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»Leut, wir müssen den Wittgenstein exhumieren.«

Sandy Henske sah ihren Chef verwundert von ihrem Schreibtisch aus an. Kluftinger war grußlos in die Abteilung gestürmt und hatte den Satz einfach in den Korridor gerufen. Er wollte seinen Plan sofort mit allen teilen, so sehr elektrisierte ihn die Idee, auf die ihn Langhammer eben gebracht hatte.

»Hallo, Chef!«, antwortete die Sekretärin, dann erschienen Hefele und Maier in der Tür zu ihrem Büro.

»Wen willst du ausgraben?«, fragte Hefele nach.

»Den Wittgenstein. Sandy, rufen Sie bitte bei Willi Renn an, wir brauchen ihn und ein paar von seinen Leuten.« Sie nickte, zögerte aber noch, den Auftrag auszuführen.

»Du willst den Wittgenstein exhumieren?«, wiederholte Maier ungläubig. »Wieso das denn? Der ist Anfang der Fünfzigerjahre verstorben, außerdem in England, glaube ich. Von dem ist sicher nicht mehr viel übrig.«

»Schmarrn, das war doch erst vor ein paar Jahren. Und auch nicht in England«, korrigierte ihn Hefele.

Maier stemmte die Hände in die Hüften. »Vor ein paar Jahren? Ludwig Wittgenstein, der Philosoph?«

Hefele schüttelte den Kopf. »Nix Philosoph. Alois Wittgenstein, der Metzger. Um den geht’s doch, oder, Klufti?«

Der Kommissar kam nicht dazu zu antworten, da hinter ihm Lucy Beer aufgetaucht war – samt dem Geruch von Zigaretten, der sie ständig begleitete. Sie musste nach ihm die Treppe hochgekommen sein. »Ich glaub, ich weiß, was der Chef meint.«

»Wenigstens eine«, seufzte Kluftinger. »Es dreht sich um die Bisswunde …«

»Moment«, schaltete sich nun Hefele wieder ein, »der Metzger hat jemanden gebissen?«

»Klingt seltsam. Gut, bei Metzgern kenn ich mich jetzt nicht so aus, aber ein Philosoph beißt nicht. Wäre der Erste seiner Zunft, von dem ich so etwas höre.«

»Es geht um den Köter, Leute!«, versetzte Lucy jetzt ein wenig genervt. »Stellt euch mal nicht ganz so dämlich an. Steht doch tausendmal in der Akte drin, dass die Töle so geheißen hat.«

Kluftinger lächelte sie dankbar an. Sie hatte völlig recht. Hätten die altgedienten Kollegen sich die gleiche Mühe gemacht wie sie, stünden sie jetzt nicht so auf dem Schlauch. Schließlich erzählte er ihnen von seinem Gespräch mit den Kindern und von Langhammers Hundebiss. »Wenn das beim Kreutzer, an seinem Arm, kein Hund war, dann fress ich einen Besen. Und weil ich keine Lust hab, dass der sich da wieder rauslaviert, will ich einen Gebissabdruck von dem haben, der ihn angefallen hat. Und das ist der Wittgenstein«, schloss er und erntete endlich allgemeines Kopfnicken. Nun könnte es sich als Segen erweisen, dass er nicht in der Tierverbrennung gelandet war. Auch wenn Kluftinger dafür einer Art Trauerfeier hatte beiwohnen müssen, die Langhammer zu Ehren des Vierbeiners veranstaltet hatte.

»Chef, der Herr Renn wäre jetzt am Apparat.« Sandy streckte ihm den Hörer entgegen.

Kluftinger nahm ihn und fragte nach der Meinung des Erkennungsdienstlers, was die Exhumierung und die Sicherung der Bissspuren anging.

»Mei, Klufti, mein Traum ist es jetzt nicht, ein halb verwestes Haustier auszugraben, aber klar, wir können da belastbare Bissproben nehmen. DNA-Proben haben wir ja schon genommen, aber bisher hast du mir noch keinen gebracht, der dazu passt. Also, von mir aus spricht nix dagegen«, lautete Renns Fazit.

»Versuch ich doch gerade«, verteidigte sich der Kommissar.

