ELVAR
»Rudert, ihr mieser Haufen feiger Trollärsche!«, bellte Sighvat, während er den Rhythmus mit einem verknoteten Tauwerk auf einem Fass schlug.
Elvar knirschte mit den Zähnen und zog an ihrem Riemen. Die Muskeln in ihrem Rücken und ihren Schultern schmerzten. Eine Welle hob das Drakkar hoch in die Luft, und der Drachenbug deutete in den schiefergrauen Himmel. Elvars Riemen tauchte aus dem Wasser auf, und sie hatte plötzlich das Gefühl von Schwerelosigkeit in ihrem Bauch, während sie das Gleichgewicht verlor und fast von ihrer Seekiste gerutscht wäre. Dann senkte sich der Bug wieder und tauchte tief in die von Eisklumpen bedeckten Wellen. Gischt spritzte über den Bug, und der Wind peitschte das Wasser wie Hagelkörner über Elvars Rücken. Sie wischte sich Eis und eine Strähne ihres blonden Haares aus dem Gesicht, korrigierte ihren Riemen, fand ihren Rhythmus wieder und verlor sich aufs Neue in der gleichmäßigen Bewegung des Ruderns. Ihre Muskeln zogen sich zusammen und dehnten sich, und jede Faser in ihrem Körper schien zu brennen. Vor ihr füllte Grends breiter Rücken ihr Blickfeld aus. Die grauen Strähnen in seinem Haar waren dunkel von Schweiß und salziger Gischt. Dahinter erhaschte sie im Rhythmus von Grends Ruderzügen Blicke auf den dickbäuchigen Sighvat, der den Rhythmus schlug. Hinter ihm im Heck stand Agnar, ihr Häuptling. Er lachte, als wäre es sein Namenstag und als hätte er seinen Bauch voller Met. Sein blonder Zopf peitschte im Wind. Er umklammerte die Pinne mit beiden Händen und kämpfte mit dem Steuerruder, während er versuchte, die Wellen-Jarl zwischen den beiden Schenkeln der Landzungen hindurch zu steuern. Hinter ihm lagen das offene Meer und graue Wolken.
»Rudert!«, brüllte Sighvat erneut, und fünfzig Riemen tauchten in die schaumige See. Rücken krümmten sich und spannten sich an, als die Wellen-Jarl sich ihren Weg durch die Wogen schnitt.
»Strand!«, brüllte jemand vom Bug des Drakkar, und neue Kraft durchströmte Elvar bei diesem Schrei, die Hoffnung, dass die Plackerei und das Brennen der Muskeln endlich ein Ende hätten. Die Insel Iskalt war leicht zu finden gewesen. Sie wurde von den roten Feueradern markiert, die in dem alles dominierenden Berg der Insel glühten. Einen Strand ausfindig zu machen, wo sie hatten anlanden können, war allerdings weit schwieriger gewesen. Immer wieder von Neuem hatten sie sich in die Riemen gelegt.
Von irgendwo hinter ihr drangen Fetzen von Krákas Gesang zu ihr. Die besessene Thrall sang ihren dunklen Zauber, um Seeschlangen und andere See-Vaesen vom Rumpf ihres Drakkar fernzuhalten.
Ein schwarzer Granitfelsen tauchte links neben ihr auf, und die Robben und Papageientaucher, die darauf hockten, beobachteten das Drachenschiff, während es an ihnen vorbeiglitt. Elvar fühlte, wie das Meer rund um die Wellen-Jarl ruhiger wurde, als gehorche es irgendeinem Runen-Zauber. Das Rudern wurde leichter, sobald sie in diesen natürlichen Hafen einliefen. Die Wellen legten sich etwas und ihr weißes Kielwasser breitete sich hinter ihnen aus. Agnar schrie Sighvat einen Befehl zu.
»Halbes Tempo!«, brüllte Sighvat und minderte den Rhythmus seines Trommelns.
Elvar verlangsamte ihren Rhythmus, spürte, wie die Erregung in ihr aufstieg und ihre Erschöpfung dahinschmolz.
Wir sind da.
Erneut gab Agnar einen Befehl.
