KAPITEL ACHTZEHN

VARG

Varg ging durch die Straßen von Liga, begleitet von Svik und Røkia. Nach kurzer Zeit und mit ihrer Hilfe hatte er zwei leinene Untergewänder erstanden, zwei Wollhosen, eine graue Wolltunika in schönem Fischgrätmuster, Winnigas, die Beinwickel mit bronzenen Haken, Wendeschuhe aus Ziegenhaut, eine gestrickte Mütze und Socken, mit Schafsfell gefütterte Lederhandschuhe, einen Gürtel mit Bronzehaken und Bronzeringen, einen Scramasax mit einer einfachen Lederscheide und einem Griff aus Elchgeweih sowie einen schönen Mantel aus Robbenfell. Dazu einen Hanfsack, um das alles tragen zu können. Die Händler umschwärmten ihn, als wäre er ein reicher Jarl. Er wusste zwar, dass es nichts bedeutete und sie es nur wegen seiner Münzen und den beiden Kriegern der Blutgeschworenen taten, die ihn begleiteten, aber irgendwie fühlte er sich trotzdem gut. Es war ein sonderbares Gefühl, das er schon lange nicht mehr empfunden hatte.

Er sah den Händler, der ihm das Hackmesser gegeben hatte. Varg gab ihm eine Münze, weil der Mann ihm Freundlichkeit erwiesen hatte, als er nur ein Niðing von Thrall gewesen war. Svik und Røkia kaufte er eine Schüssel mit Eintopf und ein Stück Brot.

»Und einen Laib Käse«, bat Svik den Händler.

»Du magst Käse, stimmt’s?«, bemerkte Varg.

»Wer mag den nicht?« Svik sah ihn erstaunt an, während er den Käse nahm.

Sie gingen weiter, bis Røkia an einem Stand mit Messern und Äxten stehen blieb, die auf einem aufgebockten Tisch ausgelegt waren.

»Sowas brauchst du auch noch.« Røkia nahm eine Axt und hielt sie Varg hin. Er nahm sie und überprüfte die Balance. Der Schaft war kurz, der Axtkopf gekrümmt und ungewöhnlich gewichtet. Ihm war die Arbeit mit Äxten und Beilen nicht fremd, weil er viel Holz gefällt und im Laufe der Jahre auf Kolskeggs Gehöft bestimmt einen ganzen Berg Feuerholz gehackt hatte, aber so etwas hatte er noch nie in der Hand gehabt.

»Sie ist für den Wurf gewichtet«, erklärte Svik. »Das siehst du am Bogen des Schaftes und der Schneide.«

»Ah.« Varg ließ den Kopf der Axt in seine Handfläche klatschen.

»Hast du schon einmal mit einer Axt gekämpft?«, erkundigte sich Røkia.

»Nein. Ich sagte dir ja, ich habe nur mit den Fäusten gekämpft.«

»Trotzdem, du brauchst eine Axt. Einen Speer wirst du auch bekommen, und ein Schwert kannst du dir nicht leisten.«

»Du verstehst ohnehin nicht damit umzugehen«, setzte Svik hinzu. »Höchstwahrscheinlich würde es damit enden, dass du dir den halben Kopf weghackst. Speer, Scramasax und Axt sind ein guter Anfang.«

»Es ist immer gut, ein paar Klingen mehr im Gürtel zu haben«, sagte Røkia. »Man weiß nie, was hinter der nächsten Wegbiegung lauert.«

Varg wusste nicht genau, wie er dieses ganze Gerede über Kriegskunst fand. Sein Antrieb war die Vergeltung für Frøya gewesen. Er wollte den Mörder seiner Schwester bestrafen, ihn vor Qual schreien lassen. Es war sonderbar, und er fühlte sich etwas treulos, wenn er einem anderen Gedanken erlaubte, sich in seinem Hirnkasten einzunisten.

Aber das hier ist mein Weg, meinen Schwur zu erfüllen. Ein verschlungener Weg, und dennoch der einzige gangbare Weg.

»Dann nehme ich die Axt«, sagte er zu dem Händler und holte Münzen aus dem Beutel. »Wie ist es damit?«, fragte er und deutete auf ein schönes Brynja. Das Kettenhemd hing an einem Gestell, und die Ringe glänzten von Öl.

