel, die der Besitzer halten musste, fündig wurden.

»Menschenknochen«, sagte Pacuvius. Er gähnte und wollte die Hand vor den Mund halten; im letzten Augenblick verzichtete er darauf und betrachtete die verdreckten Finger mit einer Miene des Ekels. »Schweine fressen alles, und der Besitzer hat grundsätzlich nie etwas gesehen.«

»Du meinst also, Manlius hat diesen Mann, den du eigentlich suchen solltest, hergebracht, damit die Schweine … Spuren verwischen? Und die Leute, die ich vor dem Schwertfisch gesehen habe, und einen später in Trans Tiberim und zuletzt als Leiche neben der Basilica …?«

»Das meine ich. Wie hieß er? Philippos? Der mit der Silberschlange im Ohr?«

»Aber wozu schickt Umbricius dich nach Portus, wenn seine Leute – seine anderen Leute – den Mann umbringen, den du suchen sollst?«

»Ich sollte ihn abfangen und zu Umbricius bringen, ohne mich mit ihm auf lange Gespräche einzulassen. Ich weiß nicht, wer er war. Vielleicht einer, der wichtige Verbündete besucht hatte und jetzt überflüssig war. Besser tot als geschwätzig? Oder einer, der abspringen wollte? Und der andere, den er bei Rusticus vorgeführt hat, war – irgendwer, der nichts damit zu tun hatte.«

Kurz bevor sie die Unterkunft der Wächter am Kanal erreichten, sagte Korinna: »Also, Manlius war einer von Umbricius’ Handlangern. Und damit er nichts mehr sagen konnte, haben sie auch ihn umgebracht?«

»Zu doppeltem Nutzen, ja. Er kann nichts mehr sagen, und ein gewisser reicher Mann, der euer Haus gekauft hat und dem Manlius seines nicht verkaufen wollte, kann jetzt mehrere große Mietshäuser in Trans Tiberim bauen. Ein Verwandter des strengen alten Cornelianus – Fufius’ Gastfreund Cornelius Longus.«

Korinna dachte an den fetten Händler, Fufius Ripa, der im Palast gewesen war, der von seiner Reise Steinsplitter von Hannibals Grab mitgebracht hatte, der eigene Gladiatoren unterhielt, die in Capua ausgebildet wurden. In Capua, wo ein bestimmter Waffenschmied ein Schwert gefertigt hatte, das niemals in der Hand des Spartacus gewesen war.

Im Haus der Wächter reinigten sie sich, aßen und tranken etwas. Pacuvius, dem bei Tisch die Augen zufielen, wickelte sich im Nebenraum in eine Decke und schnarchte, noch bevor sein Kopf die unbequeme Pritsche berührte. Korinna zupfte seine Decke zurecht, löschte das Öllicht und legte sich auf einen etwas bequemeren, mit Stroh gefüllten Ledersack.

Sie war überzeugt, dass sie nicht würde schlafen können. Die Ereignisse der letzten Tage turnten und tanzten in ihrem Kopf, setzten sich immer wieder neu zusammen und ergaben wechselnde Bilder: alle stimmig, alle überzeugend, alle irrsinnig. »Geld gewinnt immer«, dachte sie, »auch wenn die Politik längst verloren hat.« Die Verbindungen zwischen Fufius, Flavius und Duilius beschäftigten sie noch im Traum, in dem sie glaubte, wach zu sein.

Falcos Bad war fast leer; es war die Zeit, zu der man Geschäfte abschloss, die man vormittags besprochen hatte, oder die Zeit für ein kleines Mittagsmahl. Gewöhnlich kamen keine Frauen hierher, aber es gab weder Vorschriften noch Abneigungen, wie Falco mit einem breiten Lächeln versicherte, und selbstverständlich stünde seinem teuren Freund Pacuvius nach dem Bad ein abgeschlossener, mit einer geräumigen Liege sowie Wasser und Wein versehener Ruheraum zur Verfügung.

Korinna fand es schwierig, in Anwesenheit der wenigen anderen und der Sklaven mit Pacuvius zu baden. Wie sie sah, hatte er die gleichen Schwierigkeiten – oder sehr ähnliche. Im sudarium und bei den Übergängen von einem Becken zum anderen hielt er sich ein Tuch vor den Leib, und in den Becken blieb er immer tief im Wasser.

