KAPITEL ZWEIUNDDREISSIG

ELVAR

Elvar zog ihren Riemen ein, als das rechteckige Segel der Wellen-Jarl gesetzt wurde. Die Wolle stank nach Lammtalg und Fett. Das Segel sackte einen Moment zusammen, und Sighvat brüllte Befehle. Biórr und eine Handvoll anderer zogen an den Tauen, und im nächsten Moment blähte sich das Segel auf und fing den südöstlichen Wind ein, der sie schnell wie ein fliegender Speer durch die Wellen trieb.

Sie segelten über den Horndal, einen See, der so groß war wie ein kleines Meer. Sein tiefes Wasser war nachtschwarz und undurchdringlich, und das Land war nur ein dünner Streifen am Rand von Elvars Blickfeld. Sie drehte sich auf ihrer Seekiste um und warf über die Schulter einen Blick auf den Marktflecken Starl, der hinter ihnen allmählich verschwand. Sie hatten sich zwei Tage dort aufgehalten, lange genug, um ihren Proviant aufzustocken, Fässer mit frischem Wasser, Met, Stockfisch und geräuchertem Fleisch an Bord zu nehmen. Außerdem hatten sie verwitterte Planken mit Kiefernharz und Pferdehaar frisch kalfatert, die Segel eingefettet und die Hülle von Algen, Seegras und Schleim befreit. Jetzt tanzte die Wellen-Jarl über die Schaumkronen wie ein Pferd nach langer Ruhe und reichlich Futter. Elvar hörte Agnar lachen. Er stand breitbeinig an der Ruderpinne. Sie erhob sich von ihrer Bank, stolperte und fand dann ihre Balance. Sie ging über das Deck zu ihm. Plötzlich packte jemand ihr Handgelenk. Grend. Er sah sie von seiner Seekiste an. Ein Gewebe aus dünnen roten Narben überzog seine Hand und sein Handgelenk. Es war das gleiche wie auf Elvars Hand und noch nicht ganz verheilt. Eine Erinnerung an den Eid, den sie sich gegenseitig und Uspa geschworen hatten. Das war jetzt zwölf Tage her, und seit sie die Schänke verlassen und die Wellen-Jarl beladen hatten, waren sie fast einhundert Wegstunden weit gerudert.

»Ich will zum Häuptling.« Elvar sah Grend finster an.

Der nickte und ließ ihr Handgelenk los. Er benahm sich ihr gegenüber noch beschützender, seit sie ihren neuen Eid geschworen hatten. Das gefiel Elvar ganz und gar nicht.

Sie bahnte sich einen Weg über das Deck, das mit Vorräten für einen möglicherweise sehr langen Fußmarsch beladen war. Dabei kam sie an einem Stapel mit Rädern und Achsen von auseinandergebauten Fuhrwerken vorbei sowie an acht Zugpferden, die Agnar in Starl gekauft hatte. Es waren zähe Tiere. Sie waren festgebunden und kauten zufrieden ihr Heu, unbeeindruckt davon, dass sie nicht mehr an Land waren.

Agnar lächelte Elvar an, als sie ihn erreichte.

»Ich wollte dir noch etwas sagen, Häuptling«, erklärte sie.

»Ja, was denn?« Agnar warf ihr einen scharfen Blick zu, eine Warnung, darauf zu achten, was sie sagte. Die wenigen, die den Eid geschworen hatten, hatten auch geschworen, Stillschweigen über ihr Ziel zu bewahren, und wollten es nicht einmal dem Rest der Schlachtgrimmen nennen.

»Nicht, bis wir das Nordufer des Horndal-Sees erreicht haben«, hatte Agnar gesagt. »Wenn das Knochenmassiv hinter uns liegt und die Ebene der Schlacht sich vor uns erstreckt. Dann können wir nicht mehr zurück, und es gibt keine Chance, dass jemand desertiert oder uns verrät.«

Also hatten sie Schweigen bewahrt. Agnar hatte den Schlachtgrimmen nur mitgeteilt, dass sie eine neue Aufgabe hatten, die sehr gut bezahlt würde.

Besser bezahlt als jede andere Aufgabe, die man sich vorstellen kann, dachte Elvar. Wenn wir Oskutreð finden, wird das unser Leben verändern. Vielleicht sogar ganz Vigrið.

»Dieser Tag, an dem Bjarn entführt wurde«, sagte sie.

»Ja.« Agnars Miene verfinsterte sich weiter, und sein Blick zuckte über seine Leute, um herauszufinden, ob jemand in der Nähe war oder aufgehört hatte zu rudern, um zu lauschen.

