ELVAR
Elvar blinzelte sich den Schweiß aus den Augen, und einen Moment sah sie alles verschwommen, als sie die Dämmerung absuchte.
»Halt!«, rief Agnar etwa ein Dutzend Schritte vor ihnen.
Die Krieger um sie herum kamen allmählich zum Stehen.
Elvar blies eine Atemwolke aus und wischte sich den Schweiß aus den Augen. Dann streifte sie sich den Schild vom Rücken und lehnte ihn an einen Baum, bevor sie sich neben den leise murmelnden Bach hockte. Grend neben ihr trat ein paar Schritte in die Dunkelheit, wachsam wie immer.
Sie waren hoch in die Berge gestiegen, und es schneite jetzt sehr stark. Die Schneeflocken drangen durch das Nadelwerk und fielen am Fluss dichter. Das Eis am Ufer knackte. Elvar zog einen Handschuh mit den Zähnen aus und öffnete den Korken ihrer Wasserflasche. Sie leerte sie in einem langen Zug und beugte sich vor, um die Lederflasche in der Mitte des Flusses zu füllen, wo er noch nicht gefroren war. Das Wasser blubberte, und es war so kalt, dass Elvar das Gefühl hatte, ihre Finger würden brennen. Sie trank noch einen Schluck. Das Wasser lief wie Eis ihre Kehle hinab. Es war ganz klar; man sah die farbigen Adern in den Steinen auf dem Grund des Flusses schimmern.
Es war ein langer, anstrengender Anstieg vom Fischerdorf hierher gewesen. Durch eine Schneise in den Bäumen sah Elvar das Dorf weit unter sich. Die Wellen-Jarl lag in der Bucht vertäut, aber alles war vom Schnee leicht verschwommen. Zwischen dem Dorf und den Bäumen stand ein halbkreisförmiger Zaun. Die hölzernen Pfähle waren mit Schutzrunen gegen Vaesen versehen. Selbst aus dieser Höhe sah sie immer noch Flecken am Strand, Leichen und Blut auf den Kieseln, die den Ort des Kampfes markierten.
Keine große Schlacht, denn es war vorbei, kaum dass es angefangen hatte.
Agnar hatte den Jarl Hrut getötet, und ein Dutzend anderer war vor dem Schildwall der Schlachtgrimmen gefallen. Das hatte den Rest der Dorfbewohner überzeugt, die Waffen niederzulegen. Den einzigen Schaden bei den Schlachtgrimmen hatte ein Pfeil in Thruds Wade verursacht. Elvar meinte, immer noch Thruds Flüche zu hören, die mit dem Wind zu ihr geweht wurden. Er war wütend, dass er zurückgelassen wurde. Agnar hatte ein weiteres Dutzend Krieger bei Thrud gelassen, als Wächter für die Gefangenen. Nun folgten sechsundzwanzig Schlachtgrimmen ihrem Häuptling in die bewaldeten und schneebedeckten Hügel.
»Auf die Beine!«, bellte Sighvat, als Agnar sich anschickte, in den Wald zu gehen.
»Hundur, führ uns an!«, befahl Agnar dem Thrall, der sich hinhockte und auf dem Boden herumschnüffelte. Mit der Nase wühlte er in der dünnen Schneedecke, dann eilte er weiter, und die Kette an seinem Kragen straffte sich, als Sighvat hinterherstolperte. Elvar verschloss ihre Wasserflasche, hängte sie an ihren Gürtel, und stand auf. Als sie auf einem verschneiten und vereisten Felsbrocken ausrutschte, packte eine Hand ihren Arm und hielt sie fest. Sie sah in Biórrs Gesicht und erwiderte unwillkürlich sein freundliches Lächeln. Er hielt ihren Arm fest, und sie befreite ihn mit einem Ruck, bevor sie ihren Schild auf den Rücken schob. Grend trat zwischen Elvar und Biórr und musterte ihn finster, und Biórr trat lächelnd zur Seite.
»Ich hab nur geholfen«, sagte er und sah dann Elvar an. »Ich glaube, dein Vater mag mich nicht.«
Er ist nicht mein Vater, dachte sie, doch dann verschwanden sie auch schon im Schatten des Waldes.
