Ein wenig missmutig betrat Kluftinger am nächsten Morgen seine Abteilung. Der Besuch bei Langhammers war zwar recht erheiternd ausgegangen, dennoch hatte er schlecht geschlafen und immer wieder über den Fall nachgegrübelt.
Er hängte seinen Janker an die kleine Garderobe, die erst vor Kurzem installiert worden war. Da fiel sein Blick auf die Pantoffeln. Kurzerhand kickte er sie unter das kleine Holzbänkchen. Mit zufriedenem Blick auf seine Haferlschuhe, die zugegebenermaßen mal wieder etwas Schuhcreme vertragen konnten, machte er sich auf in sein Büro.
»Was soll denn das jetzt, bitte?«
Kluftinger hatte Richard Maier sofort an der Stimme erkannt, fühlte sich aber nicht angesprochen. »Morgen, Richie!«, sagte er daher, ohne sich nach ihm umzudrehen, und setzte seinen Weg fort.
»Werde ich jetzt von dir ignoriert? Ist das der Dank, dass ich mir Gedanken mache, was uns hier als Team wieder zusammenschweißen könnte, um das Schreckliche einigermaßen zu verarbeiten, was dennoch kaum in Worte zu fassen ist?«
Jetzt wandte sich der Kommissar um. Maier war direkt hinter ihm. »Redest du mit mir?«
»Mit wem denn sonst?«, empörte sich Maier.
»Mei, vielleicht mit den Kollegen? Mit der Sandy? Oder mit jemandem, zu dem dein ruppiger Ton besser passt als ausgerechnet zu deinem Vorgesetzten?«
»Ah, jetzt bist du also auf einmal der Vorgesetzte …«
»Bin ich das nicht schon immer? Seit ich dich eingestellt hab?«
Maier schaute Kluftinger verdutzt an. Sein Mund stand offen. Es kam nicht oft vor, dass der württembergische Kollege nach Worten rang. Der Kommissar gönnte sich einen kleinen Augenblick des Triumphes, dann setzte er in versöhnlichem Ton hinzu: »Also, lieber Mitarbeiter und Kollege Richard, was kann ich für dich tun, hm?«
»Ich bitte doch sehr darum, dass du dich an unsere Abmachung hältst und die Hausschuhe auch anziehst.«
»Richie, bei aller Liebe … ich mein, bei allem Verständnis für dich und deine besonderen Sichtweisen, ich kann mir nicht vorstellen, dass die anderen …«
»Morgen!«, winkte Sandy Henske von ihrem Schreibtisch aus – und Kluftinger sah an ihren Füßen, dass sie ganz offenbar Maiers Wunsch gefolgt war.
Der blickte ihn mit überlegenem Lächeln an, setzte dann aber eine ernste Miene auf und sagte in salbungsvollem Ton: »Der Eugen hätte doch auch gewollt, dass wir alle zusammenhalten.« Damit ließ er ihn stehen.
Mit hängendem Kopf ging der Kommissar zurück zur Garderobe, wechselte sein Schuhwerk und schlurfte in sein Büro. Auch wenn er sich dem sozialen Druck der Abteilung zähneknirschend beugte: Hausschuhe passten nicht in eine Behörde und widersprachen seiner Auffassung von professioneller Arbeit. Ganz sicher würde das für ihn kein Dauerzustand werden. »Liegt was Besonderes an, Fräulein Henske?«
Sandy lächelte ihn gequält an. Kluftinger erkannte sofort, dass sie schlechte Nachrichten hatte. »Also, das Präsidialbüro hat mir eine Mail weitergeleitet.«
Da die Sekretärin nicht weitersprach, hakte er ungeduldig nach: »So, und … was steht drin? Gibt’s schon einen Nachfolger für die Frau Dombrowski?«
»Oder eine Nachfolgerin.«
»Es wird wieder eine Frau?«
»Nein, es gibt noch niemanden – aber es könnte ja auch wieder eine Frau werden.«
Kluftinger zog die Brauen zusammen. »Und das stand in der Mail?«
»Nee, Quatsch. Da stand drin, dass der Staatssekretär im Innenministerium in zwei Tagen die Verkehrssicherheitstage hier bei uns in Kempten eröffnet. Und Sie als Interims-Präsident sollen …«
»Auch dabei sein. Priml.« Solche Anlässe mied Kluftinger wie der Teufel das Weihwasser. Allein die ganzen Begrüßungsreden der Honoratioren, in denen die sich selbst gegenseitig beweihräucherten. »Sagen Sie denen, wenn ich Zeit hab, dann kann ich vielleicht schon zuschauen, aber wenn was Dringendes dazwischenkommt, was gar nicht so unwahrscheinlich ist …«
»Es wird erwartet, dass Sie zu diesem Event sprechen. Ein Grußwort, quasi.«
»Dass ich was spreche? Ein … Grußwort?«, wiederholte er. »Priml.«
Sandy lächelte ihn mitleidig an.