»War ja kein Vorwurf.«

»Alles klar, danke, Willi. Dann in einer halben Stunde auf dem Tierfriedhof.«


Mit einem Quietschen öffnete der Kommissar den schmiedeeisernen Torflügel und schritt den gekiesten Mittelweg entlang. Genau wie er selbst vor ein paar Wochen, staunten nun sämtliche Beamte über die bizarre Institution, die der Tierfriedhof »Engelshain« im Kemptener Stadtteil Sankt Mang darstellte: Das durch eine hohe Mauer eingefasste Gelände wirkte auf den ersten Blick wie ein völlig normaler Friedhof, nur dass die Grabstätten deutlich kleiner waren – und die Gedenksteine, Platten und Figuren eben oft Tierdarstellungen zeigten.

»Wo ist es denn genau?«, wollte Renn wissen, doch der Kommissar zuckte mit den Schultern.

»Ich würd sagen, eher da im hinteren Drittel, aber genau wüsst ich’s jetzt auch nicht.«

»Ich hab gedacht, du warst schon mal da.«

»Meinst du, ich hab mir gemerkt, wo das genau war? Ich war froh, als ich das hinter mir gehabt hab. Aber wir können uns ja ein bissle verteilen und suchen.«

»Hoffentlich hat Ihr Kumpel auch den Namen draufgeschrieben, sonst könnten wir uns schwertun«, bemerkte Luzia Beer, die ihre Zigarette aufgeraucht und zu den anderen aufgeschlossen hatte.

»Stimmt. Bloß ist er nicht mein Kumpel.«

»’tschuldigung. Freund, wollt ich natürlich sagen«, korrigierte sie sich.

»Das schon gleich gar nicht.«

»Was’n dann?«

»Wurscht. Das ist eine lange Geschichte.«

Dann schwärmten sie aus, um die Grabstätte des Hundes auf dem weitläufigen, mit jungen Bäumen bestandenen Areal zu suchen. Kluftinger besah sich zusammen mit Richard Maier im Vorübergehen die Gräber und schüttelte immer wieder verdutzt den Kopf. Man baute bestimmt eine enge Beziehung zu einem Haustier auf, in all den Jahren, in denen man mit ihm zusammenlebte – beziehungsweise Wochen, wie im Fall von Langhammer und Wittgenstein –, aber diese Form von Tierliebe ging für seinen Geschmack doch etwas weit: Aufwendige Grabsteine mit verschnörkelter Goldschrift zierten die letzten Ruhestätten, lebensgroße Skulpturen von Katzen und einem Papagei waren ebenso zu sehen wie Fotos der Tiere zusammen mit ihren Besitzern. Dazu brannten Grablichter, und sie entdeckten sogar einen marmornen Weihwasserkessel.

Die beiden Beamten passierten eine Gruppe aus mehreren Erwachsenen und zwei kleinen Kindern, die gesenkten Hauptes um ein kleines Loch in der Erde stand.

»Und so werden wir den lieben Hansi nun unter diesem besonderen Ewigkeitsbaum, einem Amberbaum, der im Herbst wunderschön gefärbte Blätter trägt, zur ewigen Ruhe betten«, sagte einer der Erwachsenen in feierlichem Tonfall. Dann nahm er eine Schachtel, die etwas kleiner als das Loch war, legte sie hinein und schob mit einem Schäufelchen ein wenig Erde darüber.

»Meinst du, dass das eine Urnenbestattung ist, bei dem kleinen Schächtelchen?«, flüsterte Maier seinem Vorgesetzten zu. Dann ging er zu einem der Kinder, das ein wenig abseits stand, und fragte: »Was war denn der Hansi für ein Tier?«

Das Kind schluchzte kurz und sagte dann unter Tränen: »Ein Wellensittich. Ein blauer.«

Maier tätschelte dem Jungen ein wenig ungelenk die Schulter. Nun sahen auch die anderen Trauernden zu ihnen herüber.

Kluftinger hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen: »Ja, mein … Beileid. Schlimm. Aber so Sittiche halten leider nicht besonders lang.«

»Gerade die blauen«, fügte Maier noch hinzu, und die kleine Trauergemeinde nickte betroffen.

Die Polizisten gingen weiter und unterdrückten mit Mühe ein Grinsen.

»Treffer!«, rief da Roland Hefele laut durch die Anlage und winkte die anderen zu sich.

»Moment, die Herren, ich müsste Sie mal ganz kurz aufhalten.«

Maier und Kluftinger drehten sich um und sahen, dass der Mann, der eben den Vogel bestattet hatte, hinter ihnen hereilte. Der Kommissar gab seinem Kollegen ein Zeichen, schon mal vorzugehen.