Der Pfad war sehr schmal und folgte dem Bach zu ihrer Linken. Auf der rechten Seite wuchsen die Zweige hoch, und die Bäume standen weiter auseinander. Elvar beschleunigte ihre Schritte und verließ den Pfad, ging über die dünne Schneedecke, die durch die Nadeln darunter elastisch war. Sie überholte die anderen in der Reihe, sodass sie näher bei Agnar, Sighvat und dem Thrall war. Grend folgte ihr in ein paar Schritten Entfernung.
Sie hörte noch mehr Schritte hinter sich und sah zurück. Biórr verließ ebenfalls den Pfad und ging in den Wald. Er folgte ihren und Grends Fußabdrücken.
In diesem Moment tauchte ein dunkler Haufen vor ihnen auf dem Pfad auf. Der Thrall wurde langsamer und blieb schnüffelnd davor stehen. Der Haufen dampfte, und die Schneeflocken, die darauf fielen, schmolzen. Klumpen ragten daraus hervor.
Elvar trat näher heran, und der ekelhafte Gestank stach ihr in die Nase.
»Trolldung«, sagte der Thrall. Er streckte die Hand aus, packte einen der Klumpen, die aus dem Haufen herausragten, und zog daran. Es gab ein ekelhaft schmatzendes Geräusch, und der Thrall hielt einen großen Knochen hoch. Elvar konnte nicht erkennen, ob es ein Bein- oder ein Armknochen war, weil Exkremente und Schleim heruntertropften. Die frische Welle von Gestank nahm ihr den Atem und brannte in ihrer Kehle. Sie legte den Arm vor die Nase und kämpfte gegen den Drang an, sich zu übergeben.
Agnar starrte finster in den Wald. Er drehte den Kopf nach links und rechts und sah dann Elvar an seiner Flanke.
»Elvar, Grend, Biórr, da ihr so scharf darauf seid voranzugehen, seid ihr die Schnauze des Ebers und kundschaftet voraus.«
Er klang mürrisch, aber Elvar wusste, dass Agnar ihr damit Ehre erwies. »Bleibt in Sichtweite«, setzte er hinzu.
Elvar nickte und spürte einen Anflug von Stolz und Furcht. Stolz darüber, ausgewählt worden zu sein, und Furcht davor, in einen ausgewachsenen Trollbullen zu rennen. Trollen schnüffelte man lieber nicht hinterher. Die Schlachtgrimmen hatten sie schon gejagt, gegen einen hohen Preis, aber nicht, wenn sie nur mit der halben Mannschaft unterwegs waren und blindlings durch einen Wald rannten. Trolle verteidigten ihr Revier erbittert. Ein männlicher Troll lebte für gewöhnlich allein, es sei denn, es war ein läufiges Weibchen in der Nähe. In dem Fall kämpften die Männchen um die Zuneigung des Weibchens, paarten sich mit ihm und blieben für die Dauer seiner Trächtigkeit und noch ein oder zwei Monate, nachdem die Brut geboren worden war, bei ihm. Danach kehrte das Männchen wieder in sein Revier zurück.
Es könnten also ein oder zwei oder sogar mehr Trolle sein, wenn das Trollweibchen bereits geworfen hatte. Und selbst neugeborene Trolle waren nicht viel kleiner als Elvar. Sie waren bereits unmittelbar nach der Geburt stark und beweglich und schrecklich hungrig. Und besonders scharf auf Menschenfleisch.
»Gehen wir schneller. Ich will nicht, dass meine Beute in einem Trollbauch endet«, sagte Agnar.
Elvar setzte sich in Bewegung. Sie schwenkte wieder zum Pfad ab und trabte langsam los. Grend blieb im Wald, aber auf gleicher Höhe mit ihr, während Biórr sich auf ihre linke Flanke schlug und parallel zum Bach lief. Seine Stiefel knirschten im Schnee. Elvar fühlte ihren Herzschlag, während sie vorauslief. Ihre Blicke suchten ständig den Pfad und den Wald ab. Der Weg wurde steiler und gewundener, umrundete Felsbrocken, die immer häufiger auftauchten. Etwas fiel ihr ins Auge, eine silberne Schnur, die in den diffusen Flecken von Tageslicht glänzte, das durch die dichten Nadeln der Bäume drang.