»Riemen einziehen!«, schrie Sighvat, hörte auf zu trommeln und schritt über das Deck zum Bug, vorbei an Elvar. Elvar zog ihren Riemen durch das Ruderloch. Es klapperte hölzern, als die Riemen auf die Ständer gelegt wurden. Dann schob sie den Riemenklappen vor das Loch. Holz knirschte, als die Wellen-Jarl an einer Holzpier entlangschrammte und Agnar die Pinne festband. Danach schritt er über das Deck und schrie Befehle.
Elvar stand auf, reckte sich und hörte, wie die Knochen in ihrem Hals und ihrem Rücken knackten. Dann öffnete sie ihre Seekiste. Sie rollte ein Bündel Schafsfell auf und zog ihr Brynja heraus. Der Kettenpanzer schimmerte vom Öl des Schafspelzes, das die kostbare Rüstung vor Rost schützte. Mit geübter Leichtigkeit hob sie das Kettenhemd an, schob ihre Arme hinein und ließ es über ihren Kopf gleiten. Sie zappelte und schüttelte sich, bis der Kettenpanzer sich über ihre Schultern und ihren Oberkörper legte. Sie band sich einen dünnen Gürtel um, der das Gewicht des Kettenpanzers von ihren Schultern nahm, und dann griff sie nach ihrem Waffengurt. Daran hingen Schwert, Scramasax und Faustaxt. Sie zog ihr Schwert eine Handbreit heraus, um zu überprüfen, dass es nicht festklemmte, und ließ es dann wieder zurückgleiten. Das hatte sie von Grend am ersten Tag, an dem sie ihre Hand um den Griff eines Schwertes gelegt hatte, gelernt. Als Letztes suchte sie in ihrer Kiste nach einer Mütze aus grober Wolle, zog sie sich über den Kopf und setzte dann ihren Helm auf. Er bestand aus glänzenden Metallstreifen, und ein Vorhang aus vernieteten Ringen schützte ihren Nacken. Sie rückte den Helm zurecht, damit sie durch die Augenlöcher gut sehen konnte, und zog dann den Kinnriemen fest. Schließlich grinste sie Grend an, der dasselbe Ritual durchführte. Der Krieger bewegte die Schultern, um sein Brynja anzupassen. Er sah sie ausdruckslos an. Seine Miene war verkniffen und ein wenig finster, was ihr eigenes Lächeln noch verstärkte. Dann zerrte sie ihren Schild aus dem Gestell am Topsegel und legte die Hand um den Holzgriff. Ihre Faust verschwand in der Höhle des Schildbuckels. Sie trat zu dem Speergestell, nahm ihren Speer und wartete ungeduldig auf Agnars Befehl, von Bord gehen zu dürfen.
Agnar rief die Namen von etwa einem Dutzend Leuten, die beim Schiff bleiben und es bewachen sollten. Dann befahl er dem Rest, von Bord zu gehen. Sie sprang von der obersten Planke, dem Dollbord, auf die hölzerne Pier, an der Sighvat angelegt hatte. Elvar und Grend waren auch dabei.
Zwischen dem Eisregen trieben auch Schneeflocken im Wind, und die Wolken über ihnen waren prall aufgebläht. Elvar sah sich um. Die Pier führte auf einen Kiesstrand. An Stangen hingen Netze, zum Trocknen oder zur Ausbesserung. Vor einigen Räucherhäusern lagen Weidenkörbe für den Krabbenfang auf einem Haufen. Ein alter verfaulter Schiffsrumpf lag verlassen da. Seeschwalben und Silbermöwen hockten darauf und beobachteten die Neuankömmlinge. Der Strand stieg steil an, Kiesel wich Erde, und auf einem Kamm über dem Strand kauerten sich ein paar Dutzend Gebäude zusammen. Dünne Rauchfahnen stiegen aus ihren Schornsteinen auf und verloren sich im trüben, schneeverheißenden Himmel. Hinter den Gebäuden begann ein Gehölz von Espen und Birken, unter deren ausladenden Zweigen sich weitere Gebäude duckten. Das Land stieg an bis zum Vorgebirge, das rasch zu hohen, zerklüfteten Granitklippen wurde, die sich zum Gipfel des Feuerbergs der Insel erstreckten. Dünne rote Adern teilten die Klippen und glühten in der Dunkelheit wie das Feuer von Essen.
