KAPITEL DREIUNDZWANZIG

ELVAR

Elvar wachte vor dem Morgengrauen auf. Einen Moment lang wusste sie nicht, wo sie war. Der Geruch von Met, Bier und Urin half ihrem Gedächtnis auf die Sprünge. Sie lag auf der Tenne einer Schänke in Snakavik. Erinnerungen und unterschiedlichste Gefühle kreisten in ihrem Kopf, Gewissensbisse, Wut, Stolz, all das wirbelte in ihrem Schädel herum, als wäre es von der Strömung eines Strudels erfasst worden. Sie rollte sich herum und setzte sich auf. Grend lag neben ihr. Sie sah seinen massigen Körper, als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Um sie herum lagen dicht aneinandergedrängt die Leiber der schnarchenden Schlachtgrimmen. Sie zog die Stiefel an, stand auf, nahm ihren zusammengerollten Waffengürtel und tastete sich vorsichtig zwischen ihnen hinaus. Ein sanfter Schimmer zeigte ihr die Öffnung zu einer steilen Leiter, und sie kletterte in die Schänke hinunter.

Tische und Bänke standen überall in dem großen Raum verteilt, der Boden war mit trockenen Binsen bestreut, auf denen ab und zu dunkle Urinflecken schimmerten. Das flackernde Licht kam von einem Herdfeuer und einem Eisengestell mit stinkendem Waltran.

Biórr und Thrud waren bereits wach, und Biórr rührte in einem Topf Haferbrei, der über einem kleinen Herdfeuer hing. Thrud saß mit ausgestreckten Beinen daneben und säuberte seine Fingernägel mit einem Messer. Uspa und Bjarn saßen auf einer Bank in der Ecke des Raumes. Sie waren in eine Decke gehüllt, und vor ihnen auf dem Tisch stand ein Tafl-Brett. Bjarn lächelte ihr zu, als sie die Leiter herunterkletterte. Biórr ebenfalls.

In einem Raum hinter einem Durchgang klapperten Töpfe, und Elvar erblickte den Wirt und seine Frau.

»Brei?«, fragte Biórr, als sie unten angekommen war und sich streckte. Er löffelte etwas davon in zwei Näpfe, die er Uspa und Bjarn brachte. Elvar hatte keine Lust auf Gesellschaft, sondern gehofft, allein im Dunkeln an einem Tisch sitzen und ihre Gedanken sortieren zu können. Aber das Lächeln des Jungen, Bjarn, zog sie an.

Die Bank schleifte über den Boden, als sie sie vom Tisch wegzog, um sich darauf zu setzen. Sie legte ihren Waffengürtel mit dem Schwert, dem Scramasax und der Axt auf den Tisch neben das Tafl-Brett. Thrud blickte von seiner Nagelpflege hoch und folgte ihr mit den Augen. Er nickte ihr zu und brummte, dann kümmerte er sich wieder um den Schmutz unter seinen Nägeln.

Biórr brachte ihr ebenfalls einen Napf und einen Löffel, stellte einen Krug mit Honig auf den Tisch und löffelte etwas davon in Bjarns Schüssel.

»Danke«, sagte Uspa zu Biórr.

»Zurück zu unserem Spiel.« Biórr nahm zwei Knochenwürfel. »Dein Jarl wird meinen Kriegern nicht entkommen«, drohte er und setzte eine gespielt kriegerische Miene auf.

»Das werden wir sehen«, erwiderte Bjarn. Die Finger des Jungen zuckten, so eifrig wartete er auf seinen nächsten Zug.

Elvar nahm einen Löffel Brei und pustete. Sie bewegte die Schultern, um das Gewicht ihres Brynja besser zu verteilen. Sie hatte in ihrem Kettenhemd geschlafen. Wo sie einst zu Hause gewesen war, fühlte sie sich nicht mehr sicher. Und das, nachdem sie fast vier Jahre mit den Schlachtgrimmen gesegelt war; und schon gar nicht nach dem Gespräch mit ihrem Vater in der letzten Nacht.