Ein Spinngewebe, so dick wie Elvars Finger, führte von dem verfaulten hohlen Baumstamm einer Kiefer hoch in ihre Zweige. Elvar verfolgte den Faden hinauf, sah die Spirale des Netzes, das sich weit zwischen den Zweigen ausdehnte und von denen dunkle Hülsen herunterhingen. Ratten. Eine Krähe. Ein Baummarder, so groß wie eine Katze.
Frostspinnen.
Elvar streifte im Laufen ihren Schild vom Rücken, packte ihn mit der Faust und pfiff, um die Aufmerksamkeit von Grend und Biórr darauf zu lenken. Dann deutete sie mit ihrem Speer in die Bäume.
Wir sind zu viele, dachte sie, aber trotzdem suchte sie die Zweige ab. Sie hatte gesehen, was das Gift einer Frostspinne anrichten konnte. Das Blut gefror einem in den Adern, und das Herz hörte auf zu schlagen.
Dicke Schneeflocken sanken um sie herum zu Boden und dämpften die Geräusche des Waldes. Grend war ein dunkler Schatten rechts neben ihr, doch Biórr lief langsamer, weil er über den Schnee und die Felsen an der Uferböschung lavieren musste. Sie wurde breiter und wilder und war von Schaum bedeckt. Der Schnee um Biórr fiel dichter, weil das Dach der Kiefernzweige über dem Strom dünner war. Dadurch war seine Strecke glatter und schwerer zu bewältigen.
Das wird ihn lehren, mir zu folgen. Aber er hat Eier, dass er Grends Zorn riskiert.
Elvar blickte zurück, sah den Thrall, der geduckt den Pfad entlangrannte, und Sighvat, der wie ein Blasebalg hinter ihm keuchte.
Ein Geräusch drang durch den Wald, ein fernes, ständiges Zischen, wie von einer wütenden Katze. Es wurde lauter. Ein Wasserfall? Was es auch war, Elvar rannte darauf zu. Ihre Lungen und Beine schienen zu brennen, dann drang ein neues Geräusch zwischen den Bäumen hindurch. Ein gewaltiges, dröhnendes Brüllen übertönte alles, ein paar Augenblicke lang sogar das Rauschen des Wasserfalls.
»Troll!«, sagte sie, um Grend und Biórr zu warnen. Aber das Wort klang mehr wie ein Rasseln als ein Warnruf – der ohnehin überflüssig war. Grend und Biórr hatten beide das Brüllen gehört. Sie wurden langsamer, die Blicke auf den Pfad vor Elvar gerichtet.
Sie konnte nichts sehen und hob den Speer als Warnung für Sighvat hinter ihr. Dann lief sie weiter, vorsichtiger als zuvor.
Der Pfad stieg steil an und wurde dann wieder flacher. Elvar trat auf ein schneebedecktes Plateau und blinzelte, da die Bäume um sie herum weniger dicht standen. Ein Strom aus geschmolzenem Feuer stürzte über eine Granitklippe wie ein Wasserfall. Er fauchte und zischte und ergoss sich in ein Becken, in dem es blubberte und brodelte. Der Schnee, der darauf fiel, schmolz zischend und erzeugte einen ständigen Nebel in der Luft darüber.
Am östlichen Rand des Feuerbeckens standen zwei Gestalten, eine Frau und ein Kind, so dicht an dem Becken, wie sie es ertragen konnten. Der geschmolzene Fels strahlte sengende Hitze aus. Zwischen Elvar und der Frau und dem Kind befanden sich zwei weitere Gestalten, die eine größer als die andere.
Ein Troll und ein Mann.
Sie kämpften.
Der Mann war breitschultrig, hatte einen dichten Bart und trug ein Fell. Sein Kopf war etwa auf gleicher Höhe mit dem Bauch des Trolls. Er hielt einen Speer in beiden Händen, stieß zu und duckte sich, während der Troll einen Knüppel aus knotigem Holz schwang. Er war mit Eisennägeln gespickt, die so lang waren wie Elvars Unterarm. Erde spritzte auf, als der Prügel in den Boden krachte. Der Mann sprang zurück, stürzte, rollte sich ab und kam taumelnd auf die Füße. Er stach mit seinem Speer nach den Beinen des Trolls.