»Wenn Sie dann bitte gleich ganz absagen täten. Ich hab im Moment keine Zeit, eine lange Rede zu schreiben.«
Sandy holte tief Luft, bevor sie erklärte: »Ja, also, über die Dauer der Rede steht hier natürlich nichts … aber es war durchaus mehr eine Anordnung als eine Bitte. Also, eine Absage wird wohl schwer werden.«
»Eine Anordnung?«
»Vom Staatssekretär.«
»Vom … zefix!« Kluftinger stöhnte. Dann gab es wohl keinen Ausweg. Er musste ran. »Heilandnochmal! Ich brauch eine Stunde absolute Ruhe, ja? Keine Störung, nix. Dass ausgerechnet mir das passieren muss. Eine Rede. Schlimmer hätt’s nicht kommen können, Himmelarschkreuzkruzinesn!« Mit diesem Fluch, der aus seinem tiefsten Inneren kam, begab er sich in sein Büro und schloss die Tür hinter sich.
Als er sich den leeren Schreibblock heranzog, um sich die Eckpunkte seiner Ansprache zu notieren, hatte er ein flaues Gefühl im Magen. Er kam sich vor wie bei seinem Deutschabitur, in dem er ausgerechnet eine Gedichtanalyse verfassen musste – ein Gebiet, auf das er sich nicht im Geringsten vorbereitet hatte. Aber nun war es eben so. Als Beamter musste man auch mal unangenehme Dinge erledigen. Und er würde allen zeigen, was er draufhatte.
Doch bereits bei der Frage der adäquaten Begrüßung geriet sein kurzzeitig aufkeimender Eifer wieder ins Stocken. Wie sprach man die Gäste einer solchen Veranstaltung an? In welcher Reihenfolge? Und wer war überhaupt anwesend? Vielleicht könnte er mit liebe Festgäste beginnen? Nein, das klang eher nach einem Blasmusik-Jubiläum. Liebe Festgemeinde? Das sagte der Pfarrer bei der Hochzeit. Sehr geehrte Damen und Herren war zu förmlich. Bestimmt erwartete man eine persönliche Handschrift von ihm. Etwas, was nur er so machte. Kurzerhand beschloss er, es exakt so zu halten, wie er es bei der Musikprobe immer tat. Er würde einfach mit den Fingerknöcheln aufs Rednerpult klopfen und sagen: »Gilt scho, Grüß Gott beinand.« Das war bodenständig und authentisch.
Er schaute auf die Uhr: Schon fast eine Viertelstunde vorbei, und er hatte gerade mal die Begrüßung. Was den weiteren Verlauf der kleinen Ansprache anging, wollte er sich deswegen moderner Hilfsmittel bedienen: Er schaltete den Monitor seines Computers an und gab festliche Rede halten in die Suchmaschine ein.