Es hatte ihn geschockt, sie zu sehen, obwohl nur sein Blick ihn verraten hatte. Thorun, ihr älterer Bruder, hatte weniger hinter dem Berg gehalten, während Silrið, die Seiðrhexe, so undurchdringlich und gleichgültig gewesen war wie immer. Der Einzige, der so etwas wie Freude über Elvars plötzliche Rückkehr gezeigt hatte, war Hrung gewesen, der Gigantenschädel. Er hatte sie herzlich angelächelt.

Weil er sich an all das Bier und den Met erinnert, den ich ihm in seinen riesigen Schlund gekippt habe.

Thorun hatte ihr an den Kopf geworfen, dass sie eine Schande wäre, weil sie sie damals einfach so verlassen hatte. Und noch schlimmer wäre es, jetzt unangekündigt zurückzukommen. Broðir, ihr jüngerer Bruder, hatte sie fast die ganze Zeit über nur irgendwie enttäuscht angestarrt. Als Thorun schließlich stammelnd geendet hatte, hatte ihr Vater gesprochen.

»Warum bist du zurückgekehrt?«, hatte er sie gefragt. »Ich bezweifle, dass es aus Loyalität geschehen ist.«

Hätte er diesen letzten Satz nicht ausgesprochen, dann wäre sie geblieben und hätte geredet. Stattdessen hatte sie sich auf dem Absatz herumgedreht und war ohne ein einziges Wort zu äußern hinausgegangen. Als sie die Hallentür hinter sich schloss, folgten ihr die Flüche ihres ältesten Bruders.

Es ist sonderbar, wie wir zum Verhalten unserer Kindheit zurückkehren, sobald wir wieder unter unseren Familienmitgliedern sind. Ich hatte so viel zu sagen, hatte eine so schöne Rede geplant.

Aber da war etwas an ihrem Vater, das jeden vernünftigen Gedanken in ihrem Kopf erstickte. Es war nie anders gewesen.

»Du solltest essen, solange es noch heiß ist«, riet ihr Biórr.

»Was?«, knurrte Elvar.

»Den Haferbrei. Iss ihn, solange er heiß ist. Er schmeckt wie Walleim, wenn er erst mal kalt ist.« Er warf einen Blick in seine eigene Schüssel. »Vielleicht ist es ja Walleim.«

Bjarn lachte.

»Du hast also schon Walleim gekostet?«, erkundigte sich Elvar.

»Du wärst überrascht, wenn du wüsstest, was ich schon alles gekostet habe. Wenn man hungert, isst man die absonderlichsten Dinge.« Biórr lächelte strahlend. »Ich bin nicht immer dieser wundervolle, gesunde und vom Sieg verwöhnte Krieger gewesen, den du heute Morgen vor dir siehst.«

Elvar konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Ihr Blick glitt zu dem Fenster der Taverne. Draußen wich die Dunkelheit langsam dem Grau.

Also ist Morgen.

»Mama, wo ist Papa?« Bjarn blickte von dem Tafl-Brett hoch, auf dem es ganz so aussah, als würde er das Spiel gewinnen.

Uspa erwiderte seinen Blick, und ihre Lippen bewegten sich, aber es kam kein Wort heraus.

»Dein Papa musste eine Weile weggehen«, sagte Biórr. »Er hat uns gebeten, auf dich aufzupassen, solange er fort ist.«

Thrud schnalzte missbilligend mit der Zunge, und Elvar sah Biórr fragend an.

Besser eine harte Wahrheit als eine weiche Lüge, hat mein Vater immer gesagt, dachte sie. Aber als sie in Bjarns Gesicht blickte und die Tränen auf Uspas Wangen sah, fühlte sie sich zu ihrer eigenen Überraschung von Biórrs Freundlichkeit berührt.

Über ihnen knarrten Bretter, und dann tauchte eine Gestalt in der Öffnung zur Tenne auf, Stiefel, die die Leiter hinunterstiegen.