Im Dorf rührte man sich. In Pelze gekleidete Menschen tauchten aus den Häusern auf und starrten ihnen entgegen. Einige rannten weg, andere umklammerten Speere und Jagdbögen.
Ich hasse Bögen, dachte Elvar und spuckte verächtlich auf die Pier. Die Waffe von Feiglingen. Wie kann ein Krieger Schlachtenruhm erringen, wenn er aus der Entfernung tötet?
Sie hob ihren Schild, auf dem mit roter Farbe ein Schwert, eine Axt und ein Speer gemalt waren, die sich kreuzten. Die Waffen waren von einem verschlungenen Knotenmuster umringt.
»Bei den toten Göttern, ist das kalt!«, knurrte Biórr und lächelte sie an, während er es sagte. Er hatte den Schild auf den Rücken geschoben, stampfte mit den Füßen auf und blies sich in die Handflächen.
Elvar sah ihn einfach nur an, bemerkte das Interesse in seinen Augen und wandte den Blick ab.
»Es ist ein schöner Tag«, sagte sie. In Wirklichkeit spürte sie, wie diese Leichenkälte stumm wie der Tod in ihren Körper sickerte, jetzt, als ihre Muskeln abkühlten. Neben ihnen knarrte die Wellen-Jarl, die in der Dünung dümpelte, und die schwarzblaue See schimmerte und das Eis darauf bewegte sich träge. So weit im Norden war der Frühling nur ein fernes Wort.
»Elvar, Grend, zu mir!«, rief Agnar. Die Krieger ließen sie durch. Elvar ging mit erhobenem Haupt, denn sie wusste, welche Ehre Agnar ihr, der Jüngsten seiner Kriegerhorde, erwies.
Die Jüngste und die Wildeste, dachte sie. Das war eine stolze Behauptung, wenn sie die grimmigen Krieger betrachtete, an denen sie vorbeikam. Sie alle waren kampferprobt und schwer mit scharfem Eisen bewaffnet. Sie blickte zum Deck der Wellen-Jarl, zu den Kriegern, die sie bewachen sollten und sie jetzt anstarrten. Zu Kráka, die über dem Bug hing. Ihr verschwitztes und von der Gischt durchtränktes schwarzes Haar klebte ihr am Kopf wie die angelegten Flügel einer Krähe. Sie bewegte sich, als Elvar an ihr vorbeiging, drehte sich um, um die junge Kriegerin anzusehen. Ihr Thrall-Kragen und die Kette klirrten. Einer der Schiffswächter versetzte ihr einen Tritt, und sie zuckte zusammen, hob die Hände. Elvar wandte den Blick ab.
Agnar wartete auf sie. Er trug einen schwarzen Bärenfellumhang über seinem Kettenpanzer, einen silbernen Reif um den Hals und dicke Armreife. In einer Hand hielt er den Schild, die andere ruhte auf dem Griff des Schwertes an seiner Hüfte. An seinem Gürtel hing ein zerfetzter, blutverkrusteter Streifen aus Wolle. Ein dickes Band seines blonden Haares führte über die Mitte seines Schädels und war zu einem Kriegerzopf geflochten. Der Rest war kurz geschoren. Er setzte seinen Helm auf und schnallte ihn fest, als Elvar sich ihm näherte.
Sighvat stand finster neben Agnar. Sein Kettenpanzer spannte sich über seinem mächtigen Leib, und an seinem Gürtel hing eine Bartaxt. Er hatte sich einen Hanfsack über die Schulter geworfen, und in seiner Faust hielt er eine Kette. Am Ende dieser Kette hockte ein Mann, zitternd und geduckt. Sein langes Haar war strähnig, die Augen lagen tief in den schwarzen Höhlen, und er trug einen zerfetzten Umhang aus Robbenfell.
»Komm mit«, befahl Agnar Elvar, als sie ihn erreicht hatte. Dann drehte er sich um und ging über die Pier. Sighvat zog den angeketteten Thrall hinter sich her, und Elvar und Grend folgten ihnen. Die Pier erzitterte, als der Rest der Kriegerhorde ihnen folgte.
Agnar hob ein Horn an die Lippen und stieß hinein. Das Signal wurde vom Wind verweht und hallte klagend über den Strand.