»Mein!«, brüllte der Troll, so ohrenbetäubend laut, dass er den Lärm des Feuerfalls übertönte.
Grend trat dicht zu Elvar, doch Biórr blieb starr stehen und sah einfach nur zu.
Der Thrall sprang mit klirrenden Ketten neben Elvar, während Sighvat den Hang hinaufkeuchte und verschwitzt und mit geröteten Wangen die Lichtung erreichte. Er ließ den Sack, den er getragen hatte, in den Schnee fallen, und ein eisernes Klirren ertönte.
Agnar und die anderen Krieger kamen zwischen den Bäumen hervor und bildeten einen Halbkreis um Elvar.
Der Troll war nackt, ein junger Bulle, dem spitzen, kurzen Geweih nach zu urteilen, das aus seinem moosbedeckten Schädel ragte, und seinen geschwollenen Hoden, die wie zwei Steine in einem Sack hin und her schwangen. Aus dem Unterkiefer ragten Stoßzähne, seine Beine waren so dick wie junge Kiefern, und seine schuppige Haut war schorfig und von Flecken aus Moos und Flechten bedeckt.
»Mein!«, brüllte die Kreatur erneut.
»Nein, der Mann gehört mir«, knurrte Agnar, obwohl Elvar wusste, dass der Troll nur sein Revier meinte.
»Mein!« Der Troll brüllte, und sein Speichel flog durch die Luft. Seine Augen und Adern traten vor Wut hervor, und er schwang seinen Knüppel. Der Mann stolperte zurück, und die Waffe krachte in einen Baum. Ein lautes Knacken ertönte, als die Wurzeln rissen und der Baum schwankte und umfiel. Die eisernen Nägel blieben im Holz stecken und brachten den Troll aus dem Gleichgewicht. Der Mann trat vor und stieß mit seinem Speer nach den Rippen des Trolls, hinterließ eine blutige Wunde.
Die Kreatur brüllte vor Schmerz, riss ihren Knüppel aus dem Stamm und wirbelte zu dem Mann herum.
»Am besten, wir erledigen den Troll. Ich will diesen Mann haben!«, schrie Agnar. »Zu zweit, kein Schildwall, der gibt dieser Bestie nur ein besseres Ziel.«
Sighvat griff in den Sack zu seinen Füßen, nahm einen Hammer und einen dicken Eisendorn heraus, ergriff die Kette des Thralls und zerrte ihn zum nächsten Baum. Er schob den Dorn durch ein Kettenglied und hämmerte ihn in den Stamm. Dann ging er zu dem Sack zurück, zog einen neuen Kragen und noch mehr Ketten heraus.
Elvar trat vor und hielt dann abrupt inne, als eine Bewegung von Mutter und Kind ihr ins Auge fiel. Die Mutter nahm etwas aus ihrem Umhang, das geformt war wie ein Wachstablett oder ein Buch aus Pergament. Elvar hatte bisher nur eine Handvoll solcher Bücher gesehen, alle in den Hallen von wohlhabenden Jarls. Die Frau holte aus und schleuderte den Gegenstand durch die Luft. Wirbelnd landete er im Feuerbecken. Flammen loderten auf, bevor es auch nur den geschmolzenen Felsen berührte. Es zischte und war verschwunden. Dann schrie die Frau dem Mann etwas zu, der gegen den Troll kämpfte. Er brüllte etwas zurück, und die Frau zog das Kind weg. Sie rannten beide los und kletterten eine Geröllhalde hoch, die von Pinien durchsetzt war. Dazwischen verlief ein gewundener Pfad. Elvar berührte Agnars Schulter und deutete darauf.
Der brüllte einen Befehl, und etliche Krieger rannten zu dem Geröllhang und dem Pfad.