»Das kannst du dir nicht leisten«, antwortete Svik.

»Außerdem ist es besser, deinem besiegten Feind das seine zu nehmen«, erklärte Røkia. »Besser, ein Brynja in einem Kampf zu gewinnen, denn wie sonst willst du dir deinen Schlachtenruhm verdienen?« Sie sah ihn an, als hätte er ein lockeres Scharnier im Hirnkasten.

Bei ihren Worten schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. Wenn er gegen einen Krieger kämpfte, der schon ein Kettenhemd trug, war dieser Krieger höchstwahrscheinlich ein erfahrener Kämpfer, ganz sicher erfahrener als er, und war zusätzlich noch von einem Kettenpanzer geschützt. Also war die Wahrscheinlichkeit, dass Varg den Kampf überlebte, um dann seinem toten Gegner das Brynja vom Leib zu ziehen, nicht besonders hoch. Außerdem hatte Varg in seinem ganzen Leben noch nie über Schlachtenruhm nachgedacht. Selbst als er im Faustkampfring gekämpft hatte, war es ihm immer nur um die nächste Mahlzeit gegangen. Danach hatte er nur weitergekämpft, weil Kolskegg ihm keine andere Wahl gelassen hatte.

»Ein Kettenhemd ist ein Wunder«, sagte Svik. »Und es hilft sehr gut, scharfes Eisen von deinem Körper fernzuhalten, aber wichtiger ist das hier.« Er tippte auf einen einfachen Helm auf dem Tisch. Er bestand aus vier Eisenplatten, die mit Bändern zusammengenietet waren und einen Nasenschutz hatten.

»Einen Stich in deinen Körper überlebst du vielleicht. Aber einen Schlag auf den Kopf …« Er zuckte mit den Schultern.

Varg nahm den Helm und blickte hinein. Er war mit Schafsfell gefüttert, das mit Lederriemen in dem Helm befestigt war, um den Sitz anzupassen. Versuchsweise setzte er ihn auf und schnallte den Kinnriemen zu.

»Gut«, erklärte Røkia und klopfte mit ihren Knöcheln auf den Helm.

»Außerdem verbirgt er dein Haar, was auch gut ist«, erklärte Svik. »Ich schlage vor, du behältst ihn auf, bis deine Haare so lang und schön sind wie meine.«

Røkia schnaubte verächtlich.

»Hier.« Svik deutete auf andere Waren auf dem Tisch. Es gab Feuersteine und Eisen, um Funken zu schlagen, Fischhaken und Tierdärme, um Wunden zu nähen, Rollen mit Bandagen aus Leinen und ein flaches Stück Eisen an einem gebogenen Griff aus Holz und Leder.

»Was ist das?«, erkundigte sich Varg.

»Ein Brandeisen, um Wunden zu kauterisieren.« Røkias Brauen tanzten missbilligend angesichts seiner Unwissenheit.

»Wir haben alles gekauft, was du brauchst, um Löcher in andere Leute zu hauen oder zu stechen«, meinte Svik lächelnd. »Aber du musst auch ein paar Vorsichtsmaßnahmen treffen, falls jemand anders ein Loch in dich bohren will.«

»Das ist vernünftig«, murmelte Varg. Er hatte das Gefühl, dass er blindlings einen Weg beschritten hatte, von dem er niemals wieder abweichen konnte.

»Gut, dann haben wir alles.« Røkia warf einen Blick in Richtung Himmel, um den Stand der Sonne zu prüfen. »Wir sollten zurückgehen.«