Das erste Ergebnis wirkte gleich ziemlich vielversprechend: Ein sogenannter Speaker gab da allerhand Tipps zum Aufbau eines guten Vortrags. Der Kommissar schüttelte den Kopf. Speaker. Man hätte auch Redner sagen können, wobei sich Kluftinger ohnehin fragte, was das eigentlich für ein Beruf war. Vielleicht sollte er sich in Zukunft Inspector oder Detective nennen. Er scrollte weiter durch die Hinweise, die ihm alle ziemlich banal schienen: Freundlichkeit, deutliche Aussprache, Ruhe – das hätte er sich auch selbst denken können. Dann aber kam er an einen interessanten Punkt. Der Trainer postulierte als einen der wichtigsten Faktoren der gelungenen Rede die klare Vorstellung, »zu wem, wie lange, worüber und wozu« gesprochen werden solle. Keine der vier Fragen konnte der Kommissar beantworten.
Verdrossen scrollte er noch weiter nach unten. Da fanden sich Beispielreden zu verschiedenen Anlässen. Er las sich einige der Überschriften durch: Mamaverwöhnfest: Schulleiterin spricht zum Muttertag lautete die erste, gefolgt von Ein frohes Kind, ein Wirbelwind – Rede zum Geburtstag einer Faschingsprinzessin in Franken. Alles doch recht speziell und für ihn kaum verwendbar, selbst mit kleinen Änderungen nicht. Auch der Vortrag eines Gartenbau-Unternehmers Grüner Daumen im Angesicht des Klimawandels traf es nicht einmal ansatzweise, und mit der Ansprache eines Bürgermeisters zur Städtepartnerschaft mit der Ukraine Ein großer Tag für Bad Kleingerhardsgmünd würde er auch nicht weiterkommen. Die Suchbegriffe Rede Verkehr zeitigten ebenfalls keine brauchbaren Ergebnisse, denn da waren auf einmal Geschlechtskrankheiten (Lasst uns über ungeschützten Verkehr und seine Gefahren reden) und Dirty-Talk beim Sexualakt das Thema. Schnell brach er die Suche ab, nicht dass er noch auf halbseidene Bezahl-Websites weitergeleitet würde.
Stattdessen beschloss er, einem weiteren Tipp des Rede-Coaches zu folgen, den er eben gelesen hatte: Er würde ein Brainstorming zum Thema anfertigen. Schließlich wusste er, wie das ging, Maier hatte einmal einen Anlauf unternommen, diese Arbeitsweise in ihrer Abteilung zu etablieren, es aber nach dem Protest aller wieder aufgegeben. Auf sein Blatt schrieb er also mittig das Wort Verkehrssicherheit, zog einen großen Kreis darum und begann zu überlegen.
Nach einer weiteren Viertelstunde hatte er die Begriffe Verkehr, Sicherheit, tödlicher Unfall und Zebrastreifen notiert. Mehr fiel ihm zu diesem Thema einfach nicht ein. Er hob sein Telefon ab. So hatte das keinen Sinn. »Sandy? Wenn Sie ganz kurz kommen könnten? Ich bräucht Sie mal.« Dann stand er auf und ging zum Fenster.
Seine Sekretärin kam mit strahlendem Lächeln herein und setzte sich auf den Besucherstuhl vor seinem Schreibtisch, ihr Dienst-Laptop auf den Knien drapiert. »Ich bin bereit, Chef, schießen Sie los.«
Kluftinger verstand nicht.
»Sie wollen mir die Rede doch jetzt sicher diktieren, oder? Also, von mir aus kann’s losgehen.«
Kluftinger ging zu seinem Arbeitsplatz zurück und schob zögerlich das Ergebnis seines Brainstormings über den Tisch.
Sandy Henske warf einen schnellen Blick darauf und flüsterte: »Gute Güte, mehr haben wir nicht?«
Kluftinger schüttelte den Kopf.
»Nee, da kommen wir so nicht weiter. Ich meine … also, Sie können das sicher glänzend, aber im Moment haben Sie ja wahrlich andere Aufgaben, stimmt’s?«
»Andere, ja. Auf jeden Fall«, murmelte Kluftinger verschämt.