Elvar hob ihren Speer und schleuderte ihn. Er prallte von der schuppigen Schulter des Trolls ab. Mit einem Zischen zog sie ihr Schwert, und Grend trat neben sie. Zusammen gingen sie auf den Troll und den Mann zu, hoben ihre Schilde und legten sie fest aneinander. Elvar hatte ihr Schwert hoch erhoben und über den Rand ihres Schildes geschoben. Der Schnee unter ihren Füßen wurde zu Matsch, als sie sich dem Becken aus geschmolzenem Stein näherten. Hitzewellen fegten über sie hinweg. Andere Krieger rückten ebenfalls zu zweit vor, weit verstreut in einem lockeren Halbkreis.
Ein anderer Krieger schleuderte einen Speer, und die Klinge krachte in den Rücken des Trolls. Es war ein guter Wurf. Das Blatt durchbohrte zwar die dicke Trollhaut, aber nicht sonderlich tief. Blut sickerte in einem Rinnsal über den Rücken der Kreatur und verschwand in den Falten der Muskeln.
Der Troll brüllte vor Schmerz, griff nach dem Speer auf seinem Rücken, riss ihn heraus und kehrte dem Mann, den er gerade noch zu zerschmettern versucht hatte, den Rücken zu. Seine riesigen Brauen schoben sich verwirrt zusammen. Der Troll blickte auf den Speer in seiner Faust, dann sah er die neuen Krieger herankommen. Sein Gesicht verzerrte sich, und die Venen und Sehnen in seinem Hals wurden sichtbar.
»Mein, mein, mein!«, brüllte der Troll. So laut, dass die Welt zu erzittern schien. Dann setzte er sich in Bewegung. Die dicken Nägel seiner riesigen dreizehigen Füße wirbelten Schnee und Erde auf. Der Anblick dieser neuen Eindringlinge in seinem Territorium musste ihn komplett wütend gemacht haben, denn er vergaß, dass er einen Knüppel in der Faust hielt, und senkte einfach nur den Kopf, um mit Geweih und Stoßzähnen anzugreifen, so wie er gegen einen rivalisierenden Bullen um das Recht zur Paarung kämpfen würde.
Die Krieger sprangen zur Seite, aber trotz seines massigen Körpers war der Troll sehr schnell und traf den Schild eines Kriegers. Der wurde zu Kleinholz zerschmettert, die Hörner und die Stoßzähne durchbohrten das Kettenhemd und den Oberkörper des Mannes. Die Frau, mit der er gemeinsam gekämpft hatte, wurde durch die Luft geschleudert und krachte in das Becken aus geschmolzenem Gestein. Ihr Schrei verstummte schlagartig, als sie in Flammen aufging. Fleisch zischte, und dann trieben nur noch ein paar Ascheflocken auf den Hitzewellen hinauf.
Der Troll kam rutschend zum Stehen und hob den Kopf. Der Krieger, der auf seinen Hörnern aufgespießt war, schrie, während er schwach mit seiner Axt gegen den Kopf des Trolls schlug. Er packte den Arm des Mannes und schüttelte den Kopf. Blut strömte wie Regen über seinen Schädel. Er zerrte heftig am Arm des Kriegers, und dessen Schrei wurde schriller, als Haut, Sehnen und Muskeln zerfetzt wurden, Knochen knackten und dann der Arm lose in der Faust des Trolls baumelte. Der schüttelte den Kopf, die Muskeln auf seinem Rücken und in seinem Hals traten hervor, und der sterbende Krieger fiel von dem Geweih und krachte gegen ein anderes Paar Krieger.
Speere zischten durch die Luft, einer bohrte sich in die Schulter des Trolls, ein anderer grub sich zwischen die Rippen. Blut quoll heraus, zäh wie Eiter. Der Troll kreischte, schlug mit seinem Prügel um sich, zerschmetterte einen anderen Schild und brach der Frau, die ihn hielt, den Arm. Sie taumelte zurück, und der Troll folgte ihr mit erhobener Keule.
Elvar griff an, gefolgt von Grend. Sie näherte sich dem Troll von der Seite und rannte, während der Prügel des Trolls durch die Luft pfiff und auf die Frau mit dem gebrochenen Arm herabsauste. Knochen knackten, und sie war tot, vollkommen zermalmt, nur noch ein Haufen von zerschmetterten Knochen in einem Hautsack. Blut schwebte wie Dunst in der Luft.
