V erwirrt lasse ich mein Augenmerk über das kleine Terminal gleiten. Der Fahrer hat mir das Gate genannt – es gibt ja nur drei. Und Gate ist für diesen winzigen Flughafen schon ein bisschen zu überspitzt formuliert.
Auf der Schalttafel steht nichts. Nichts. Und die Tür zu dem Gate ist verschlossen. Soweit ich erkennen kann, wartet auch kein Jet auf mich.
»Das ist jetzt nicht wahr!«, schimpfe ich und ignoriere dabei, dass ich nicht die einzige Person auf diesem dämlichen Privatflughafen bin.
Doch, es ist wahr. Das kann nur Levs hinterfotzige Art sein, mir mitzuteilen, dass ich mich jetzt wieder im realen Leben befinde und selbst zusehen muss, wie ich nach Hause komme – und zwar auf eigene Kosten: Das bedeutet, ein Taxi in die nächstgrößere Stadt und von dort aus mit dem Bus oder der Bahn zum nächsten Flughafen zu fahren. Vielleicht habe ich Glück und erspare mir die Bus- oder Bahnfahrt. Vielleicht hat die nächstgrößere Stadt ... ist ja auch egal.
Kopfschüttelnd ziehe ich mein Smartphone aus der Handtasche und öffne Google Maps , was ja, ehrlich gesagt, seit zwei Tagen überfällig ist. Ist schließlich nicht so verkehrt zu wissen, an welchem Arsch der Welt ich mich gerade befinde.
»July.«
Ich erstarre. Den Blick weiterhin auf das Display gerichtet, mein Daumen schwebt noch über dem Button, der das GPS-Signal einschalten soll. »Tamara«, korrigiere ich automatisch. Ich glaube, mein Herz hat aufgehört zu schlagen. Das bedeutet, ich werde wahrscheinlich in der nächsten Sekunde einfach tot umfallen.
Okay, es schlägt noch. Ziemlich schnell sogar. »Was willst du?« Meine Stimme klingt so angepisst, dass ich mich selbst ein wenig darüber erschrecke, aber gleichzeitig bin ich furchtbar stolz auf mich, da mein Tonfall keinesfalls die Emotionen wiedergegeben hat, die tatsächlich in mir toben: Angst. Davor, dass er hier ist, um mich zurückzuholen. Hochgefühl. Weil er möglicherweise hier ist, um mich zurückzuholen. Aufregung. Weil es anscheinend noch nicht vorbei ist. Verwirrung. Weil ich davon ausgegangen bin, dass der Abschied für immer war.
Nein. Ich werde es ihm nicht zeigen. Stattdessen schiebe ich sogar das Kinn vor und schaue mit verengten Augen zu dem Mann auf, welcher, der Lautstärke seiner Worte nach zu urteilen, keine zwei Meter von mir entfernt steht. »Bist du hier, um dich über mich lustig zu machen? Um mir persönlich mitzuteilen, dass ich selbst zusehen muss, wie ich zurück in die Staaten komme – notfalls zu Fuß?«
Verwundert legt Lev den Kopf schief und mustert mein Gesicht. »Wieso sollte ich das machen? Denkst du, ich habe nichts Besseres zu tun?«
»Woher soll ich das wissen? Keine Ahnung, was du den lieben langen Tag so treibst, außer Golf zu spielen und pornografische Brunch-Veranstaltungen auszurichten, bei denen junge Frauen wie ein wertloses Stück Fleisch behandelt und vor den Augen von hundert russischen Aristokraten gedemütigt werden!«
»Russische Aristokraten? Du weißt schon, was den Adeligen in diesem Land im frühen zwanzigsten Jahrhundert zugestoßen ist, ja?«
»Und wieder hält er mich für ein naives kleines Mädchen, das sich bestenfalls für die historischen Ereignisse ihres eigenen Landes interessiert!« Augenrollend schnappe ich mir meinen quietschenden Koffer und stolziere mit langen Schritten an Lev vorbei. Glücklicherweise habe ich mich heute dazu entschieden, in Jogginghose und Sweatshirt zu reisen. Von daher trage ich Sneakers und keine Pumps. So ist das Risiko ziemlich gering, dass ich meinen dramatischen Abgang selbst torpediere, indem ich auf einem meiner Absätze umknicke.
Außerdem ist es mir total egal, warum Lev hier ist. Ich werde mir jetzt ein Taxi nehmen und ... Warum ist er eigentlich hier? Meinetwegen etwa?
Abrupt bleibe ich stehen und wirbele zu Lev herum, der meiner Bewegung zwar gefolgt ist, aber keine Anstalten zu machen scheint, mich aufhalten zu wollen.
»Was ist?«, fragt er in einem scheinheiligen Unterton und zieht die Augenbrauen hoch. Im Gegensatz zu gestern hat er sich sogar ein wenig herausgeputzt: Er trägt ein nachtschwarzes Hemd und dazu eine Bundfaltenhose – allerdings scheint er Schwierigkeiten zu haben, sich von diesem bescheuerten Gürtel mit der Löwenkopf-Schnalle zu trennen.
»Nichts!«, antworte ich genauso scheinheilig und ziehe ebenfalls die Augenbrauen hoch. Einen Atemzug lang lasse ich mich auf sein abgedrehtes Was-willst-du-eigentlich-von-mir? -Blickduell ein, doch dann drehe ich ihm zögerlich den Rücken zu und mache ein paar weitere genauso zögerliche Schritte, in Richtung des Ausgangs.
Wieso ist Lev hier, wieso hat er mich offenbar grundlos angesprochen und wieso gibt er jetzt vor, als sei ich diejenige, die eigenartig drauf ist?
Egal. Er scheint sich nicht weiter für mich zu interessieren und ... »So eine verdammte Scheiße!« Gerade sind die elektrischen Schiebetüren vor mir aufgeschwungen und ich habe nichtsahnend den Fuß heraus gesetzt ... und bin in genau dieselbe riesige Pfütze getreten wie vor zwei Tagen. Ich lerne definitiv nicht aus meinen eigenen Dummheiten. »Mann!«
Ich mache einen Satz zur Seite und schaue mich direkt nach einem Taxi um – fast schon hektisch. Muss damit zusammenhängen, dass ich Lev förmlich in meinem Nacken spüren kann und dass direkt vor mir ein unbemanntes schwarzes Auto steht. Dasselbe deutsche Fabrikat wie dasjenige, das mich vorgestern hier abgeholt und vorhin wieder hierhergebracht hat. Nur ist das hier kein SUV, sondern kleiner und sportlicher. Keine Ahnung, ich kenne mich mit Autos nicht aus und dieses muss ja auch nicht zwangsläufig mit Lev in Zusammenhang ...
»Steig ein.« Okay. Lev sitzt mir also tatsächlich im Nacken. Nein. In diesem Augenblick holt er mich ein, umrundet dabei ganz selbstverständlich die Pfütze, tritt zu dem Auto und öffnet die Beifahrertür.
»Danke, ich verzichte.« Mein Verstand zumindest. Mein klopfendes Herz findet die aktuelle Situation relativ faszinierend und bildet sich sogar ein, dass Lev hier ist, um sich bei mir zu entschuldigen und mir vorzuschlagen, noch einmal von vorn zu beginnen.
Wie eine lebensechte Filmdiva werfe ich den Kopf in den Nacken und biege scharf nach links ab, weil ich dort drüben in der Ferne ein Taxi zu erspähen glaube.
»July.«
Erneut erstarre ich. Ich wüsste echt gerne, was Lev an sich hat, dass allein dieser entnervte Unterton ausreicht, um mich zu Eis gefrieren zu lassen. Mein Herz klopft noch immer wie wild, aber diesmal überwiegt die Angst in meinen Adern: Wenn Lev mir droht, sind seine Worte keine heiße Luft. Er bestraft mich wirklich, wenn ich nicht pariere. Er wird sicherlich kein Problem damit haben, mich hier vor den Augen so vieler fremder Menschen in die Knie zu zwingen und ... ich will gar nicht wissen, was ihm in den Sinn kommt, um mich ein weiteres Mal zu demütigen.
»Tamara«, murmele ich trotzig, allerdings schwankt die Kraft meiner Stimme gewaltig. Dennoch nehme ich all meinen Mut zusammen, drehe mich nicht zu Lev herum und mache einen weiteren Schritt in Richtung des Taxis da vorn.