»Dürfte ich erfahren, wer Sie sind?«, fragte der Mann. »Falls Sie wegen dem Trauerfall Muschi da sind, müssten Sie sich noch gedulden, die Feier beginnt erst um 16 Uhr. Allerdings hatten die Angehörigen von einer Beisetzung im engsten Familienkreis gesprochen. Weiß gar nicht, ob ich so viele Stühle habe.«

Kluftinger winkte ab. »Nein, wir sind nicht wegen dem … der Muschi da. Wir wollen zum Wittgenstein.«

»Zum Metzger? Der hat sein Geschäft ja schon lang übergeben. Tragischer Todesfall, es …«

»Nein. Zum Hund. Der liegt hier. Wir sind von der Kriminalpolizei Kempten. Aber dürfte ich vielleicht erfahren, wer Sie sind?«

Der Mann strich seine schwarze Lederweste glatt, die er zu einer Jeans und Cowboystiefeln in derselben Farbe trug. »Natürlich, ich bin Conny Seibold. Mädchen für alles hier. Grabpfleger, Friedhofsverwalter, Trauerredner, Totengräber, Sargträger, Landschaftsgärtner. Und nicht zuletzt … der Inhaber des Engelshains.« Er klang stolz, als er das sagte.

»Ah, das trifft sich eh gut. Wir müssen nämlich den Hund, also den Wittgenstein, exhumieren. Unsere Leute haben aber alles dabei, wir brauchen nichts weiter«, erklärte der Kommissar und wollte bereits weitergehen, als ihn Herr Seibold aufhielt.

»Moment, guter Mann, so geht das nicht hier bei uns. Wir sind um ein hohes Maß an Pietät bemüht, die Totenruhe ist uns heilig. Sie können doch nicht einfach einen Leichnam exhumieren.«

»Machen wir auch nicht. Wir graben bloß einen Tierkadaver aus.«

»Wissen die Hinterbliebenen überhaupt Bescheid?«

Kluftinger musste kurz lachen. »Entschuldigung: Wer soll Bescheid wissen?«

»Die hinterbliebenen Angehörigen eben.«

»Die … nein. Ich weiß auch nicht, ob der Wittgenstein Verwandte hatte. Aber jetzt lassen Sie meine Kollegen bitte ihre Arbeit machen. Wenn Sie wünschen, kann ich Ihnen jederzeit einen richterlichen Beschluss bringen, der ist schon unterwegs, quasi.«

»Das ist unerhört! Ich werde umgehend die trauernde Familie benachrichtigen. Die Tiereigner müssen über solche Fragen entscheiden. Machen Sie sich auf was gefasst! Wie war noch mal Ihr Name?«

»Kluftinger. Leitender Kriminalhauptkommissar, KPI Kempten.«

»Das wird ja immer schöner in unserem Land!«

Damit zog der Mann in Richtung eines kleinen Gartenhäuschens ab, in dem der Kommissar das Büro vermutete. Er war kaum bei den Kollegen angekommen, da meldete sich bereits sein Handy. Auf dem Display stand Kurpfuscher ruft an. Das war wirklich schnell gegangen. Kluftinger drückte den Anruf weg und warf einen Blick auf das noch unversehrte Hundegrab. Wieder musste er grinsen: Im Angedenken an Wittgenstein al. Arcadi von Buronia. Held, Lebensretter, Freund, stand auf einer Platte aus schneeweißem Marmor. Daneben ragte eine stilisierte weiße Hundeskulptur gut fünfzig Zentimeter in die Höhe. Eine Blumenschale mit großer Schleife komplettierte das Bild.

»Kann das Zeug weg?«, fragte einer von Willi Renns Mitarbeitern, und der Kommissar nickte. Er merkte, wie sein Handy noch zweimal einen Anruf meldete, dann vibrierte es immer wieder kurz, weil offenbar Nachrichten eingingen. Dennoch ignorierte er sie und sah zusammen mit seinen Kollegen zu, wie sich die Spurensicherer daranmachten, den Hund auszugraben. Nebel zog auf, und ein eisiger Wind pfiff über diesen bizarren Ort. Kluftinger schlug seinen Mantelkragen hoch.