Agnar griff den Troll von hinten an, ließ seinen Schild fallen und sprang hoch. Er rammte sein Schwert mit beiden Händen hoch in den Rücken des Trolls. Elvar hörte das Knirschen von Eisen auf Rippen, als die Klinge ihres Häuptlings tief in den Körper des Trolls eindrang.
Der Troll stieß einen Schrei aus, bei dem der Schnee von den Kiefernzweigen rieselte, bog den Rücken durch und schlug mit den Armen um sich. Agnar versuchte sich an seinem Schwertgriff festzuhalten, vergeblich. Er wurde durch die Luft geschleudert.
Elvar duckte sich unter den pendelnden Hoden durch, während der Troll sich ständig um seine Achse drehte in dem Versuch, den Schmerz in seinem Rücken zu erreichen. Sie rammte ihr Schwert in den Schenkel des Trolls, hoch oben, in der Hoffnung, dass sein Körper ebenso funktionierte wie ihrer.
Eine Fontäne aus Blut spritzte um ihren Schwertgriff herum, als die Klinge eine Arterie durchtrennte. Ein Schwall klatschte ihr ins Gesicht, und sie landete mit ausgebreiteten Armen auf dem Rücken. Ihr Schwert steckte immer noch im Bein des Trolls. Hastig kroch sie zurück, und Grend packte sie, während er seine Axt gegen die Hoden schlug. Die krachten wie ein Hammer gegen sie beide und schleuderten sie zu Boden.
Dunkles Blut pulsierte mit dem Herzschlag des Trolls aus der Wunde, dreimal, viermal pumpte die Fontäne, dann schwankte der Troll und sank auf ein Knie. Er starrte Elvar an, die im blutigen Schnee lag.
»Mein«, sagte er wie ein verwirrtes Kind, dann kippte er zur Seite und landete krachend auf dem Boden. Schnee stob hoch, der Troll seufzte und rührte sich nicht mehr.
Ein Triumphschrei hallte über die Lichtung. Die Schlachtgrimmen hoben ihre Schilde und Speere in die Luft und schwenkten sie.
»Bist du verletzt?« Grend stand auf und hielt ihr die Hand hin.
»Ich … Nein.« Elvar erhob sich auf ein Knie, packte sein Handgelenk und zog sich hoch. Sie war zwar von dampfendem Blut bedeckt, aber es war nicht ihres. Sie ging zu dem Troll, umklammerte ihren Schwertgriff, stellte einen Stiefel auf das Bein der Kreatur und zog. Mit einem schmatzenden Geräusch fuhr die Klinge aus dem Kadaver.
Dann hörten sie Rufe, und ein anderer Schrei erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie wirbelte herum und sah, wie der Mann, der gegen den Troll gekämpft hatte, einen der Schlachtgrimmen mit seinem Speer angriff. Das Blatt hatte eine tiefe Wunde an der Schulter des Mannes hinterlassen. Jetzt sank der Schildarm des Kriegers herunter, und der Speer bohrte sich in seine Kehle. Helles Blut spritzte heraus, während er gurgelnd zu Boden fiel. Sechs oder sieben Schlachtgrimmen drängten sich um den mit einem Pelz bekleideten Mann. Sie alle hatten die Schilde erhoben, und der Halbkreis zog sich immer mehr zusammen. Sighvat war bei ihnen und schwang eine Kette um seinen Kopf.
Da der Mann jetzt näher an den anderen Schlachtgrimmen stand als an dem Troll, bemerkte Elvar, wie riesig er war. Er war groß und breitschultrig, von Pelzen verhüllt, und sein Bart hing ihm fast bis zum Gürtel. Er schwang seinen Speer in großen Bögen und wich vor den immer näher rückenden Schilden zurück.
