»Butzele, es gibt so Tage, die machen einem erst wieder bewusst, wie gut es einem geht!«
Kluftinger senkte das Kinn auf die Brust und sah seine Frau skeptisch an. Sie hatte ihn derart überschwänglich begrüßt, dass er befürchtete, sie habe irgendeinen starken Stimmungsaufheller vom Doktor verschrieben bekommen. Andererseits würde sie so ein Zeug nie nehmen, da war er sich ganz sicher. Ziemlich sicher. Zumindest glaubte er es. Oder doch nicht? »Erika, alles klar bei dir?«, fragte er daher zögerlich.
Sie strahlte ihn nur noch mehr an, kam auf ihn zu, umarmte ihn und gab ihm einen Kuss, der deutlich länger währte als alle Liebesbezeugungen der letzten Wochen zusammen. »Aber so was von klar«, bestätigte sie und stieß einen wohligen Seufzer aus.
Der Kommissar trat einen kleinen Schritt zurück und musterte seine Frau erneut. Er konnte nichts Auffälliges entdecken. Äußerlich schien tatsächlich alles in Ordnung mit ihr.
»Wie könnte irgendwas nicht klar sein, wenn man so einen tollen Mann hat.«
Der tolle Mann kratzte sich am Kopf. Sicher, damit hatte Erika völlig recht, er hätte das jederzeit unterschrieben, nur wie sie ausgerechnet heute zu dieser Erkenntnis kam, verstand er nicht. Aber er würde schon noch herausfinden, welche seiner zahlreichen guten Eigenschaften es war, die seine Frau gerade so für ihn einnahm. Sollten allerdings doch Medikamente dahinterstecken, musste er sich unbedingt beim Doktor nach der Möglichkeit einer Langzeittherapie erkundigen.
»Ich hab da schon mal was vorbereitet, kommst du gleich?«
Schon beim Eintreten hatte er bemerkt, dass es heute Abend besonders verführerisch nach Essen duftete, was er aber vor allem auf seinen Kohldampf geschoben hatte, da er – als Ausgleich zum Vortag mit seinem verheerenden Spatzen-Überangebot – tagsüber fast nichts zu sich genommen hatte. Er zog sich die Haferlschuhe aus und tauschte sie gegen die Fellclogs.
Erika tätschelte ihm den Rücken. »Toll, dass du so weit über deinen eigenen Schatten springen kannst. Einfach so, nur damit es mir besser geht.«
Kluftinger richtete sich auf und dachte nach. Es waren also weder sein Fleiß noch seine Intelligenz oder seine Geduld, die Erika so pries. Was meinte sie bloß?
Wortlos winkte sie ihn in die Küche – wo er endlich den Grund für ihre Lobreden erblickte: Auf der Arbeitsplatte, direkt neben dem Spülbecken, stand malmend und dampfend der Thermomix.
»Heu, ist das Ding schon gekommen?«, rief er überrascht aus. »Das ist ja schnell gegangen.«
Nun schlang Erika von hinten die Arme um seinen Bauch und drückte ihn an sich. »So eine tolle Überraschung!«
Der Kommissar fand es unglaublich, welche Freude er seiner Frau mit einer Küchenmaschine machen konnte. Wenn er da an diverse Weihnachtsgeschenke wie den Staubsauger oder den elektrischen Fensterputzer dachte – dafür hatte er keine derartigen Jubelstürme geerntet. Ein wenig missfiel dem Kommissar aber, dass Erika das Ding nicht nur bereits ausgepackt, sondern auch schon in Betrieb genommen hatte. Schließlich hatte nicht sie die Unterweisung von Frau Litwinow erhalten, sondern er. Zudem konnte man nie sicher sein, ob nicht von Haus aus irgendwas kaputt war – und nun war die Maschine schon benutzt.
»Ich hab gleich ein paar Sachen gemacht: Rohkostsalat mit Rote Beete, frisches Baguette, und im Moment ist grad noch eine Gemüsesuppe drin – ich muss bloß noch schnell ein bissle Speck in der Pfanne auslassen. Setz dich schon mal hin und schenk dir ein Bier ein, der Wunderkessel braucht noch zwei Minuten und … achtunddreißig«, trällerte Erika.
Angesichts ihrer blendenden Verfassung verkniff sich Kluftinger einen Kommentar dazu, dass das Gerät bereits einige hässliche rote Flecken von besagtem Salat und mehrere Teigspritzer aufwies. Stattdessen ließ er sich noch ein wenig für seine Entschlossenheit preisen. Anschließend genoss er ein leckeres Essen, das sie letztlich ihm zu verdanken hatten – auch wenn er es nicht selbst gekocht hatte.