Varg hatte seine alte Tunika und seine Hose in ein Feuer geworfen, das draußen in der Nähe der Rückseite der Methalle brannte, unter steilen Klippen und Kiefern. Zusammen mit seinen Schuhen, die mehr aus Löchern als aus Leder bestanden. Dann schrubbte er seinen Körper mit eiskaltem Wasser aus einem Fass. Dafür benutzte er eine Bürste aus steifem Pferdehaar, die mit Seife aus Asche und Fett eingerieben war. Svik hatte ihm eine Platte mit kaltem Lamm und Gurken gebracht, als er angekleidet war, und er hatte sich Stücke von dem geräucherten Fleisch in den Mund gestopft, während er seine Winnigas fest um seine Waden gewickelt und seinen Gürtel angelegt hatte. Schließlich zog er den Kinnriemen seines Eisenhelms durch einen Ring am Gürtel und schnallte ihn zu, sodass er neben seinen Waffen hing. Es war sonderbar, das Gewicht der Axt, des Scramasax, des Helms und des Hackmessers an seinem Gürtel zu fühlen, an dem auch seine Gürteltasche hing, und es war immer noch schwer vorstellbar für ihn, dass er sich tatsächlich so kleiden konnte. Aber es fühlte sich gut an, sauber zu sein und so schöne Kleidung zu tragen. Er hätte dergleichen bis zu seinem Todestag niemals getragen, wäre er auf Kolskeggs Farm geblieben. Er lächelte leicht und wünschte sich, dass Frøya ihn so sehen könnte. Und im gleichen Augenblick, als er an sie dachte, wie sie da am Boden lag, kalt und tot, erlosch sein Lächeln.

»Schon besser«, sagte Svik und betrachtete Varg, als der vor ihm stand. »Du siehst nicht mehr aus wie ein Thrall oder ein Niðing von Bettler. Oh, und das gehört dir auch, ein Geschenk von Glornir.« Er gab ihm den schwarz bemalten Schild, den Varg im Training am Tag zuvor benutzt hatte. Er schlang ihn über den Rücken und nahm seinen Sack über die Schulter, in dem er seine Einkäufe aus Liga verstaut hatte. Dann ertönte ein Hornsignal, und Svik scheuchte Varg in den Hof der Methalle. Dort standen Jarl Logur und seine Frau Sälla in den offenen Türen, umgeben von einem Dutzend seiner Herdkarls. Glornir stand in einem glänzenden Brynja an der Spitze der Blutgeschworenen. An seinem Gürtel hing ein Eisenhelm, und in den Fäusten hielt er eine lange Bartaxt. Hinter ihm hatten sich Krieger versammelt, die schwarz-roten Schilde über den Rücken. Sie trugen eine Mischung aus Brynjur und wollenen Tuniken, mit gesottenem und gehärtetem Leder. In den Fäusten oder über ihre Schulter gelegt hielten sie ihre Speere und Bartäxte.

Die beiden Anführer nickten sich zu, dann führte Glornir sie aus dem Hof. Der Häuptling der Blutgeschworenen sah Varg und Svik am Rand des Hofs stehen. Er sagte etwas und streckte die Hand aus. Vol reichte ihm einen Speer mit einem grauen Eschenschaft und einem Lederfutteral über dem Speerblatt.

»Der gehört jetzt dir«, sagte Glornir und warf Varg den Speer zu. Der schaffte es, ihn einigermaßen geschickt aufzufangen.

»Er gehörte Aslog, dessen Platz auf der Ruderbank du jetzt einnehmen wirst. Er war ein guter Mann, aber nicht gut genug, um seinen Kopf zu behalten«, sagte Glornir. »Er braucht seinen Speer nicht mehr, weil er auf die Straße der Seelen gegangen ist. Möge die Waffe dir Schlachtenruhm schenken.«

Varg nickte, weil er nicht wusste, was er sagen sollte, und dann war Glornir an ihm vorbeigegangen und führte die Blutgeschworenen auf die Straßen von Liga. Varg und Svik folgten am Ende der Kriegerschar.

Sie marschierten über eine breite Straße, und die Leute machten Platz, damit die Blutgeschworenen passieren konnten.

»Wie geht es deinem Kopf?« Es war Torvik, der Lehrling des Schmieds.

»Er fühlt sich an, als säße dein Schmied darin und versuchte mit aller Kraft, sich den Weg mit seinem Hammer hinaus zu schlagen«, antwortete Varg.

»Ha!« Torvik lachte. »Met ist ein zweischneidiges Schwert, stimmt’s?« Er rieb sich seinen Kopf. »Für eine kurze Weile macht er die Welt besser, und dann schlimmer. Und zwar viel schlimmer.«

Sie marschierten in lockerer Marschordnung.

»Jarl Logur ist gut zu den Blutgeschworenen«, sagte Varg, der an die Menge von Nahrung und Met dachte, die die Krieger in den sieben oder acht Tagen zu sich genommen haben mussten.

»So ist es, aber die Blutgeschworenen waren auch gut zu ihm«, gab Torvik zurück.

»Ach?«, fragte Varg.