»Ich bin da auch nicht versiert, tut mir leid. Aber vielleicht sollten wir uns Rat holen bei jemandem, der das öfter macht«, überlegte Sandy.
Kluftinger schöpfte Hoffnung. »Genau. Der das öfter macht und deshalb Routine in so was hat«, führte der Kommissar den Gedanken weiter. »Vielleicht … der Kienle?«
»Der aus der Registratur?«
»Nein, der Oberbürgermeister.«
»Hm, der muss laut der besagten Mail seinerseits ein Grußwort halten.«
»Schade«, fand der Kommissar. Er mochte die spezielle Art des Stadtoberhaupts, Ansprachen zu halten: Er holte sich meist ein, zwei Gesprächspartner auf die Bühne, mit denen er sich unterhielt. »Aber wie wäre es dann mit … dem Landrat?«
»Die Landrätin, meinen Sie? Ist ja noch nicht ganz so lange im Amt, aber wenn Sie meinen …«
»Nein, lieber nicht«, winkte der Kommissar ab. »Wir bräuchten jemanden, der danach nicht überall rumposaunt, dass man ihn um Rat gefragt hat, verstehen Sie? Jemanden, der dienstgeheimnismäßig gebunden ist.«
»Ich hab’s!«, rief Sandy auf einmal aus. »Wir fragen den Chef.«
»Das bin doch ich …«
»Nein, den richtigen … ich mein, den Ex-Chef, Ihren Vorgänger.«
»Den Hefele? Der ist aber nicht mehr ganz …«
»Unsinn«, sagte Sandy kopfschüttelnd. »Den Lo-den-ba-cher.«
»Den … Sandy, Sie sind genial!«
»Hör ich öfter. Wollen wir uns Rat beim Regierungsrat holen?«
»Nein«, erwiderte Kluftinger grinsend. »Wir holen uns nicht nur Rat beim Rat, wir holen uns gleich den ganzen Schrat … Rat. Den Regierungsrat. Höchstpersönlich, verstehen Sie, Frau Henske?«
Keine zwei Minuten später hatte er Lodenbacher am Telefon. »Mei, toll, dass Sie trotz Ihrem übervollen Terminkalender Zeit für ein Telefonat mit einem Provinzpolizisten wie mir haben, Herr Lodenbacher!«, begann der Kommissar gleich nach der Begrüßung mit seiner zugegebenermaßen etwas klebrigen Charmeoffensive. Doch nur so sah er Chancen, den Plan, den er gefasst hatte, in die Tat umzusetzen.
»Allweil, für meine Leut ausm Allgäu, wissen S’ doch«, gab sich Lodenbacher jovial. »Wo drückt der Schuh, Kluftinga?«
»Also, wie soll ich sagen«, wand sich der nun doch ein wenig, »ich mein, wir schwärmen hier ja alle immer noch von den tollen und abwechslungsreichen Reden, die Sie bei jedem offiziellen Anlass gehalten haben.« Gut, dass sein Gesprächspartner nicht sehen konnte, wie sich die Adern auf seinen Wangen knallrot verfärbten.
»Des glaub ich gleich.«
»Ja, so geistreich haben Sie immer gesprochen – und nie war einem langweilig, weil Sie immer aufs Publikum eingegangen sind, wissen Sie?«, log der Kommissar unverfroren weiter.
»Freilich weiß ich des.«
Kluftinger hätte beinahe gelacht. Lodenbachers monotone und langatmige Reden waren gefürchtet gewesen. Dass er ihnen selbst derart unkritisch gegenüberstand, fand er unglaublich. Egal, fürs Erreichen seines Ziels konnte das nur hilfreich sein. »Jetzt steht wieder so ein Anlass ins Haus, hier in Kempten werden nämlich die Bayerischen Verkehrssicherheitstage durchgeführt, und zur Eröffnung gibt es eine kleine Feierstunde.«
Lodenbacher sog hörbar die Luft ein. »Is mir zu Ohren gekommen. Aber bloß aus zweiter Hand, ned offiziell. Jedenfolls hom’s mi ned eiglodn.« Am Umstand, dass Lodenbacher nun wieder in seinen niederbayerischen Dialekt verfiel, merkte Kluftinger, wie verschnupft er war. Umso besser.