»Du hättest mich wecken sollen«, knurrte Grend, als er unten angekommen war. Er drehte den Kopf hin und her, dass sein Nacken knackte, legte seinen Waffengurt an und stampfte zu ihr hinüber. Sein Blick streifte Uspa und Bjarn und blieb dann finster auf Biórr hängen. Der reagierte mit einem Lächeln.

»Haferbrei?« Biórr machte Anstalten aufzustehen.

»Ich hole ihn mir selbst«, erwiderte Grend mürrisch und ging zu dem Topf über dem Herd. Er füllte sich einen Napf und setzte sich zu ihnen, zwischen Elvar und Biórr.

Immer mehr Schlachtgrimmen waren inzwischen aufgewacht und kletterten die Leiter hinunter, bis sie die Schänke füllten. Der Wirt und seine Frau tauchten auf, mit einem neuen Topf Haferbrei, den sie über das Herdfeuer hängten, dazu Krüge aus verdünntem Bier und Hörner und Humpen, aus denen sie trinken konnten. Schließlich kam Agnar die Leiter herunter. Kráka und der Hundur-Thrall folgten ihm wie treue Hunde. Er warf einen Blick zu Elvar, nickte und ging zu einem Tisch in der Nähe der Tür. Ein gedämpfter Schrei ertönte von oben, und sie blickten hoch. Sighvat steckte mit seinem fetten Bauch in der Dachluke fest. Jemand musste von oben geschoben haben, denn jetzt ertönte ein lautes Reißen, und er fiel hindurch, wobei er die Leiter packte, damit er nicht hinabstürzte.

»Wie ist er überhaupt da hinaufgekommen?«, erkundigte sich Elvar verblüfft.

»Alles ist möglich, wenn du genug Met im Bauch hast«, antwortete Biórr. »Jedenfalls fühlt es sich dann so an. Und Met versteht es ausgezeichnet, Schmerzen zu dämpfen.«

Sie lächelte wieder.

Grend brummte nur.

Sighvat übersprang die letzten Sprossen, landete auf dem Boden, blieb stehen und zog seine Tunika zurecht.

»Blöde Tenne!«, knurrte er. »Die muss für einen Zwerg gemacht worden sein.«

Er nahm sich Haferbrei, leerte den Topf und verlangte nach mehr. Der Wirt und seine Frau brachten noch mehr Haferflocken und rührten sie in die Milch und das Wasser ein, während weitere Schlachtgrimmen aus der Tenne herabkletterten. Schon bald war die Schänke nahezu voll. Fast alle Tische waren von Kriegern besetzt. Elvar saß ruhig da und aß ihren Haferbrei, während Biórr und Bjarn ihr Tafl-Spiel fortsetzten. Es sah so aus, als würden Bjarns aus einem Knochen geschnitzter Jarl und seine restlichen Herdkarls Biórrs Ring aus Wächtern durchbrechen.

Uspa rutschte auf der Bank etwas dichter zu Elvar.

»Was erwartet uns als Nächstes?« Sie flüsterte fast.

Elvar blickte sie an, und ein Anflug von Mitgefühl für die Frau durchzuckte sie. Sie war eine Seiðrhexe, ihr Ehemann war ein Besessener, und ihr Sohn damit ebenfalls. Aber sie war mit ihrer Familie aus einem Leben in Freiheit gerissen worden, hatte ihren Ehemann verloren und trug jetzt einen Thrall-Kragen um den Hals. Agnar und die Schlachtgrimmen verstanden es ausgezeichnet, die Besessenen zu jagen, und Elvar hatte immer Abstand zu ihren Gefangenen gehalten. Ihr war immer bewusst, dass sie sich damit ihren Lebensunterhalt verdienten und ihren Schlachtenruhm mehrten, aber diesmal spürte sie, wie sich so etwas wie Mitleid in ihr regte. Vielleicht, weil sie den Jungen vor dem Seewyrm gerettet hatte.

