»Schade, dass die Sandy auf einmal so starke Migräne hat«, fand Maier. Er hatte den Kommissar zusammen mit Hefele gleich am Parkplatz abgefangen.
»Ja, die Art Migräne kenn ich«, erwiderte Hefele. »Hab ich leider nicht schnell genug gekriegt.«
»Falls du damit andeuten willst, das sei nur eine Ausrede: Kann ich mir nicht vorstellen«, gab Maier bestimmt zurück. »Schließlich soll die Aktion im Gedenken an Eugen stattfinden – und da würde Sandy nicht leichtfertig schwänzen.«
Kluftinger wurde allmählich ungeduldig. Und er fror. Der Himmel hatte sich zugezogen, es war deutlich kälter als noch am Morgen, und es nieselte leicht. Vielleicht würde es heute sogar noch den ersten Schnee geben, wie die Wetterfee im Radio eben gemutmaßt hatte. »Richie, wenn du mir jetzt nicht auf der Stelle sagst, wohin du willst, geh ich rauf und lass mich von Sandys Migräne anstecken.«
»Wohin? Na, ich dachte, das erklärt sich von selbst. Nachdem wir letzten Freitag aufgrund … anderer Pläne des Kollegen Hefele nicht mehr dazu gekommen sind, werden wir jetzt den Abteilungs-Christbaum zusammen erwerben. Leider, wie gesagt, ohne die Damen.«
Kluftinger blickte seinen Mitarbeiter ungläubig an.
»Erinnert euch nur, welch großer Freund von Weihnachten im Allgemeinen und von Nadelbäumen im Speziellen unser lieber Eugen war.«
Für einen Moment schloss der Kommissar die Augen. Also gut, dann würde er eben kurz mitgehen und hätte das leidige Thema danach abgehakt. »Ich fahr. Zu welchem Baumarkt wollen wir? Direkt zu dem großen am Oberstdorfer Knoten oder lieber zu dem auf’m Bühl? Wär auch nicht viel weiter, und der ist sogar noch ein bissle billiger, glaub ich.«
»Nein, also ein Baumarkt geht gar nicht«, fand Maier.
»Dann halt zum Real.« Diesen Einkaufstipp von Frau Litwinow hatte Kluftinger noch deutlich im Ohr.
Doch Maier schüttelte erneut vehement den Kopf, während Hefele sich erst gar nicht an der Diskussion beteiligte. »Ich bin der Ansicht, dass wir unbedingt einen regionalen Baum kaufen sollten.«
»Soso«, brummte der Kommissar.
»Ja, weil die Bäume, die man in den großen Märkten kaufen kann, Anfang November bereits irgendwo in Russland oder sonst wo in Osteuropa von Tagelöhnern gefällt worden sind und seitdem auf Lkws durch die Gegend gekarrt werden.«
Damit hatte Maier sicher recht, aber sie waren eben auch sehr viel billiger.
»Außerdem werden die mit Pestiziden behandelt, wachsen in Monokulturen und riechen überhaupt nicht. Der Eugen hätte das nicht gewollt.«
Diesmal hatte der Kommissar nicht vor, das von seinem Kollegen inflationär bemühte Totschlagargument unhinterfragt stehen zu lassen. »Moment mal, du willst uns allen Ernstes sagen, dass Eugen nicht gewollt hätte, dass wir einen Baumarktbaum kaufen?« Sein Blick ging zu Hefele, der ihm jedoch auswich.
»Unser lieber Eugen war ein Fan von Tannenduft«, verkündete Maier unbeeindruckt in feierlichem Singsang.
»Dann kaufen wir halt eine Dose Sprüharoma. Oder ich bring mein Räuchermännle mit«, blaffte Kluftinger.