»Ich habe gegen einen von Ilskas Rabenfütterern gekämpft, als sie mit dem Jungen aus der Schänke geflüchtet sind«, fuhr Elvar fort.

Agnar nickte. Seine Miene hellte sich auf, als ihm klar wurde, dass sie nicht über das reden wollte, was in der Küche passiert oder besprochen worden war.

»Ich glaube, er war besessen«, fuhr Elvar fort. »Er … hat sich verändert. Als er den Tod kommen sah. Seine Zähne, seine Augen.«

»Bist du dir vollkommen sicher?«

Elvar dachte einen Moment nach. »Nein«, gab sie dann zu. Sie dachte an den blonden Krieger, seinen Bart und sein Brynja, an ihren Kampf, der nur ein paar Dutzend Herzschläge gedauert hatte. Zudem war es dunkel gewesen. Das Morgengrauen war nur ein schwacher Schein in dem ständigen Dämmerlicht von Snakavik gewesen. »Es war dunkel und zu schnell vorbei. Aber ich habe mit den Besessenen zusammengelebt, bei meinem Vater und seinen Berserkir-Thralls. Ich habe gesehen, wie sie sich verwandeln.«

»So ist es.« Agnar brummte. »Daran zweifle ich nicht.« Er zupfte sich an seinem Bart. »Besessene unter Ilskas Rabenfütterern«, murmelte er. »Wenn er wirklich ein Besessener war, was, wie du selbst sagst, nicht sicher ist, ist die Frage: Wusste Ilska die Grausame davon?«

Elvar zuckte mit den Schultern.

»Die Besessenen können vollkommen unbemerkt unter uns leben«, fuhr Agnar fort. »Und viele tun das auch. Das ist sicherer für sie. Aber ein Krieger in einer Mannschaft wie den Rabenfütterern, wenn sich einem stets die Krallen des Todes in die Schulter graben, wenn man seinen Atem im Nacken spürt und trotzdem diese Wildheit in seinem Blut kontrollieren kann …«

»Das ist nicht so einfach«, stellte Elvar fest.

»Genau.« Agnar überlegte. »Wenn Ilska es wusste, warum hat der Krieger dann keinen Thrall-Kragen getragen? Dann würde er ihren Befehlen einfacher folgen, und sie müsste ihm nicht so viel zahlen. Oder hat sie ihn vielleicht verkauft?« Er sah Elvar an. »Ich weiß nicht, ob das wichtig ist oder nicht, aber gut, dass es dir eingefallen ist. Es ist gut, wenn man die Fähigkeit besitzt, die Einzelheiten noch einmal durchzugehen und dann den Faden einer Sache wieder aufnehmen zu können.« Er klopfte ihr auf den Arm, sah die rot-weißen Narben um ihre Handgelenke und lächelte.

»Sieh dich an, Elvar Störrsdottir – hättest du je gedacht, dass du bei so einer Reise dabei sein würdest, bei einem solchen Abenteuer?«

»Nein.« Elvar erwiderte das Lächeln. Bei dem Gedanken daran, was sie unternahmen, wohin sie segelten, regte sich wieder dieses Kribbeln in ihrer Magengrube.

Oskutreð, der große Weltenbaum, das Zentrum des Reiches der toten Götter. Wer an einer solchen Fahrt teilnimmt, wird auf ewig in den Liedern leben.

Ihr Grinsen verstärkte sich, dann drehte sie sich um und blickte über den Bug der Wellen-Jarl hinweg auf den grün-schwarzen See. Der kalte Wind peitschte Schaum über die Wellen. Im Osten und Westen erhob sich das Knochenmassiv, grüne Hänge mit dichten Kiefernwäldern und gelegentlich einem glitzernden Wasserfall. Ab und zu leuchtete eine Felswand gelblich oder grau, ein Hinweis auf die kolossalen uralten Knochen. Starl war im Schatten einer gebogenen Rippe von Snaka erbaut worden, die sich bis in die Wolken erstreckte. Es war einer der wenigen Orte, wo man sein uraltes Skelett noch sehen konnte. Die Rippe warf einen langen Schatten über den riesigen See. Es war eine der beiden Stellen, wo eine Handvoll von Snakas Rippen noch nicht mit Fels und Erde überwuchert waren. Vielleicht war dieser See auch schon vor dem Tod der gewaltigen Schlange da gewesen und nicht erst durch den ungeheuren Aufruhr durch Snakas Tod entstanden. Elvar wusste es nicht, aber was auch immer der Grund sein mochte, dies hier war eine von nur zwei Passagen durch das Knochenmassiv auf die Nordseite. Auf die Ebene der Schlacht, wo an jenem fürchterlichen Tag, dem Guðfalla, an dem die Götter untergingen, der Kampf am erbittertsten getobt hatte und wo jetzt Vaesen in größerer Zahl umherschlichen. Sie hob den Kopf und sah die Silhouetten von Fischreihern am Himmel und weiter im Osten einen Adler. Die Wellen-Jarl pflügte so schnell durch die Wellen, dass Elvars Zopf im Wind wehte.