Dabei geriet er immer dichter an das Becken aus geschmolzenem Gestein, und die Hitze brannte auf seinem Rücken. Das Becken und der Sturzbach aus flüssigem Stein zischten ohrenbetäubend. Funken stoben über seinen Pelzmantel, und sein Haar kräuselte sich, als er noch einen Schritt zurücktrat. Er blieb stehen und verzog das Gesicht, als ihm klar wurde, dass er in der Falle saß. Dann veränderten sich seine Augen, als er die Schlachtgrimmen ansah, die sich ihm näherten. Er holte tief Luft, die Muskeln spannten sich an, als er sich auf den Angriff vorbereitete, und dann krachte Sighvats Kette gegen seinen Kopf. Der Aufprall schleuderte ihn zu Boden, und sein Speer segelte durch die Luft. Er richtete sich auf alle viere auf. Blut strömte ihm über die Wange. Dann ging er auf ein Knie und tastete nach seinem Speer. Sighvat drängte sich durch die Schlachtgrimmen und verpasste dem Mann einen Kinnhaken. Er fiel rückwärts um, rollte sich auf die Seite und spuckte Blut. Dann rappelte er sich erneut hoch.
Wie kann er überhaupt noch bei Bewusstsein sein?, dachte Elvar. Sie hatte Sighvat im Faustkampfring gesehen. Wenn er jemanden schlug, stand der für gewöhnlich nicht mehr auf.
Agnar tauchte auf und ging auf den Mann zu. Er hatte sein Schwert aus dem Rücken des Trolls gezogen und stand nun mit bluttriefender Waffe vor ihm. Elvar und Grend folgten ihm.
Sighvat brüllte Befehle, und die Krieger hielten dem am Boden hockenden Mann ihre Speere an die Kehle, während andere ihm eiserne Kragen und Ketten um die Handgelenke legten. Ein Thrall-Kragen tauchte in Sighvats großen Fäusten auf, als der Gefangene auf die Knie gezogen wurde. Seine Arme waren gefesselt. Sighvat wollte dem Mann den Kragen um den Hals legen, aber dessen Augen traten beim Anblick des eisernen Kragens fast aus ihren Höhlen. Er zog zwei Krieger, die seine Ketten hielten, von den Füßen und bäumte sich auf.
Agnar trat vor und richtete sein Schwert auf die Kehle des Mannes.
»Ich würde liegen bleiben, wenn ich du wäre, Berak!«, sagte er.
Der große Mann erstarrte, blickte auf die Schwertspitze an seiner Kehle und sah dann Agnar an.
»Du hast den falschen Mann«, sagte er.
»Nein, du bist Berak Bjornasson. Ich habe dich lange verfolgt.«
Der Mann schüttelte den Kopf.
»Nimm die Ketten, das ist der einzige Ausweg. Wenn du dich wehrst, lasse ich dich von Sighvat mit dem Kragen, den du anschließend tragen wirst, zuerst noch blutig schlagen. Du kannst uns nicht entkommen, das muss dir doch klar sein.«
Der Mann sah von Agnar zu den Kriegern hinter sich. Sein Blick zuckte zu Elvar und Grend. Es waren über zwanzig Krieger, die ihn alle mit spitzem Eisen bedrohten.
Er senkte den Kopf.
»Ich bin nicht der, für den du mich hältst.«
»Mein Hundur-Thrall sagt etwas anderes.« Agnar deutete mit dem Schwert auf den Thrall, der immer noch an den Baum genagelt war. Er beobachtete sie mit kläglich verzerrtem Gesicht.
Sighvat schob den Kragen um den Hals des Mannes und schlug den Stift mit dem Griff seines Scramasax fest.
»Er irrt sich.« Die Schultern des pelzgekleideten Mannes sanken herab.
»Bist du sicher, was ihn angeht?«, flüsterte Elvar Agnar zu.
Agnar erwiderte ihren Blick finster.
»Ja«, sagte er.
»Ich meine nur, er ist … stark, das schon, aber ich habe gesehen …« Elvar machte eine Pause und wählte ihre Worte mit Bedacht, weil mehr Ohren als die von Agnar um sie herum lauschten. »Ich habe Geschichten über die Berserkir gehört. Ich habe etwas … mehr erwartet.«
Agnar zuckte mit den Achseln.
»Dann sieh selbst«, sagte er und warf einen Blick in Richtung Hang, wo gerade die Krieger mit den beiden Gefangenen zurückkehrten, der Frau und dem Kind. »Bringt sie zu mir!«, befahl Agnar.