Als die kleine, weiß lackierte Kiste, in der der Hund vor ein paar Wochen in sein Grab gelassen worden war, freigelegt war und sich Willis Leute eben anschickten, sie zu heben, tönte aufgeregtes Rufen über das Gelände. Ohne hinzusehen, wusste Kluftinger sofort, wer da zusammen mit Herrn Seibold auf ihn zugestürmt kam.

»Na hören Sie mal, so geht das aber nicht, mein Lieber!«

Langsam drehte sich der Kommissar um. »Herr Langhammer, was für eine Überraschung! Schon zum zweiten Mal heute …«

»Was geht hier vor?« Der Arzt war ziemlich außer Atem, der Friedhofsverwalter schnaufte sogar noch mehr. »Zum Glück war ich gerade in der Stadt, bin ja im Krankenstand und hatte ein, zwei Besorgungen zu machen. Herr Seibold hat mich gleich verständigt. Also, was soll das?«

»Herr Doktor, Sie haben mich vorher selber auf die Idee gebracht, dass wir uns den Wittgenstein noch mal genau anschauen müssen. Dafür bin ich Ihnen wirklich dankbar.«

»Ich?«, fragte Langhammer ungläubig.

»Ja, wegen Ihrer Verletzung, die Ihnen der Hindemith zugefügt hat. Toller Gedanke, wirklich. Fast … brillant, würd ich sagen.«

Doch egal, wie viel Honig ihm Kluftinger auch ums Maul schmierte: Der Arzt ließ sich mit derartigen Schmeicheleien heute offensichtlich nicht besänftigen. Er war so aufgebracht, wie ihn der Kommissar selten erlebt hatte. »Nicht genug, dass mein treuer vierbeiniger Freund für Sie gestorben ist, jetzt ziehen Sie auch noch sein Angedenken in den Schmutz, indem Sie sein Grab schänden und seinen Leichnam fleddern?«

»Genau. Fleddern«, meldete sich Herr Seibold von hinten zu Wort.

»Jetzt machen Sie mal halblang, Doktor. Vielleicht können wir mit dieser Analyse einen Doppelmord, den Überfall auf mich und Wittgensteins Tod klären. Und ich mein: Es ist immer noch ein Tier. Ihm passiert ja letztlich nichts, Sie können ihn genau an derselben Stelle wieder verscharren.«

»Verscharren?« Langhammer schnappte nach Luft.

Willi Renn gesellte sich zu ihnen. »Du, Klufti, Frage: Könnten wir den Hund in dein Auto laden? Du hast doch einen Kombi. Wir legen auch was unter, und aus der Kiste riecht’s noch so gut wie gar nicht raus.«

»Der Hund wird nirgendwohin gebracht!«, erklärte Langhammer mit sich überschlagender Stimme und baute sich vor dem klein gewachsenen Renn auf.

»Willi, es wäre vielleicht tatsächlich besser, wenn ihr eure Proben gleich hier nehmt«, sprang Kluftinger nun dem Arzt zur Seite – vor allem, weil er keine Lust hatte, einen halb verwesten Hundekadaver im Passat quer durch die Stadt zu kutschieren. »Geht das?«

»Mei, gehen tut’s schon, auch wenn’s anders praktischer wär.«

»Wär das Ihnen dann auch recht, Herr Langhammer?«

Der Doktor sog die Luft tief in seine Lungen. Offenbar hatte er sich ein wenig beruhigt. »Sehr rücksichtsvoll, danke. Und wenn es der Wahrheitsfindung dient … Sollte ich als Wissenschaftler mich einer solchen Analyse in den Weg stellen? So hat Wittgensteins Verscheiden sogar noch mehr Nutzen als nur, Ihnen das Leben gerettet zu haben. Schließlich will ich, dass der meuchlerische Mord an meinem treuen Gefährten ein für alle Mal geklärt wird. Machen Sie schon, öffnen Sie den Sarg!«

Kluftinger zog sich für die folgende Prozedur vorsichtshalber hinter ein paar andere Gräber zurück und sah aus sicherer Entfernung zu, wie die Beamten den toten Hund aus der Kiste auf eine Plane legten und dann diverse Abdrücke und Proben aus seinem Maul nahmen.


Zum Glück stand er so, dass er den Wind im Rücken hatte – er wollte sich gar nicht vorstellen, wie eine exhumierte Hundeleiche roch. Auch die Kollegen gesellten sich zu ihm.