Maier winkte ab. »Er liebte das echte, natürliche Waldaroma. Lass uns doch auf den Bauernmarkt gehen. Regionale Erzeuger verkaufen da ihre Waren. Unter anderem auch Bäume.«
»Soso, und wo soll der sein?«
»Unten, bei der Basilika.«
Seufzend lenkte Kluftinger ein. Dieser ganze Regionalgedanke war ja prinzipiell eine gute Sache. Wenn die Waren dort nur nicht so teuer gewesen wären. »Von mir aus, fahren wir halt zum Bauernmarkt.«
»Nein, wir laufen!«
»Jetzt komm, wir können schlecht den Baum durch die halbe Stadt hierher zurückschleppen.«
»Wir kriegen eh keinen Parkplatz da unten. Außerdem ist es eine tolle Teamaktion, wenn wir zusammen den Baum rauftragen. Da kriegen wir gleich eine Beziehung zu ihm.«
»Himmel, Richie …«, begann Kluftinger, doch Hefele war bereits losgegangen.
»Egal, bissle frische Luft schadet ja vielleicht auch nix«, erklärte er.
»Dass ihr euch auf einmal immer so einig seid in letzter Zeit. Mir war’s grad lieber, als ihr noch um jede Kleinigkeit gestritten habt«, grummelte der Kommissar und schloss zu den anderen auf.
Kaum am Bauernmarkt angekommen, der sich auf einem gekiesten Parkplatz unterhalb der barocken Basilika Sankt Lorenz befand, steuerte Hefele schnurstracks auf den Imbisswagen mit den Kässpatzen zu. Kluftinger kannte ihn vom Wochenmarkt und wusste, dass sie dort tatsächlich fast so gut waren wie selbst gemacht, auch wenn die geschmälzten Zwiebeln zu blass waren und – noch schlimmer – nie genug davon auf dem Teller landeten. Da er nach seiner Riesenportion beim Mittagessen ohnehin keinen Bissen mehr hinunterbekommen würde, schlenderte er mit Maier derweil durch die Gasse zwischen den Verkaufsständen, wo Dinge wie Honig und Bienenwachskerzen, Schaffelle oder handgestrickte Socken angeboten wurden. Aus einigen Lautsprechern plätscherte Stubenmusik. Über den gesamten Platz zog sich eine heimelige Duftmischung aus Glühwein, Kässpatzen, heißem Most und gegrillten Würstchen, die an einer Ecke auf einem großen Holzkohlegrill brutzelten. Der Kommissar hätte den Geruch sicher verführerisch gefunden, wäre er nicht so satt gewesen. Und die Atmosphäre hier zwischen den hölzernen Buden war jedenfalls wunderschön. Eine tolle Neuerung, dieser Markt, und eine gute Alternative zum überlaufenen Weihnachtsmarkt am Kemptener Rathausplatz. Vielleicht würde er mit Erika einmal herkommen.
Sie platzierten sich an einem rustikalen Stehtisch und winkten Hefele, der eben zurückkam. Er gesellte sich zu ihnen und stellte jedem eine Portion Spatzen hin, Kluftinger sogar eine besonders große mit einem ganzen Berg Zwiebeln. »Extraviel für den großen Hunger«, kommentierte er und schob sich eine Gabel in den Mund. Kluftinger traten sofort Schweißperlen auf die Stirn, obwohl das Wetter immer ungemütlicher und kälter wurde. Sicher, er war im Essen großer Mengen durchaus geübt, aber dass er das nach der Monsterportion heute Mittag wirklich unbeschadet überstehen würde, bezweifelte er. Andererseits fand er es sehr aufmerksam von Hefele, dass der ihm ungefragt etwas zu essen ausgab – und sogar seine Vorlieben berücksichtigt hatte. »Mei, das ist ja nett«, sagte er deshalb ehrlich. »Magst nicht lieber du die große Portion?«
»Ach Schmarrn«, erwiderte sein Kollege kauend, »du hast schließlich den ganzen Tag nix gegessen. Haut rein, ihr zwei. Geht auf mich, die Runde.«
»Danke, Roland, das ist so … lieb von dir«, sagte Maier mit bebender Stimme. »Die zweite zahl ich dann.«
Kluftinger verschluckte sich an seinem ersten Bissen. Die zweite? Noch eine Runde würde er keinesfalls verkraften, die müsste er verhindern, so viel war klar. Es war schon schwierig genug, diese hier noch zu bewältigen. Er beschloss, es wie bei dieser amerikanischen Reportagereihe zu machen, die er manchmal im Fernsehen sah, bei der ein ziemlich gut genährter Mann an diversen Fresswettbewerben teilnahm: wenig kauen, schnell schlucken und an etwas anderes denken. Daher schnitt er ein neues Thema an: »Sagt mal, welche Hobbys haben eure Frauen eigentlich so? Würd mich grad mal interessieren.« Vielleicht konnte er die eine oder andere Idee als Vorschlag für Erika verwerten.