In wohliger Selbstzufriedenheit versunken, hatte er noch einen Einfall: »Du, soll ich uns schnell ein Eis machen? Da braucht’s bloß gefrorenes Obst, Zucker und, wenn man will, Sahne oder Milch. Ist natürlich nicht ganz einfach, aber das krieg ich schon hin.«
Erika winkte ab. »Kann ich doch machen. Welches Obst magst du?«
Kluftinger schüttelte den Kopf. »Nein, ich will doch. Und das ist schwerer, als du denkst.« Er beharrte auf seinem Herrschaftswissen.
Seine Frau sah ihn an wie ein dickes Kind, das seinen Eltern eröffnet, es wolle unbedingt Primaballerina werden. »Belassen wir es doch einfach so, wie es immer war. Da musst du dich jetzt nicht extra einarbeiten.«
Priml. Sie versuchte gerade, ihm sein selbst erworbenes Teufelsgerät streitig zu machen. Doch das würde er nicht hinnehmen. Schließlich hatte Frau Litwinow ihm die Tricks und Kniffe gezeigt, und er würde sie nun auch anwenden. Den Thermomix hatte er auch ein wenig für sich selbst gekauft. »Schluss jetzt, ich mach Eis und damit basta«, brummte er ein kleines bisschen verstimmt. Erika lenkte ein und verfolgte mit Argusaugen, wie er einen Beutel gefrorene Heidelbeeren, die er im Sommer von einer Bergtour kiloweise nach Hause gebracht hatte, zusammen mit ein paar anderen Zutaten in den mittlerweile abgespülten Mixtopf gab und am Bedienknopf drehte.
Sofort setzte sich das Schneidwerk mit einem Höllenlärm in Bewegung. Die eisigen Beeren wurden so heftig gegen die Metallschüssel geschleudert, dass sich beide Kluftingers erschrocken die Ohren zuhielten. Doch gerade mal zehn Sekunden später piepste das Gerät unschuldig eine kleine Melodie, und der Nachtisch war fertig. Erika sparte sich jeglichen weiteren Kommentar, denn auch ihr schien – wie ihrem Mann – die Eiscreme richtig gut zu schmecken. Zufrieden saßen sie sich am Küchentisch gegenüber und schleckten ihre selbst gemachte Köstlichkeit.
»Du, deine Mutter hat schon dreimal angerufen heut und wollt wissen, wo dein Vater ist«, erzählte Erika.
»Aha. Und? Ist er denn jetzt wieder daheim?« Kluftinger war immer ein wenig besorgt, wenn es um seine Eltern ging. Schließlich waren sie in einem Alter, in dem schnell mal was sein konnte …
»Hm, keine Ahnung, ich hab nix mehr gehört.«
»Und das sagst du mir jetzt erst?«
»Ist doch nix passiert, reg dich doch nicht wegen allem immer gleich so auf. Die beiden sind selber groß.«
»Ja, und … alt«, fügte Kluftinger hinzu, ging zum Telefon und wählte die Nummer seiner Eltern. Es dauerte etwas, dann hob sein Vater ab. Gott sei Dank, er lebte und war zu Hause, schoss es Kluftinger durch den Kopf. »Servus, Vatter, geht’s dir gut?«, fragte er aufgeregt in den Hörer. Schließlich wusste er noch nicht, warum seine Mutter ihn den ganzen Tag gesucht hatte.
»Schon, warum?«
»Bloß so. Die Erika hat erzählt, dass du abgängig gewesen bist heut. Wo warst du denn?« In Kluftingers Kopf überschlugen sich die Gedanken. Was, wenn sein Vater irgendeine Krankheit hatte, bei der er orientierungslos umherlief und man ihn suchen musste, weil er sich selbst nicht mehr zurechtfand?
»Mei, da und dort«, erklärte sein alter Herr gelassen. »Warum fragen mich denn jetzt auf einmal alle, wo ich genau war? Ich hab ein paar Besorgungen gemacht. Wieso willst denn das wissen?«
»Bloß … so halt. Weil ich mich dafür interessier, wie dein Tag so war.«
Nach einer kurzen Pause hörte Kluftinger im Hintergrund eine Stimme, dann sagte der Vater: »Es ist der Bub, was ist denn, Hedwig?«
Kluftinger seufzte.