»Du kleine, renitente …« Eine Pranke packt mich grob im Nacken – so fest, dass ich richtiggehend zusammenfahre und mich am ganzen Körper anspanne. Und dann werde ich zurückgezogen, herumgedreht und dazu gebracht, zwei Schritte vorwärtszumachen, höchstens ein paar Zentimeter vor Lev stehen zu bleiben und ihm in die ungehalten funkelnden Augen zu gucken. »… Ziege!« Seine Stimme ist ein einziges düsteres Knurren.
Ich bin schon wieder so zwiegespalten. Reflexartig hebe ich beide Hände und platziere sie auf seinem athletischen Oberkörper, um ihn wenn nötig abzuwehren. Ein Kloß bildet sich in meiner Kehle und ich merke, dass ich vor Nervosität am ganzen Leib bebe. Andererseits kann dieses Beben auch von der Aufregung stammen, die ich noch immer verspüre, seitdem Lev hier unangekündigt aufgetaucht ist. Inzwischen ist es offensichtlich, dass er gekommen ist, um mich zurückzuholen. Denke ich zumindest.
»Was willst du von mir, Lev?« Ich kann meinen Blick nicht von seinen eisblauen Augen abwenden. »Du hast gesagt, ich soll gehen. Du hast gesagt, ich sei ungeeignet.«
»Und du hast nicht eine Sekunde versucht, mich vom Gegenteil zu überzeugen.«
Wir bewegen uns beide nicht einen Millimeter. Sekundenlang starren wir einander an. »Lass mich gehen, Lev. Ich habe es verstanden. Ich weiß, warum Asher mich hierhergeschickt hat.«
»So?«
»Ja. Ich werde mein Studium beenden und als Anwältin arbeiten. Diese Welt – deine Welt ist nichts für mich. Das hast du mir ja mehr als deutlich bewiesen.«
»Habe ich das?«
»Ja.« Alles klar. Wortkarg kann ich auch.
Wir bewegen uns noch immer nicht. Starren uns nur an.
»Du steigst jetzt in das Auto, July.«
»Und warum sollte ich das tun?«
»Weil ich noch nicht mit dir fertig bin.«
»Das sind ja ganz neue Töne.«
Ruckartig lässt er mich los und weist mit einer Hand zur Beifahrertür, ohne mich allerdings aus den Augen zu lassen. »Ich werde mich nicht erklären, July. Entweder du tust es freiwillig, oder ich werde dich dazu bringen, das zu tun, was ich von dir verlange.«
Anstatt mich zu bewegen, verschränke ich die Arme vor der Brust und recke mein Kinn in die Höhe. »Weißt du, was mich am meisten an dir stört, Lev? Du hast offenbar nie gelernt, wie es ist, wenn man nicht sofort alles bekommt, wonach es einem verlangt. Schon allein deswegen ist es mir zuwider, in dieses Auto zu steigen.«
»In Ordnung.« Schulterzuckend wendet Lev sich von mir ab und tritt zum Wagen. Im ersten Moment befürchte ich regelrecht, dass er mich tatsächlich stehen lässt – und deshalb registriere ich zu meiner Entgeisterung, dass es nicht das ist, was ich will. Er ist mir hinterhergefahren, um mich zurückzuholen; danach sieht es zumindest aus. Das fühlt sich ein bisschen an, als würde er um mich kämpfen wollen. Um mich hat noch nie jemand gekämpft. Meine Mutter vielleicht. Die hat aber vielmehr darum gekämpft, dass ich eine bessere Ausbildung als sie erhalte, um uns beiden ein schöneres Leben zu finanzieren.
Der Gedanke an meine Mutter lässt mich wiederum daran zweifeln, dass ich zu Lev in den Wagen steigen sollte: Achtzehn Jahre lang hat sie geschuftet, damit ich an einem guten College Jura studieren kann, und ich war drauf und dran, das mit Füßen zu treten. Ich habe sogar den Kontakt zu ihr einschlafen lassen, damit sie nicht auf die Idee kommt, mich eingehender über den gut bezahlten Job auszufragen, der ihr die Miete finanziert, sodass sie nicht mehr in der Wohnwagensiedlung leben muss. Sie geht davon aus, mein derzeitiges Dasein besteht ausschließlich aus Büffeln und Arbeiten. Von daher will sie mich gar nicht weiter mit ihrer Neugierde behelligen . Und ich kann ihr nicht mehr in die Augen sehen, weil ich für unseren gegenwärtigen Lebensstandard meinen Körper verkaufe.
Folglich entschließe ich mich in diesem Moment dazu, Lev ziehen zu lassen. Es ist definitiv besser so.
Tja. Abgesehen davon macht er gar keine Anstalten, davonzufahren. Er beugt sich lediglich in den Wagen, öffnet das Handschuhfach und holt etwas daraus hervor. »Ich fordere dich jetzt ein letztes Mal auf, ins Auto zu steigen, July. Wenn du das nicht tust, werde ich dich dazu bringen. Glaub mir.«
Unruhig lasse ich mein Augenmerk an Lev vorbeigleiten, über die Passanten, die in regelmäßigen Abständen an uns vorbeilaufen. Keiner von ihnen scheint sich an Levs Auto zu stören, das im absoluten Halteverbot steht. Und genauso wenig scheint es jemanden zu verwundern, dass er mich offensichtlich bedroht und notfalls dazu zwingen wird, mit ihm mitzukommen. Es ist, als würden Lev und ich uns in einer Seifenblase befinden, in der eine eigene Realität vorherrscht. Als würden wir in den Augen und Ohren der Passanten eine ganz andere Unterhaltung führen.
Vermutlich liegt es daran, dass Lev als Oligarch eine einflussreiche Persönlichkeit zu sein scheint, die in diesem Flughafen ein und aus geht – möglicherweise gehört ihm dieser Flughafen sogar.
Nichtsdestotrotz werde ich darauf bestehen, dass er mich nach Amerika zurückfliegen lässt: »Lev, ich ... ich muss zurück. Bitte zwing mich nicht dazu, in dieses Auto zu steigen.«
Tatsächlich scheint er zu stutzen und seine Augen scannen für einen kurzen Moment mein Gesicht ab. »Ist etwas mit ... ist etwas vorgefallen?« Er klingt beinahe besorgt.
Irritiert runzele ich die Stirn. »Nein, es ist alles in Ordnung. Ich habe nur ein schlechtes Gewissen und ... muss einiges an Lernstoff aufholen, um ehrlich zu sein.«
Prompt verhärtet sich sein Ausdruck und er macht einen weiteren Schritt auf mich zu. »Das kannst du auch hier machen. Ich kümmere mich um alles.«
»Du ... was? « Ich weiche einen Schritt vor ihm zurück.
Lev folgt mir diesen einen Schritt. Irgendetwas stimmt nicht. Er hat eine Hand hinter seinem Rücken verschränkt. Es ist die Hand, mit der er etwas aus dem Handschuhfach genommen hat.
»Was war daran nicht zu verstehen, July? Ich sagte, ich kümmere mich um alles. Ich kenne den Dekan deiner Uni ... sehr persönlich. Er wird einen Teufel tun und mir einen Wunsch abschlagen. Wenn ich von ihm einfordere, dir zu ermöglichen, deine Prüfungen in der Bibliothek meines Hauses zu schreiben, wird er nicht eine Sekunde zögern. Er wird sogar äußerst erbaut darüber reagieren, mir einen Gefallen tun zu dürfen.« Er macht einen zusätzlichen Schritt auf mich zu und steht wieder nur eine halbe Armlänge von mir entfernt. »Ich sehe darin überhaupt kein Problem.«
»Ich möchte nicht der Grund sein, weswegen du irgendwelche Gefallen einforderst, Lev.«
»Bist du aber.«
Instinktiv hebe ich die Hände an, um ihn notfalls von mir wegzustoßen, mache einen Schritt zurück und schüttele noch einmal den Kopf. »Ich dachte nur, dass ich das alles will. Aber du hast mir mehr als deutlich gezeigt, was mir blüht, wenn ich mich in deine Obhut begebe. Und das war mir zu ... brutal. Du machst mir Angst.«
Erneut folgt er mir. Wir bewegen uns immer weiter vom Auto weg und langsam macht Lev mich wirklich nervös. Ich will gar nicht wissen, was er in seiner Hand hält. Es muss etwas sein, was mich dazu bringen wird, mit ihm zu kommen.