Die beiden Kollegen schauten von ihren Spatzen hoch und starrten ihn verwundert an. »Also, ich für meinen Teil bin ja schon ziemlich lang geschieden«, erklärte Hefele schließlich. »Und du doch auch, Richie, oder?«
»Klar, glücklich geschieden, was sonst?«
Kluftinger schluckte einen mächtigen Bissen hinunter: »Sicher, also, ich mein, was haben die immer so gemacht, eure Ex-Frauen, bevor sie euch … ihr wisst schon.« Dann schaufelte er die nächste Ladung in sich hinein. Er durfte keine Zeit verlieren. Musste schneller sein als sein Sättigungsgefühl.
Maier antwortete: »Also, zunächst: Ich hab ja nach wie vor ein gutes Verhältnis zu meiner Ex. Es gab nie richtig Zoff. Wir geben uns nicht wie die meisten gegenseitig die Schuld, denn wir wissen, dass es einfach kein perfect match war, wie man neudeutsch sagt. Wisst ihr, was ich meine?«
Kluftinger sah auf. Er wusste nicht, was Maier meinte, hatte aber auch kein Interesse, es zu erfahren.
»Ohne Streit und Ärger ist es keine richtige Scheidung, wenn du mich fragst«, wandte Hefele brummig ein.
Maier zuckte mit den Achseln. »Ich nehme an, Chef, du willst eher Anregungen, was für deine Frau gut wäre, oder? Sucht sie ein Hobby?«
»Suchen ist vielleicht zu viel gesagt. Ich mein nur, vielleicht gäb’s was, was ihr Spaß machen könnte.«
»Reichst du ihr nicht mehr?«
»Schmarrn. Aber der Markus hat seine eigene Familie, ich bin den ganzen Tag weg, da fällt ihr manchmal die Decke auf den Kopf.«
»Also, meine Frau war voll berufstätig, deswegen hatte sie jetzt nicht wahnsinnig viel Zeit. Aber ich kann Bridge sehr empfehlen.«
»Ist das nicht das Kartenspiel für alte Weiber?«, wandte Hefele ein.
»He, das heißt ältere Damen, gell?«, ermahnte ihn Kluftinger augenzwinkernd.
»Das ist ja ein ganz altes Vorurteil. Ich hatte mit meiner Frau auch eine regelmäßige Bridgegruppe«, verkündete Maier.
»Kein Wunder, dass sie nix mehr von dir wissen wollt.« Hefele schlug seinem Kollegen lachend auf die Schulter.
Maier verzog keine Miene. »Wie schon gesagt, das hat ganz andere Gründe, die ich euch gern darlegen kann, wenn’s euch interessiert.«
Kluftinger und Hefele stocherten konzentriert in ihrem Essen und vermieden es tunlichst aufzusehen.
»Na ja, vielleicht ein andermal. In Ruhe.«
Die Beamten nickten.
»Vielleicht wäre auch Ashtanga was Schönes für deine Frau? Das hilft vielen, die Mitte zu finden.«
Kluftinger winkte ab. »Ich glaub, mit Tangas hat sie’s gar nicht, die Erika.«
»Das hat doch nichts mit … Ashtanga ist die verbreitetste Form des Yoga. Hast du das nicht sogar selber mal probiert?«
Kluftinger erinnerte sich mit Schrecken an eine Yogastunde bei Langhammer. »Nie«, brummte er deshalb.
»Wie wär’s dann mit Stricken? Ist total in gerade. Da kommt man wunderbar runter. Dazu ein Hörspiel oder nen schönen Podcast …«
»Du strickst?«, hakte Kluftinger ungläubig nach und versicherte sich mit einem Blick, dass Hefele ebenso erstaunt war.