»Entschuldige, aber die Mutter wollt wissen, wer dran ist … Ja, der Bub, wenn ich’s dir doch sag«, brüllte er jetzt so laut in den Hörer, dass Kluftinger seinen ein Stück vom Ohr weghielt. »Himmel, Hedwig, ich weiß ja noch nicht, was er will, weil du mich nicht mit ihm reden lässt. Bub?«
»Ja, Vatter, du, wir lassen das vielleicht einfach, und ich meld mich ein andermal wieder.«
»Wieso ein andermal? Es geht schon. Also, was wolltest du denn?«
»Eigentlich …«
»Wieso willst jetzt du auf einmal mit dem Buben reden? … Bitte! Du, Adi, die Mutter will dich. Aber ich dann auch noch mal kurz, gell?«
Offensichtlich wurde das Telefon nun an Kluftingers Mutter weitergereicht.
»Kluftinger. Wer ist am Apparat?«, fragte die.
»Ich bin’s, Mutter, das hat der Vatter dir doch gesagt.«
Was hatten die beiden bloß?
»Schon. Ich wollt’s halt von dir wissen, Bub. Was gibt’s?«
»Eigentlich nix. Ich wollt nur fragen, ob der Vatter wieder daheim ist.«
Er hörte regelrecht, wie seine Mutter stutzte. »Aber du hast doch grad schon mit ihm geredet!«
»Ja, schon. Aber weil du schon dreimal … wurscht. Und sonst so?«
»Mei, nix, eigentlich. Und du? Hast schon was gegessen?«
»Ja, sehr gut war’s. Suppe, Brot und Rohkost. Und rate mal, wer den Nachtisch gemacht hat!«
»Der Doktor Oetker?«
»Schmarrn, ich. Kommt’s halt am Wochenende mal zum Essen, und ich mach uns Heidelbeereis.«
»Hm, ja, vielleicht …«, antwortete sie zögerlich, dann kam ihr anscheinend eine bessere Idee: »Oder ich bring rote Grütze mit und Sahne, das ist doch was Feines.«
Niemand in seiner Familie schien ihm kulinarisch auch nur das Geringste zuzutrauen. Na, die würden sich schon alle noch umschauen, was er im Zusammenspiel mit seiner neuen Maschine zu leisten imstande war.
»Du, der Vatter will dich noch mal. Mach’s gut, gell? Und iss noch was Gescheites! Man soll ja nicht hungrig ins Bett.«
Der Kommissar konnte nichts erwidern, denn nun hörte er schon wieder seinen Vater tönen: »Ich bin’s noch mal, Bub.«
»Ich hör’s, Vatter.«
»Horch, ich mach mir ein bissle Sorgen um die Mutter«, sagte Kluftinger senior mit gesenkter Stimme.
Sofort war Kluftinger wieder alarmiert. »Was ist denn?«
»Keine Ahnung. Sie ist so komisch, den ganzen Tag. Will immer wissen, wo ich hingeh, dabei hat sie das die letzten sechzig Jahre nicht interessiert. Am liebsten würd sie überallhin mitkommen. Aber ich kann doch schlecht mit meiner Frau beim Urologen auftauchen, oder? Wie sieht denn das aus? Und die Post holt sie selber aus dem Briefkasten, neuerdings …«
»So was, hm …«, versetzte Kluftinger unschuldig. Dabei wusste er genau, wodurch sich dieses Verhalten seiner Mutter erklärte.
»Nein, ich flüster gar nicht, Hedwig«, brüllte der Vater nun, bevor er leise weitersprach: »Also sag, Bub, weißt du, warum sie sich so anders benimmt?«
»Ich? Woher denn?«
»Keine Ahnung. Ich hab Angst, dass Sie allmählich … du weißt schon … sonderbar wird.«
»Ach was, Vatter, da würd ich mir nix denken. Sie passt halt ein bissle auf, dass du keine Dummheiten machst«, antwortete er und verabschiedete sich.
»Alles okay bei dir daheim?«, wollte Erika wissen und hielt ihm einen Umschlag hin. »Der war noch in der Schachtel vom Thermomix.«
»Ah, das wird die Rechnung sein. Ja, bei den Eltern ist … alles gut. Wo ist denn die Schachtel?«
»Hab ich schon zerschnitten und in die Blaue Tonne.«
»Was?« Damit war eine Rücksendung praktisch ausgeschlossen.
»Ja, die war so groß.«
»Hast aber schon alles raus, oder?« Kluftingers größte Angst war, bei irgendeinem Gerät, das er neu anschaffte, wichtige Zubehörteile in der Verpackung zu vergessen und mit ihr wegzuwerfen.