»Wieso gilt manchen Nacktheit im Zustand der Erregung als peinlich?«, murmelte sie, als sie im lauwarmen Becken nicht weit voneinander entfernt waren.

»Weiß ich nicht«, knurrte er. »Ich bin eben empfindsam.« Dann grinste er. »Zum Abkühlen könntest du mir was von Lukianos erzählen.«

»Ei«, sagte sie. »Zum Beispiel etwas über Bilche?«

»Was Warmes, Weiches, Haariges? Immer.«

Sie bemühte sich, Lukianos’ Ausschweifungen einigermaßen vollständig wiederzugeben; das geübte Gedächtnis der Schauspielerin half. Die anderen Gäste hörten zu; bald füllte Gelächter das Gewölbe.

Im heißen Becken zog Pacuvius sie am Arm zu sich. »Es dauert zu lange«, murmelte er. »Weißt du, was ich mich im Kerker gefragt habe? Ob du unter den Achseln und zwischen den Lenden behaart bist. Jetzt weiß ich. Uh. Ich möchte deinen Bilch beißen.«

Unter Wasser langte sie nach seinem Phallus und rieb ihn ein wenig. »Leider hat Lukianos nicht gesagt, wie die entsprechende Erwiderung lautet.«

»Fällt dir was ein?«

Sie lächelte. »Zu viel.«

»Sags nicht. Und lass mich da los. Ich muss ins Kalte.«

Im letzten Becken, jäh abgekühlt, sagte er plötzlich: »Ob Batrax dieses Haus findet, das er sucht?«

»Hat er dir gesagt, wie es aussieht?«

»Ja.«

»Sags mir nicht.« Sie schloss die Augen. »Da, wo ich Sklavin war, gibt es eins, vor dem man vielleicht ein Kind ausgesetzt hätte.«

»Warum willst du es nicht wissen?«

Korinna zuckte mit den Schultern. »Vielleicht … ebendarum. Hab ich dir von dem Mal erzählt, das bei uns in der männlichen Linie wiederkehrt?«

Er schüttelte den Kopf; als sie geendet hatte, sagte er: »Und? Hat er es?«

»Ich weiß es nicht; ich habe nie nachgeschaut.«

»Soll ich?«

Sie seufzte. »Nein. Selbst wenn es das Haus ist und er ein Mal hat, kann immer noch alles Zufall sein. Und … man soll die Götter nicht im Übermaß behelligen; ich finde, ein wichtiges Mal, der Halbmond unter der Brust von Flavius, reicht.«

Pacuvius klackte leise. »Ich hatte eine Frau, in Bononia, und zwei Kinder. Vorbei. Was soll ich jetzt in Rom anfangen, mit einer Schauspielerin, mit der ich nicht vermählt bin, die mit einem Jungen herumzieht, der vielleicht doch nicht ihr Sohn ist?«

Sie lachte. »Anfangen? Zuerst mal anfangen. Und hast du etwas Längeres vor?«

»Kommt drauf an.«

»Worauf?«

Er langte nach ihrer Hand. »Komm, raus, rauf in diesen Ruheraum. Vielleicht …« Er lachte. »Vielleicht kommts drauf an, ob das, was wir gleich da oben anstellen, nur halb so gut wird wie das, was ich mir in dem heißen Becken vorhin alles überlegt habe.«

»Ei«, sagte Korinna. »Es wird … unbeschreiblich.«

Als sie zwei Stunden später Falcos Bad verließen und Hand in Hand Richtung Argiletum gingen, um irgendwo etwas zu essen, begegneten sie den Fremden mit den schrägen Augen.

»Wie war es beim Kaiser?«, sagte Pavucius.

Hu breitete die Arme aus. »Umfängliche Länge von Gerede«, sagte er. »Kräftig angenehm.«

»Wollte er etwas Besonderes wissen?«

»Vor allem wie ist bei uns, in Osten.«

»Und? Habt ihr ihm etwas Kluges gesagt?«

»Viel klug, ja.« Chi grinste. »Gesagt: Bei uns genau wie hier, nur anders.«