»Angst ist gut.«
»Nicht bei dir. Vor allem, da sie begründet ist.«
»Ich reagiere nur brutal, wenn du nicht tust, was ich dir sage, July.«
»Tamara.«
Er gibt ein entnervtes Stöhnen von sich und verdreht die Augen. »Ich werde dich nicht so nennen. Kein einziges Mal. Verstanden?«
»Und ich werde nicht auf den Namen July hören. Verstanden?«
»Doch, das wirst du. Und ich bin diese Diskussion leid. Ab sofort fängst du dir Schläge ein, wenn du mich korrigierst.«
Entgeistert schnappe ich nach Luft. »Ich habe nicht mit einem Wort zugestimmt, dass ich in dieses Auto steigen und mit dir zurück zur Pornovilla fahren werde.«
»Deine Zustimmung stand nie zur Debatte. Ich habe entschieden, dass du es tun wirst und dann wird es auch geschehen.«
»Ach ja? Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert und ich bin mir ziemlich sicher, dass du meine Zustimmung für so etwas benötigst. Selbst in den Kreisen, in denen du verkehrst.«
Lev gibt ein leises, herablassendes Lachen von sich. »Du hast keine Ahnung von den Kreisen, in denen ich verkehre. Und du solltest froh sein, dass Asher dich zu mir geschickt hat und nicht zu einem anderen, der in meiner Liga spielt. Sobald ich mit meinen gefallenen Mädchen fertig bin, können sie zumindest wieder ganz normal am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Das darf nicht jede von sich behaupten, die sich mit einem von uns eingelassen hat.«
Jetzt hat er es noch einmal gesagt. Nur hat er mich diesmal in einem völlig anderen Zusammenhang als gefallenes Mädchen bezeichnet. Das scheint eine besondere Bedeutung zu haben.
»Was heißt uns? Du und dein Bruder, oder wie?« Endlich entscheide ich mich dazu, nicht mehr vor ihm zurückweichen zu wollen. Der Kampf gegen ihn ist schon so gut wie verloren. Allein, weil nur ein Teil von mir wirklich zurück nach Valentine und mein altes Leben wieder aufnehmen möchte. Der andere Teil wird von Minute zu Minute neugieriger. Lev scheint sich seit gestern in einer gewissen Weise gewandelt zu haben. Er will , dass ich bleibe. Diesen Eindruck hat er zuvor nicht gemacht.
»Das werde ich dir nicht beantworten.«
Das war so klar. Von daher überrascht mich seine Aussage auch gar nicht. Stattdessen nicke ich nur und schlage für einen Moment die Augen nieder. »Gibt es also für mich keine Möglichkeit, dich davon zu überzeugen, mich gehen zu lassen?«, frage ich leise und mustere sein Gesicht – so wie er es andauernd bei mir tut, um genau meine Mimik zu studieren. Nur ist Levs Miene wie immer regelrecht eingefroren. Er scheint diese Fähigkeit perfektioniert zu haben. Niemals vor anderen seine Gefühle zeigen. Das ist ihm wohl sehr wichtig.
»Nein, gibt es nicht«, raunt er ebenso leise und beugt sich sogar zu mir hinunter, damit nur ich diese Worte vernehme.
»Was hat deine Meinung geändert?«
»Ich habe sie nicht geändert. Ich habe nur entschieden, dass ich noch nicht mit dir fertig bin.«
»Du lügst. Du hast mich vertrieben.«
»Ja, weil Asher es so von mir eingefordert hat. Aber ich habe mein Ziel erreicht und die Spielregeln jetzt geändert, da ich finde, dass dir irgendwer dringend Benehmen beibringen sollte.«
»So?« Ich stemme meine Hände in die Seiten. »Ich hatte also recht damit, dass Asher dich dazu aufgefordert hat, mir den Kopf zu waschen?«
»Ja.«
»Und weiß Asher, dass du Erfolg hattest?«
»Ja.«
»Weiß er denn auch, dass du mich zwingst hierzubleiben?«
»Ja.«
»Und was hat er dazu gesagt?«
»Ich habe ihn nicht zu Wort kommen lassen. Er wird es nicht gut finden, weil ich ihm eine seiner Angestellten wegnehme.«
Prompt gebe ich ein geringschätziges Schnauben von mir. »Er hat mich für drei Wochen hierhergeschickt und sagte zu mir, dass es sein könnte, dass ich länger bleibe. Er hat von einem Mädchen erzählt, dass sogar zwei Jahre bei dir war.«
»Oh ja.« Lev gibt ein amüsiertes Schnauben von sich, während sein Blick kurz abschweift und er sich an eben dieses Mädchen zu erinnern scheint. »Das war vielleicht was.«
Eine heiße Welle von widersprüchlichen Gefühlen schlägt über mir zusammen. Nicht, dass das etwas Neues für mich ist, doch erst nach ein paar sich überschlagenden Gedankengängen wird mir klar, dass es ... Eifersucht ist, die an mir nagt: »Schön für sie. Und schön für dich. Das hat allerdings nichts mit deiner Behauptung zu tun, dass es Asher nicht in den Kram passen wird, wenn ich länger hierbleibe.«
Unsere Blicke verkeilen sich wieder ineinander. »Er ist nie davon ausgegangen, dass du mehr als ein paar Tage bleibst. Ich sollte dir lediglich zu verstehen geben, dass du nicht in diese Welt passt, die du dir so bunt ausgemalt hast.«
»Ich habe sie mir nicht bunt ausgemalt.«
»Ach nein? Wie dann?«
»Das weiß ich ja selbst nicht. Deswegen bin ich doch hier – dachte ich zumindest.« Endlich zeige ich auf seinen nach wie vor hinter seinem Rücken verschränkten Arm. »Was hast du da?«
Er neigt den Kopf zur Seite. »Weißt du eigentlich, was durchaus erstaunlich ist, July?«
»Nein. Und ich hasse es, wenn man mir eine Frage mit einer Gegenfrage beantwortet.« Ich zeige noch immer auf seinen Arm.
»Wenn du ein gewöhnliches Mädchen wärst, würdest du dir in meiner Gegenwart vor Angst in die Hose machen. Tust du aber nicht. Du scheinst vollkommen vergessen zu haben, was ich dir gestern angetan habe. Du verdeckst nicht einmal die Blutergüsse an deinem Hals. Die Frage ist, ob du das alles verdrängt hast oder ob du diese Male sogar mit Stolz trägst.«
»Ich habe absolut gar nichts vergessen, Lev. Und du kannst dir sicher sein, dass ich mich eines Tages dafür rächen werde, was du mir angetan hast. Vielleicht nicht in diesem Leben. Aber irgendwann werde ich es tun.«
»Und bis dahin trägst du deine Male mit Stolz?« Sein Mundwinkel zuckt, als würden ihn meine Rachegelüste tatsächlich amüsieren.
»Nein. Bis dahin soll bloß jeder erkennen können, was du für ein Arschloch bist.«
»Interessant. Das kümmert hier nur niemanden.«
»Scheint mir auch so.« Wieder zeige ich auf seinen angewinkelten Arm. »Was hast du da?«
Endlich folgt Lev meinem Blick. »Steigst du freiwillig ins Auto?«
»Nicht, solange du meine Fragen mit Gegenfragen aushebelst.«
Erneut lässt er seinen Mundwinkel zucken. »Ich zeige dir, was ich in meiner Hand habe, wenn du mir meine Frage beantwortest.«
Einen Wimpernschlag lang überlege ich tatsächlich, ob ich Levs Wunsch nachgeben soll. Aber bevor ich zu einem richtigen Schluss gekommen bin, schüttele ich den Kopf. Dazu bin ich einfach zu stur. »Nein.«
Blitzschnell schießt Levs Hand nach vorn und legt sich um meine Kehle. Doch es sind nicht seine Finger, die sich um meinen Hals schließen, sondern etwas anderes. Etwas, das einen angenehmen Duft nach Leder ausströmt. »Das hier, July«, brummt Lev, während er mit den Ellbogen meine Hände herunterzwingt, die das Lederding betasten wollen, und mit beiden Händen in meinem Nacken herumfuhrwerkt, »ist ein Collar . Den wirst du ab sofort tragen. Und wenn du nicht gleich ins Auto steigst, hole ich die passende Leine dazu heraus und werde dich zwingen. Klar soweit?«
Perplex lasse ich die Hände sinken und versuche, seine Miene zu analysieren, die wie fast immer zu Eis erstarrt ist. »Du willst mich also tatsächlich unterweisen?«
»Was ich will , steht auf einem ganz anderen Blatt beschrieben. Ich werde dich unterweisen. Auf meine Weise. Mit meinen Regeln – die keine sind. Bis du mich nicht mehr zur Weißglut treibst.«
Bevor ich etwas Weiteres tun oder sagen kann, hakt er einen seiner Finger in den Ring an dem Collar, der wohl für die Leine, von der er gerade gesprochen hat, vorgesehen ist, und zieht mich zurück zum Auto. »Lev, das ist ...!« Irgendwie peinlich. Unnötig. »Ich steige ja schon ein.« Beschämt lasse ich mein Augenmerk über die Passanten huschen, deren Blicke hektisch wegzucken, sobald sie bemerken, was Lev da gerade mit mir treibt.