Das war eine reine Geschäftsentscheidung, redete sie sich ein. Der Junge wird entweder Geld einbringen, oder aber er kann als Druckmittel für Uspa benutzt werden. Eine Seiðrhexe ist eine kostbare Beute.

Aber sie konnte die Lüge in ihrer Begründung selbst riechen. Sie blickte Uspa an und schaffte es nicht, das Mitleid in sich zu unterdrücken.

Eine harte Wahrheit oder eine weiche Lüge?

»Ich weiß es nicht«, antwortete Elvar, die sich für den harten Weg entschied. »Vielleicht wird Agnar dich auf dem Sklavenmarkt verkaufen, oder dich behalten und Bjarn verkaufen. Oder euch beide verkaufen, zusammen oder an verschiedene Heime.« Sie zuckte mit den Schultern. »Ich bin nicht der Häuptling der Schlachtgrimmen und kann eine solche Entscheidung nicht treffen.«

»Aber du stehst dem Häuptling nahe.« Der Blick der Seiðrhexe wanderte zu dem Trollzahn um Elvars Hals und dem Armreif, den Agnar ihr geschenkt hatte.

Elvar zuckte nur mit den Schultern.

»Wir müssen Snakavik verlassen.« Uspas Augen blitzten, und ihre Nasenflügel bebten, als sie das sagte.

Sie hat Angst. Ich hätte auch Angst, wenn ich an ihrer Stelle wäre.

»Warum hast du es so eilig zu verschwinden, wo dein Ehemann doch ein Thrall von Jarl Störr ist? Der verlässt Snakavik nur, um eine Schlacht zu schlagen. Und wenn du hierbleibst, bist du ihm zumindest nahe und siehst ihn vielleicht gelegentlich.«

»Wir müssen hier weg!«, wiederholte Uspa zischend.

Die Tür der Taverne schwang auf, und das graue Licht von Snakavik fiel in den Raum. Eine Kriegerin kam herein, eine Frau in prachtvoller Rüstung. Ihr Brynja glänzte, als wäre es frisch mit Sand geschrubbt worden. Sie hatte ihr dunkles Haar zu einem Zopf geflochten, und eine Narbe reichte von ihrer Wange bis in ihre Oberlippe, sodass es aussah, als würde sie höhnisch grinsen. Elvar erkannte sie.

Gytha, Vaters Meisterkämpferin. Gythas Schlachtenruhm war den meisten bekannt. Der Wirt tauchte in der Küchentür auf und deutete so etwas wie eine Verbeugung an.

Gytha sah sich um, und ihr Blick fiel auf Elvar und Grend, der neben ihr saß. Sie nickte Grend zu.

»Willkommen zu Hause«, sagte sie zu Elvar, obwohl ihr Blick auf Grend ruhte.

Elvar nickte, weil sie den Worten nicht traute, die vielleicht aus ihrem Mund kommen könnten.

Einen Moment herrschte Schweigen, und Grend blieb stumm wie ein Stein. Dann warf Gytha einen Blick über die Schulter und winkte. Zwei weitere Krieger traten in die Taverne. Sie schleppten eine Kiste.

»Für Agnar«, sagte Gytha.

Die Zahlung für Berak. Mein Vater hat die Wahrheit gesagt, denn er zahlt gut für Berserkir.

Agnar erhob sich von seinem Platz, auf dem er von der Tür der Schänke aus vor den Blicken verborgen gewesen war. Elvar sah, wie seine Hand von seinem Schwertgriff glitt. Er bellte einen Befehl, und Sighvat trat vor und nahm die Kiste von den beiden Kriegern in Empfang.

»Jarl Störr ist hier, um seine Tochter zu sehen«, sagte Gytha zu Agnar und allen Anwesenden im Raum. Sie sah sich um. Verwirrte Mienen blickten ihr entgegen. Nur Agnar und ein paar andere wussten von Elvars Herkunft. Gythas Blick blieb an Elvar hängen. »Er wünscht ein ungestörtes Gespräch.«

»Ein guter Moment, um unseren Erlös zur Wellen-Jarl zu bringen!« Agnar schlug auf die Kiste. »Schlachtgrimmen, folgt mir!«, rief er, als er durch die Tür der Schänke trat. Sighvat folgte ihm, und der Rest der Schlachtgrimmen stand ebenfalls auf und ging langsam hinaus.