»Alles, Butzele«, sagte sie und küsste ihren Mann auf die Wange.
»Ja, dann …« Er legte den Brief beiseite, und während sich Erika ins Bad verzog, machte er sich daran, den Thermomix zu säubern. Auch dazu hatte es ja eine Lektion von der Russin gegeben. Wichtigster Helfer dabei war eine Rundbürste, auf deren Ähnlichkeit mit einer Klobürste Frau Litwinow immer wieder unter heftigem Lachen hingewiesen hatte – was vielleicht auch mit ihrem erhöhten Wodkakonsum an jenem Abend zu tun gehabt hatte. Akribisch putzte Kluftinger das Gerät, denn er wusste, wie wichtig es war, bei technischen Apparaturen auf Pflege und Wartung zu achten, allerdings nur mit einer detaillierten Kenntnis der Maschine. Bestes Beispiel war da sein Auto, an dem er Erika noch nie auch nur eine Scheibe hatte putzen lassen. Nein, die Thermomixreinigung musste Chefsache bleiben. Gegenüber seiner Frau würde er natürlich betonen, wie wichtig es ihm sei, sie zu entlasten.
Als er mit dem Resultat zufrieden war, setzte er sich an den Küchentisch und öffnete den Umschlag. Zum Vorschein kam, wie erwartet, die Rechnung. Er ließ die Augen übers Papier fliegen und entdeckte den Betrag. Zufrieden nickte er. Wirklich ein angemessener Preis für so eine tolle Maschine. 135,50 Euro, dafür bekam man heutzutage kaum noch einen vernünftigen Akkuschrauber, in dem allerdings weit weniger Technologie steckte als in seinem kleinen Küchenwunder.
Er nahm gemächlich einen Schluck Bier und legte die Rechnung beiseite, stutzte aber im selben Moment. Stand da nicht 1355,00 Euro? Er schaute noch einmal genau. Tatsächlich, er hatte sich nicht getäuscht. Wie ärgerlich. Nun musste er sich darum kümmern, diesen Irrtum richtigzustellen, bevor er wegen der horrenden Summe eine Mahnung bekam. Und das nur, weil irgendein Depp das Komma an der falschen Stelle gesetzt hatte …
Seufzend holte er sich erneut das Telefon aus dem Hausgang. Auf der Rechnung stand riesengroß eine Servicenummer, die man bei Fragen zum Kauf jeden Tag kostenlos bis 20 Uhr kontaktieren konnte. Er sah auf die Uhr: Zehn vor acht, das passte wunderbar, sicher war nicht mehr viel los. Und ein Zahlendreher war bestimmt schnell aus der Welt geschafft. Wer weiß, vielleicht bekam er sogar noch eine Kleinigkeit als Entschädigung. Kluftinger tippte konzentriert die Nummer ein und hatte nach Eingabe von ein paar seltsamen Tastenkombinationen eine Hotline-Mitarbeiterin am Telefon, die er umgehend fragte, ob er mit Frau Litwinow sprechen könne.
»Wie heißt die Dame?«
»Litwinow, also … wenn ich mich recht entsinne.«
»Vorname?«
»Adalbert Ignatius. Aber die Frau Litwinow kennt mich nur als Herr Kluftinger. Wir sind per Sie.«
Stille.
»Hallo?«, hakte der Kommissar nach.