Okay. Die Sache mit der Seifenblase stimmt schon einmal nicht. Wir werden bemerkt. Nur scheint sich niemand dafür zuständig zu fühlen, der Situation auf den Grund zu gehen und vielleicht sogar einzuschreiten.
Wozu auch? Ich bin mir selbst gerade nicht sicher, ob ich möchte, dass irgendwer den Superman markiert, um mich aus Levs Fängen zu retten. Ich habe nicht einmal daran gedacht , nach Hilfe zu rufen. Im Gegenteil. Wenn ich ehrlich bin, muss ich mir dummerweise eingestehen, dass ich im Grunde die ganze Zeit darauf gewartet habe, dass Lev mich dazu bringt, mit ihm mitzukommen. Ich habe es provoziert. Ich bin mir sogar fast sicher, dass Lev mich lassen würde, wenn ich wirklich nach Hause wollte.
Es ist ein Spiel. Und Lev spielt es besser als ich. Er scheint zu wissen, wie weit er gehen kann.
Unnachgiebig zieht er an dem Collar, sodass ich mit trippelnden Schritten vor der Beifahrerseite zum Stehen komme. Er platziert eine Hand an meiner Flanke und drückt mich ins Wageninnere. Kaum habe ich meine Füße und meine Handtasche hinterhergezogen, knallt auch schon die Tür zu. Lev packt meinen Koffer, trägt ihn zum Heck des Autos, als würde er nur ein paar Gramm wiegen und keine zwanzig Kilo, öffnet den Kofferraum, wirft ihn mit einem derartigen Schwung hinein, dass das gesamte Fahrzeug darunter schaukelt, und schmettert die Heckklappe zu. Er umrundet den Wagen, zieht dabei den Kopf ein, während ihn nun die ersten Regentropfen treffen, da das Auto nicht gänzlich unter dem Vordach steht und der Regen beinahe waagerecht vom Himmel zu kommen scheint. In Windeseile steigt er auf der Fahrerseite ein und knallt die Tür ebenfalls zu. Er startet den Motor, legt die Stirn in Falten und guckt zu mir. »Was?«
Unter seinem schneidenden Tonfall fahre ich zusammen, kann mich aber sogleich wieder fangen und zucke mit den Schultern. »Ich ärgere mich nur gerade, dass ich das Auto nicht von innen verriegelt habe, als ich die Gelegenheit dazu hatte.«
»Du weißt doch gar nicht, wie das geht.« Mit einem geringschätzigen Schnauben wendet er sich von mir ab und setzt, ohne Schulterblick und ohne den Blinker zu betätigen, den Wagen auf die Fahrbahn. Prompt ertönt ein lautes Hupkonzert und Lev hebt wie auf Kommando die rechte Hand, um dem Fahrer hinter uns den Mittelfinger zu zeigen.
»Sei nicht so ein Arschloch«, tadele ich ihn und erschrecke mich im selben Moment über meine Aussage. Ich verhalte mich wie ... seine Ehefrau – oder zumindest wie eine Person, die ihn schon länger kennt und mit ihm vertraut genug ist, um sich solche Worte vor ihm herausnehmen zu dürfen.
Die Scheibenwischer wirbeln über die Windschutzscheibe und trotzdem prasselt der Regen so stark auf uns nieder, dass man keine fünfzig Meter weit gucken kann. Dennoch scheint es Lev nicht davon abzuhalten, in einem halsbrecherischen Tempo über den Asphalt zu jagen, dabei überrascht zu mir zu schauen und aufzulachen. »Bitte was?«
»Du hast dem Typen die Vorfahrt genommen und zeigst ihm auch noch den Mittelfinger? Wie würdest du reagieren, wenn sich das jemand bei dir trauen würde?«
Lev zuckt mit den Achseln und schüttelt gleichzeitig den Kopf. »Ist mir doch scheißegal. Außerdem ist die Heckscheibe abgedunkelt. Der hat gar nicht gesehen, dass ich ... dass ich keinen blassen Schimmer habe, wieso ich meine, mich vor dir rechtfertigen zu müssen.«
»Ach so.« Ich zucke ebenfalls mit den Schultern und werfe schließlich einen Blick aus dem Fenster, damit Lev nicht erkennen kann, dass ich ein paar Probleme habe, ein Schmunzeln zu unterdrücken. »Konzentriere du dich mal lieber auf die Fahrbahn vor dir und nicht auf mich. Die Scheibenwischer heben ja gleich ab, wenn das so weitergeht.«
»Fängst du jetzt etwa an, auch noch meine Fahrkünste infrage zu stellen?«
»Wie kommst du darauf?« Nach wie vor schaue ich aus dem Fenster, beobachte die dunkelgrauen Regenwolken, die sich bis zum Horizont erstrecken und frage mich, wann ich wohl das nächste Mal die Sonne zu sehen bekomme.
»Weil du es für notwendig zu halten scheinst, mich darauf hinzuweisen, dass ich mich auf die Fahrbahn konzentrieren soll.«
»Gott, was bist du empfindlich!« Ich drehe mich ihm zu und betrachte sein Profil. »Wenn du vorhast, mit mir zu streiten, musst du es nur sagen.«
»Das Gleiche kann ich dir zum Vorwurf machen.« Wieder schaut er einen Atemzug lang zu mir.
»Ich will nicht streiten. Schon allein, weil ich keinen Bock darauf habe, mich noch einmal von dir zu einem Blowjob gezwungen zu sehen oder verprügelt zu werden.«
Lev stößt ein ungläubiges Schnauben aus. »Ich habe dich nicht verprügelt.«
»Nein, aber du warst kurz davor.«
»Ich bin jetzt kurz davor. Glaub mir.«
»Nur zu gerne glaube ich dir das und deshalb will ich nicht mit dir streiten.«
»Und was willst du dann? Du hast nämlich einen ziemlich trotzigen Unterton an dir.«
»Ich möchte einfach nur wissen, was dich umgestimmt hat.«
Wieder sieht er zu mir und zieht dabei eine Augenbraue hoch. »Inwiefern?«
»Du hast mich weggeschickt und hast gesagt, dass du es getan hast, weil Asher das von dir verlangt hat. Doch du hast dich spontan umentschieden – als es fast zu spät war. Warum?«
Ich kann genau erkennen, wie Lev die Zähne fest aufeinanderbeißt und beobachte, wie er seinen Kiefermuskel pulsieren lässt. »Ich will dich ficken.«
Wenn ich in diesem Moment etwas zu trinken im Mund gehabt hätte, wäre das nun die perfekte klischeebehaftete Gelegenheit gewesen, um die Flüssigkeit mit einem impulsiven Prusten im gesamten Fahrzeuginnenraum zu verteilen. Zu Levs außerordentlichem Glück habe ich allerdings vor Stunden das letzte Mal etwas zu mir genommen und sowieso weiß ich nicht, weshalb ich gerade darauf komme.
Ich weiß nur, dass seine Worte eine niedere Ebene von mir ansprechen, die mit heftiger Begierde reagiert. Sogar mein Unterleib zieht sich wollüstig zusammen und langsam fange ich wirklich an, an meinem Verstand zu zweifeln. Lev sagt diese vier Worte und klingt dabei wie ein Urzeitmensch. Und ich – besser gesagt, ein Teil von mir – fahre darauf total ab.