Frau und Kind stolperten zu Agnar. Ihre Handgelenke waren mit Stricken gefesselt. Agnar packte das zottelige schwarze Haar des Kindes. Dann zog er sein Schwert und legte die Schneide an dessen Kehle.
»Nein!«, schrie die Frau. Sighvat schlug ihr die Faust zwischen die Schultern und schleuderte sie zu Boden.
»Zeig dich!«, befahl Agnar dem Mann, der seinen finsteren Blick erwiderte.
Agnar bewegte das Schwert einen Zentimeter seitlich, und eine blutige Linie lief über den Hals des Jungen.
»Macht das nicht«, sagte der Mann. Seine Stimme veränderte sich und wurde tiefer, mehr ein Grollen als Worte.
Agnar lächelte. »Ich werde ihn hier und jetzt ausbluten lassen und zusehen, wie sein Leben im Schnee versickert. Und du kannst mit ansehen, wie er zappelt und stirbt wie ein ausgenommener Fisch.«
Elvar wandte den Blick ab. Kinder zu töten war nicht ihre Vorstellung von Schlachtenruhm.
»Sieh hin!«, fuhr Agnar Elvar an. Sie konzentrierte sich auf den knieenden Gefangenen.
Der Mann schloss die Augen und nahm einen fast unmöglich langen Atemzug.
Agnar riss den Jungen an den Haaren, und das Kind stieß einen Schrei aus. Die Augen des Mannes öffneten sich abrupt. Sie waren jetzt mit Bernstein gepunktet, unmenschlich. Während Elvar ihn noch anstarrte, schien er zu wachsen, anzuschwellen, und die Pelze um seine Schultern und seine Brust spannten sich.
»Lass ihn los!«, schnarrte er. Auch sein Mund sah anders aus, und seine Zähne waren plötzlich scharf und spitz.
»Nein!«, sagte Agnar und zog den Jungen wieder am Haar, der erneut schrie.
Der Mann sprang brüllend auf und stürzte sich auf Agnar. Er streckte die Arme aus und zog dabei sechs Männer und Sighvat mit sich, als wären sie Welpen, die einen Wolf zu halten versuchen.
Oder einen Bären.
»Halda!«, brüllte Agnar und trat unwillkürlich einen Schritt zurück.
Rotes Feuer blitzte in dem Eisenkragen um den Hals des in Pelze gekleideten Mannes auf, und er stolperte einen weiteren Schritt voran, dann noch einen, als würde er durch Wasser waten. Dann blieb er stehen, wie erstarrt. Er starrte Agnar an, und jeder Muskel in seinem Körper zitterte, als kämpfe er gegen irgendwelche unsichtbaren Fesseln. In seinen Augen leuchteten rote Adern, Schaum und Blut bildeten sich auf seinen Lippen, während er knurrte und mit den Zähnen knirschte. Seine Hände öffneten und schlossen sich krampfhaft. Elvar bemerkte, dass seine Nägel gewachsen waren und jetzt mehr Krallen glichen.
»Auf die Knie!«, befahl Agnar.
Der Mann sah ihn finster an, und eine wahnsinnige Wut loderte in seinen Augen.
»Á hnén!«, schrie Agnar, und der Mann fiel keuchend zu Boden.
Der Junge und die Frau schluchzten.
Agnar sah Elvar an.
»Zweifelst du immer noch?« Ein Lächeln umspielte seine Lippen.
Elvar schüttelte den Kopf.
Agnar richtete seinen Blick auf den Mann zu seinen Füßen.
»Du bist Berak Bjornasson, und das Blut des toten Gottes Berser fließt in deinen Adern. Du bist besessen, du bist ein Berserkir und wirst von drei Jarls gesucht, wegen Mordes, wegen einer Blutschuld und Wergeld. Und jetzt gehörst du mir.«
Agnar lächelte. »Du wirst einen guten Preis erzielen.«
Er sah sich um, ließ den Blick über den toten Troll und seine Krieger gleiten, sowohl die Stehenden als auch die Gefallenen.
»Sammelt unsere Toten und schlachtet den Troll. Nehmt alles mit, was von Wert ist.«