Kiesel knirschten unter Elvars Stiefeln, als sie von der Pier auf den Strand trat. Vor ihnen versammelte sich eine Menschenmenge.
»Wir sind die Schlachtgrimmen!«, brüllte Sighvat mit seiner tiefen Stimme. »Wir sind die Schlächter der Vaesen, die Jäger der Besessenen, die Schnitter der Seelen! Wenn ihr von unserem Schlachtenruhm noch nicht gehört habt, dann lehren wir ihn euch gerne!«
Die Krieger hinter Elvar knurrten und lachten.
Die Menschen vor ihnen wogten hin und her und flüsterten miteinander. Es waren vielleicht siebzig Dorfbewohner in Robbenfellen und Pelzen. Einigen hingen Kinder an den Beinen, andere beobachteten sie aus den Türen ihrer Häuser. Etliche aus der Menge hatten Speere, und einige hielten sie auch kampfbereit. Elvar sah mehrere eingenockte Pfeile und auch ihre fragenden Blicke. Sie spürte, dass Blutvergießen oder nicht auf Messers Schneide stand. Sie waren den Schlachtgrimmen zahlenmäßig überlegen, waren zäh und hart. Elvar wusste, dass so hoch im Norden nur die Starken überleben konnten; hier schien sich die Welt gegen die Lebenden zu verschwören, und die Vaesen waren kühner. Aber so zäh diese Dorfbewohner auch sein mochten, sie waren nicht die Schlachtgrimmen, durchtränkt und gestählt von Krieg und Blut. Unter den Leuten vor ihnen sah Elvar nur eine Handvoll mit Schilden, und kein Einziger trug einen Kettenpanzer.
»Behalte sie mit deinem Habichtblick im Auge«, murmelte Agnar Elvar zu, als er am Strand stehen blieb. Elvar, Grend und Sighvat standen hinter ihm, und der Rest der Kriegerhorde fächerte sich auf.
»Schilde!«, rief Agnar. Elvar hörte hinter sich den Knall, mit dem Lindenholzschilde aneinandergeschlagen wurden, hörte das Schlurfen und Knirschen von Stiefeln auf Kieseln, als sich die Schlachtreihe schloss.
»Unter euch lebt ein Mann!«, schrie Agnar. »Er heißt Berak, und er ist so breit wie eine Scheune. Eine Seite seines Gesichts ist mit Narben übersät. Bei ihm sind eine Frau und ein Kind. Er ist vor etwa zwei oder drei Tagen hier eingetroffen. Gebt ihn heraus, dann wird euer Blut diesen Strand nicht tränken!«
Agnar zog den zerfetzten Wollstreifen aus seinem Gürtel und hielt ihn hoch.
»Ich finde ihn auch ohne eure Hilfe. Mein Hundur-Thrall hat seine Witterung aufgenommen. Er wird mir nicht entkommen!« Agnar warf den blutverkrusteten Lumpen dem Mann an Sighvats Kette zu, der den Stofffetzen anstarrte, als wäre er giftig.
Sighvat riss an der Kette, die am Kragen des Thralls befestigt war.
»Hlýða«, knurrte Agnar, »Marsch«, und rote Adern glühten auf dem Eisenkragen des Thralls.
Der wimmerte, nahm dann den Lappen und hielt ihn sich vor die Nase, schnüffelte und schnaubte.
»Es ist eure Entscheidung, ob ihr helft oder uns hindern wollt!«, fuhr Agnar fort. Er sah sie alle an, zog dann eine Börse mit Münzen aus seinem Gürtel und warf sie vor sich auf den Strand.
»Ihr habt die Wahl, gedeiht oder sterbt.« Agnar zuckte mit den Schultern, als kümmere es ihn nicht, welche Entscheidung sie trafen.
Ein groß gewachsener Mann trat vor. Er trug einen Pelz und ein Robbenfell, hatte einen Speer in der Faust und ein Langmesser am Gürtel. Der Griff war aus Walrosselfenbein geschnitzt. Sein Bart war geflochten und mit Knochenringen gebunden.
»Ich bin Hrut, Jarl von Iskalt«, sagte der Mann.