Was soll’s. Ich bin ohnehin nicht mehr ganz richtig im Kopf. Ich war auf dem besten Weg, mein Leben wieder in geregelte Bahnen zu bringen. Ich war zwar nicht drauf und dran, meinen Job als Escort an den Nagel zu hängen, aber ich war drauf und dran, mich wieder vermehrt um mein Studium zu bemühen.
Und was mache ich? Ich habe mir von Lev ein dämliches Hundehalsband umschnallen lassen und nicht ansatzweise mit dem Gedanken gespielt, es wieder abzunehmen. Der Typ braucht mir nur hinterherzufahren, zweimal July zu brummen, und schon sitze ich bei ihm im Auto und lasse mich zurück in seine Pornovilla kutschieren. Und jetzt werde ich auch noch scharf, weil er erwähnt hat, dass er mich ficken will.
»Okay.« Ich schätze, ich sollte es einfach hinter mich bringen.
Gespannt beobachte ich seine Reaktion – und tatsächlich zuckt sein Mundwinkel. »Jetzt?«
»Im Auto?« Mein Herz macht zwar einen Satz, aber ich schaffe es, ruhig zu bleiben. Es gibt keinen Grund, nervös zu werden. Er will mich nur aus der Reserve locken.
Lev macht keine Anstalten, rechts heranzufahren, das Tempo zu drosseln oder irgendetwas in die Richtung zu unternehmen, dass er es wirklich ernst meint. »Im Auto, auf dem Auto, neben dem Auto ... ist mir scheißegal. Das bisschen Regen macht mir nichts aus.«
»Na klar. So schnell, wie du eben am Flughafen um den Wagen gerannt bist, macht dir das bisschen Regen wohl etwas aus.«
»Ich bin nicht gerannt. « Sofort tritt er auf die Bremse und lenkt das Auto von der Fahrbahn. Neben der Straße befindet sich nur ein schmaler Streifen Steinschotter, der mit einzelnen vergilbten Grashalmen bestückt ist. Daneben folgt direkt die ebenso mit Schutt bedeckte Einöde – was Lev allerdings nicht zu stören scheint. Er parkt den Wagen ein paar Meter von der Straße entfernt, mitten auf der Steppe, lässt den Motor ausgehen und sieht mich an. »Und ich beweise dir sehr gerne, wie wenig mir dieser Regen etwas ausmacht. Wo willst du es? Auf der Motorhaube?«
Oh Gott. Er zwingt mich, mitzuspielen. Und es gefällt mir. »Du denkst, ich mache einen Rückzieher, oder? Du erwartest von mir, dass ich dir das Gesicht zerkratzen will und dich beschimpfe, weil ich vollkommen gestört sein muss, wenn ich mich nach dem, was du mir angetan hast, bedenkenlos von dir ficken lasse.«
Erneut zuckt sein Mundwinkel. »Keine Ahnung. Ist mir egal, was in deinem Kopf vorgeht. Mich interessiert nur, wie weit du bereit bist, zu gehen.«
In dieser Minute fährt ein laut hupender Truck an uns vorbei. Was der Fahrer wohl von uns denkt? Wahrscheinlich genau das, was Lev gerade mit mir vorhat.
Ich zeige mit dem Finger auf die roten Rückleuchten, die bereits hinter der Regenwand verschwinden. »Weil uns jemand sehen könnte? Das stört mich nicht.«
»Na dann.« Lev schnallt sich ab und öffnet seine Tür. Das leise Rauschen des Regens schwillt zu einem lauten Tosen an und die ersten Tropfen prasseln auf seine Designerhose. Bevor er aussteigt, grinst er mir noch einmal dreckig zu. »Beweis es mir.«
»Du vergisst, dass ich eine Hure bin!«, fauche ich ihm hinterher und schnalle mich ebenfalls ab. Das kann ich wirklich nicht auf mir sitzen lassen. »Und ich habe mein Leben lang in Valentine gewohnt. Ich bin diejenige, der das bisschen Regen nichts ausmacht.« Außerdem bin ich echt gespannt. Ich bin gespannt, was Lev tun wird, ich bin gespannt, wozu er mich bringen wird und vor allem bin ich gespannt, wie er küsst und wie er fickt. Wie er mich küsst und wie er mich fickt.
Bevor ich die Tür öffne, ziehe ich mir den Sweater über den Kopf und werfe ihn nach hinten auf die Rücksitzbank. Dann habe ich gleich wenigstens etwas Trockenes zum Überziehen. Darunter trage ich ohnehin noch ein weißes Top und meinen BH.
Gerade bin ich dabei, meine Schuhe abzustreifen, um auch meine Jogginghose auszuziehen, da öffnet sich die Beifahrertür und Lev lehnt sich zu mir hinein. Sein Haar hängt ihm jetzt schon in nassen Strähnen in die Stirn und tropft auf meinen nackten Unterarm. In der Ferne ist ein gedämpftes Donnergrollen zu vernehmen. »Was treibst du da?«
»Ich ziehe mich aus. Siehst du doch.«
»Habe ich mit irgendeinem Wort gesagt, dass du das tun darfst? Das werde ich übernehmen.«
Ungläubig starre ich ihn an und lasse mir sogar ein genervtes Augenrollen durchgehen. »Soll ich meinen Sweater wieder anziehen? Damit du warten kannst, bis er klatschnass ist?«
»Ja, bitte.« Erneut dieses maliziöse Grinsen, zu dem seine Augen mindestens genauso teuflisch funkeln.
»Das ist jetzt nicht dein Ernst.«
»Selbstverständlich.«
Kopfschüttelnd neige ich mich nach hinten zur Rücksitzbank, aber in diesem Moment, packt er meinen Arm und zieht mich mit einem Ruck aus dem Auto.
Ein Schwall kühler Wassertropfen trifft mich im Gesicht und ich blinzele sie irritiert weg. Doch bereits im selben Moment werde ich von einer Hand an meinem Brustbein gegen die Seite des Autos gedrückt und die Tür fällt neben mir mit einem lauten Klappen ins Schloss.
Kleine Steinchen bohren sich schmerzhaft in meine Fußsohlen. Sofort tauchen vor meinem geistigen Auge Glasscherben und sonstige Dinge auf, die in der Regel am Straßenrand zu finden sind, aber ich versuche, sie mit einem leichten Kopfschütteln zu verdrängen, weil es definitiv die Stimmung vermiesen könnte, Lev darum zu bitten, mich meine Schuhe anziehen zu lassen. Was sich übrigens auch gar nicht als besonders schwierig erweist, denn als ich in diesem Moment aufsehe, wird mir erst bewusst, dass Lev nur wenige Zentimeter vor mir steht und sich zu mir hinunterbeugt.
»Angst?«, brummt er und ein zufriedenes Lächeln breitet sich in seinem Gesicht aus.
»Wovor denn?« Scheinbar verwundert ziehe ich die Stirn kraus, muss aber, wie um Levs Theorie zu bestätigen, schwer schlucken.
»Möglicherweise davor, mich zu ficken.«
»Warum? Hast du deinen Schwanz mit Stacheldraht umwickelt oder weshalb sollte ich plötzlich Angst vor ihm haben?«
Lev ist inzwischen vollkommen durchnässt und das Wasser rinnt ihm nur so übers Gesicht. Sein Haar klebt ihm in der Stirn – und dennoch hat er nie attraktiver auf mich gewirkt. »Nein. Aber es sollte dir zu denken geben, dass ich so nett zu dir bin. Normalerweise verheißt das nämlich nichts Gutes.«
Seinen Worten entsprechend lehne ich mich fest an das Auto und presse sogar meine Handflächen gegen den kühlen Lack, anscheinend in der Hoffnung, dass das Fahrzeug mir notfalls Rückhalt gibt, falls Lev wieder ätzend wird. »Ich finde dich eigentlich nicht besonders nett. Die ganze Zeit schon nicht.«
Levs Hand ruht noch immer an meinem Brustbein und er scheint sie auch nicht von dort wegnehmen zu wollen. »Okay, July. Merk dir eines: Netter werde ich nicht. Du genießt den großen Vorteil, dass ich mich nicht vor dir verstelle. Dafür wirst du allerdings jede meiner Launen zu spüren bekommen, die sehr facettenreich sind, und vor allem können sie innerhalb von Sekundenbruchteilen umschlagen.«
»Schon einmal darüber nachgedacht, eine Therapie zu machen? Medikamente zu nehmen?«
Der Regen rauscht auf uns hernieder und ich schätze, dass ich selbst inzwischen wie ein begossener Pudel aussehe; obwohl ich gar nicht so viel abbekomme, weil Lev sich nach wie vor bedrohlich über mich beugt und mich dadurch gewissermaßen vor den Fluten abschirmt. Möglicherweise bilde ich mir das auch nur ein. Der Regen ist zwar kühl, aber nicht so schlimm, dass man jeden einzelnen Tropfen auf der Haut wie winzige Messerstiche zu spüren bekommt. Er ist wahrhaftig wie ein Sommerregen.