Biórr blickte Elvar an, als er merkte, dass sie keine Anstalten machte, den Raum zu verlassen. Sie konnte förmlich sehen, wie ihm ein Licht aufging.

»Das gilt auch für dich!«, herrschte Grend Biórr mürrisch an.

Biórr stand langsam auf.

»Ist das … bist du in Ordnung?«, fragte er Elvar. »Ich kann bleiben.«

Grend schnaubte, stemmte die Hände auf die Tischplatte und erhob sich.

Elvar berührte Grends Arm.

»Ich habe mir meinen Platz im Schildwall der Schlachtgrimmen verdient«, sagte sie finster zu Biórr und legte ihre Hand um den Trollhauer an ihrem Hals. »Warum sollte ich wollen, dass du bleibst? Hältst du mich für einen Niðing, der beschützt werden muss?«

Er zuckte mit den Schultern, hob abwehrend die Hände und bedeutete Uspa und Bjarn, ihm zu folgen. Thrud stand ebenfalls auf, steckte sein Messer weg und folgte der Frau und dem Kind. Sie waren die Letzten, die die Schänke verließen.

Kurz darauf betraten andere Krieger den Raum, Jarl Störrs Eidgeschworene Leibwache. Sie verteilten sich in der Schänke und überzeugten sich, dass der ganze Raum leer war. Zwei kletterten die Leiter zur Tenne hoch und riefen hinab, dass alles in Ordnung wäre.

Dann betrat Jarl Störr die Schänke. Er sah Elvar und ging zu ihr. Etliche Gestalten folgten ihm – ihre Brüder Thorun und Broðir, und schließlich auch Silrið, eine der wenigen Galdur-Frauen in ganz Vigrið. Ihre Kette aus Tierschädeln klapperte leise bei jedem Schritt, den sie machte. Jarl Störr setzte sich Elvar gegenüber an den Tisch, Thorun und Broðir flankierten ihn. Silrið blieb hinter ihm stehen.

»Tochter«, sagte Jarl Störr. Er betrachtete sie, lange und abschätzend, und Elvar hatte das Gefühl, als würde er die tiefsten Geheimnisse in ihrer Seele erkennen.

»Du hättest nicht gehen sollen«, brach er dann das Schweigen.

Elvar verzog das Gesicht und spürte, wie bittere Wut in ihr aufstieg. Sie holte tief Luft, um es zu kontrollieren. Um nicht immer wieder in das gleiche Verhalten ihrer Kindheit zurückzuverfallen, als ihr Vater sie ermahnte und sie gegen ihn wütete, ohne etwas zu erreichen. Immer hatte es geendet mit ihrem Gefühl, nutzlos zu sein, mit der Wut darüber, dass sie ihre Gefühle nicht beherrschen und ihr Herz nicht ausschütten konnte.

»Ich bedaure nicht, dass ich gegangen bin«, antwortete sie schließlich. »Ich habe mir meinen Ruf und meinen Schlachtenruhm selbst verdient.«

»Schlachtenruhm? Im Dienste irgendeines Händlers!«, gab Jarl Störr zurück.

»Agnar und die Schlachtgrimmen sind große Krieger und in ganz Vigrið berühmt, und auch in der Welt darüber hinaus. Ich war an Orten, an die du noch nie einen Fuß gesetzt hast, Orte, wo niemand deinen Namen kennt«, erwiderte Elvar.