Ein Jarl! Elvar musterte ihn von Kopf bis Fuß. Wo ist dein Gold oder Silber? Wo sind dein Schwert und dein Kettenhemd? Dich würde man auf dem Festland nicht einmal auf die Latrine eines Jarls lassen!
»Und ich weiß von keinem Berak, der auf meiner Insel lebt«, fuhr Hrut fort.
»Du kennst ihn«, antwortete Agnar. »Aber du weißt vielleicht nicht, dass er ein Besessener ist!« Die letzten Worte brüllte er. »Er wurde von den Göttern auserwählt und wird nur Blut und Tod über euch bringen. Beschützt solche wie ihn nicht!«
Elvar sah eine Bewegung am hinteren Ende der Menge. Ein großer Mann mit einem Speer und einem Umhang aus Schneewolfpelzen bückte sich und sprach mit einem Mädchen neben sich. Sie war höchstens sieben oder acht Winter alt. Jetzt nickte sie und lief über den Strand davon, um zwischen den Hütten zu verschwinden.
»Da«, sagte Elvar zu Agnar und zeigte mit ihrem Speer auf das laufende Kind.
Agnar trat vor und wollte um Hrut herumgehen, aber der Jarl machte einen Schritt zur Seite und stellte sich Agnar in den Weg.
Der blieb stehen und warf Elvar über die Schulter einen Blick zu.
»Folge dem Mädchen«, befahl er. Dann zückte er sein Schwert; diese Bewegung übte Elvar jeden Tag. Das Zücken des Schwertes in einen diagonalen Schlag übergehen zu lassen, von links nach rechts. Agnar verbarg das Manöver hinter seinem Schild, und Hrut erkannte es erst, als er den Stahl schimmern sah. Ihm blieb ein kurzer Moment, um den Speer zu heben und zurückzutaumeln, aber Agnars Schwert durchtrennte den Schaft, und die Schwertspitze grub sich in Hruts Bart, durchtrennte sein Kinn und die Unterlippe. Blut spritzte, und Zähne flogen durch die Luft.
Hrut brüllte vor Schmerz und Wut auf, und Agnar setzte nach. Er hob den Schild und stach mit dem Schwert zu.
Die Menge hinter Hrut brüllte vor Zorn. Viele senkten ihre Speere und griffen an. Pfeile zischten durch die Luft.
Elvar rannte los, sprang um Agnar und Hrut herum, während die Schlachtgrimmen hinter ihr einen Schlachtruf brüllten und vorrückten. Sie hämmerten mit ihren Waffen auf ihre Schilde. Sie hörte das Knirschen von Kieseln unter Stiefelsohlen hinter sich und musste sich nicht umsehen, um zu wissen, dass Grend ihr folgte. So schnell sie konnte, rannte sie um die Menschen herum, die allesamt auf Agnar und Hrut konzentriert waren und im Begriff, ihren Jarl zu verteidigen. Ein Mann mit einem Bogen trat aus der Menge seiner Stammesgenossen hervor, spannte den Bogen und feuerte auf die Schlachtgrimmen. Am Strand ertönte ein Schrei. Elvar änderte die Richtung, und der Dorfbewohner sah sie erst unmittelbar, bevor sie gegen ihn prallte. Ihr Schildbuckel krachte gegen seinen Kopf, und er fiel schlaff zu Boden.
Elvar stand neben ihm und suchte nach dem Mädchen, fand die Stelle, wo sie zwischen den Hütten am Strand verschwunden war. Sie lief weiter.
Rechts neben ihr bewegte sich etwas, und instinktiv duckte sie sich und wich aus. Dann wirbelte sie herum und hob den Schild.
Ein Speerblatt kratzte über ihr Brynja, und Funken stoben. Dann schlug Elvar mit dem Schildrand auf den Speerschaft und brachte die Frau, die ihn schwang, ins Stolpern. Elvar schlug mit ihrem Schwert zu und brachte ihrer Angreiferin einen tiefen Schnitt auf der Schulter bei. Mit dem Rückhandschlag durchtrennte sie Pelz und Leder, und Blut spritzte. Die Frau schrie auf und taumelte vorwärts, dann sank sie auf die Knie. Sie schwang ihren Speer, um Elvars Kniekehlen zu durchtrennen, aber im nächsten Moment explodierte ihr Schädel, als Grend seine Axt hineinhämmerte. Der Speer schepperte zu Boden. Grend knurrte, riss seine Waffe heraus, und Blut und Gehirnmasse spritzten auf sein Gesicht. Sie wechselten einen Blick, und Elvar rannte weiter. Sie sah, dass ihr Sighvat, der Thrall und Grend folgten, und auch Biórr.