Das ist Freiheit. Mit seinen Schildbrüdern und -schwestern auf Wiking zu gehen, um Schlachtenruhm zu gewinnen und den Schatz eines Drachen zu erbeuten. Nach dem legendären Oskutreð zu suchen. Die Vorstellung berauschte sie, und vor Freude lachte sie laut auf.

Elvar saß mit dem Rücken an einen Weißdorn gelehnt und balancierte eine Platte auf den Knien. Mit einem kleinen Messer zerteilte sie ein Filet aus immer noch dampfendem, in Getreide paniertem Kabeljau. Sie blies darauf und hustete, als sie es in den Mund schob. Das Fleisch und das Getreide waren noch zu heiß, aber es duftete zu köstlich, um lange zu warten.

Sie waren kurz nach Mittag des zweiten Tages an Land gegangen und hatten nach einem passenden Ort gesucht, um zu ankern und die Wellen-Jarl zu vertäuen. Jetzt lagen sie in einem abgelegenen Meeresarm vor Anker, dessen Ufer von Erlen, Birken und Weißdorn bewachsen waren. Man hatte die Fuhrwerke an Land gebracht und mit Holzhämmern und Zapfen verbunden. Die Ponys hatte man daneben angebunden. Elvar hörte das Knarren des Bootes auf dem Wasser und sah zwischen den Bäumen im Sternenlicht das silbrig schimmernde Wasser rund um den frisch kalfaterten Rumpf. Sie hatten Lose gezogen, wer zurückbleiben und die Wache übernehmen musste. Elvar hatte diesmal nicht die übliche Angst bei dieser Möglichkeit verspürt. Sie wusste, dass alle, die Uspa den Eid geschworen hatten, keine andere Wahl hatten, als die Reise nach Oskutreð fortzusetzen.

Alle Schlachtgrimmen saßen jetzt zusammen, abgesehen von Grend und Sighvat, die die erste Wache hatten. Aber sie waren nicht allzu weit entfernt, sondern drückten sich am äußeren Rand des kleinen Wäldchens herum, in dem die Mannschaft ihr Lager aufgeschlagen hatte. Agnar stand neben einer Feuergrube, die sie in den Boden gehackt hatten. Die Flammen loderten und knisterten, und über ihm schwankten Zweige. Ein Topf hing über den Flammen, in dem eine Graupensuppe köchelte, und in einer flachen Eisenpfanne auf der glühenden Holzkohle lag noch mehr von dem in Butter und Getreide gebratenen Kabeljau, den Elvar gerade aß.

Es herrschte Schweigen, weil Agnar ihnen gerade mitgeteilt hatte, warum sie nach Norden segelten, durch das Knochenmassiv und ins Herz der Ebene der Schlacht.

»Oskutreð?«, hatte Huld gefragt. Sie war nach Elvar die Jüngste in der Kriegerhorde. Ihr Haar war pechschwarz. Sie berührte unwillkürlich die Bärenkralle, die an einer Lederschnur um ihren Hals hing. Elvar sah auf Hulds Gesicht ihre eigenen Gefühle gespiegelt – Ungläubigkeit, der Furcht und dann Erregung folgte.

»Ja«, gab Agnar zurück.

»Aber wie?« Die Frage kam von der grauhaarigen Sólín, die mit einem Scramasax zwischen ihren Zähnen gestochert hatte. Vor Staunen hatte sie den Arm sinken lassen.

»Das ist eine sehr lange Geschichte«, antwortete Agnar. »Uspa hat Ilska der Grausamen ein magisches Buch gestohlen, ein Galdur-Buch.«

»Die Graskinna«, zischte Uspa vom Rand des Schattens. Kráka und der Hundur-Thrall saßen bei ihr.