Sein ehemaliger Vorgesetzter fuhr fort: »Is eh lang her, dass ich Reden g’halten hab, jetzt wird mir bloß noch die zweifelhafte Ehre zuteil, welche anzuhören, die leider oft von denselben Redenschreibern in den Ministerien san. Die gleichen sich wie ein Ei dem ander’n.«
»Die Redenschreiber?«
»Die auch, aber ich mein natürlich die Reden an sich, ned?«
»Ja, das glaub ich. Da würde es einen schon mal wieder in den Fingern jucken, selber eine zu verfassen, oder?«
Lodenbacher räusperte sich. »Kluftinga, kürzen mir des Ganze einfach ab: Ich kann Eahna schon a Rede schreiben. Als Amtshilfe, so zum sagen. Mei ehemalige Behörde soll sich ja ned blamier’n, verstengan S’?«
Der Kommissar schluckte die Herabwürdigung, die in dieser Aussage lag, einfach hinunter. Immerhin: Er hatte ein Etappenziel erreicht. »Da haben Sie ja so was von recht, Herr Lodenbacher«, säuselte er weiter. »Es soll gut werden, was sag ich: Grandios soll es werden, weil ja auch Ihr Staatssekretär da ist. Also, der vom Innenministerium.«
»Des is auch bloß oana wie du und ich. Nix B’sonders«, brummte Lodenbacher.
»Genau. Gar nicht.«
»Vieles, Kluftinga, werd im Ministerium ned nach Kompetenz besetzt, sondern über Beziehungen und mit Katzbuckeln.«
»Ja, das haben wir damals auch gesagt.«
»Damals?«
Kluftinger hüstelte nervös. »Also, das mit dem … dings … mit dem Ministerium. Allgemein, mein ich, nicht speziell.«
»Ja, vor allem ganz oben.«
»Genau. Ganz. Also oben. Aber umso wichtiger ist da auch die dings … die Kompetenz bei der Vortragsweise. Von der Rede her. Und da ist einer wie ich sicher einem Staatssekretär unterlegen, und wenn er noch so ein Depp ist.«
»Moment, des hab ich aber nicht … keine falschen Zitate, Kluftinga!«, tönte es aufgeregt aus dem Hörer.
»Nein, schon klar. Aber wenn so ein Staatssekretär kommt, da bräuchte es halt schon ein anderes Kaliber als mich. Als Gegengewicht quasi.«
»Meinan S’? Könnt schon sein.«
Der Fisch hatte den Köder im Maul, dachte Kluftinger. Jetzt noch ein beherzter Ruck an der Angel – und er zappelte am Haken. »Ich hätt doch auch gar nichts zum Anziehen. Und kenn ja niemanden von den ganzen wichtigen Leuten aus der Politik und …«
»Ja, jetzt wo Sie es sog’n: Da haben S’ scho recht. Guad, dass Sie sich selber so gut einschätzen kennan. Da braucht’s den Kuchen, ned den Krümel, ned?«
»Also so würd ich das jetzt auch wieder nicht …«
»Lieber der Schmid statt dem Schmiderl, oda?«
Kluftinger stand auf dem Schlauch. »Welcher Schmid jetzt?«
»Ich komm und red den Staatssekretär an d’ Wand, dass es eam die Ohrwatschln anlegt.«
Na also, dachte Kluftinger. Lodenbacher zappelte fröhlich im Netz, und er selbst hatte eine lästige Aufgabe weniger. »Ganz genau, zeigen Sie ihm ruhig, wo der Bartel den Most holt.«
»Muss aber unter uns bleim, Kluftinga. Dass ich ihn ned ganz unkritisch seh. Rein fachlich, versteht sich.«
»Unter uns. So was von, Herr Lodenbacher. Verlassen Sie sich drauf.«
»Sauba. Des mach ma, Kluftinga. Ich schaug dann bei Eahna vorbei, wenn ich eh in Kempten bin. Pfiat Eahna.«
»Ja, keine Ursache, gern geschehen. Habe die Ehre, Herr Lodenbacher. Und bis bald«, sagte Kluftinger eilig und legte auf.