In der Ferne ertönt ein erneutes Donnergrollen. Okay. Ein russisches Sommergewitter.
»Ich bin nicht therapierbar.« Er beugt sich noch weiter zu mir hinunter, sodass sein Mund sanft den meinen berührt. Seine hellblauen Augen scannen erneut mein Gesicht ab, während die Hitze in meine Wangen steigt und mein Herz sich zu überschlagen droht.
»Ist das die Aussage eines Psychiaters oder hast du das so entschieden?« Meine Stimme ist nur noch ein kratziges Flüstern und ich widerstehe dem Drang, mich zu räuspern.
»Ein ganz falscher Zeitpunkt, darüber zu sprechen, meinst du nicht auch?« Wieder versieht er mich mit seinem dreckigen Grinsen und mir wird klar, dass er es ernst meint: Sein Lächeln verheißt nichts Gutes. Im Gegenteil. Seine Freundlichkeit mir gegenüber ist wie die Ruhe vor dem Sturm.
»Du wiegst mich in Sicherheit«, hauche ich ihm auf den Mund, als er sich erneut zu mir hinunterbeugt, um mich behutsam zu küssen. »Du willst, dass ich Vertrauen zu dir fasse, damit ich in deine Falle tappe.«
»Richtig.« Seine Lippen berühren die meinen nun schon etwas fester und fordernder. Er öffnet sie leicht und lässt mich für einen Moment seine Zungenspitze spüren. »Du bist freiwillig hier, July. Vergiss das nicht. Ich habe dich zu nichts gezwungen. Du weißt inzwischen, wozu ich fähig bin und ich werde nicht zögern, dich noch einmal exakt so zu malträtieren, wie ich es gestern getan habe. Aktuell bin ich nur nett zu dir, weil du Angst hast und weil ich dir beweisen möchte, dass ich es sein kann, sofern ich Lust dazu habe. Beispielsweise, sobald ich etwas von dir will, das ich nur bekomme, wenn ich dich verführe.«
Ich bin wie betäubt. Mein Körper erwidert seinen Kuss und mein Herz klopft dazu in einem begeisterten Rhythmus. Ich will ihn immer mehr. Mein Verstand, der bis jetzt das einzige Bollwerk war, das es gewagt hat, gegen Lev aufzubegehren und mich vor ihm zu warnen, zieht sich Schritt für Schritt zurück. Meine Instinkte übernehmen die Kontrolle und die wollen ganz klar mit offenen Augen in Levs Falle tappen.
»Und jetzt«, brummt er, schiebt seine Hände unter meinen Hosenbund und bohrt alle zehn Finger in mein Sitzfleisch, »will ich dich, verdammt noch mal, ficken. Genau hier, genau jetzt.«
Mit einem leisen Keuchen lege ich den Kopf in den Nacken und lasse mich von ihm küssen. Er presst seine Lippen fest auf meine und lässt seine Zunge fordernd meinen Mund erkunden. Ich hebe sogar die Arme und schlinge sie ihm um den Hals, ziehe ihn noch näher zu mir heran.
Ich will ihn. Es ist mir egal, dass er mich wie eine Gefangene in seine Scheißvilla sperren wird. Es ist mir egal, dass er mich auf kurz oder lang wieder schlecht behandeln wird. Er küsst mich genau so, wie ich es mir die ganze Zeit ausgemalt habe.
Er hat es mir eben gesagt, er macht mir nichts vor. Und die Tatsache, dass er mich wirklich will , ist für mich gerade das Einzige, was zählt.
Lev hat mich zurückgeholt. Er will mich so sehr, dass er es nicht abwarten kann, bis wir die Villa erreicht haben. Wir stehen im strömenden Regen und er küsst mich so gierig, wie mich noch nie ein Mann geküsst hat.
Er nennt mich July. Nicht, weil das ein weiteres Pseudonym für eine Hure ist. Er nennt mich so, weil er mich besitzen will. Weil ich in seiner Gegenwart nicht mehr Tamara bin, sondern sein Eigentum.
Alles, was zwischen uns passiert, ist eine Sache zwischen uns beiden. Ich kann und darf mich ihm völlig hingeben, ohne darüber nachzudenken, wer ich bin, wo ich herkomme und ob es mir wohl zu denken geben sollte, dass ich mir all das von ihm gefallen lasse.
Es ist einfach so. Niemand fragt mich nach dem Warum und niemand wird es wagen, mir irgendetwas zum Vorwurf zu machen. Wenn ich Lust dazu habe, mich von Lev am Straßenrand ficken zu lassen, dann sollte ich das tun. Niemand hält mich davon ab.
Lev löst sich von mir und mustert wieder mein Gesicht, während ich meine Hände langsam sinken lasse. »Du fängst an, es zu verstehen, oder?« Seine Hände lösen sich von meiner Haut und beginnen nun, Stück für Stück meine Hose hinunterzuschieben.
»Möglich.« Ich kann nicht anders, als zu schmunzeln. »Ich werde es dir aber nicht leicht machen, Lev.«
Er gibt ein theatralisches Seufzen von sich, bevor er die Hose mit einem Ruck nach unten drückt, sodass sie mir auf die Füße fällt. »Das habe ich schon befürchtet.«
Wieder küsst er mich und zögert nichts mehr hinaus. Seine Finger wandern unter meinen Slip und ziehen ihn ebenfalls hinunter, so weit, bis er auf meiner Jogginghose landet, die sich gerade im Regenmatsch suhlt.
»Wo willst du es, July?«, haucht er zwischen zwei Küssen und ist allein durch seine eigene Begierde schon vollkommen außer Atem. »Hier oder auf der Motorhaube?« Seine Finger fliegen hektisch über seine Gürtelschnalle.
»Hier. Jetzt.« Spontan versuche ich, ihm beim Gürtelöffnen zu helfen, doch er schlägt mir auf den Handrücken. »Aua!«
Lev fixiert mich mit seinem grimmigen Blick und wir halten beide in der Bewegung inne. »Zeige niemals Eigeninitiative, July.«
»Warum nicht?« Perplex lasse ich die Hände sinken, halte seinen funkelnden Augen allerdings stand.
»Weil ich das nicht leiden kann.« Es gibt ein leises, surrendes Geräusch und auf einmal hat Lev seinen Gürtel in der Hand. »Und weil ich dann den Drang verspüre, dich zu fesseln.« Mit fünf Fingern umfasst er meine Handgelenke und umschlingt sie mit seinem Gürtel, den er viel zu fest anzieht.
»Autsch, Lev! Mann! Das wusste ich doch nicht! Wieso bestrafst du mich für etwas, wofür ich nichts kann?«
Ein weiteres teuflisches Schmunzeln verdunkelt sein Gesicht, während er meine Arme anhebt und sie sich über seine Schultern legt, sodass meine gefesselten Handgelenke nun in seinem Nacken platziert sind. »Das ist keine Bestrafung. Nur eine Vorsichtsmaßnahme, falls du dich gleich nicht mehr unter Kontrolle hast.«
»Aber warum denn so fest? Du klemmst mir die Blutzufuhr ab. Meine Finger kribbeln jetzt schon.« Empört schürze ich die Lippen und weiche ihm aus, als er versucht, mich zu küssen.