»Uspa hat es zerstört, als wir sie gefunden haben. Sie hat das Buch in die geschmolzenen Feuer von Iskalt geworfen. Aber erst, nachdem sie es gelesen und seine Geheimnisse in Erfahrung gebracht hat.« Agnar lächelte.

»Also richtete sich Ilskas Angriff nicht gegen den Jungen, sondern die Rabenfütterer wollten sie.« Huld sah Uspa an.

»So ist es«, bestätigte Agnar. »Jedenfalls glauben wir das. Sie haben den Jungen einfach auf ihrer Flucht mitgenommen. Vielleicht, um ihn gegen Uspa einzutauschen.«

»Ilska könnte uns also folgen.« Elvar sprach eine Möglichkeit aus, die ihr schon lange im Kopf herumgegangen war.

Biórr kam und setzte sich neben sie. Er hielt einen Napf mit Graupensuppe und ein Stück Schwarzbrot in der Hand.

»Das könnte sie«, stimmte Agnar ihr zu. »Aber bis jetzt ist nichts von ihr zu sehen.« Er zuckte mit den Achseln. »Ich meinerseits hoffe, dass sie es tut. Dann könnte ich meinen Schwur leichter erfüllen.« Er zog den Ärmel seiner Tunika hoch, um die gewundenen Narben um seine Hand, sein Handgelenk und seinen Unterarm zu zeigen. »Ich habe Uspa der Seiðrhexe den Blóð Svarið geschworen, den Blutschwur. Sie wird uns nach Oskutreð führen, und ich werde ihren Sohn zurückholen oder bei dem Versuch sterben.« Er sah sich um. »Auch andere haben diesen Eid geleistet. Sighvat und Elvar. Grend, Kráka.«

Biórrs Kopf fuhr zu Elvar herum.

»Und obwohl ihr nicht dieses Mal tragt«, fuhr Agnar fort und hob die vernarbte Faust, »seid ihr alle ebenfalls daran gebunden, wenn ihr mir nach Oskutreð folgt.« Er atmete zischend aus. »Oskutreð, die große Esche, wo die Götter kämpften und starben. Ulfrir, Orna, Berserkir, Rotta, sie alle. Ihre Überreste und ihre Reichtümer, ihre Waffen und Rüstungen. Die ihrer Hauptleute …« Er erzählte eine Geschichte von Ruhm und unvorstellbaren Reichtümern. Elvar konnte sehen, wie in den Augen der Umsitzenden das Feuer der Gier entflammt wurde.

»Werdet ihr mir folgen?«, fragte Agnar. Er flüsterte die Frage.

»Wir werden dir folgen, Agnar Narbenfaust!«, rief Biórr.

Weitere Stimmen erhoben sich, gelobten Treue und jubelten.

»Dann lasst es uns mit Met besiegeln!«, rief Agnar lachend und winkte. Ein Fass wurde herangerollt.

Die Jubelrufe wurden lauter, als das Fass geöffnet wurde und die Trinkhörner gefüllt wurden. Agnar gab jedem seiner Schlachtgrimmen ein volles Trinkhorn und lachte und lächelte dabei. Seine Krieger erhoben ihre Hörner und tranken, auf Agnar, auf Oskutreð, auf die Schlachtgrimmen. Auch Elvar hob ihr Horn und trank einen großen Schluck Met. Das honigsüße Getränk lief ihre Kehle hinunter und erzeugte ein warmes Glühen in ihrem Bauch. Agnar lächelte ihr zu und ging weiter.

Biórr trank neben ihr, nippte stumm an seinem Horn.

»Also segeln wir nach Oskutreð«, brach er schließlich das Schweigen und nickte. »Das ist wahrlich eine große Sache!«

»Das ist es«, stimmte Elvar ihm zu. Sie hob ihr Methorn und stieß mit Biórr an. Dann trank sie wieder.

»Darauf trinken wir.« Biórr lächelte sie an. »Dass wir Oskutreð finden und die Welt verändern.«

Elvar wiederholte seine Worte, und sie tranken gemeinsam.

»Ich bin froh, dass du, wir, geschworen haben, Bjarn zu finden«, meinte Biórr dann.

»Du bist ein guter Mann«, sagte Elvar. Es gefiel ihr, wie oft Biórr Bjarn erwähnte.