»Ich … das kam jetzt vielleicht falsch rüber, also, wenn ich eine Frau wär, dann würd ich stricken. Für mein Leben gern.«
»Schon klar, Richie!« Hefele hatte mittlerweile aufgegessen. Auf einmal brach es aus ihm heraus: »Wie wär’s denn dann so mit den Hobbys von meiner Ex-Frau? Die hat tolle Sachen gemacht: den ganzen Tag irgendwelche Schrott-Talkshows und Reality-Müll angeschaut, Schokolade in sich reingestopft, Shopping-Queen im Internet gespielt, mein Geld ausgegeben und sich ansonsten den Arsch breit gesessen und gewartet, dass ich abends heimkomme, damit sie mir Vorwürfe machen kann, in was für bescheidenen Verhältnissen sie leben muss, weil wir nicht mal eine Zweitwohnung haben. Und weil sie auch noch nie in der Karibik war und noch keine Kreuzfahrt hat machen dürfen.«
Kluftinger schloss die Augen. Hätte er das Thema doch bloß nie angeschnitten! »Ja, vielen Dank für eure tollen Tipps, dann geh’ mer jetzt doch einfach mal ein Bäumle suchen«, schlug er vor. Sein Blick auf die Tischplatte machte ihn ein wenig stolz: Er hatte es tatsächlich irgendwie geschafft, sich alle Spatzen samt den blassen Zwiebeln einzuverleiben. Allerdings bezahlte er diese Leistung mit einem unangenehmen Druck im Magen. Für heute hatte er eindeutig genug, und auch beim Glühwein würde er passen müssen.
Zu dritt schlenderten sie – zu einer schnelleren Gangart wäre der Kommissar momentan auch nicht in der Lage gewesen – zum Christbaumhändler, den Maier schon von Weitem begrüßte und erklärte, er habe einen Termin vereinbart. Der Verkäufer, ein groß gewachsener, breitschultriger Typ um die vierzig, erhob sich langsam von seinem Klappstuhl und kam auf sie zu. Auf dem Weg legte er noch zwei Stücke Holz in die Feuerschale, die rauchend vor sich hin schwelte. Er war eine imposante Erscheinung: Die Füße steckten in kniehohen Lederstiefeln mit Filzschaft, dazu trug er einen breitkrempigen Hut und einen pelzgefütterten olivgrünen Mantel. »Grüß Gott beinand. Worum geht’s?«, fragte er Maier, der instinktiv einen Meter zurückwich, mit einer brummenden Bassstimme.
»Ich komme wegen des Beratungstermins zum Erwerb eines Weihnachtsbaumes, den wir heute Vormittag telefonisch vereinbart haben. Kriminalhauptkommissar Maier ist mein Name, wir sind leider fünf Minuten zu früh, können aber warten.«
Der Mann grinste und holte eine Zigarre aus seiner Manteltasche, die er erst genüsslich anzündete, bevor er antwortete. »Soso, das trifft sich ja gut, dass mein letzter Termin schon zwei Tage her ist. Da war ich nämlich beim Zahnarzt. Mit wem auch immer Sie telefoniert haben, ich war’s nicht. Aber wenn Sie einen Baum wollen, davon hab ich so viele, dass ich sie auch spontan verkauf.« Er zog an seiner Zigarre und ließ einen beeindruckenden Husten vernehmen.
»Der Typ sieht ein bisschen aus wie Hagrid, oder?«, flüsterte Maier Kluftinger zu, der keine Ahnung hatte, was er damit meinte.
»Sind übrigens alles Bäume von der Westallgäuer Waldbesitzervereinigung. Beste Ware«, versicherte der Verkäufer.
»Schön«, fand Maier, »wir bräuchten allerdings einen Baum, der bestimmte Anforderungen erfüllt. Zunächst: Er wird in einem Büro stehen. Öffentlicher Dienst.«
»Aha. Den meisten von meinen Bäumen ist es ziemlich egal, wo sie aufgestellt werden. Privat oder Büro, die sind nicht wählerisch.« Der Mann blickte grinsend zu Hefele und Kluftinger. Wahrscheinlich sah er ihren Gesichtern an, was sie von Maiers Gebaren hielten.