»Dieses Gottes-Heilturn in Logurs Methalle, das haben die Blutgeschworenen ihm gegeben.«

»Ein Heilturn?«

»Ja, ein Relikt, ein Splitter vom Vackna-Horn, das die Götter am Tag von Guðfalla auf die Ebene der Schlacht rief. Es ist in einen Balken über Logurs Hochsitz eingelassen und hat geholfen, ihn reich zu machen.«

»Ah.« Varg nickte, als er sich daran erinnerte, den knochenweißen Splitter im Balken gesehen zu haben – und an das sonderbare Gefühl, das er ausstrahlte. Solche Relikte hatten Macht, das wussten alle. Königin Helka war nur deshalb in so kurzer Zeit zu ihrem Hochsitz aufgestiegen, weil sie Ornas Skelett ausgegraben hatte. Die Schwingen des gigantischen Adlers spreizten sich weit über Helkas Festung in Darl.

»Das ist ein großzügiges Geschenk, das Glornir Logur da gemacht hat«, meinte Varg.

»Das war nicht Glornir«, widersprach Torvik. »Das war Schädelspalter, unser alter Häuptling.«

»Schädelspalter?« Varg erinnerte sich an Lagerfeuergeschichten unter den Thralls von Kolskeggs Farm, die von einem schrecklichen, gnadenlosen Krieger handelten.

»Schädelspalter ist tot, aber die Blutgeschworenen leben weiter«, mischte sich jetzt Svik ein. »Und die Blutgeschworenen haben weit mehr für Logur getan, als ihm ein zertrümmertes Stück von einem Rinderhorn zu schenken.«

»Was tun die Blutgeschworenen denn?« Varg wollte gern mehr über diese Mannschaft herausfinden, von der er ein Teil werden sollte.

»Wir beschützen diesen Hafen vor Piraten und Plünderern«, erklärte Svik. »Wir sind die Wölfe, die die Schafe bewachen.«

»Ich dachte, Wölfe würden Schafe fressen«, meinte Varg.

Svik lächelte ihn an. »Manchmal tun wir das.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber nicht die Schafe, die uns bezahlen.«

Die Straße mündete am Hafen, und Varg spürte sofort, dass etwas nicht stimmte.

Leute kamen ihnen entgegengerannt, Hafenarbeiter, Händler, Kaufleute. Eine Handvoll von Jarl Logurs Gefolge mit ihren blauen Schilden in den Fäusten rannte in die andere Richtung. Varg war einer der letzten Blutgeschworenen, der von der Straße auf den Hafenkai trat. Er hörte Schreie, das Rennen von vielen Füßen auf Stein, und das alles beinahe übertönt von Hufschlägen.

Glornir führte die Blutgeschworenen weiter, zu ihrem Schiff, der Seewolf, während die Leute um sie herumrannten und schrien und die Hufschläge lauter wurden. Varg reckte sich und balancierte auf seinen Zehen, um über die Köpfe der Krieger hinwegsehen zu können. Dann leerte sich der Platz vor den Blutgeschworenen, und der steinerne Kai war vollkommen menschenleer, als sie sich der Pier näherten, wo die Seewolf vertäut war.

Eine Reihe von Pferden versperrte ihnen den Weg, über die gesamte Breite der Pier und mehrere Reihen tief. Darauf saßen Krieger mit Eisenhelmen und Helmbüschen aus Pferdehaar und langen Mänteln mit Plattenpanzern. Jaromir war an ihrer Spitze, neben ihm Ilia. Er hielt einen geschwungenen Bogen in der Faust und hatte einen Pfeil eingenockt.

Glornir ging ein paar Schritte weiter, blieb dann stehen und hob die Hand. Die Blutgeschworenen kamen hinter ihm zum Stehen und verteilten sich über den Kai. Sie schnallten ihre Helme auf, zogen ihre Schilde von den Rücken und packten sie mit ihren Fäusten. Edels Wolfshunde knurrten.

Jaromir trieb sein Pferd mit den Hacken etwas weiter und ritt vor die massierten Druzhina. Ihre Lanzen glitzerten im Licht der Frühlingssonne. »Ich wollte deinen Jarl Logur wegen meines Anliegens aufsuchen, und mit meinen Beweisen«, sagte er. »Aber dann hat man mir gesagt, dass dein Drakkar Segel setzt, um in See zu stechen.« Er schnaubte verächtlich. »Nur die Schuldigen flüchten.«

Glornir sagte nichts, sondern betrachtete ihn nur mit ausdruckslosen Augen.