»July.« Wieder dieser tadelnde Unterton. »Treib es nicht auf die Spitze. Ich habe gesagt, dass ich dich ficken will, ich kann meine Meinung aber auch ganz schnell ändern und dich auf die Knie zwingen – oder deinen Arsch ficken. Willst du das?«
Diesmal lasse ich es zu, dass er mich küsst, gebe jedoch ein mies gelauntes Murren von mir. »Ich war darauf nicht vorbereitet.«
»Worauf? Dass ich dich fessele, nachdem du etwas getan hast, was ich nicht leiden kann?«
»Nein, dass du so grob bist.«
»Gewöhn dich dran.« Ich höre das Ratschen seines Reißverschlusses und im nächsten Moment drückt er mich mit vollem Körpereinsatz gegen den Wagen. »Gewöhn dich an mich«, flüstert er gegen den rauschenden Regen an, doch ich verstehe jedes Wort. »So schnell wirst du mich nämlich nicht mehr los.«
»Wirklich?«, frage ich im gleichen Augenblick, in dem sein Mund wieder auf meinen trifft. Ich schmecke Regenwasser auf meinen Lippen, aber auch Lev selbst. Es gefällt mir. Ich habe mir noch nie zuvor Gedanken über den Geschmack eines Kusses gemacht, doch jetzt bei Lev kann ich an nichts anderes denken, als daran, dass er süchtig macht. Sein Kuss ist verheißungsvoll und der reine Inbegriff von bittersüß. Bedrohlich und gleichzeitig verlockend.
»So hoffnungsvoll?« Seine Stimme klingt inzwischen einige Nuancen tiefer, während seine Hände meine Seiten hinunterwandern und seine Küsse sich auf meinem Dekolleté verlieren.
»Nein, gar nicht. Ich wusste nur nicht, dass du so anhänglich ... autsch! « In diesem Moment verpasst Lev mir einen harten Schlag auf den Oberschenkel. Mit vorwurfsvoller Miene richtet er sich auf, drückt seine Hände in mein Sitzfleisch und hebt mich an.
Ich weiß, dass ich perplex die Augen aufreiße, aber bereits bei meinem nächsten Atemzug übernehmen meine Instinkte die Kontrolle und ich schlinge die Beine um seinen Unterleib. Lev zieht mich noch fester an sich, sodass ich seine Erektion an eben der Stelle zu spüren bekomme, wo ich sie schon die ganze Zeit haben will ... und dann presst er mich mit Wucht gegen den kühlen Lack des Autos.
»Hast du noch irgendeinen provozierenden Spruch auf Lager?«, knurrt er in mein Ohr, doch bevor ich darauf reagieren kann, dringt er mit einer festen Bewegung seiner Hüften in mich ein.
Entgeistert schnappe ich nach Luft, denn obwohl ich ihn wirklich in mir spüren will, bin ich noch nicht scharf genug, um ihn ohne Probleme in mich aufzunehmen. »Fuck! Ah!«
Lev gibt ein tiefes Stöhnen von sich und schiebt sich gnadenlos in mich. »Noch nicht bereit für mich, was?« Sein Mund landet an meiner Halsbeuge, direkt unterhalb des Collars, aber anstatt mich zu küssen, beißt er fest zu.
»Verdammt, Lev!«
»Was?«, fragt er scheinheilig und zieht sich aus mir zurück, nur um mich ein weiteres Mal unerbittlich aufzuspießen.
»Du tust mir weh!«
»Und das mit voller Absicht.« Hemmungslos versenkt er sich in mir und ich keuche unter der Belastung auf.
»Lev, bitte.« So habe ich mir das nicht vorgestellt. Na ja. Irgendwie doch. Und es ist ja nicht so, dass es mich nicht anmacht. Ich spüre jeden Zentimeter seines Schwanzes in mir. Er füllt mich vollkommen aus und im Grunde habe ich auch nicht erwartet, dass er sich erst einmal hinreichend um mich kümmert, bevor er mich seine geballte Gier spüren lässt.
Erneut gibt er ein dunkles Stöhnen von sich, das dieses Mal irgendetwas mit mir anstellt: Dieses Stöhnen scheint meinen Leib zum Vibrieren zu bringen, so sehr, dass sich die feinen Härchen auf meiner Haut aufstellen und sich ein Erschauern der besonderen Art über meinen Rücken ausbreitet.
In eben diesem Moment presst Lev seinen Mund auf meinen und küsst mich genauso herrisch, wie er sich in mir versenkt.
Dieser Kuss ist es, der mich wieder Vertrauen zu Lev fassen lässt. Natürlich tut er mir weh. Das tut er schon die ganze Zeit und er wird auch nicht damit aufhören, solange er sich sicher ist, dass ich es mir von ihm gefallen lasse.
Meine Lider beginnen zu flattern und als Lev mich ein weiteres Mal vollkommen ausfüllt, pariere ich seinen Stoß, nehme ihn sehnsüchtig in mir auf und genieße den Dehnungsschmerz, den es mit sich bringt.
Levs Hände an meinem Hintern fixieren mich an Ort und Stelle, seine Finger bohren sich wieder schmerzhaft in mein Fleisch, was ich mit einem leisen Aufschrei quittiere, der sofort von Levs Mund gedämpft wird.
Seine Küsse wandern über den Collar zu meiner Halsbeuge, er beißt mich erneut, sodass sein Speichel auf meiner Haut zu brennen beginnt, doch es stört mich nicht mehr. Ich konzentriere mich nur noch auf seine tiefen, unnachgiebigen Stöße; rastlos versenkt er sich in mir und stöhnt mir dabei ins Ohr, als wüsste er genau, wie sehr es mir gefällt, ihn meinetwegen so außer Kontrolle zu wissen.
Seine Bewegungen werden immer unbeherrschter und heftiger, sein Atem immer abgehackter. Und ich lasse mich auf dieser Welle davontragen. Ich erreiche den Punkt, an dem ich nicht mehr nachdenke, sondern mich nur noch wie eine Frau fühle, die diesem einen Mann zur Verfügung steht und sich alles von ihm gefallen lässt, weil er es braucht und weil er diese Frau besser kennt als sie sich selbst.
Ich weiß, dass ich nur dafür da bin, um mich ihm hinzugeben, und dennoch habe ich mich nie so geborgen gefühlt wie in diesem Augenblick, in dem ich vollkommen Levs Gnade ausgeliefert bin. Wir stehen auf offenem Feld, unter strömendem Regen und nur das Auto schützt uns vor neugierigen Blicken. Doch ich weiß, dass ich nicht allein bin. Solange ich in Levs Obhut bin, wird er mich beschützen, wenn er es für nötig hält.
Und das ist der Moment, an dem ich mich endlich fallen lasse. Ich lasse die heißen Wellen von meinem Unterleib durch meinen gesamten Körper fließen, gebe mich Lev hin, gebe mich meiner Lust hin und vernehme wie von weit her, wie Lev auf mich reagiert, mich nochmals laut schnaufend in die Halsbeuge beißt und in mir kommt.
Es dauert nur ein paar Sekunden, bis er mich behutsam auf den Füßen abstellt, sich unter meinen zusammengeschnallten Händen hindurch beugt und mir ein leichtes Schmunzeln schenkt. »Zufrieden?«
Verschämt weiche ich seinem Blick aus, nicke aber.
»Du wirst dich an mich gewöhnen, July. Und ich ficke nicht immer im strömenden Regen. Manchmal sogar im Bett.« Er löst den Gürtel von meinen Handgelenken und betrachtet eingehend die Striemen, die sich an den Stellen gebildet haben.
Ich lächele zögerlich. »Ein Bett wäre jetzt echt nicht schlecht.«
»Sehe ich auch so. Du bist definitiv viel zu früh aufgestanden.«
»Hey, das ist mein dritter Tag hier in Russland. Du musst mir wenigstens einen kleinen Jetlag zugestehen.« Beiläufig beobachte ich, wie er sich den Gürtel wieder in die Hose zieht.
»Ich gestehe dir gar nichts zu, wenn ich keine Lust dazu habe. Das solltest du inzwischen kapiert haben.« Er wirft einen zweifelnden Blick gen Himmel und wendet sich schließlich von mir ab, um den Wagen zu umrunden.
Das eigenartige Gefühl macht sich in mir breit, dass er mich einfach hier in der Steppe stehen lassen würde, wenn ich mich nicht beeile. Von daher sehe ich zu, meinen Slip und die Hose aufzusammeln, die beide voller Matsch und vollkommen durchnässt sind.