»Den Vornamen Ihrer Bekannten wollte ich eigentlich wissen.«
Er überlegte. Ob das so eine Sicherheitsfrage war, wie er sie damals beim Einrichten des Online-Bankings hatte angeben müssen? »Welche Bekannte jetzt noch mal genau?«
Die Dame am anderen Ende seufzte vernehmlich. »Die Frau Litwinow, wie heißt die noch?«
»Keine Ahnung. Was Russisches, nehm ich mal an, aber das werden Sie ja bestimmt besser wissen.«
»Woher denn, ich kenne die Frau doch gar nicht.«
»Sie haben doch grad von ihr geredet.«
»Ich? Nein, ich hab Sie nur zitiert.«
»Aber Sie kennen sie sicher, das ist eine Kollegin.«
»Die Frau arbeitet nicht bei uns.«
Allmählich verlor der Kommissar die Geduld. »Doch, natürlich. Bloß weil Sie sie nicht kennen, heißt das ja nicht …«
»Sagen Sie mal, sind Sie von irgendeinem Radiosender und machen mit mir einen Spaßanruf?«
»Ich? Nein, Schmarrn, ich bin von der Polizei.«
»Na, das wird ja immer besser.« Die Frau schien zu überlegen, was sie nun tun sollte, entschied sich dann zum Durchhalten und sagte: »Schön. Letzter Versuch: Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Hat die Frau Litwinow vielleicht grad Urlaub?«
Wieder ein Seufzen. »Was weiß ich? Vielleicht hat sie sich auch ein Bein gebrochen. Oder ist im Mutterschutz.«
»Nein, die ist ja in meinem Alter, ungefähr.«
»Himmel! Sie arbeitet jedenfalls nicht hier. Möchten Sie jetzt, dass ich auflege oder dass ich mich um Ihr Problem kümmere?«
»Hm, ja, vielleicht, also, wenn Sie sich damit auskennen?«
»Womit denn genau?«
»Mit dem Thermomix.«
»Na, das ist ein Zufall. Das ist sozusagen mein Spezialgebiet.«
»Gut. Ich hab bei der Frau Litwinow so einen gekauft, und jetzt steht ein falscher Betrag in der Rechnung.«
»Na sehen Sie, warum denn nicht gleich.« Man hörte der Dame ihre Erleichterung an. »Das ist gar kein Problem, kommt immer wieder mal vor. Dazu müssen wir die Frau Litwinzew gar nicht behelligen.«
»Ah! Kennen Sie sie doch?«
»Kundennummer?«, schnarrte die Frau.
Der Kommissar las ihr den Zahlencode vor und wurde umgehend in eine Warteschleife mit grässlicher Fahrstuhlmusik geschickt. Überraschend kurz darauf meldete sich die Frauenstimme auch schon zurück. Und klang weitaus freundlicher als eben. »Danke, dass Sie gewartet haben, Herr Kluftinger. Sie haben völlig recht, die Rechnung ist so nicht korrekt.«
Er grinste zufrieden.
»Wir haben vergessen, Ihnen die beiden Kochbücher zu berechnen, die Sie bei Ihrer Beraterin geordert haben, mit dem TM kommen standardmäßig nur das Grundkochbuch und die Reinigungsbürste. Macht also zusammen 1440 Euro statt 1355. Bitte verzeihen Sie den Fehler. Wir schicken Ihnen eine neue Rechnung zu, die Sie einfach in den nächsten zehn Tagen überweisen. Toll, dass es ehrliche Kunden wie Sie gibt, das erlebt man nicht oft. Kann ich sonst noch was für Sie tun?«
Kluftingers Lippen bebten, seine Hände zitterten. Wie in Trance legte er auf und starrte auf die Arbeitsplatte. Egal, wie gut er das Ding auch gereinigt hatte: Es war benutzt, da biss die Maus keinen Faden ab. Außerdem verfügte er nicht mal mehr über die Originalverpackung. Was für ein unverantwortlicher Leichtsinn seiner Frau. Wie sollte er das Ding denn so zurückschicken?
Mit einem Mal begann er heftig zu schwitzen. Er schüttelte den Kopf. Nein, er konnte es ja gar nicht mehr zurücksenden, Originalverpackung hin oder her. Nicht, nachdem er sich gerade zwei Stunden lang als Held sämtlicher Ehefrauen der westlichen Hemisphäre hatte feiern lassen. Ein Rückzieher war unmöglich. Er hatte auf einmal regelrecht Mühe, Luft zu bekommen. Vierzehnhundert Euro, das war … in etwa ein Drittel seines Monatsgehalts! Für einen Mixer!
Mit einem tiefen Stöhnen trank er den letzten Schluck Bier. Es half nichts, er würde bezahlen müssen. Innerlich begann er sofort, Sparpläne aufzustellen, um den Verlust wieder einigermaßen wettzumachen: kein Mondwirt bis Ostern, mehr Beilagen wie etwa Reis und Kartoffeln, dafür weniger Fleisch – das war ja angeblich eh gesünder. Statt einer Woche Südtirol reichten auch mal vier Tage. Und die Winterreifen würde er sich dieses Jahr nicht in der Werkstatt montieren lassen. Anscheinend machte seine Schwiegertochter das ja leidenschaftlich gern. Dann stand er auf und drehte den Heizkörper von Stufe vier auf Stufe zwei herunter. Wer brauchte eine derart überhitzte Küche, wo hier eh ständig gekocht wurde und man sich kaum hier aufhielt? Wenn all seine Maßnahmen greifen würden, hätte sich der Thermomix am Ende vielleicht sogar noch gelohnt. Einigermaßen beruhigt zapfte er sich ein Glas Leitungswasser und ging ins Bett.