»Gib mir Sulich«, verlangte Jaromir. »Sei ein kluger Mann. Rette deine Krieger und dein Schiff.« Er warf einen Blick über die Schulter auf zwei Reiter am Eingang der Mole. Sie warteten, mit brennenden Fackeln in den Händen. Varg sah, wie sich auf der Seewolf Gestalten bewegten.

»Du bist zu lange in der Sonne gewesen, wenn du glaubst, dass ich einen meiner Leute ausliefern würde«, knurrte Glornir. »Auf keinen Fall.« Er hielt seine lange Bartaxt mit beiden Händen locker quer vor seinem Körper. Sein schwarz-rot gefleckter Schild hing nach wie vor auf seinem Rücken.

Jaromir verzog die Lippen und hob den Bogen, zog und schoss schneller, als Varg ihm mit dem Blick folgen konnte. Eisen zischte durch die Luft, es knallte und der Pfeil fiel zersplittert vor Glornirs Füße. Seine lange Axt schwang in seinen Händen.

Einen Moment lang starrten Jaromir und seine Druzhina mit offenem Mund den Anführer der Geschworenen an, dann zog Jaromir eine Faust voll Pfeile aus dem Köcher.

»Schuss!«, schrie er, und knapp fünfzig Pfeile zischten durch die Luft.

Die Blutgeschworenen sprangen vor und schlossen ihre Schilde um Glornir. Varg sah Einar und Røkia und noch viele andere, die sich hinter ihre Schilde duckten und Glornir schützten. Pfeile prasselten wie Hagel auf die Lindenholz-Schilde, und jemand schrie. Einar stand gerade aufgerichtet und schleuderte einen Speer. Er durchbohrte die Brust eines Druzhina-Kriegers, der in einer Fontäne aus Blut aus dem Sattel geschleudert wurde.

Jaromir schob seinen Bogen wieder in das Futteral an seiner Hüfte und zog den Säbel. Dann stieß er einen unartikulierten Schrei aus und spornte sein Pferd an. Die Krieger hinter ihm galoppierten los und senkten die Lanzen.

»Schildwall!«, brüllte Glornir.

Rund um Varg reagierten die Krieger. Sie eilten zusammen, hoben die Schilde und überlappten sie mit einem Knall. Varg stand einfach nur da und hob seinen Schild. Doch er wusste nicht genau, was er tun sollte. Ein ohrenbetäubendes Krachen ertönte von der ersten Reihe des Schildwalls und drang bis zu der Stelle, wo er stand. Pferde und Krieger schrien, und Stahl klirrte.

Hufschläge ertönten hinter ihm, und er drehte sich um. Noch mehr berittene Krieger galoppierten über den Kai auf sie zu. Funken stoben unter den Hufen ihrer Pferde auf.

»Achtung!«, schrie Svik neben Varg. Die letzte Reihe des Schildwalls drehte sich um und nahm erneut Aufstellung, um sich diesem neuen Feind zu stellen.

»Helm!«, schrie Svik ihn an. Varg begriff, dass er der einzige Blutgeschworene war, der sich seinen Helm noch nicht aufgesetzt hatte.

Er fummelte an seinem Gürtel, konnte aber den Kinnriemen nicht lösen und gab schließlich auf. Das Donnern der Hufe half nicht gerade dabei, konzentriert zu bleiben.

Er blickte hoch und bemerkte, dass er vollkommen ungeschützt dastand. Die Reiter stürmten auf ihn zu, und ohne nachzudenken, hob er seinen Schild vor sich, wie Røkia es ihn gelehrt hatte. Ein Reiter lenkte sein Pferd auf ihn zu. Ein Berg von Pferdefleisch donnerte auf ihn zu, und der Schuppenpanzer des Kriegers auf dem Rücken des Rosses schimmerte, während er seinen Säbel hoch über den Kopf schwang.