»Lass dein Zeug da liegen«, höre ich Levs Stimme von der anderen Seite des Autos.
»Was? Nein!« Ich öffne die Beifahrertür und beuge mich in den Wagen hinein, um Lev ein irritiertes Stirnrunzeln zukommen zu lassen, der sich, so klatschnass wie er ist, bereits auf dem Fahrersitz niederlässt.
»Ich will den Scheiß nicht im Auto haben. Lass es da liegen.«
Das kann doch echt nicht sein Ernst sein! »Hast du keine Plastiktüte ...?«
»Nein, habe ich nicht. Du lässt das jetzt da liegen, July.«
Okay. Ich werde mich also mit nacktem Unterleib in sein Auto setzen. »Aber ...«
Er greift nach hinten und lässt meinen Sweater auf den Beifahrersitz fallen. »Und du wirst dich auf deinen Pullover setzen. Ich habe keinen Bock darauf, dass du mir den Sitz einsaust.«
»Ich saue also deinen Sitz ein. Klasse. Mit deinem Scheiß.«
»Mein Scheiß? Du meinst, mit meinem Sperma.«
»Ja.«
»Das macht mich zwar irgendwie an, aber aus eben dem Grund sollst du dich ja auf den Pullover setzen. Und jetzt sieh zu. Du wirst nicht trockener, je länger du dort im Regen stehst.«
Ich gehorche nicht. Weil mir gerade etwas anderes im Kopf herumschwirrt: Lev und ich haben nicht mit Kondom verhütet. Als sei das vollkommen selbstverständlich. Es ist zwar kein Problem, weil ich die Pille nehme, aber grundsätzlich habe ich noch nie Sex ohne Kondom gehabt. Und bei Lev habe ich es einfach vergessen.
»July!«
Fuck. Was macht der nur mit mir? Ganz klar. Er hat mich zu July gemacht. Und July steht nicht auf Safer Sex. July will, dass Lev in ihr kommt. Dass er sie mit seinem Samen markiert. »Einen Moment.«
In Windeseile ziehe ich meine Socken aus, werfe sie auf den matschigen Haufen, der einmal meine Kleidung gewesen ist und schlüpfe in meine Sneakers.
»Was treibst du da? Ich fahre gleich ohne dich los!«
»Wirst du nicht.« Ich lächele ihn ironisch an. »Du hast mich zurückgeholt. Du wirst mich nicht wortwörtlich im Regen stehen lassen.«
»Ach ja?« Wie zum Beweis gibt er für einen kurzen Moment Gas, sodass ich einen erschrockenen Satz rückwärts mache, doch bereits nach einem halben Meter steigt er in die Bremsen und gibt ein zorniges Lachen von sich. »Entweder sagst du mir jetzt, was du vorhast oder du siehst mich nie wieder.«
Entnervt rolle ich mit den Augen. »Ich möchte mir doch nur was aus meinem Koffer holen.«
»Muss das sein? Ich will aus den nassen Klamotten raus.«
»Sag mal ...!« Energisch zeige ich auf meine nackte Pussy.
Lev folgt meinem Fingerzeig und seine Augen blitzen erheitert auf. »Ja, okay.«
Eilig stapfe ich zum Kofferraum und öffne ihn. Glücklicherweise hat der Regen etwas nachgelassen, sodass ich, nachdem ich mir einen frischen Slip, kurze Shorts und ein neues Top übergezogen habe, sogar noch den Nerv zeige, meinen Zopf zu lösen und mir die Haare halbwegs trocken zu rubbeln. Letztlich ziehe ich eine der Mülltüten aus dem vorderen Fach meines Koffers, die für meine schmutzige Wäsche gedacht waren. Darin verstaue ich das nasse Top und schließlich auch die Matschklamotten.
Mit einem erleichterten Seufzen lasse ich mich auf den Beifahrersitz fallen und fange mir einen vorwurfsvollen Blick von Lev ein, als ich ihm das Handtuch entgegenhalte und in derselben Bewegung die Mülltüte in meinem Fußraum versenke.
»Was soll ich damit? Und was ist das da?« Er zeigt auf die Tüte.
»Ich lasse meine Lieblingsjogginghose nicht in der russischen Pampa vergammeln. Du hast vielleicht kein gutes Verhältnis zu deiner Kleidung, weil du ... keine Ahnung, ob du überhaupt irgendetwas wertzuschätzen weißt, aber ich bin in einer Wohnwagensiedlung aufgewachsen und ich trage meine Klamotten so lange, bis sie auseinanderfallen.«
»Wow. Okay.« Er nimmt tatsächlich das Handtuch entgegen. »Das ist ja ganz nass!«
»Ja?! Weil ich mein Haar damit frottiert habe?! Soll ich es trocken pusten, sodass du dich nicht ekeln musst? Ich habe keine Läuse, falls du das denkst.«
»Wieso sollte ich denken, dass du Läuse hast? Dann hätte ich dich sicher nicht gefickt. Dann ... hätte ich …« Er zieht eine angewiderte Grimasse und lässt sein Augenmerk über mein Haar gleiten. »Keine Ahnung, was ich gemacht hätte.«
»Kann es sein, dass du dich gerade fragst, ob ich Kopfläuse habe? Wenn du mich tatsächlich in den Zwinger gesteckt hättest, mit dem du mir gedroht hast, würde ich diese Überlegung nachvollziehen können, aber so empfinde ich sie wirklich als Beleidigung, Lev!« Meinen Worten zum Trotz beobachte ich irgendwie fasziniert, wie er sich mit dem Handtuch durchs Haar fährt.
»Das hast du jetzt daraus gemacht.« Er drückt mir das Handtuch gegen die Brust und lenkt ohne ein weiteres Wort den Wagen zurück auf die Straße.
In der Ferne sehe ich einen Blitz aufzucken und muss daran denken, dass dieses Sommergewitter genau die Situation zwischen mir und Lev darstellt. Selbst wenn ich nicht direkt von Levs Groll betroffen bin, sondern nur die Ausläufer abbekomme, ist die Luft dennoch wie elektrisch aufgeladen und es besteht jederzeit das Risiko, dass der Wind dreht und das Gewitter sich doch mit voller Macht über mir entlädt. Und sobald ich denke, das Schlimmste sei vorüber, ist es möglich, dass der Wind sich nochmals dreht und das Gewitter von Neuem über mich hinwegzieht.
»Sind die Sommer hier immer so verregnet?«, erkundige ich mich, um ein weniger heikles Gesprächsthema anzuschneiden, und lasse das Handtuch achtlos auf die Tüte mit meinen schmutzigen Sachen fallen. »Heute ist es ja nicht einmal richtig hell geworden, so dunkel türmen sich die Wolken dort hinten auf.«
»Nein. Vergangene Woche war alles bestens. Du hast das schlechte Wetter wohl mitgebracht.«
»Na, vielen Dank.«
Lev wirft mir einen kurzen Blick zu und ein Grinsen huscht über seine Miene. »Wieso bedankst du dich denn jetzt so sarkastisch? Das wäre diesbezüglich doch mein Part, oder?«
»Wie du meinst.« So, das reicht. Ich habe versucht, ein unverfängliches Gespräch über das Wetter mit ihm zu führen, und er hat nichts als Spitzen für mich übrig. Dann schweigen wir uns eben an. Ist auch okay für mich.
Gereizt verschränke ich die Arme vor der Brust und beginne die Regentropfen auf dem Beifahrerfenster zu zählen. Erneut zuckt ein Blitz am Horizont und ich muss mir vorstellen, dass dieser Levs Reaktion auf mein Schmollen repräsentiert. Langsam habe ich den Dreh heraus, wie ich ihn innerhalb von Sekundenbruchteilen zur Weißglut treibe.
Aus irgendeinem Grund kann er es nicht leiden, wenn ich zickig werde. Zwar wird das am Ende auf mich zurückfallen, aber aktuell ist es mir reichlich egal. Natürlich ist er nicht mehr nett zu mir. Er hat gekriegt, was er wollte. Er wollte mich ficken und er hat es getan. Womöglich verliert er sogar endgültig das Interesse an mir.
Ungeachtet dessen fährt er mich nicht zurück zum Flughafen. Irgendetwas scheint er doch mit mir vorzuhaben. Nur was?