Langhammer hingegen hatte von einer Minute auf die andere all seine Pietäts-Bedenken über Bord geworfen und gab nun den unbeirrbaren Wissenschaftler. Nicht nur, dass er die Spurensicherer mit seinem anatomischen Fachwissen nervte, er gab auch wortreich Geschichten über den ach so treuen, intelligenten, folgsamen, braven Wittgenstein zum Besten, der nie irgendetwas kaputt gemacht habe – ganz im Gegensatz zu anderen Vertretern seiner Art. Mehrmals hatte Renn dem Kommissar jetzt schon mit eindeutigen Gesten zu verstehen gegeben, ihm den aufsässigen Arzt endlich vom Hals zu schaffen. Da beugte sich Luzia Beer zu Kluftinger und flüsterte ihm zu: »Haben Sie die Handynummer von dem Wichtigtuer?«

Der Kommissar nickte.

»Gut, dann ruf ich den mal eben an.«


Keine Minute später bimmelte Langhammers Mobiltelefon. »Sind Sie es, Sabine? Ihre Nummer wird nicht angezeigt, und ich kann Sie so schlecht verstehen. Ja, in Kempten. Ein Notfall? In der Praxis? Sofort? Nun, ich bin … natürlich. Ich komme. Sagen Sie nur noch kurz … worum dreht es sich denn? Sabine? Sabine?« Ratlos blickte der Arzt auf sein Handy. Dann wandte er sich geschäftig an die Polizisten, die nach wie vor am Maul des Hundes arbeiteten. »Vielleicht haben Sie es mitbekommen, ein medizinischer Notfall, meine Sprechstundenhilfe hat eben angerufen. Man braucht mich trotz meiner Krankschreibung in der Praxis. Obzwar ich Ihnen gerne noch mit meiner Expertise zur Seite gestanden hätte – es geht nicht anders, der hippokratische Eid duldet keinen Aufschub, wenn es um Leben und Tod geht. Sie verstehen.«

Die Spurensicherer schauten nur kurz auf und arbeiteten dann kommentarlos weiter.

Kluftinger lächelte Lucy Beer zu, die sich eben wieder neben ihn stellte. »Schade, dass Sie schon wegmüssen, Herr Langhammer«, rief er dem Arzt hinterher, der ihm fast ein bisschen leidtat.

»Wir sehen uns, Kluftinger. Und bitte sorgen Sie dafür, dass Wittgenstein wieder ordentlich zur letzten Ruhe gebettet wird, und die Grabstätte danach würdig wiederhergestellt ist, ja? Ich verlasse mich auf Sie!«

Dann rauschte er davon.


Eine halbe Stunde später war der Hund tatsächlich wieder unter der Erde, und Renns Leute hatten ihre Gerätschaften bereits eingepackt. Von einem würdig wiederhergestellten Grab konnte allerdings beim besten Willen nicht die Rede sein: Alles lag kreuz und quer, die Skulptur hatte einige Dreckklumpen abbekommen, und die Schale sah reichlich zerzaust aus.

Der Kommissar dachte an Langhammer, der inzwischen wahrscheinlich verwundert in seiner menschenleeren Praxis angekommen war. Sein schlechtes Gewissen meldete sich. »Wisst ihr was, geht’s schon mal vor, ich muss noch was erledigen«, rief er seinen Kollegen zu. Sobald sie außer Sichtweite waren, lieh er sich beim Friedhofsbetreiber ein paar Gartengeräte aus, um zumindest den schlimmsten Flurschaden zu beheben. Als er jedoch die Statue säubern wollte, stolperte er und fing sich so unglücklich an der Skulptur ab, dass dieser der Kopf abbrach und auf dem Boden in tausend Stücke zerschellte. »Zefix!«, schimpfte Kluftinger und blickte auf den Scherbenhaufen. Er hatte alles nur noch schlimmer gemacht. Doch als er die Scherben zum Abfallcontainer brachte, lag darin glücklicherweise der obere Teil eines riesigen Stofftiers. Offenbar ein Pudel oder etwas Ähnliches, genau ließ sich das nicht mehr feststellen, weil die Figur schon etwas mitgenommen war. Für seine Zwecke würde es aber allemal reichen. Er riss ihm kurzerhand den Kopf ab und befestigte diesen mittels Blumendraht auf dem Gipskörper. Mit dem Ergebnis war er recht zufrieden. Sicher, es war nur ein Notbehelf, aber wenn alles erst mal ordentlich von Efeu umrankt wäre, würde man bestimmt kaum noch etwas bemerken.