Varg starrte seinem Tod ins Gesicht und hörte wie aus weiter Ferne, dass Svik seinen Namen schrie und ihn in den Schildwall zurückrief. Aber es war zu spät. Er sah nur noch das verzerrte Gesicht des Kriegers, den geölten Bart, den kalten, schimmernden Stahl. Die Zeit schien langsamer zu vergehen, die Muskeln in der Schulter des Pferdes zogen sich zusammen, dehnten sich, und Varg trat zur Seite und hob seinen Schild. Der Säbel krachte mit einem hohlen Knall auf das Holz, und die Wucht des Schlages ließ Vargs Knochen in der Schulter erzittern und betäubte die Muskeln. Dann war der Reiter an ihm vorbeigedonnert, und instinktiv stieß Varg mit seinem Speer zu. Es war ein harter Stoß in die Hüfte des Reiters. Er hätte das Kettenhemd und das Fleisch durchbohren müssen, sich unter die Rippen graben sollen, aber stattdessen knickte der Speer ab. Varg konnte ihn nicht mehr festhalten und ließ ihn fallen. Dann starrte er den Speer an und sah, dass er das Lederfutteral nicht vom Blatt genommen hatte.

Um ihn herum krachten die anderen Druzhina in Svik und den Schildwall, es gab ein großes Geschrei und Gebrüll. Blut spritzte über den grauen Stein. Dann zügelte der Reiter, der Varg angegriffen hatte, sein Pferd und wendete fast auf der Stelle.

Ohne nachzudenken, ließ Varg seinen Schild fallen und rannte auf den Krieger zu. Er sprang, packte mit der Faust die Mähne des Pferdes und zog sich auf den Rücken des Tieres, hinter den Reiter. Der Druzhina drehte sich herum und versuchte einen Schlag mit seinem Säbel auf Varg zu landen. Ein in Kettenpanzer gehüllter Ellenbogen krachte gegen Vargs Nase, und Blut spritzte, aber er hielt sich fest, hatte einen Arm um den Krieger geschlungen und griff mit der anderen Hand nach seinem Scramasax. Er fand den Horngriff, zog die Waffe aus der Scheide und stach zu. Immer wieder stach er in das Kreuz des Kriegers, aber seine Stöße wurden von dem Kettenpanzer abgelenkt. Die Klinge kratzte über Eisen, schlug Funken und fand schließlich einen schmalen Spalt, wo Riemen und Lederstreifen den Mantel zusammenhielten. Die Klinge drang ein, durchtrennte Wolle, Leinen und Haut. Varg stieß fester zu, und der Krieger bog sich im Sattel zurück, schrie und kreischte dann schrill, als Vargs Klinge immer tiefer in seinen Körper drang. Er spürte, wie der Mann schwächer wurde, und mit einem letzten Stoß und einer Drehung des Scramasax stieß Varg den Reiter aus dem Sattel. Er landete krachend auf den Steinen und blieb dort liegen.

Varg keuchte, als er sich in den Sattel zog und sitzen blieb, weil er nicht wusste, was er tun sollte. Er hatte noch nie zuvor ein Pferd geritten. Es fühlte sich sehr viel höher an, wenn man auf dem Rücken eines Pferdes saß, als es vom Boden aus wirkte, und er spürte die Kraft des Tieres unter sich, die Bewegungen der Muskeln.

Um ihn herum tobte der Kampf, die Pferde bäumten sich auf und wieherten, während die Blutgeschworenen unerschütterlich in ihrem Schildwall standen. Hier und da gab es ein paar einzelne Kämpfe. Edel und ihre Hunde rissen ein Pferd zu Boden.

»Bei Bersers haarigem Arsch, was machst du denn da oben?«, schrie Svik ihm zu. Er grinste wild über das ganze blutbespritzte Gesicht.

Varg starrte sprachlos auf ihn herunter.

Dann ertönten Hornsignale, als Krieger mit blau bemalten Schilden auf den Kai strömten. Jarl Logur war da und bellte Befehle. Aber die Kämpfe waren bereits zum Erliegen gekommen, denn sowohl die Blutgeschworenen als auch die Druzhina standen da und blickten wie gebannt auf den Fjord hinaus.

Drei riesige, schlanke Drakkar glitten durch das Wasser, und auf ihren Decks wurden Hörner geblasen. Ihre schwarzen Segel trugen das Bild eines Adlers mit weit gespreizten Schwingen, der mit Schnabel und Krallen zuschlug.

Selbst Varg wusste, wessen Banner das war.

Königin Helka war nach Liga gekommen.