»Das freut mich«, fuhr der unbeirrt fort, »wir haben keinen Publikumsverkehr, im Allgemeinen ist es also eher ruhig bei uns. Wir sind drei Männer und zwei Frauen in der Abteilung. Die Luftfeuchtigkeit wäre eher gering, weil außer mir nie jemand lüftet. Und der Anteil an künstlichem Licht erheblich. Was würde sich da gut machen?«
Wieder sog der Mann an seiner Zigarre, sodass deren Spitze rot aufglühte. »Also, lassen Sie mich mal überlegen: Bei zwei Männern und einer Frau …«
»Drei Männer, zwei Frauen«, korrigierte Richard Maier.
»Ah, das ist natürlich was anderes. Ich würd … ja, ich würd einen grünen nehmen. Die besten Bürobäume finden Sie außerdem genau … hier.« Er machte eine ausladende Handbewegung über seinen ganzen Verkaufsstand.
»Wunderbar.« Maier schaute seine Kollegen Beifall heischend an.
Kluftinger zuckte mit den Achseln und begann sich zusammen mit Hefele ein wenig umzusehen, während Maier weiter auf Fachberatung bestand. Sie hörten noch, wie der Verkäufer erklärte: »Also der hier könnte mit einer Bürosituation sicher ganz toll umgehen. Ist eine sogenannte Schreibtisch-Blaufichte. Kostet allerdings ein bissle mehr als eine ordinäre Nordmanntanne.«
»Wir legen alle zusammen. Am Geld sollte es also nicht scheitern.«
»Das wär dem Eugen sicher nicht recht, Richie«, rief Kluftinger. Sein Kollege sendete Signale aus, die preislich gesehen fatal enden konnten. »Er war sehr sparsam, gerade am Ende seiner Tage. Und eine Blaufichte passt ja gar nicht zum Ahornholz unserer Fensterbänke.« Bei ein paar kleineren Exemplaren machte der Kommissar halt. Die würden für ihren Zweck locker reichen und waren, den Farben der Bändchen nach, die er auf einer kleinen Tafel gesehen hatte, außerdem recht günstig. Er hielt einen in die Höhe. »Was meinst, Roland? Wär der was?«
»Der? Da hast du mit sicherem Blick den räudigsten von allen ausgesucht. Den würd ich nicht mal meiner Frau hinstellen.«
Der Kommissar verstand nicht, was der Kollege hatte. Sicher war der Baum etwas windschief und ungleichmäßig, aber er besaß Charakter.
»Völlig indiskutabel«, rief Maier ungefragt herüber, und der Verkäufer ergänzte: »Also, die krummen sind eigentlich bloß dafür da, falls jemand einzelne Zweige davon abschneiden will. Die gibt’s gratis zum Kauf dazu.«
Ärgerlich räumte der Kommissar das Bäumchen wieder auf und suchte ein neues heraus. »So was?«
Maier schüttelte den Kopf. »Zu gelb, untenrum«
»Das musst du als Württemberger grad sagen«, brummte Kluftinger und suchte weiter. Beim nächsten Baum, den er vorschlug, waren Maier die Nadeln zu klein, bei einem anderen zu dicht, der dritte wiederum schien ihm zu schmal. Nun begab sich auch Hefele auf die Suche, um die Aktion zu beschleunigen, doch auch er bekam von seinem Kollegen eine Abfuhr nach der anderen: Doppelspitze, schlechte Schnittstelle, zu gedrungener Wuchs.
Schließlich beschloss Kluftinger, den nächsten Christbaum, den Hefele anschleppen würde, derart in den Himmel zu loben, dass Maier, der selbst bislang noch keinen Vorschlag gemacht hatte, gar keine andere Chance hätte, als einzulenken. »Mei, Roland, deeeeer isch ja soooo schööön! Den müssen wir nehmen«, flötete er, als sein Kollege auf ein Exemplar zeigte.
Hefele rollte mit den Augen.
Vielleicht etwas zu dick aufgetragen, dachte Kluftinger.
Maier, noch immer im Beratungsgespräch mit dem Zigarrenraucher, machte eine wegwerfende Handbewegung. »Der hat so eine lichte Stelle da oben. Ausschluss«, lautete sein vernichtendes Urteil.