Er beschloss, seinen Arbeitsplatz besser für eine Weile zu verlassen, um vor eventuellen Rückrufen oder gar einem Rückrudern Lodenbachers gefeit zu sein. Schwungvoll stand er auf und berichtete Sandy stolz von seinem Telefonat. Dann ging er ins große Büro und kündigte Maier und Hefele an, dass er vorhabe, noch einmal nach Altusried zu fahren. »Mag jemand mit?«, fragte Kluftinger und erwartete, dass sie sich wie üblich darum streiten würden, wer ihn begleiten dürfe.
Doch die Beamten blickten angestrengt auf ihre Unterlagen. »Hm, ich hab noch … diese Sache, der ich nachgehen muss«, murmelte Hefele. »Du, nimm doch die Lucy mit, ist eh wichtig, dass die jetzt gleich möglichst viel von dir lernt, und dann stört sie … ich mein, dann ist sie versorgt, quasi.«
Maier nickte eifrig. »Da kann ich dem Roland nur zustimmen. Am meisten profitiert die Neue doch davon, wenn sie mit dir unterwegs ist. Keiner hat so einen Erfahrungsschatz wie du …«
»Schon gut, hab verstanden«, unterbrach ihn der Kommissar. »Ihr wollt sie loswerden, und ich soll mich kümmern.« Mit diesen Worten ging er auf den Gang und rief in Richtung des Zimmers der neuen Kollegin: »Fräulein Beer, wir hätten einen Außentermin.« Er wartete eine Weile, doch es tat sich nichts. Auch auf nochmaliges Rufen kam keine Antwort. Ob sie beim Rauchen war? Wenn ja, würde er ihr klarmachen müssen, dass man sich hier nicht einfach Pausen genehmigen konnte, wie es einem passte. Er seufzte angesichts dieser undankbaren Aufgabe. Als er an ihrem Zimmer vorbeiging, sah er durch die offen stehende Tür, dass die Beamtin an ihrem Schreibtisch saß. Ohne zu klopfen, trat er ein. »Also, ich muss schon sagen, Frau Kollegin, es ist etwas ungewöhnlich, dass man auf das Rufen seines Vorgesetzten nicht reagiert.«
Sie notierte etwas auf einen Zettel und würdigte ihn keines Blickes.
»Frau Beer, jetzt mal ehrlich …«
Da begann sie leise vor sich hin zu summen. Und nun entdeckte Kluftinger auch die beiden weißen Dinger in ihren Ohren, Kopfhörer, wie er wusste, da Markus dieselben hatte. Er machte zwei weitere Schritte und tippte sie auf die Schulter.
Wie von der Tarantel gestochen fuhr sie herum, worauf der Kommissar so erschrak, dass ihm ein spitzer Schrei entfuhr.
»Heilige Scheiße«, presste Luzia Beer hervor und holte die Hörer aus ihrem Ohr.
»Jesses, bin ich jetzt erschrocken«, stammelte Kluftinger.
»Was gibt’s denn, was einen Herzstillstand rechtfertigt?«, fragte sie forsch.
»Ich wollt, ich mein …« Er dachte kurz nach, was er eigentlich gewollt hatte. »Ach ja: Falls es Ihnen grad passen tät, wir hätten eine Außenermittlung.«
Sie ließ ihren Blick seine Beine hinabwandern. »In diesen Schuhen?«