Biórr zuckte mit den Schultern und wandte den Blick ab. »Das liegt nur daran, dass ich noch einmal mit ihm eine Partie Tafl spielen will. Er hat mich das letzte Mal geschlagen; ich will eine Revanche.«

Elvar lächelte. »Ich denke immer wieder an diesen Tag, als Bjarn entführt wurde«, sagte sie. »Warum ist Ilska geflüchtet? Sie ist aus Snakavik geflüchtet, vor uns geflohen. Hätte sie den Jungen eintauschen wollen, warum ist sie dann weggelaufen?«

»Wer kennt schon die Gedanken von Ilska der Grausamen?«, gab Garrett zurück. »Aber ich bezweifle, dass sie aus Angst vor uns weggelaufen ist. Vielleicht wollte sie tatsächlich einen Kampf vermeiden. Warten, bis sich die Dinge beruhigt hatten, bevor sie versucht, mit uns zu verhandeln. Es ist nicht so leicht, mit Leuten zu handeln, wenn du eine Blutfehde mit ihnen begleichen musst.«

»Ja.« Elvar nickte. »Und sie haben Thrud getötet.«

Biórr verzog die Lippen und wandte den Blick ab.

»Er war dein Freund«, sagte Elvar.

»Sein Tod war meine Schuld.« Biórr seufzte tief.

»Ihr seid in einen Hinterhalt geraten«, sagte Elvar. »Es ist nur dem Glück zuzuschreiben, dass du und Uspa ihn lebendig überstanden habt.« Sie dachte daran, was Agnar zu ihr gesagt hatte, als sie den See überquert hatten. »Wir alle leben mit den Krallen des Todes in unseren Schultern, mit seinem Atem in unserem Nacken«, sagte sie. »Thrud wusste das genauso gut wie wir alle.«

»Das ist wohl wahr.« Biórr blickte ins Herdfeuer, und sie schwiegen eine Weile, während sie ihren Met tranken.

»Es kann nicht leicht gewesen sein, Snakavik zu verlassen.« Biórrs Worte rissen Elvar aus ihrer Versunkenheit. »Ich meine, deine Familie zurückzulassen«, setzte er hinzu, als er ihre finstere Miene sah.

»So schwer war das nicht«, widersprach Elvar. »Meinen Vater zu mögen ist nicht so leicht, und mein Bruder Thorun ist ein Arschkriecher.«

»Du hast noch einen anderen Bruder«, meinte Biórr.

»Ja, Broðir.« Sie lächelte. »Ihn mag ich. Aber er ist mit seinem … Los in Snakavik zufrieden.«

»Und du nicht?«

»Nein«, antwortete Elvar. »Mein Vater wollte mich als Zuchtstute an Königin Helkas Brut verkaufen. Damit wäre ich nicht zufrieden gewesen.«

»Einige würden das für ein schönes Leben halten«, erwiderte Biórr. »Es würde ihnen an nichts mangeln, sie hätten Wärme, Nahrung, Silber im Überfluss. Macht.«

»Aber ich nicht!« Elvar trank einen Schluck Met. »Ich will mir meinen Schlachtenruhm und mein Silber selbst verdienen und nicht geschenkt bekommen, oder auf dem Ruf derer segeln, die vor mir kamen.« Sie dachte an ihren Vater und an die verblassenden Erinnerungen an ihre Mutter. Das waren jetzt nur noch bruchstückhafte Bilder, von ihrem Lächeln, ihrem Lachen, ihrer Berührung. Sie fühlte seinen Blick auf sich und erschauerte. Dann sah sie Biórr an.

»Was?«

»Du bist eine seltsame Person«, lächelte Biórr. Er fuhr mit seinen Fingerspitzen über die Male auf Elvars Handrücken, und sie erschauerte. Sanft nahm er ihre Hand und hielt sie ins Licht des Feuers, drehte sie, sodass das Netzwerk aus Narben wie kleine rote Flüsse vom Eldrafell schimmerten, dem Feuerberg. »Ich folge Agnar Schlachtgrimm, aber ich werde auch dir folgen, Elvar Trollschlächterin, Elvar Feuerfaust«, sagte er leise. Dann beugte er sich vor und berührte mit seinen Lippen die ihren. Es war eine kurze Liebkosung, aber Elvar erzitterte und hatte das Gefühl, als würde sie ihr Rückgrat hinablaufen. Sie wich erschrocken zurück, aber er lächelte sie an.

Dann ertönten Schritte, Zweige knackten in der Dunkelheit hinter ihnen, und plötzlich stand Grend neben Elvar. Er blickte finster auf die beiden herab.

»Deine Wache!«, sagte er, während sein Blick von Elvar zu Biórr und dann wieder zu Elvar zurück glitt.

Die stand schnell auf, nickte und verschwand in der Dunkelheit.