Ihr Vater schnaubte verächtlich. »Ja, er ist ein fähiger Krieger, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass er sein Silber mit dem Handel von Lebewesen verdient. Er ist nur ein Niðing von Händler, eine Hure, die für den die Beine breit macht, der die meisten Münzen in der Tasche hat.«

Elvar spürte, wie ihr Blut sich erhitzte und der Ärger in ihr aufwallte, als ihr Häuptling so beiläufig beleidigt wurde. Erneut nahm sie sich einen Moment Zeit, sich zu beherrschen, und unterdrückte die scharfen Worte, die ihr auf der Zunge lagen.

»Du bist jedenfalls gern bereit, ihn zu bezahlen«, antwortete Elvar stattdessen. »Was macht das aus dir?«

»Einen vernünftigen Mann«, erwiderte ihr Vater gleichgültig, »wenn er etwas verkauft, das ich haben will. Aber jetzt genug von Agnar und seiner Horde von Söldnern. Ich bin hierhergekommen, um über dich zu sprechen. Über deine Familie und über deine Zukunft.« Er trommelte mit den Fingern auf den Tisch. »Dass du verschwunden bist, und wie du verschwunden bist, hat Schande über mich gebracht. Es hat dazu geführt, dass die Menschen an mir zweifelten. Das Getuschel war allgegenwärtig. Wenn er seine eigene Tochter nicht beherrschen kann, flüsterten sie, wie kann er dann die Zukunft von Snakavik beherrschen?« Er seufzte. »Ich musste Blut vergießen, um die Kontrolle über das Reich zurückzugewinnen. Sehr viel Blut.«

»Genau in diesem Punkt verstehst du mich nicht«, gab Elvar zurück. »Du beherrschst mich nicht. Niemand tut das, und niemand wird es jemals tun.«

»Du bist die Tochter eines Jarls!«, stieß ihr älterer Bruder Thorun hervor. »Vater hat dir alles gegeben, und dafür hast du Verpflichtungen zu übernehmen.«

»Welche? Eine Spielfigur in seiner Politik zu sein?«, fuhr Elvar ihn an. »Wie eine Ware eingetauscht zu werden, wie eine Thrall-Hure an irgendeinen würdigen Ehemann für einen Flecken Land verkauft zu werden? Mich auf den Rücken zu legen und mich wie einen Acker pflügen zu lassen, damit er seinen Samen in meinen Bauch säen kann, und mein Leben damit zu verbringen, wie eine fette Sau kleine Ferkel großzuziehen?«

»Ja«, antwortete Thorun. »Genau das will Vater.«

»Würdest du auch so schnell zustimmen, wenn du es wärst, der eingetauscht wird? Wenn du dich von irgendeinem schwitzenden Schwein besteigen lassen und dich zu einer Brutschlampe machen lassen müsstest?«

»Ich würde meinem Vater mit Freuden gehorchen, ganz gleich, was er verlangt!«, fuhr Thorun hoch.

»Fein, dann kannst du ja Helkas Ferkel heiraten und dich durchbumsen lassen, und ich führe den Heerbann!«, gab Elvar zurück.

Grend schnaubte. Das kam bei ihm einem Lachen am Nächsten, und Thorun runzelte die Stirn.

Jarl Störr lächelte kalt.

»Ahh.« Er seufzte und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Es ist schwieriger, meine Kinder zu bändigen als Snakavik und den Rest meines Reiches zusammen.« Er schüttelte den Kopf. »Ich will, dass du zu mir zurückkommst, Tochter. Dass du bei uns bist. Dort, wo du hingehörst.«

»Ich werde Hakon nicht heiraten, nur damit du deine Grenzen ein bisschen weiter ausdehnen kannst.«

»Ein bisschen?«, mischte sich Thorun ein. »Vaters Reich und das von Helka zusammen würde sich über mehr als die Hälfte von ganz Vigrið erstrecken.«

»Das kümmert mich nicht.« Elvar zuckte mit den Schultern. »Ich bin für die Schlacht geboren, für den Schildwall, und ich werde mir meinen eigenen Ruf verdienen, statt mich verheiraten zu lassen.«

»Ruf?«, schnaubte Thorun verächtlich. »Du? Wahrscheinlicher ist es, dass du von Grends Ruf profitierst. Er bleibt bei jedem Kampf an deiner Seite, daran zweifle ich nicht, um dich zu schützen. Er war schon immer der Hund von Mutter, und jetzt ist er deiner.«

Bevor sie es gewahr wurde, war Elvar aufgesprungen und hatte das Schwert gezückt.