Dann hatte Elvar die Gebäude erreicht und suchte dazwischen nach einem Anzeichen von dem Mädchen, das vom Strand weggelaufen war. Sie blieb stehen, hielt den Atem an und lauschte. Hinter ihr trug der Wind Kampfgeräusche heran. Schreie. Das Klirren von Eisen. Sie ignorierte es und konzentrierte sich stattdessen auf die flüsternden Stimmen, die sie vor sich hörte. Eine war tief, fast grollend, und sie rannte weiter. Sie suchte sich einen Weg zwischen den Gebäuden hindurch, wich Fischernetzen aus, die zum Flicken aufgehängt waren, und gelangte an eine Tür, die an einer Angel hing. Es war eine Fischerhütte am Ende des Dorfes, mit einem Rahmen aus Holz und Wänden aus Lehm, Weiden und Stroh. Sie sah aus, als bestünde sie nur aus einem Raum. Elvar wurde langsamer, hob den Schild und spähte durch die offene Tür ins dämmrige Innere. Sie sah das schwache Glühen eines Feuers. Grend kam neben ihr zum Stehen, und Elvar bedeutete ihm, auf die Rückseite der Hütte zu gehen. Er nickte stumm, und dann setzte sie sich in Bewegung, trat mit voller Wucht gegen die Tür, für den Fall, dass jemand dahinter stand, stürzte mit erhobenem Schild und Speer in den Raum und wirbelte herum, um sich gegen mögliche Angreifer zu verteidigen.
Die Hütte war leer.
In der Mitte der Hütte flackerten Flammen in einer in die harte Erde gehackten Feuergrube. Darüber hing an einer eisernen Kette ein Kessel, in dem Fischeintopf blubberte. Ein Tisch, drei Stühle und zwei Strohpritschen standen herum. Elvar stach mit dem Speer ins Stroh, dann sah sie, dass Licht in die Hütte fiel. Am unteren Ende der Rückwand befand sich ein Loch, durch das selbst ein großer Mann hätte hindurchkriechen können.
Grends Stiefel und seine grauen Beinwickel tauchten vor ihr auf.
Elvar trat gegen die Wand, und Lehm und Stroh bröckelten herab. Sie trat erneut zu, und noch mehr von dem trockenen Lehm fiel herunter. Das Gerüst aus Weidenruten und Stroh kam zum Vorschein. Grend holte mit seiner Axt aus, und ein ganzer Abschnitt der Wand zerbrach.
Dann standen sie einander gegenüber und starrten sich an.
Sie hörte Keuchen und das Klirren von Ketten hinter sich, als Sighvat und der Thrall auftauchten. Sighvat stürmte durch die Tür. Der Thrall hockte sich hin, die Nase am Boden, und schnüffelte.
Jetzt tauchte Biórr auf. Sein Gesicht war gerötet vom Kampf und dem Lauf vom Strand hierher.
»Ist er es?«, knurrte Sighvat dem Thrall zu. Der Mann an der Kette kroch zu der Strohpritsche, vergrub sein Gesicht im Stroh und schnupperte. Schließlich sah er wieder zu Sighvat hoch und nickte.
Schritte kündigten Agnar an. Dann stand er in der Tür, das Schwert blutig bis zum Griff. Hinter ihm scharten sich seine Krieger.
Er sah von Sighvat zu dem Thrall.
»Wo ist er?«, knurrte Agnar.
Elvar deutete auf das Loch in der Wand. Grend war noch damit beschäftigt, den Boden nach Spuren abzusuchen.
»Hier lang!« Der mürrische Krieger richtete sich auf und deutete mit seiner blutigen Axt auf die Bäume und den schattigen Wald. Dahinter erhob sich dunkel drohend Iskalts Feuerberg.
»Ihnen nach«, befahl Agnar.