Jetzt hatte auch Hefele genug. »Du hast auch eine lichte Stelle am Kopf, Richie. Dich bezeichnet deswegen aber auch keiner als Ausschuss.«
Kluftinger hatte es ebenfalls satt, selbst der Preis war ihm inzwischen egal, er wollte weg hier. Zurück zur Arbeit, zurück ins Warme. Also griff er sich einen wirklich prächtigen Baum, der in einem Betonständer steckte, schleppte ihn zu den Kollegen und präsentierte ihn. »Der wird’s, und damit basta!« Dann wandte er sich an den Händler. »Wenn Sie uns den einpacken, bitte.«
»Also, der ist aber wirklich mal schön!«, fand auch Hefele.
Richard Maier ging ein paar Schritte darauf zu, umkreiste ihn und verkündete mit verklärtem Blick: »Ihr habt völlig recht! Der ist es. Eine prachtvolle Erscheinung. Sieht sogar ein bisschen aus wie Eugen, Gott hab ihn selig.«
»Au, das tut mir leid, der ist schon weg«, verkündete der Verkäufer. »Kriegt der katholische Dekan fürs Pfarrhaus. Ist sogar schon bezahlt. Sorry, aber da geht gar nix.«
Den gesamten Rückweg über lamentierten sie über ihre erfolglose Shoppingtour. Während Maier sich echauffierte, dass der starrköpfige Verkäufer auch auf sein Flehen samt Erklären der Sondersituation (»verschiedener Kamerad«) den Pfarrbaum nicht hatte hergeben wollen, fand Hefele, dass es ohnehin übertrieben sei, dass sich der Geistliche einen solchen Prachtbaum ins Zimmer stellte, wo er über Weihnachten sowieso fast pausenlos in der Kirche sei.
»Ich sag bloß: Beim Baumarkt wär das nicht passiert. Die machen keine Extrawürste, auch nicht für Pfarrer. Da kriegt jeder den Baum, den er will«, schimpfte Kluftinger. Schließlich einigte er sich mit Hefele darauf, dass Maier wegen seiner Idee einer Teambuilding-Maßnahme und der ständigen Mäkelei an den Bäumen nicht nur daran schuld war, dass sie mit leeren Händen zurückkehren mussten, sondern auch an der Stimmung, die nun viel schlechter war als zuvor. Und obendrein am drückenden Spatzenklumpen in Kluftingers Magen, was der Kommissar aber für sich behielt.
Sie nahmen gerade die letzten Stufen zur Abteilung, da tönte Maier, er werde zu Hause eine Anforderungsmatrix für den idealen Bürobaum entwerfen, die man dann beim nächsten Besuch eines Verkaufsstands wie eine Checkliste einfach abhaken könne.
»Du glaubst doch nicht im Ernst, dass wir noch mal …«, begann Kluftinger, als er wütend den oberen Treppenabsatz erreichte, in den Gang stürmte – und wie angewurzelt stehen blieb: Auf einem kleinen Tischchen in der Ecke neben Sandys Schreibtisch stand ein Christbaum samt bunt glänzenden Plastikkugeln und elektrischen Kerzen in einem Ständer. Er ähnelte in der Form sogar ein wenig dem, den man ihnen eben verweigert hatte. Sandy krabbelte gerade unter dem Tisch hervor, ein Verlängerungskabel in der Hand.
»Na, schön, was?«, sagte sie und stand auf. »Jetzt müssen wir ihn bloß noch anstecken. Hat die Lucy mitgebracht.«
»Der ist ja der Hammer«, schwärmte Hefele, und auch Kluftinger nickte anerkennend, obwohl der Schmuck für sein Dafürhalten eindeutig zu bunt ausgefallen war. Die Glitzerkugeln aus Plastik fand er regelrecht geschmacklos, sagte aber nichts.
»Ich war schnell noch beim Baumarkt, auf dem Rückweg vom Präsidium«, sagte Luzia Beer lächelnd vom Türrahmen ihres Büros aus. »Weil Sie doch so begeistert waren vom Gedanken, dass wir für unsere Abteilung einen Baum kaufen, stimmt’s, Herr Kollege?«
Maier zuckte mit den Schultern. »Begeistert? Das war ja nur ein Vorschlag. Ob so ein Baum wirklich nötig ist, muss letztlich jeder selbst entscheiden. Aber wenn Sie meinen …«, sagte er kühl und verschwand in seinem Büro.