»Ich werde dir die scharfe Schneide meines Rufs zeigen, Bruder, und Grend kann ruhig auf seinem Arsch sitzen bleiben!«, fuhr sie ihn an.

Thorun lief rot an.

Ich hatte gerade meinen siebzehnten Namenstag hinter mir, als ich dich zuletzt gesehen habe. Damals hast du es genossen, mich auf dem Übungshof zu demütigen. Aber jetzt dürfte das anders laufen.

»Elvar ficht ihre eigenen Kämpfe«, tönte Grends raue Stimme durch die angespannte Atmosphäre. »Sie hat sich selbst einen Namen gemacht, und es ist ein Name, der respektiert wird und gefürchtet.«

Elvar sah Grend an und blinzelte verblüfft. Der alte Krieger lobte nur höchst selten irgendjemanden oder irgendetwas, was alle in diesem Raum wussten.

Grend erwiderte Thoruns verwunderten Blick. »Ich würde mich setzen, wenn ich du wäre.«

Thorun hatte seine Hand auf den Griff seines Schwertes gelegt.

Jarl Störr warf ihm einen finsteren Blick zu. »Du hörst jetzt mit deinem Geblöke auf«, sagte er ruhig, »oder du wartest draußen.«

Thoruns Blick zuckte von Elvar zu Grend und schließlich zu seinem Vater, bevor er nachgab und die Augen niederschlug.

»Gut.« Jarl Störr richtete den Blick unter seinen schweren Lidern auf Elvar. »Ich bin hierhergekommen, um mit dir über Versöhnung zu sprechen, Tochter. Ich möchte dich wieder an meiner Seite haben.« Sie wollte etwas erwidern, aber er hob die Hand und brachte sie zum Schweigen. »Vielleicht ist ein Ehepakt mit Helkas Sohn nicht die einzige Möglichkeit, die wir in Betracht ziehen sollten. Es gibt noch andere Wege, um unseren Ehrgeiz zu befriedigen.« Er zuckte mit den Achseln, und sein Blick fiel auf Silrið.

»Es gibt immer mehr als einen Pfad durch den Wald«, übernahm die Seiðrhexe das Stichwort. »Wenn jemand mutig genug ist, um danach zu suchen, und vielleicht auch stark genug, um ein paar Bäume zu fällen.«

Jarl Störr knurrte. »Wie dem auch sei«, fuhr er fort, »ich möchte dich bei mir haben, Elvar Störrsdottir. Vielleicht ist es an der Zeit, dass man dir deine eigenen Drengr unterstellt, damit du deine eigene Kriegerhorde führen kannst.«

Elvar blinzelte. Ihre Verblüffung fegte ihren ganzen Ärger hinweg.

Ihr Vater stand auf.

»Denk darüber nach«, sagte er, »und komm zu mir, wenn du eine Entscheidung getroffen hast.«

Elvar nickte wie betäubt.

Er drehte sich um und verließ den Raum. Thorun, Broðir, Silrið und seine Eidgeschworenen folgten ihm. Broðir zögerte an der Tür und sah zu Elvar zurück.

»Komm zu uns zurück, Schwester«, sagte er und lächelte schüchtern. »Thorun ist ein Arschkriecher; ich habe dich vermisst.« Dann verschwand er.

Gytha blaffte einen Befehl, und die restlichen Drengr verließen den Schankraum. Bevor sie die Tür hinter sich schloss, warf Gytha noch einen Blick auf Grend.

Elvar blickte ebenfalls auf den alten Krieger hinab. Dann plumpste sie auf die Bank, als sie spürte, wie ihre Knie weich wurden, und fing an zu lachen.